Rezension

 

Und Papst Leo X. hat doch recht!

 

Mea Culpa

 

500 Jahre Reformation

 

2015: 150 Jahre Wiener Ringstraße – 2016: 200 Jahre Kaiser Franz Joseph – 2017: 300 Jahre „Kaiserin“ Maria Theresia; all diese Jubiläen waren und sind zwar von mehreren Ausstellungen und vielen neuen Büchern begleitet, eine vergleichbare spielerische Ausbeute war damit aber leider nicht verbunden; lediglich zum erstgenannten Datum hat das Österreichische Spiele Museum ein „print-and-play“-Spiel veröffentlicht (http://www.spielemuseum.at/wordpress/?page_id=266).

 

Heuer wird aber auch noch des 500jährigen Jubiläums der 95 Thesen von Martin Luther zum Ablass(un)wesen gedacht. Dieses Ereignis ist schon deswegen von Interesse, als bis zur Gegenreformation sogar mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung zum protestantischen Glauben gewechselt hat. Außerdem gibt es zu diesem Thema – neben u.a. „Lutherbrodt“, „Lutherthaler“, „Lutherwasser“, „Lutherwein“, „Luther-Nudeln“ (!) und „Luthersocken“ (!!) – sogar gleich mehrere spielerische Neuerscheinungen, u.a. die beiden „offiziellen“ Spiele „Luther - das Spiel“ (von Erika & Martin Schlegel, Kosmos) sowie „Martin Luther - das Quiz“ (von Peter Neugebauer, HUCH! & friends). Das jeweilige Spielgefühl entspricht dort aber leider zu sehr den (bösen) protestantischen Klischees von freudlosem Fleiß, spaßfreier Sparsamkeit, karger Genügsamkeit, peinlichem Pflichtbewusstsein bzw. lustfeindlichem Luxusverzicht; insoweit wäre das Thema zwar „perfekt“ umgesetzt, doch steht zu befürchten, dass weitere Partien erst wieder im Jahre 2046 (dem nächsten 500jährigen Jubiläum) unternommen werden.

 

Einen erfreulich anderen Ansatz verfolgt „Mea Culpa“: Hier werden wir spielerisch nämlich nicht bloß 500 Jahre zurückversetzt, wir dürfen/müssen auch das damalige Leben erdulden. Früher war aber nicht nur alles besser, sondern auch viel einfacher:  Sündigen, Ablassbriefe kaufen, in den Himmel kommen – das war damals die unheilige Dreifaltigkeit eines erfüllten Lebens. Leider hat uns nicht nur Martin Luther, sondern später auch noch die katholische Kirche den Ablasshandel verboten. Müssen wir armen Sünder jetzt alle in der Hölle schmoren?

 

Dieses Schicksal bleibt immerhin einem von uns erspart, vorausgesetzt er erwirbt ausreichend – richtig – Ablassbriefe. Die gibt es sogar in vier Farben, wobei jeder einzelne Ablassbrief einen Punkt zählt, jedes komplette Set jedoch gleich deren acht! Die Siegpunkteleiste zeigt uns außerdem nicht nur den aktuellen Stand, sondern auch wohin es langgeht: In der einen Richtung gen Himmel, die andere Richtung führt zur Hölle! Also kein Wunder, wenn sich immer mehr Schweißtropfen auf der Stirne bilden, vermeint man doch schon die stets heißer werdenden Höllenqualen (zumindest optisch) zu erfühlen; während einer Partie sammeln nämlich alle ausschließlich Minuspunkte (bzw. weitere Schritte näher zur Hölle) an.

 

Spielmechanisch funktioniert das (letztlich nur solitäre) Erlösungswerk im Wesentlichen über die Versteigerung von vier Rollen – Papst, Kaiser, Händler und kleiner Sünder – zu Beginn jeder Runde. Dabei ist nicht nur mit den eigenen Münzen hauszuhalten, auch die Kerben auf den jeweiligen Kerbhölzern sowie „Sündensteine“ dienen als zwei weitere „Währungen“. Die Kerbhölzer sind sechsseitige und (auf der Folterbank?) langgestreckte Würfel, leider aber bloß aus Pappe und nicht tatsächlich aus Holz; wobei die gewählte Form natürlich eine sehr freie Interpretation dieses Gegenstandes darstellt. Pikanterweise darf sich dann (nur) jener Mitspieler, der nach dieser Versteigerung am meisten am Kerbholz hat, die zusätzlich von diesem noch gebotenen Münzen behalten. (Gleichstände werden hier und stets – so auch hier – zugunsten desjenigen entschieden, dessen Siegpunktemarker aktuell näher zur Hölle steht). Sollte das nicht für ein Maximum beim „Kerbholzinvestment“ sprechen? Nein, denn das Kerbholzkonto wird auch noch mit anderen, sehr wertvollen Aktionen belastet, und mehr als sechs Kerbholzkerben können pro Mitspieler pro Runde nicht verbraucht werden; außerdem kann ein verschwenderischer Umgang mit diesen Kerben zu Rundenende weitere Minuspunkte bzw. Schritte näher zur Hölle bedeuten.

 

Die (nur) vier verschiedenen (Haupt-)Aktionen sind zunächst einmal grundsätzlich für alle gleich: Waren bzw. (rote/grüne) Ablassbriefe einkaufen, Waren verkaufen (um dadurch Geld zu lukrieren), Waren bzw. Geld für den Bau von Kirchen spenden (um dafür später mit weiteren Ablassbriefen, insbesondere den blauen, belohnt zu werden) oder gar das Freudenhaus (!) besuchen. Dort wird aber nicht die „Luther-Nudel“ al dente zubereitet, sondern wir können Ereigniskarten mit Vorteilen für uns selbst oder mit Nachteilen für die Mitspieler aktivieren; außerdem kann man nur im Freudenhaus die gelben – und somit tendenziell am wertvollsten – Ablassbriefe erhalten.

 

Jede Rolle bietet erwartungsgemäß einen anderen speziellen Vorteil:

Der kleine Sünder darf schon zu Rundenbeginn das Freudenhaus besuchen und muss für diese Aktion auch noch weniger „bezahlen“ als die anderen. Dessen Nachteil ist aber, dass eine Runde schon wieder vorbei sein kann, bevor der kleine Sünder seine zweite (bzw. eventuell sogar erst seine erste) Hauptaktion ausführen konnte.

Der Händler darf sich nach jeder eigenen Aktion zusätzlich immer gratis eine Ware oder einen (grünen/roten) Ablassbrief nehmen.

Der Kaiser hat zum einen Einfluss darauf, an welcher der drei Baustellen die dortige Kirche weitergebaut wird (bis Spielende werden nämlich nur zwei fertiggestellt); zum anderen darf er auch gleich zwei Sachen auf einmal spenden, was sich vor allem gegen Spielende als sehr wertvoll erweisen kann, da man sonst vielleicht noch auf seinen bis dahin angehäuften Besitztümern sitzen bleibt (und diese einem bekanntlich weder im Himmel noch in der Hölle etwas nützen werden).

Und der Papst kann das Freudenhaus (bzw. die dort sich befindlichen sechs Felder) sogar grundsätzlich ganz gratis aufsuchen; danach haben die Mitspieler aber die Möglichkeit, auf dessen konkrete Auswahl zu tippen bzw. diese zu erraten. Gelingt dies, kommt das dem Papstspieler sogar teurer als dem „Fußvolk“ zu stehen!

 

Die ansprechende Gestaltung des Spielmaterials lässt zwar ein flottes und spaßiges Familienspiel mit bereits mündigen Teenagern erwarten, dieser Eindruck täuscht jedoch. Nicht nur gilt es einige – zunächst wenig intuitive – Regelfeinheiten sowie Ausnahmen von Ausnahmen zu beachten, auch kann der Spielverlauf frustrierend ausfallen: Da spendet man etwa brav bei den diversen Kirchen, nur um bei der Auswertung vielleicht festzustellen, dass man bloß Dritter geworden ist und überhaupt gar keine Belohnung (bzw. weitere Ablassbriefe) erhält. Oder dass man viel Energie in eine bestimmte Spendenkategorie gesteckt hat, für den letztlich dadurch lukrierten Ertrag aber vielleicht sogar weniger als die Hälfte der eigenen Spenden ausgereicht hätte. In gewisser Weise lässt sich das zwar durch eine klüger und aufmerksamer gewordene Spielweise vermeiden, doch ist es nur schwer nachzuvollziehen, wohin und wieviel die Mitspieler tatsächlich bereits gespendet haben. Andererseits machen diese Überraschungseffekte und das nur teilweise planbare „Chaos“ auch einen großen Teil des Spielreizes aus, sofern man gewillt ist, sich darauf einzulassen.

 

Im Einzelfall wirklich schlimme Auswirkungen kann aber etwa die Aktivierung einer bestimmten Freudenhaus-Karte haben, mit welcher vom aktuellen Papst ein gelber Ablassbrief gestohlen wird. Die gelben Ablassbriefe können faktisch nämlich einen Unterschied von plus/minus fünf Punkten bedeuten (was hier durchaus nicht wenig ist). Zwar könnte man sich bei der Versteigerung der Rollen auf dieses drohende Unheil einstellen, doch treffen wird dieser Unbill zumeist nicht einmal den Führenden, sondern eher jenen, der aktuell eben über zu wenig Mittel zum Höherbieten verfügt und dem auf diese Weise vielleicht sogar sein einziges Set „zerrissen“ wird. Auch beim (bzw. nach dem) Bieten selbst kann man natürlich seine frustrierenden blauen Wunder erleben, von viel zu viel bis ganz knapp daneben ist natürlich alles möglich.

 

Grundsätzlich gefällt zwar das variable Ende einer Partie (nämlich nach der Fertigstellung der zweiten Kirche), doch kann das im Ergebnis eine Dauer von 9 bis 11 eher repetitiven Runden bedeuten, was sich für den gebotenen Spielreiz doch als zulange anfühlt. Und leider gibt es einige unverständliche Mängel beim Spielmaterial: So können die Ablassbriefe zur Neige gehen, ohne dass in der Anleitung ein Hinweis zu finden ist, wie dieser Umstand aufzulösen wäre (wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass diese Beschränkung der Anzahl eine bewusste Entscheidung gewesen wäre; eher hat man vor der Produktion wohl auf das Nachzählen bzw. auf einen „Sicherheitspolster“ vergessen). Auch die auf den Sichtschirmen abgedruckten Regelübersichten sind keine gute Lösung, weil eigentlich nur knieend (bzw. in Büßerstellung) gut lesbar (aber vielleicht ist das sogar ein gewollter Effekt). Die Sichtschirme sollten zweckmäßiger Weise also besser als (flach am Tisch liegende) Kurzspielregel verwendet und alternative Sichtschirme aus einem anderen Spiel ausgeborgt werden. Dafür ist es beeindruckend, welch stabile streichholzschachtelähnliche Gebilde (mit zwei Kammern) sich aus dünnem Karton basteln lassen. Sehr positiv hervorzuheben ist jedenfalls die thematische Umsetzung des unverbrauchten Themas: Diese ist sehr stimmig und sehr witzig gelungen, sodass sich „Mea Culpa“ etwa auch als originelles Geschenk zu einer Firmung bzw. Konfirmation eignet (zumal die Grafik des Spielplans rund wie eine Uhr gestaltet ist).

 

Harald Schatzl

 

Spieler: 2-4

Alter: 12+

Dauer: 90min+

Autor: Rüdiger Kopf, Klaus Zoch

Grafik: Franz Vohwinkel

Preis: ca. 40 Euro

Verlag: Zoch Verlag 2016

Web: www.zoch-verlag.com

Genre: Biet- und Sammel-/Bauspiel

Zielgruppe: Mit Freunden

Version: multi

Regeln: de en

Text im Spiel: nein

 

Kommentar:

witzige satirische Umsetzung eines unverbrauchten Themas

gute Mischung aus Taktik und Unplanbarkeit

Mängel beim Spielmaterial

zu zweit eher nicht zu empfehlen

Spieldauer kann sich als zu lang anfühlen

frustrierendes Spielgefühl möglich

 

Vergleichbar:

Sonstige Rollenwahl- bzw. Bietspiele

 

Andere Ausgaben:

Derzeit keine

 

Meine Einschätzung: 5

 

Harald Schatzl:

Das „inoffizielle“ Spiel zum Luther-Jubiläum (1517/2017) ist ein taktisches Rollenwahl- bzw. Bietspiel mit einem sehr originell-witzigen Thema. Einige etwas sperrige und nicht wirklich intuitive Regeldetails erschweren leider den Zugang, sodass eigentlich nur Vielspieler (mit Frustrationstoleranz) damit relativ problemfrei werden umgehen können; diese könnte aber der nur schwer planbare und etwas chaotisch anmutende Spielverlauf abschrecken.

 

Zufall (rosa): 2

Taktik (türkis): 2

Strategie (blau): 1

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 2

Kommunikation (rot): 2

Interaktion (braun): 3

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0