Unsere Rezension
Wandeln auf den Götterpfaden
Mangrovia
Mit Mehrheiten zum Häuptling werden
Es ist wie so oft in unserem spielerischen Universum: Da gehören wir zu einem Stamm, der in einer wunderbaren Inselwelt sein ruhiges Dasein fristet, im Einklang mit der Natur den Tag damit verbringt, den Göttern zu opfern und Hütten zu bauen. Doch unser gutmütiger, ehrenvoller Häuptling ist alt und wird nicht mehr lange sein Amt ausüben können. Und siehe da: Schnurstracks wird aus dem gesitteten Mangrovenleben ein erbitterter Wettstreit um die Nachfolge des Häuptlings. Ein Wettstreit, den derjenige gewinnt, der die meisten Hütten baut. Klingt komisch – ist aber so.
Doch vor den Häuptlingstitel haben die Götter den Schweiß gesetzt. Und so gilt es, in den folgenden 60 bis 90 Minuten schlau zu planen, auf welchen Landschaften wir unsere je nach Spielerzahl bis zu zehn Hütten bauen. Und das ist gar nicht so einfach, denn pro Runde werden nur zwei der vier Gebiete (Mangroven, Schilf, Sand und Wasser) zum Baugebiet erklärt, indem dort zwei Paradiesvögel aus Holz nisten und so angeben, wo gebaut werden darf. Doch selbstverständlich ist das nicht genug, denn wir müssen zusätzlich eine passende Landschaftskarte abgeben und zudem den auf dem angepeilten Bauplatz angegebenen Betrag exakt(!) mit sogenannten Kostbarkeiten bezahlen (die ebenfalls auf Karten abgedruckt sind oder in Form von Pappplättchen aus einem Beutel gezogen werden).
Man erkennt: Das Ziel bei Mangrovia ist es, stets genügend und passende Landschaftskarten und Kostbarkeiten zu erlangen, um überhaupt handlungsfähig zu sein – denn Siegpunkte gibt es nur für das Einsetzen von Hütten im Laufe des Spiels und bei einer recht umfassenden Mehrheitswertung ganz zum Schluss. Und wer diese Schlusswertung nicht von Beginn an im Auge behält, hat meist keine Chance auf den Sieg.
Eingängige Mechanik
Und damit wären wir auch schon beim eigentlichen Spielablauf, der für ein doch recht komplexes Spiel denkbar einfach, aber keineswegs banal ist. Am Rande des Spielplans ist nämlich ein kleines Inselarchipel mit sechs Kultstätten abgebildet, die von einem kleinen Schiff aus Holz umrundet werden. An jeder Station darf der Spieler eine bestimmte Aktion durchführen, der dort eine seiner Opferschalen platziert hat. Hier ist logischerweise der Startspieler im Vorteil, denn er hat die freie Auswahl, während die übrigen Spieler nur aus dem wählen können, was übrig bleibt.
Da das Boot pro Runde jede Kultstätte doppelt ansteuert, hat jeder Häuptlingsanwärter auch zwei Optionen zur Verfügung. Meist erlaubt das Platzieren einer Schale dann das Ziehen von einer oder mehreren Karten, entweder aus der offenen Auslage oder verdeckt – oder man errichtet Hütten oder zieht mit unterschiedlichen Werten versehene Amulette blind aus einem Beutel. Eine weitere Opferstätte erlaubt das Versetzen der Paradiesvögel, um die Baugebiete der nächsten Runde festzulegen und sich zugleich den Startspielervorteil zu sichern.
Das Platzieren der eigenen Hütten will ebenfalls wohl überlegt sein, denn der Ort ist entscheidend, um sich nicht nur direkt die auf dem Landschaftsfeld angegebenen Siegpunkte zu sichern, sondern z.B. auch, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, im Säckchen mehr wertvolle Amulette zu finden. Denn je mehr Hütten man auf rot eingekreisten „Amulettfeldern“ errichtet, desto mehr davon darf man bei der entsprechenden Aktion aus dem Beutel fischen. Wer dort noch gar keine Hütte gebaut hat, muss mit dem dürftigen Vorrat an offen ausliegenden Amuletten vorlieb nehmen, welche lediglich den Wert 1 besitzen.
Grüblerisch zum Ende hin
So wird reihum fleißig gebaut, gezogen und geflucht, wenn der liebe Mitspieler einem den lange anvisierten Bauplatz geradewegs vor der Nase wegschnappt. Das macht Spaß, hat Schwung und besitzt sogar einen gewissen Grad an Interaktion – oder zumindest an gesundem Ärgerfaktor. Zum Ende hin, wenn der Plan voller wird, zeigt sich allerdings deutlich, dass die einzelnen Züge immer länger dauern, da jeder die lukrative Schlusswertung vor Augen hat und versucht, die bestmögliche Positionierung seiner letzten Hütten zu planen.
Diese Schlusswertung allerdings ist von vielen Faktoren abhängig und hat es in sich. Denn Bauplätze gehören je nach Definition zu unterschiedlichen Wertungsbereichen, sodass man schon ganz genau hinschauen muss, um das Maximum an Häuptlingspunkten herauszuholen. Auf dem Spielplan sind waagerecht und senkrecht je vier Götterstatuen abgebildet. Die Landschaftsfelder, die auf einer Linie mit diesen Statuen liegen, gehören zu einem dieser „Götterpfade“. Einige der Pfade überschneiden sich, sodass eine Hütte, die auf mehreren Pfaden liegt, auch mehrfach gewertet wird. Dazu muss ein Spieler die Mehrheit an Hütten auf dem entsprechenden Götterpfad besitzen – der Zweitplatzierte erhält immerhin noch die Hälfte der erreichbaren Punkte, alle anderen gehen leer aus. Bei Gleichstand zählt, wessen Hütte der jeweiligen Götterstatue am nächsten steht.
Doch damit nicht genug, denn acht Landschaftsfelder, die um ein neutrales Steinmosaik gruppiert sind, welches nicht als Baufeld zählt, ergeben den sogenannten „Steinplatz“. Hier ergeben sich die Häuptlingspunkte aus der Anzahl der eigenen Hütten multipliziert mit der Anzahl aller Hütten auf dem Steinplatz. Hier ist also ordentlich etwas zu holen, vor allem, wenn man bedenkt, dass auch hier einige Steinplatzfelder wieder gleichzeitig auf Götterpfaden liegen, für die es ebenfalls Punkte gibt.
Und zu guter Letzt gibt es noch den Pfahlplatz (der ebenfalls aus acht Feldern besteht die wieder teilweise Bestandteil eines Götterpfades sind) und auf dem der Spieler mit den meisten Hütten satte 12 Punkte abstaubt. Nun werden noch übrige Amulette eins zu eins in Siegpunkte umgewandelt. Sollte nach dieser ganzen Rechnerei tatsächlich ein Punktegleichstand herrschen, wird derjenige neuer Häuptling, der die Amulette mit dem höchsten Gesamtwert besitzt.
Variante inklusive
Wer in den eigentlich recht linearen Ablauf noch etwas mehr Würze bringen möchte, dem sei die gleich mit dem nötigen Material beiliegende Variante empfohlen, in der zufällig acht von 16 kleinen Plättchen offen auf die Steinplattfelder gelegt werden. Wer dann im Laufe des Spiel dort baut, erhält das entsprechende Plättchen, das ähnlich einer Aktionskarte einmal im Spiel genutzt werden darf, um z.B. als Kostbarkeit oder Amulett zur Bezahlung eingesetzt zu werden oder um völlig unabhängig von der aktuellen Position der Paradiesvögel auf einem eigentlich unerlaubten Landschaftsfeld eine Hütte zu bauen. Andere Steinplatzplättchen zeigen Statuen der einzelnen Götterpfade. Sehr praktisch, diese zu besitzen, hebeln sie doch die oben dargelegte Gleichstandsregelung auf – wer das Plättchen besitzt, entscheidet einen eventuellen Gleichstand für sich. Punkt. Aus.
Gerade zum Ende hin läuft das Spiel Gefahr, zu einer Grübelorgie zu verkommen, wenn man permanent zu errechnen versucht, auf welchen Feldern man bauen müsste, um dank der oben erwähnten Doppelwertungsfelder doch noch im Endspurt den Führenden zu überholen. Nur gut, dass dann der Plan meist bereits so voll ist, dass einem lukrative Bauplätze entweder direkt vor der Nase weggeschnappt werden, oder man die passende Bezahlung gerade nicht zu Hand hat oder ausgerechnet dann, wenn man bezahlen könnte, ausgerechnet auf dieser Landschaftsart gerade gar keine Hütten errichten darf.
Das Material ist mit seinen vielen Holzelementen und der gelungenen grafischen Gestaltung von Spielplan und Karten wie fast immer bei Zoch über jeden Zweifel erhaben und erlaubt einen ungetrübten Spielgenuss. Die kleine Variante bringt zusätzliches taktisches Potenzial ins Spiel, sodass selbst geübten Häuptlingen der Spaß so schnell nicht verloren gehen sollte.
Fazit
Mangrovia ist im Prinzip ein völlig abstraktes Spiel. Man plant seine Aktionen, baut Hütten und spekuliert auf Mehrheiten in den unterschiedlichsten Kombinationen. Dass das Thema dennoch nicht aufgesetzt wirkt, v
verdankt das Spiel seinem hervorragenden, hölzernen Material, der ansprechenden Grafik von Victor Boden und der eingängigen Einbettung der Planungsphase in ein Opferritual an Kultstätten, die von einem kleinen Schiff umrundet werden. Die angenehm kurze Spieldauer, die in keiner unserer Testrunden die angegebenen 60-90 Minuten überschritt, lässt gern Raum für eine Revanche. Warum allerdings die Amulette, die es im Laufe des Spiels zu sammeln gilt, wie Christbaumkugeln aussehen, wird wohl auf ewig ein gut gehütetes Geheimnis bleiben.
Stefan Olschewski
Spieler: 2-5
Alter: 10+
Dauer: 90+
Autor: Eilif Svensson
Grafik: Victor Boden
Preis: ca. 30 Euro
Verlag: Zoch Verlag 2014
Web: www.zoch-verlag.com
Genre: Personaleinsatz, Mehrheiten
Zielgruppe: Für Familien
Version: multi
Regeln: de en it fr
Text im Spiel: Nein
Kommentar:
Ausgezeichnetes Material und Design
Thema gut umgesetzt trotz eigentlich rein abstrakten Spielprinzips
Variante bringt mehr Taktik
Vergleichbar:
Diverse Worker Placement-Spiele
Andere Ausgaben:
Meine Einschätzung: 6
Stefan Olschewski:
In der Fülle der Essener Neuheiten 2014 ein überaus positiver Lichtblick. Einfache Regeln, guter Spielfluss, tolles Material, gegen Ende ein wenig grüblerisch, aber immer spannend.
Zufall (rosa): 1
Taktik (türkis): 3
Strategie (blau): 2
Kreativität (dunkelblau): 0
Wissen (gelb): 0
Gedächtnis (orange): 0
Kommunikation (rot): 1
Interaktion (braun): 1
Geschicklichkeit (grün): 0
Action (dunkelgrün): 0