Wir pflanzen einen Freiheitsbaum

 

Heads of State

 

„Der Baum der Freiheit muss ab und zu mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen getränkt werden.“ (Thomas Jefferson, hernach dritter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, 1787)

 

Im Frühling 1792 war es dann so weit. Das mechanisierte Fallbeil, zuerst nach seinem Konstrukteur, dem königlichen Leibarzt Antoine Louis, „Louisette“, schon bald aber nach dem ursprünglichen Antragsteller in der Nationalversammlung Dr. Joseph-Ignace Guillotin „Guillotine“ benannt, kam zum ersten Mal zum Einsatz und sollte forthin eines der blutigen Symbole der Französischen Revolution werden. Der gute Doktor Guillotin war nicht glücklich mit dieser Namenswahl, wollte er doch lediglich die besonders grausamen Formen der Todesstrafe mittels Strang, Schwert oder Beil, bei denen es oft mehrerer Versuche bedurfte, um den Delinquenten aus dem Leben zu befördern, durch einen weniger entwürdigenden und sichereren Vorgang ersetzen. Womöglich war er persönlich sogar für die Abschaffung der Hinrichtungen überhaupt. Seine Nachfahren, so heißt es, nahmen jedenfalls einen anderen Familiennamen an.

Unter diesen historischen Gegebenheiten erscheint es geradezu widersinnig, die Killerkarten für Frankreich mit einem Bild der Guillotine in der Ausführung von etwa 1793 zu schmücken (davor war die Messerschneide gebogen), denn das Spiel „Heads of State“ endet 1789. Dies ist freilich nicht der einzige Vorwurf, dem man den Herstellern machen kann, aber man sollte auch nicht zu beckmesserisch vorgehen. Das Spiel vermag durchaus positiv zu überraschen. Den Probedurchläufen lag die englischsprachige Ausgabe zugrunde.

 

In „Heads of State“ verkörpern die zwei bis fünf (am besten drei oder vier) Spielerinnen und Spieler je eine Familie, deren Ziel es ist, möglichst viele Titel oder Ränge in vier europäischen Staaten – Großbritannien, Spanien, Frankreich und den deutschen Ländern nördlich der Alpen (da weder Norditalien, Österreich oder Böhmen, noch die heutigen Benelux-Staaten einbezogen sind, verbietet es sich, vom Alten Reich oder Heiligen Römischen Reich zu sprechen) – zu sammeln.

Einen Adelsrang erreicht man einfach durch den Erwerb bestimmter Kombinationen von Karten, im Spiel Attribute genannt. Diese umfassen Geld, die Macht der Kirche (Bishop), Titel, militärische Macht (Troops), unspezifizierte Fähigkeiten (Skills), Schlösser (Castle), Förderung der Wissenschaften (Science) und Paläste. Jeder Familie stehen aufsteigend vom Freiherrn (Baron) bis zum König sieben Stufen offen. Es existieren keine weiblichen Varianten, denn die könnten im Spielverlauf durchaus zu manch pikanter Ablenkung führen. Jegliche, jedoch höchstens eine Attributskarte eines Satzes kann nämlich durch einen Joker ersetzt werden, und der wird von einer Maitresse (Courtesan) dargestellt. Zur Erringung des Freiherrenstandes, da es für diesen Titel lediglich des Geldes bedarf, sowie der Königswürde, da dies logischerweise der teuerste Rang sein muss, ist der Einsatz eines Jokers jedoch nicht gestattet. Neben diesen Eigenschaftskarten gibt es noch Killerkarten (treachery cards), die dazu benutzt werden wollen, Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Dabei gibt es auf das jeweilige Staatsgebiet maßgeschneiderte Karten (in Spanien etwa verliert der Kandidat Amt und Leben in den Händen der Heiligen Inquisition, in Frankreich durch die Guillotine, auf den britischen Inseln wütet der Henker mit dem Richtbeil, und in den deutschen Staaten lockt der Galgen), oder überall einsetzbare Auftragskiller, die allerdings auch scheitern können – der Erfolg der Aktion wird mittels vierer Farbwürfel (3 in der Farbe des Auftraggebers, 1 in der Farbe des Opfers) verdeckt ausgelost. Für Anschläge in der Hauptstadt (immer Sitz des Königs, bisweilen befindet sich ein zweiter Adeliger dort) benötigt man übrigens zwei (gleiche) Killerkarten.

 

Beide Kartenstapel werden getrennt gemischt, bei weniger als fünf Spielerinnen und Spielern ist eine in der Spielregel vorgegebene Anzahl an Karten auszusortieren. Von den Attributskarten werden noch die untersten zehn abgehoben, in diese die Revolutionskarte (geziert von einem abgewandelten Ausschnitt des berühmtem Revolutionsbildes von Eugène Delacroix „Die Freiheit führt das Volk auf die Barrikaden“ – ein Bajonett ist mit einem abgetrennten Haupt geschmückt) gesteckt, und diese elf Karten gleichfalls verdeckt neben den Attributskartenstapel gelegt. Sechs Attributs- und zwei Killerkarten werden offen ausgelegt.

An Karten kommt man durch schlichtes Abheben – entweder drei Attributskarten, oder je eine Attributs- und Killerkarte. Um zu verhindern, dass durch das Sammeln seltenerer Karten die anderen blockiert werden, besteht ein Handkartenlimit (nach den Revolutionen muss man die Hand zusätzlich beinahe zur Gänze abräumen). Dann beginnt man reihum, Ämter auf der Europakarte zu besetzen und dafür Punkte zu kassieren. Dreimal werden die Attributskarten durchgespielt, jedes Mal, wenn die Revolutionskarte – wie beschrieben, eine beliebige der letzten elf im Stapel – auftaucht, endet ein Spielrundenjahrhundert. Beim dritten Mal haben wir das Jahr 1789 erreicht, das Ende des Ancien Régimes in Europa, und damit das Spielende, ist da. Eine letzte Auswertung der Landkarte und andere Kriterien bringen Punkte, die meisten Punkte verhelfen zum Sieg.

Die Punktevergabe gestaltet sich im Spielverlauf ein bisschen unübersichtlich, obwohl oder eben weil es viele verschiedene (Holz-)Markierungen zusätzlich zur umlaufenden Zählleiste gibt. Man bekommt Punkte für den ersten Adeligen in jeder Region (unterschiedlichste Werte, unterschiedlichste Ränge, ein bis zwei mögliche Adelige, Hauptstadt oder Provinz), Punkte für die meisten Adeligen in einem Staat, Punkte für die höchstrangigen Adeligen in einem Staat, Punkte gibt es für die ersten drei, welche mindestens sieben unterschiedliche Adelige eingesetzt haben, und etliches mehr. Sind einmal alle freien Adelsstellen vergeben, wird es interessant und beinahe unumgänglich, die Option der gewaltsamen Absetzung gegnerischer Aristokraten ins Auge zu fassen, um den eigenen Spross ins Land zu bringen. In sämtlichen Testspielen begannen diese Erwägungen (und damit einhergehend das große Messerwetzen) gegen Ende der zweiten Jahrhundertrunde.

Um Zählfehlern vorzubeugen, sammelt man auch die erwähnten Holzplättchen, und zur leichteren Beweisführung der Verbreitung der eigenen Familie erhält man für jeden auf dem Spielplan eingesetzten Adeligen der Dynastie eine Spielkarte mit dem jeweiligen Gentleman im Halbportrait.

Liest man die ausführliche, mit zahlreichen Bildbeispielen aufgelockerte und recht präzise Spielanleitung, entsteht der Eindruck eines langweiligen Kartensammel- und Legespieles. Einfach zu merkende Regeln (bis auf, wie erwähnt, die Punktezählung) ohne unübersichtliche, überraschende Ausnahmen verstärken dieses Vorurteil. Manch einer der Testspieler fühlte sich gar an uralten Zeitvertreib, wie etwa Patiencenlegen und Rommé, oder länger bekannte Spielmechanismen („Oh, das ist ja wie Thurn & Taxis!“) erinnert.

Darüber hinaus muss man weitere gravierende Kritikpunkte anführen. Die Wahl der Farben etwa! Die Länderfarben überschneiden sich mit den Spielerfarben, bei den zu sammelnden Holzmarkierungen kann es leicht zu Verwechslungen kommen. So war man mehrfach versucht, statt den eigenen den der soeben eingeheimsten Landesfarbe entsprechenden Zählstein zu ziehen, und damit einem Konkurrenten ungewollt Gratissiegpunkte zuzuschanzen. Das wäre nicht nötig, es gibt doch weitaus mehr Tinkturen als gelb, schwarz, grün, blau oder rot.

Die eigenen Aristokratenmärkchen unterscheiden sich von fremden hauptsächlich durch die Portraithintergrundfarbe (und freilich die Rückseite – man will aber nicht ständig alle Marken auf der Suche nach seinen Lieben umdrehen müssen). Auch die Adelsränge sind farbkodiert, der Fürst (Prince) etwa grinst vor orangem, der Marquis vor hellgrauem Rand – unnötig, verwirrend! Die Portraitierten selbst wirken wie einem Computerspiel älteren Datums entsprungen. Wir wollen dem Grafiker da allerdings einen sarkastischen Seitenhieb auf die gerade im europäischen Hochadel durchaus verbreitete Praxis der nahen Verwandtschaftsehe zugestehen – der gelbe König gleicht dem schwarzen Monarchen aufs Haar!

 

Auch die Gewandung der Personen irritiert, vor allem in Bezug auf die Spielatmosphäre. Man würde die meisten von ihnen in die 1750er Jahre, manche sogar eher nach 1815 datieren, einen Zeitraum von drei Jahrhunderten decken sie keinesfalls ab. Weitere Anachronismen (Guillotine, Staatsgebiete) wurden schon erwähnt, da möchte man doch auf ein erstaunlich richtiges Detail hinweisen. In Großbritannien gibt es keinen einzigen nichtbritischen Grafen (Count). Warum jedoch außerhalb der Inseln dennoch britische Grafen (Earls) amtieren (etwa im Rheinland oder gar in Spanien), bleibt ein Forschungsdesiderat.

Die einzelnen Länderwerte scheinen unausgewogenen – wer in Frankreich die Adelsmehrheit innehat, erhält 10, der Zweitplatzierte nur mehr 2 Punkte. In den deutschen Territorien steht demgegenüber ein Verhältnis von 6 zu 5. Was sich Peter Hawes dabei wohl gedacht haben mag? Der australische (nach anderen Quellen: neuseeländische) Autor zeichnet laut www.boardgamegeek.com bislang nur für „Colonial Diplomacy“ (Avalon Hill Games, 1994) verantwortlich.

Die letzten Erwähnungen mögen kleinlich wirken, aber diese Dinge beeinträchtigen die Stimmung eines Spieleabends. Denn trotz der geäußerten Vorbehalte ist „Heads of State“ ein unerwartet abwechslungsreiches Spiel, bei dem sich taktische Erwägungen im Verlauf steigern, und den zu Beginn doch gewaltigen Glücksfaktor, symbolisiert durch die Verteilung der Attributs-, in geringerem Maße auch der Killerkarten, beinahe ausgleichen. Die Spielregel ist übersichtlich, trotz zwölf Seiten Länge nicht zu umfangreich (großzügige Bebilderung, fast alle Karten werden einzeln gezeigt) und ohne Schnickschnack formuliert. Die Spielmechanismen mögen im einzelnen nicht neu sein, die Kombination aus Kartensatzsammeln und taktischen Beseitigungen gegnerischer Spielmarken birgt aber einiges an Originalität. Vielspieler, die alles schon kennen, werden zwar keine große Freude daran haben, aber für Leute, denen die Kurzweil bei „Civilization“ nach sechs Stunden verleidet ist, und Menschen, die einen Einstieg in strategische Brettspiele suchen, aber nicht sofort zu „Diplomacy“ greifen wollen, werden mit „Heads of State“ gut bedient. Während am Spielmaterial durchaus Verbesserungen wünschenswert wären, stimmt zum Ausgleich die Zeitangabe des Verlages: kein Testspiel dauerte wesentlich länger als zwei Stunden.

 

Martina & Martin Lhotzky, Marcus Steinwender

 

Besonderer Dank ergeht diesmal an Harald & Gert, die trotz steigenden Widerwillens brav in einer Viererrunde ausgeharrt und nützliche Vergleiche beigesteuert haben.

 

Kid                       

Family                           

Adult           ein    

Expert                  

 

Alter                    

Spezial                 

 

Spieler         : 2-5

Alter            : ab 10 Jahren

Dauer          : ca. 2 Stunden

 

Autor           : Peter Hawes

Grafik          : Frank Czarnetzki

Vertrieb        : Eggertspiele

Preis            : ca. 30,00 Euro

Verlag          : eggertspiele / Z-Man Games

           www.eggertspiele.de

 

Genre: Lege- und Sammelspiel

Zielgruppe: Jugendliche/Erwachsene

Spielmechanismus: Kartensätze sammeln, Mehrheiten an Spielmarken erreichen

 

Zufall                              : 7

Wissen / Gedächtnis         :                                   

Planung                          : 5

Kreativität                        :                                             

Kommunikation               : 3

Geschicklichkeit                :                                   

Action                             :                                   

 

Kommentar:

Spielmechanismen gut kombiniert

Gut als Einstiegsspiel in das Genre

Ausstattung nicht optimal

 

Vergleichbar:

Kardinal & König und andere Spiele mit Karten zur Besetzung von Regionen

 

Atmosphäre                    : 3

 

Martina, Martin und Markus:

„Der König ist tot – es lebe der König!“ Dieser Ausruf war selten so gerechtfertigt, wie in „Heads of State“. An der Ausstattung kann noch einiges verbessert werden, der kombinierte Spielmechanismus führt aber immer wieder zu neuen Situationen. Eher nicht für Spielprofis, aber für Leute, die gerne einmal zwei Stunden Zeit für ein taktisches Köpferoulette investieren.