HobbyarchäologEN AM WERK?

Mykerinos

Ägypten – Ausgrabungen – Artefakte

 

Wieder einmal greift das Verlagshaus Ystari zum Kunstkniff, eine pompöse Rahmenhandlung als Zielbeschreibung eines Spiels zu erzählen. Und wieder einmal suchen die Spieler (die Regel meidet die weibliche Form) vergeblich das Flair des Abenteuers der frühen Ausgrabungen im losen Sand Ägyptens. Ausgrabungen werden gemacht, fürwahr, Ausstellungsräume im Museum besucht, kein Zweifel, Mäzene um Hilfe gebeten, wie versprochen, doch die wahre Kostbarkeit der „Fundstücke“ (Artefakte sind hier ein imaginärer Begriff) erschließt sich erst am Ende des Spiels und hat keinesfalls einen emotional spürbaren, gar ästhetischen Einfluss auf das Gesamtgeschehen. Nach der vierten Runde entscheidet eine beinhart anmutende Rechenoperation darüber, wer als Hobbyarchäologe als Sieger feststeht und den erhofften Ruhm erntet. Sie, die Spielerinnen und Spieler, mögen wohl von den historischen Entdeckungen eines Carter, Denon, Champollion, Petrie und all der anderen begeistert sein, wenn Sie die Einleitung lesen, im Spiel selbst sind diese Herren jedoch sofort vergessen. Denn wer sich sehnsüchtig verklärt Abenteurervisionen hingibt, wird schwerlich voll konzentriert seine Claims auf dem mathematisch gezirkelten Plan abstecken können. Das Fragezeichen im Titel dieser Rezension muss leider sehr wörtlich genommen werden, wenn tatsächlich „Ägypten – Ausgrabungen – Artefakte“ Ihr Begehr sind. Falls es Sie jedoch nach einem ausgeklügelten, vielschichtigen Mehrheitsgerangel gelüstet, dürfen Sie sich ganz unvoreingenommen ins Geschehen stürzen. Abenteuer: nein – Taktik: ja. „Mykerinos“ erweist sich als ein klangvoller Titel, wobei das Treiben am Tisch aber kaum etwas mit archäologischer Besessenheit zu tun hat. Bei all dem Gesagten bleibt „Mykerinos“ ein Spiel, das im Spannungsdreieck Glück-Logik-Bluff fast ausschließlich vom Faktor Berechenbarkeit lebt, allerdings ohne den bei einem Klassiker wie Schach allgegenwärtigen, die Erinnerung bereichernden Höhepunkt der genialen Kombination. Die Spieler rechnen eher vor sich hin, schieben ihre Klötzchen mal auf die Parzellen, mal ins Museum, immer mit einem Auge auf die Möglichkeiten der Gegner. Alles ist irgendwie auslotbar, alles wirkt trocken und konstruiert. OK, wer trotz dieser Vorwarnung neugierig bleibt, wird am Ende dennoch positiv überrascht werden, denn Spannung kann schon aufkommen beim Verschieben der Holzklötze, vor allem, wenn die Vielschichtigkeit dieses Werkes erst einmal voll erfasst wurde – und wenn die richtigen Mitspieler um den Tisch sitzen.

Vorbereitungen sind – im Gegensatz zu den bisherigen Werken des Verlages – kaum nötig. Das Spielmaterial wird einfach übersichtlich ausgelegt, der Plan mit der Zählleiste kommt in die Mitte, das pentagonförmige Museum wird durch fünf unterschiedliche Mäzenplättchen markiert, die im Farbsymbol den einzelnen Archäologen entsprechen. Jeder Spieler wählt eine (davon unabhängige) eigene Farbe und nimmt sich die passenden Holzklötzchen, sprich Archäologen, abhängig von der Spielerzahl, zu seinem persönlichen Vorrat. Diese Zuteilung wird in jeder Runde wiederholt, wobei nicht verwendete Archäologen die Ausgrabungsmannschaft für die nachfolgende Runde verstärken. Die übrigen Archäologen warten geduldig im so genannten allgemeinen Vorrat. Zuletzt werden aus den 36 Parzellenkarten zufällig acht gezogen und diese offen in Zweiergruppen auf dem Tisch zusammengesetzt. Auch diese Auslage wiederholt sich Runde für Runde, jedoch mit zwölf statt acht Parzellen im Abschlussdurchgang. Eine Doppelparzelle besteht immer aus exakt zwölf Feldern, von denen allerdings einige durch ein aufgedrucktes Pyramidensymbol gesperrt sind, also im weiteren Spiel nicht belegt werden dürfen.

Das ist auch schon alles. Nun zu den „Ausgrabungen“, die in insgesamt vier Runden abgewickelt werden. Verzeihung, wenn ich hier nochmals durch die Anführungszeichen auf die thematische Belanglosigkeit des Begriffs Ausgrabungen hinweisen muss. Reihum haben die Spieler vier Möglichkeiten, ihr Spielziel zu verwirklichen. Sie dürfen (1) eine Ausgrabung starten, das heißt, einen eigenen Archäologen auf ein freies Feld setzen; (2) eine Ausgrabung erweitern, womit gemeint ist, dass zwei Archäologen in orthogonaler Richtung an bereits ausliegende eigene Forscher angelegt werden; (3) Passen, was durch ein farblich abgestimmtes Markierungsplättchen auf einer eigenen Passen-Leiste festgehalten wird; und (4) einen Mäzen zu Hilfe nehmen. Letztere Aktion ist erst ab der zweiten Runde möglich, und auch nur dann, wenn man einen Mäzen vor sich ausliegen hat. Es darf allerdings jeder Mäzen nur maximal einmal pro Runde seine Gunst erweisen. Durch Tappen (Drehen) wird dies festgehalten – eine Erinnerung an den modernen Klassiker „Magic“. Fünf unterschiedliche Mäzentypen stehen zur Unterstützung bereit: Lady Violet (erlaubt, einen Archäologen aus dem allgemeinen Vorrat anzufordern), Lord Lemon (ermöglicht die Besetzung eines „gesperrten“ Pyramidenfeldes“), Sir Brown (gestattet einen direkten Museumsbesuch; siehe unten), Mrs. Blackmore (verbindet die Aktionen „Ausgrabung starten“ und „Ausgrabung erweitern“) und schließlich Colonel Tangerine (sieht eine Erweiterung um drei statt um zwei Archäologen vor).

Diese vier Aktionen werden reihum so lange durchgezogen, bis der erste Spieler passt, wobei noch jeder der anderen am Tisch einmal seine Wahl treffen darf. Unmittelbar danach erfolgt die Auswertung einer Runde. Und diese stellt die Spieler vor ein ungemein schwieriges Dilemma. Der jeweils Stärkste, mit einer Mehrheit an Archäologen auf einer Doppelparzelle, hat die Qual der Wahl. Entweder er nimmt sich eine der beiden Parzellenkarten, auf deren Rückseite ein Mäzen abgebildet ist, und die unter Umständen sogar noch zwei bis fünf direkte Siegpunkte einbringt, oder er setzt einen seiner Archäologen in einen der fünfzehn Flügel des Museums, wobei die Haupträume erst dann besucht werden dürfen, wenn bereits ein angrenzender Neben- oder Zwischentrakt belegt ist. In der Endabrechnung werden die vor den Spielern ausliegenden Mäzene (Sie erinnern sich, die pentagonal ausgerichteten Räume des Museums wurden durch je ein Mäzenplättchen markiert) mit dem Wert des höchsten Raumes einer Farbe multipliziert, das heißt mit 5 im Hauptraum, mit 3 im Nebenraum und mit 2 im Zwischentrakt. Sie sehen schon aus diesem kurzen Hinweis, dass das Museum keinesfalls als Nebenschauplatz gesehen werden darf. Immer gilt es, die Endstellung im Auge zu behalten. Der zweitbeste Spieler einer Doppelparzelle hat ebenfalls die Wahlmöglichkeit offen, der dritte darf zwar eine Parzellenkarte nehmen, so noch eine ausliegt, keinesfalls jedoch das Museum frequentieren. Wer am Ende die meisten Punkte hat, wird als Meisterarchäologe gefeiert. Bei Gleichstand entscheiden die übrig gebliebenen Archäologen im persönlichen Vorrat. Und in manch engen Ausgrabungen wird es vielleicht mal zwei Sieger zu küren geben. Das lässt sich sicherlich aushalten.

Damit sind wir bereits bei den kritischen Anmerkungen zu dieser neuen Ystari-Edition. Wohltuend der Kostenfaktor und damit das immer wieder beschworene gute Preis-Leistungsverhältnis. Persönlich sehe ich dies ja nicht so eng, da ich lieber mehr zahle und gut spiele als mich billig langweile. Aber bei „Mykerinos“ kann auch Spannung aufkommen, vorausgesetzt die richtigen Leute sitzen um den Tisch, daher sei obige Bemerkung erlaubt. Wohltuend auch die Übersichtlichkeit, trotz eines vielschichtigen Setzens von Steinen. Und wohltuend zuletzt die Ratschläge, die der Autor im Regelheft mitgibt, um den unbedarften „Forscher“ sofort auf die richtige Spur zu führen. Wenn Sie als Leser und Spieler alles selbst explorieren wollen, steht es Ihnen ja frei, von den Tipps und Tricks des Nicolas Oury Abstand zu nehmen. Weniger positiv ist anzumerken, dass die Variante „Mykerinos zu zweit“ mit neutralen Steinen einen schalen Nachgeschmack hinterlässt. Klar, es funktioniert, aber eben nur irgendwie. Bei vier Spielern wiederum kann es zu einem Grabungsstau kommen, so einer der Forscher auf Grund von Entscheidungsschwäche oder Komplexität seine Schaufel nirgendwo hineinzustecken vermag. Für mich ist die Dreipersonenvariante die eindeutig eleganteste. Abwechslungsreich, taktisch, Tempo geladen und komplex genug, um auch den „Vielspieler“ zu fordern. Vielleicht lässt sich für vier eine Art Partnerszenario kreieren, allerdings müssten hier noch einige Testgrabungen erfolgen, um ein endgültiges Urteil zu untermauern. Jedenfalls sollten Sie sobald als möglich danach trachten, die richtigen Doppelparzellen mit Unterstützung der wenigen bereits gewonnenen Mäzene optimal zu nutzen. Es bringt absolut nichts, auf einem Doppeltableau ganze Armeen eigener Holzklötzchen zu platzieren, um alle anderen den Gegnern zu überlassen. Manchmal reicht der zweite Platz auf einem Parzellenraster ohnehin, denn Sie bekommen ja in jedem Fall mindestens einen Mäzen, so Sie dies wünschen. Wehe dem, der immer nur Erster sein möchte. Seine Gier wird ihn bei „Mykerinos“ unerbittlich verschlingen. Vielleicht sollte ich auch noch anmerken, dass die ersten Testpartien anzudeuten scheinen, dass Sir Brown möglicherweise die stärksten Eigenschaften mitbringt. Einen Gratisstein ins Museum zu setzen gibt Kraft, selbst wenn andere Spieler am Tisch eine größere Zahl von Mäzenen gehortet haben. Warum dies? Nun, Sie haben noch den Multiplikationsfaktor bei der Abrechnung im Kopf, hier wird das Match entschieden. Jedenfalls sollten Sie mehr als eine Partie versuchen – denn keine Beschreibung, wie kritisch auch immer, kann es Ihnen ersparen, Ihre Ganglien im Nahkampf zu strapazieren. Und nur wer (Spiel-)Erfahrung hat, darf auch mit einiger Seriosität eine endgültige Beurteilung vornehmen. 

Mein persönliches Fazit: „Mykerinos“ vereint elegant und nahtlos verschiedene Spielebenen miteinander, was bei der mathematisch anmutenden Grundthematik fast erstaunt. Dieses Oury-Werk wird jedoch letztlich nur die Spieler befriedigen, denen eine Stunde exakte Rechenarbeit Spaß macht, die vom Typ her das logische, penible, vorausplanende  Durchdringen eines Systems genießen können. Locker dahinspielen lässt sich „Mykerinos“ in keiner Phase, dies führt unweigerlich ins Desaster. Auch verspricht ein reines Sammeln von Charakterkarten (Mäzenen) ebenso wenig wie eine Überkonzentration der Kräfte im Museum. Territorien abgrenzen ist schön und gut, wer jedoch zu viel Energie auf eine der Doppelparzellen bündelt, kann bei der Rundenabrechnung mit nur wenig eigener Aktion rechnen, kaum ausreichend, um am Ende als Meisterforscher dazustehen. Wer früh passt, wird bei Gleichstand bevorzugt und kann zudem vielleicht den einen oder anderen Archäologen für die nächste Runde aufsparen, aber dafür bekommen die Mitspieler im laufenden Parzellenbelegen ein deutliches Übergewicht. Andererseits wird bisweilen die Ausführung eines strategischen Plans der Gegner durch Rundenabbruch kurzerhand durchkreuzt. Jedenfalls ist gutes Timing ständig gefragt, eine logisch einwandfreie Reaktion auf die Territorialgewinne der Mitspieler ebenfalls. Vor allem gilt es, die Haupträume des Museums für genau die Charaktere zu besetzen, von denen man viele in der eigenen Auslage gesammelt hat. Denn der Multiplikationsfaktor darf bei diesem Mehrheitsspiel keineswegs unterschätzt werden, er entscheidet letztlich über Sieg oder Niederlage. Trotz der viermal durchgezogenen Ablaufroutine entsteht durch die größere Auslagedichte im letzten Spielabschnitt doch ein gewisser emotionaler Höhepunkt bei der Jagd nach dem Glück. Vielleicht kann ich mit der folgenden Kurzformel das Spielziel halbwegs treffend umreißen: Museum – Mehrheiten – Mäzene.

        

Hugo Kastner

Trotz relativ einfacher Regel haben wir hier ein vielschichtiges, vom Timinggefühl der Spieler bestimmtes Mehrheitsgerangel vor uns, das erst einmal planvoll und zielorientiert gespielt werden möchte. Wer sich jedoch sehnsüchtig verklärt Abenteurervisionen hingibt, wird enttäuscht sein und schwerlich ganz locker seine Claims auf dem mathematisch gezirkelten Plan abstecken können.

 

ÜBERBLICK

Autor:                  Nicolas Oury

Grafik:                 Arnaud Demaegd

Vertrieb:              Fachhandel

Preis:                            ca. 15 Euro

Verlag:                Ystari 2006

                            www.ystari.com

Spieler:      2-4 

Alter:                   10

Dauer:      30 - 60

 

BEWERTUNG

Genre:                 Mehrheitsspiel  

Zielgruppe:                   Logikfreunde

Mechanismus:     Abgrenzen von Gebiet

Strategie:            **

Taktik:                *****

Glück:                           **

Interaktion:                  *****

Kommunikation: *

Atmosphäre:                 ***

Kommentar:

Ansprechende Grundidee

Gutes Timing erforderlich

Parallel ablaufende Spielebenen

Viel Interaktion

„Mykerinos“ ist wesentlich einfacher zu erlernen als die beiden Vorgänger des aufstrebenden Ystari-Verlags „Ys“ und „Caylus“. Dennoch zeichnet es sich durch eine beachtliche Spieltiefe aus, wenn auch nur in voller Besetzung oder mit mindestens drei Spielerinnen. Grundvoraussetzung jedoch ist zweifellos eine große Liebe zu Logik orientierten Spielen.          

    

Hugo.Kastner@spielen.at