Caylus – Prestige, Prestige, Prestige …

 

Alles dreht sich um die Gunst des Königs

 

„1289. Um die Grenzen des französischen Reiches zu befestigen, beschließt König Philipp der Schöne ein neues Schloss zu bauen. Zurzeit ist Caylus nur eine unbedeutende Siedlung, aber bald werden Baumeister und Arbeiter in großer Zahl heranströmen, angezogen von den Reichtümern, die das geplante Bauwerk ihnen einbringen kann. Um die Baustelle herum beginnt sich langsam eine Stadt zu entwickeln … Die Spieler schlüpfen in die Rolle der Baumeister, die das Schloss des Königs errichten und die Infrastruktur der Stadt entwickeln, die am Fuß des Schlosses liegt. Sie streben nach Prestige und versuchen die Gunst des Königs zu erlangen. Wenn das Schloss fertig gebaut ist, endet das Spiel, und es gewinnt derjenige Spieler, der am meisten Prestige besitzt.“

 

Mit diesen Worten leitet das Regelheft das neue Abenteuer aus dem Verlagshaus Ystari Games ein. Und diese Worte sind auch bereits Programm. Sie stellen ein ebenso vielschichtiges wie anspruchsvolles, ein zeitintensives wie auch interaktives Spielerlebnis der Oberklasse vor. Das alles auf einem bunten Spielplan à la Arnaud Demaegd (Erinnerungen an „Ys“ werden wach), mit Spielmaterial, das aus Hunderten von Einzelteilen besteht. Voilà, machen Sie sich bereit auf ein Eintauchen in ein strategisch-taktisches Abenteuer für zwei, drei, vier oder gar fünf Baumeister. Zunächst sind einige Vorbereitungsarbeiten nötig. Das geht schnell von der Hand, wie wahr, müssen Sie doch nur einige Gebäudeplättchen und Rohstoffwürfel bereitlegen, sieben Markierungsscheiben in den Spielerfarben auf den eigenwilligen Spielplan platzieren, hölzerne Häuschen und Arbeiter(zylinder) in Ihrer Wahlfarbe vor sich aufstellen und zuletzt ein paar Denare aus der Bank entnehmen. Ein „Holz“ und eine „Nahrung“ (durch kleine Würfel symbolisiert) komplettieren die Grundausstattung jedes Baumeisters. Zuletzt werden (nach Zufallsverteilung) sechs neutrale Gebäudeplättchen auf die ersten Felder einer imaginären Straße gesetzt und dann zwei unterschiedlich dicke Holzscheibchen, eines für den Seneschall, eines für den Vogt (siehe unten), auf dem letzten, sechsten Gebäude abgelegt. Nun kann er losgehen, der Kampf um die Prestigepunkte, und die Jagd nach dem Gold. Am Ende siegt, wer mehr davon sein Eigen nennt. So direkt und einfach die Siegbedingungen auch sind, so komplex und vertrackt ist der Weg dahin. Aber sehen Sie selbst …

 

Das eigentliche Spiel ist in Spielrunden unterteilt, die aus sieben, starr abgespulten Phasen bestehen. (1) Phase 1 bringt einen kleinen, aber lebensnotwendigen Einkommensnachschub. (2) Phase 2, das Kernstück dieses Werkes, ermöglicht das Einsetzen der maximal sechs Arbeiter pro Spieler. Dabei macht es einen gewaltigen Unterschied, ob die Arbeiter in einem Spezialgebäude, in eigenen oder fremden Gebäuden, oder gar im Schloss beschäftigt werden. Kosten, Wirkung und Ertrag sind von diesen Entscheidungen direkt abhängig. (3) In der dritten Phase werden die Spezialgebäude, Tor, Kontor, Händlergilde, Turnierplatz, Ställe und Wirtshaus aktiviert. Dadurch kommen schwer berechenbare, trickreiche Elemente ins Geschehen. (4) Das Versetzen des Vogtes, dessen Position auf der Straße über die in der Folgephase zu aktivierenden Gebäude entscheidet, bildet die kurze vierte Phase. Alles was weiter vom Schloss entfernt ist, als der Vogt, bleibt außer jeder Kontrolle. (5) Die Aktivierung der Gebäude, der Reihe nach der Straße folgend, bildet Phase 5. Diesmal muss zwischen Produktions- und Konstruktionsgebäuden unterschieden werden, weiters gibt es einen Notar, Märkte, mehrere Hausierer, eine Kirche, einen Schneider, eine Bank und den Alchemisten. Wieder bringen diese Gebäude unterschiedlichste Einflussmöglichkeiten zur Steigerung des Prestiges. (6) Der Schlossbau bildet den Edeleinsatz der Arbeiter. Bergfried, Mauerwerk und Türme wollen vollendet werden, wobei diese Fronarbeit entsprechend viele Prestigepunkte einbringt. Wer am meisten leistet, steht noch dazu in der Gunst des Königs, was wieder durch diverse Verdienstmöglichkeiten entlohnt wird. Diese werden in einem eigenen Abschnitt am Ende des Regelheftes vorgestellt. (7) Die abschließende siebente Phase ist durch ein ausgeklügeltes Wechselspiel zwischen Seneschall und Vogt charakterisiert. Steht Letzterer vor dem Seneschall, rückt dieser um zwei Felder vor, sonst immer um eines. An drei Punkten der Straße wird durch eine entsprechende Markierung eine Spezialabrechnung im Schloss angeordnet, zunächst für den Bergfried, dann für das Mauerwerk und zuletzt für die Türme. Sobald diese gebaut sind, endet das Spiel. Jeder Baumeister erhält noch 3 Prestigepunkte pro Gold, 1 Punkt für je drei übrig gebliebene Rohstoffe und 1 Punkt für je vier Denare. Wer dann vorne liegt, ist der Meister der Meistergilde.  

 

Das kritische Auge des Rezensenten sucht und findet unentwegt. Hier bei „Caylus“ muss zunächst die Eleganz und Stimmigkeit des Spielablaufs betont werden. Verzweigt mögen die einzelnen Entscheidungskreuzungen schon sein, klar und deutlich bleibt dennoch der Gesamtprozess des Schlossbaus. Keine Sekunde sind die Spieler vom eigentlichen Sinn der Sache, dem Einsetzen und Werten der Arbeiter, abgelenkt oder gar ausgeschlossen, ist doch jede Überlegung des einen Spielers ebenso für den anderen bindend und von nachhaltiger Wirkung. Immer bleibt das eine oder andere Bedürfnis unbefriedigt, fast wie im wirklichen Leben. Mal fehlt es am schnöden Mammon, mal verspräche ein winziges Holz oder ein locker hervorgeholtes Tuch den großen Wurf. Gelingt endlich ein Prachtbau, liegt dieser vielleicht gerade knapp außerhalb der Einflusssphäre des Vogtes. Ist man im Schloss nur Zweiter, steht man nicht in der so ersehnten Gunst des Königs. Setzt man seinen Arbeiter auf eines der dringend benötigten Gebäude, hat man beim nächsten bereits das Nachsehen. Wird der falsche Rohstoffes erworben, fehlen vielleicht im richtigen Moment die Nahrung oder das Holz. Die Gegner schlafen nicht, so viel steht fest. Fast wie von unsichtbarer Hand gezogen, wandert der Seneschall weiter und weiter auf seiner einsamen Straße, und mit ihm nähert sich das Spiel dem Ende. Materialmäßig passt fast alles, mit Ausnahme der Währungseinheiten. Graue, wenig griffige, nicht zum edlen Ambiente des übrigen Werkes passende Plastikscheiben werden als Geldeinheiten hin und her geschoben. Was für ein Stilbruch! Im privaten Kreis ist man fast geneigt, eigene Spielchips aus einem anderen Spiel zu entlehnen. Das Auge spielt doch auch mit! Dafür eine „Gelbe Karte“ für den Verlag, da kommt man nicht drum herum. Das Holz, das für Rohstoffe, Häuser oder Arbeiter verwendet wurde, ebenso wie die gut gezeichneten, selbst erklärenden Gebäudeplättchen, entschädigen ein wenig für diesen Fauxpas. Zwei Farben, violett und braun, hätten einen stärkeren Kontrast vertragen, stimmt schon, aber hier wollen wir nicht zu pingelig urteilen. Vielleicht auch noch ein Wort zum Spielplan: eigenwillig und interessant, in knalligen Farben gehalten, funktional und mit einer Kramerleiste versehen. Diese allerdings verträgt keine unrunden Bewegungen am Tisch. Verschieben sich die Prestigemarker der Spieler, dann lässt sich der Spielstand nur schwer wieder eruieren. Also Vorsicht, wenn Sie mit dem vielen Material (fast 400 Teilchen) hantieren. In die Spielregel muss man sich jedenfalls erst einmal einlesen. Ohne Erfahrung erschließen sich die unterschiedlichen Strategien nicht, was bedeutet, dass der erste Schlossbau wohl nur als Testspiel verstanden werden darf. Dennoch muss betont werden, dass alle Regeln präzise und folgerichtig erläutert sind. Da jedoch die Gebäudeplättchen keinen Text sondern nur Ideogramme tragen, braucht es doch einige Zeit, bis sich die Spieler richtig orientieren können, ohne ständig im Regelwerk nachzuschlagen. Aber immerhin sind alle neununddreißig unterschiedlichen Plättchen am Ende des Regelhefts in Originalgröße abgebildet. Dafür muss die hochelegante Idee des Reihumeinsatzes von sechs Arbeitern pro Runde hervorgehoben werden. Dadurch entsteht eine permanent spürbare Interaktion, die alle Beteiligten ständig zu Aktionen mahnt und zu Reaktionen zwingt. Hier entsteht Leben um den Spieltisch, hier werden parallel Rohstoffnachschub, Gebäudebau, Zugreihenfolge, Schlossmaurertätigkeit, Bewegungen des Vogtes wie auch diverse Sonderaktionen und Gunstpunkte  beim König ausgeschachert. Dies ganz ohne die üblichen Versteigerungsmechanismen oder lautstarkes Handeln zwischen den Spielern. Alles wird im höheren Sinn durch das Setzen der sechs Arbeiter pro Spieler gesteuert. Klar, dass die Bezahlung und Nutzung von Gebäuden oder Schloss, die Gunst des Königs und die Bewegung des Vogtes das Leben in Caylus ganz dramatisch beeinflussen, aber eben diese Möglichkeiten stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Positionieren der eigenen Arbeiter. Wichtig ist auch die tiefe Kenntnis der einzelnen Spielphasen. Es bringt nicht viel, das Wirtshaus zu besuchen, wenn ohnehin früh gepasst werden muss, es macht auch keinen Sinn, den Vogt zurückzusetzen, wenn die eigenen Arbeiter dadurch um den Lohn ihrer Mühen gebracht werden. Alles spielt bei „Caylus“ irgendwie zusammen. Wer letztlich Sieger bleibt, scheint gar nicht mehr so wichtig. Eine Revanche wird ohnehin erwünscht. Allerdings erst beim nächsten Spielabend, denn zwei- bis zweieinhalb Stunden der intensiven Bauarbeiten erschöpfen auch die robustesten Werker. Das Regelheft bietet auch eine Version für zwei Spieler an, die zu einem noch taktischeren, wenngleich auch weniger vom Ärgerfaktor bestimmten Spiel führt, wenn wieder mal ein wichtiges Gebäude vor der Nase weggekauft wird. Auch die vom Autor beigelegten Ratschläge sollten unbedingt gelesen und befolgt werden, will man eine realistische Chance haben, diesen Bauvergleichskampf siegreich zu meistern. „Caylus“ fordert Aufmerksamkeit, Planung und Konzentration von der ersten Minute an. Und fast ungläubig nimmt man zur Kenntnis, dass sich die Spannung der Spieler bis zum Ende auf hohem Niveau hält. Nicht allerdings dürfen Sie einen abschließenden Knalleffekt erwarten. Das würde den sorgfältigen Planungselementen wohl auch diametral zuwider stehen. „Caylus“ ist ein hervorragendes Entwicklungsspiel, das von Ihren Ambitionen als Baumeister lebt. Was will man mehr!  

 

Mein persönliches Fazit: Meine erste Begegnung mit dem Französischen Reich des 13. Jahrhunderts war beinahe eine Art Déjà-vu Erlebnis, schufen doch einige der Mechanismen, die Rohstoffe, die Gebäudeplättchen wie auch die Zielorientierung ein momentan lebhaftes Bild, eine vage Illusion des bereits Gesehenen und Vertrauten. Das war doch schon da, das kann ich deutlich wieder erkennen, so ging es mir durch den Sinn. Oder war es doch nur eine vorgespiegelte Vertrautheit – die sich dann auch blitzartig wieder verflüchtigte? Letztlich egal, muss ich zugeben, macht doch „Calyus“ in jedem Fall einen nachhaltig starken Eindruck, wenn auch bereits beim ersten Spiel deutlich Erinnerungen an einige Highlights der Spielgeschichte aufflackern. Rational überlegt verschmelzen hier Elemente eines „Puerto Rico“, eines „Goa“ oder eines „Keythedral“, um nur drei der edlen Werke der letzten Jahre zu nennen, zu einer neuen Herausforderung an Geist und Energie der Spieler. Zwei bis drei Stunden, die von taktischen und strategischen Entscheidungen getragen werden, und die einen gleich bleibend hohen Spannungslevel garantieren, müssen schon veranschlagt werden. Glücksfaktoren sind nicht existent, der Bluff ist gleich null, und es leidet niemand an Informationsmangel, wird doch alles offen gespielt. „Caylus“ kann im Spannungsdreieck Glück-Bluff-Logik (siehe mein Artikel im „Buch der Spiele“ 2005 von Dagmar de Cassan) als beinahe lupenreines Logikabenteuer eingestuft werden. Beinahe deshalb, da bei drei und mehr Spielern die Sitzordnung, und damit verbunden der Aspekt Der Reihenfolge der Handlungsentscheidungen, doch einen gewissen Grad an Zufall ins Geschehen bringt. Zudem stehen die Informationen, die sich aus einem Spielzug ergeben, nicht allen Beteiligten gleichzeitig zur Verfügung. Wer am Zug ist, kann aus dem vorhandenen Restpool die besten Stücke wählen. Also bleibt, zumindest indirekt, ein kleiner Informationsvorsprung. Auch in einem anderen Punkt unterscheidet sich „Caylus“ gewaltig von puren Kombinationsklassikern wie Schach oder Go. Ist es dort die Zugtiefe und das Gewicht, das einzelnen Zügen zugeordnet wird, so sind hier Konzentration, Übersicht und intuitive Einschätzung der Möglichkeiten gefragt. Wer den Blick auf das Ganze bewahrt, wer zum richtigen Moment die richtigen Entscheidungen trifft, wer die Möglichkeiten der einzelnen Schauplätze besser und früher erkennt und wer das hohe Interaktionspotenzial in jeder Phase optimal nutzt, wird letztlich die meisten Prestigepunkte einfahren und das anerkennende „Auge des Königs“ auf sich ziehen. Ich denke, dass auch die Juroren der Spielpreisverleihungen zu diesem Schluss kommen könnten. Le prestige, c’est la vie à Caylus!   

         

 

Caylus

Spieler:                 2-5  

Alter:                    ab 12 Jahren

Dauer:                  60-150 Minuten

Verlag:                  Ystari 2005

                            www.ystari.com

Autor:                   William Attia

Grafik:                  Arnaud Demaegd

Preis:                    ca. € 35

 

WIN WERTUNG

Genre:                  Entwicklungsspiel

Zielgruppe:            Experten  

Mechanismus:        Bauen und Prestige erwerben

Strategie:               ****

Taktik:                  *******

Glück:                   *

Interaktion:            *******

Kommunikation:     ***

Atmosphäre:          *****

Kommentar:

Keine Glückselemente

Unterschiedliche Siegstrategien

Hohes Ärgerpotenzial

Reichhaltiges Spielmaterial

Hugo Kastner: „Caylus“ darf zweifellos als ein Geheimtipp für die kommenden Preisverleihungen angesehen werden. Trotz rein taktisch-strategischer Auslegung – eine Parallele zu vielen Logik orientierten Spielen – lässt dieses französische Produkt den obligaten Spannungsabfall, hervorgerufen durch bisweilen lähmende Überlegenheit einzelner Könner, wohltuend vermissen. Komplexität sowie Zeitanforderung sind allerdings sehr hoch, sodass „Calyus“ sicher niemanden unterfordert, den Experten vielleicht herausfordert, die Familie und den Gelegenheitsspieler letztlich aber wohl überfordert. Wenn Ihnen „Puerto Rico“, „Keythedral“ oder „Goa“ Freude bereiten, wird Ihnen auch „Caylus“ zusagen.    

     

Hugo.Kastner@spielen.at