Marrakesh
Besprechung: Helmut Wresnik, Pilgramstraße 7, 9560
Feldkirchen, Tel. 04276-29164
Marrakesh
Joli Kansil
2 Personen
1991/1984
Das Spiel/Xanadu Leisure
Ein Alptraum - so könnte der Werdegang dieses
Spiels, das von Prince Joli Kansil in den 70er Jahren erfunden wurde, kurz
charakterisiert werden. Davon dürfte Claus Voigt, der Besitzer des bekannten
Hamburger Spieleladens nichts geahnt haben, als er vor einigen Jahren den Plan
faßte, das damals nur sehr schwer erhältliche "Marrakesh" auch europäischen
Spielern zugänglich zu machen.
Nach umfangreichen und gewissenhaften Vorbereitungen
wurde das Erscheinen von Marrakesh für die Spiel '90 in Essen angekündigt -
doch das war dann auch schon alles, denn der Produzent des Spielebrettes hatte
versagt. Also wurden neue Verhandlungen geführt und das Erscheinen auf die
Spiel '91 verschoben.
Als ich am Mittwoch, dem Vortag der Eröffnung, beim
Stand von Claus vorbei schaute, erzählte er mir schon leicht entnervt, daß die
Spielbretter beim Zoll lagen -- sie wurden übrigens in Österreich hergestellt
--, und er nur hoffen könne. Am nächsten Morgen führte mich mein erster Weg natürlich
zu seinem Stand - und in der Tat - es lebe der osterreichische Zoll, aber nur
solange er meine Pakete unbehelligt läßt --, vor mir türmte sich ein
Riesenstapel von Marrakesch-Spielen. Daneben an einem Tisch stand Claus und
erklärte bereits geduldig das Spiel. Hören wir ihm dabei einmal zu:
Marrakech ist eine Backgammonvariante, das die legte
Phase, das Ausspielen, zum Thema hat. Wer schon einmal ein "Running Gamet
in einer Partie Backgammon gespielt hat, weiß, wie dramatisch dies sein kann
und wie sehr man dabei dem Würfelglück ausgeliefert ist. Bei "Marrakesch~
wird nun zum Glück eine kräftige Portion Taktik und Bluff gemixt.
Zu Beginn eines Spiels legt man nun zunächst die
Ausgangssituation fest. Da zu würfelt jeder Spieler mit 6 Würfel - danach
werden diese nicht mehr benötigt - und stellt seine Spielsteine auf die
entsprechenden 6 Felder. Dann erhält jeder Spieler 6 Karten. Der Kartenstapel
enthält zwei Kartensätze der Werte As(1) - 6 in den üblichen Kartenfarben und
je eine Dame -- sie besitzt im Gegensatz zur Realität den Wert 0 -- in den 4
Farben. Mit diesen 6 Karten werden nun durch ein raffiniertes Stichspiel die
Steine bewegt.
Dazu ist es zunachst einmal wichtig sich zu merken,
wer ausspielt und wer zugibt, denn letzterer, der Bediener, hat einen leichten
Vorteil.
Wie wird nun ein Stich ermittelt? Dazu werden nicht
wie Üblich Farbe und Wert der Karten herangezogen, sondern nur ihre Farben.
Dabei sticht Pik die Farben
Herz und Karo, Herz sticht Karo und Kreuz, Karo
sticht nur Kreuz, während dieses wieder Pik sticht. Werden verschiedene Farben
ausgespielt, so gewinnt natürlich jener Spieler, der die Karte mit der höheren
Farbe spielte. Er spielt dann auch zum nächsten Stich aus. Stimmen die Farben
aber
Überein, dann gewinnt immer der
"Bediener".
Nun werden endlich die Steine gesetzt, denn der
Gewinner das Stichs darf den
Wert der soeben gespielten Karten mit seinen Steinen
ziehen. Waren die Farben der Karten verschieden, aber die Werte gleich, so darf
dieser Wert sogar viermal gesetzt werden und zusätzlich erhält der Ziehende
noch eine Bonuskarte, deren Wert einmal gesetzt werden darf - außer, sie stimmt
in Farbe oder Wert mit der gespielten Karte überein, denn dann darf sie wieder
viermal gesetzt werden. Ja, und ist die Bonuskarte sogar dieselbe wie die
gespielte, dann darf ihr Wert sechsmal gesetzt werden. Etwas ungewohnt, doch
nach ein paar Spielen hat man damit keine Probleme mehr.
Stimmen aber die Farben und vielleicht auch die
Werte überein, so zieht, möglicherweise sogar mehrmals, immer der Bediener und
er erhält auf jeden Fall eine Bonuskarte, die er mit etwas Gluck sogar mehrfach
setzen kann. Auf die genauen Bedingungen mochte ich hier nicht näher eingehen,
da sie in den Regeln sehr ausführlich erklärt sind.
Was ist nun aber das Ziel des Spiels? Dieses besteht
darin, alle 6 Steine auf
die 3 Zielfelder auszuspielen und wenn möglich,
dabei sogar eines der vorgegebenen Muster zu erreichen. Die Steine werden dabei
wie bei Backgammon gezogen. Es herrscht zwar Zugzwang, was manchmal ein Muster
zerstören kann
(siehe die Erläuterungen zu Abbildung IV in der
Spielregel), aber kein Zwang, Steine auszuspielen. Außerdem muß ein Zielfeld
nicht exakt angespielt werden, doch dürfen Punkte nur dann verfallen, wenn
nicht Steine auf höheren Feldern stehen, die ohne Punkteverfall gezogen werden
können.
Die hinausgespielten Steine dürfen nun aber nicht
beliebig auf die 3 Zielfelder verteilt werden -- das wäre witzlos. Vielmehr
werden Steine, die durch den ersten gewonnen Stich ausgespielt werden, auf das
erste Zielfeld gestellt, das dann für den Rest des Spiels gesperrt ist. Für den
zweiten Stich steht dann das zweite Zielfeld zur Verfügung und für den dritten
das dritte.
Und was passiert, wenn ich mit einem gewonnenen
Stich gar keinen Stein hinausspielen kann, weil die Kartenwerte ungünstig
sind?, müßte die Frage eines Zuhörers nun lauten. Ja dann wird dieses Zielfeld
mit einem roten Spielstein markiert, was dem Gegner am Ende Punkte bringt.
Gelingt es einem so, alle Steine hinauszuspielen, so
bringt das auf jeden Fall 3 Punkte. Schafft man dabei sogar ein Muster, etwa
drei Steine im ersten Zielfeld, einen im zweiten und zwei im dritten -- dieses
Muster heißt "Rabatt" --, dann gibt es entsprechend mehr Punkte.
Insgesamt gibt es 6 mögliche Muster, vier für den Fall, das auf allen drei
Zielfeldern Steine stehen und zwei für den Fall, daß nur zwei besetzt sind.
Warum bei den asymmetrischen Mustern gerade die angegebenen Kombinationen gewählt
wurden -- etwa 3-1-2 bei "Rabatt" und nicht 1-3-2 -- entzieht sich
meiner Kenntnis, dürfte jedoch keinen tieferen Grund haben.
Man erhält aber nicht nur durch das eigene Ausspielen
Punkte, sondern unter Umständen auch durch das Ausspielergebnis des Gegners.
Wenn dieser nämlich nicht alle seine Steine mit einem einzigen Stich ausspielen
konnte, so bringen rote Steine, die auf seinen Zielfeldern liegen. weitere
Punkte. Und auch
hier gibt es Muster, etwa zwei rote Steine und ein
eigener Stein auf dem verbleibenden Zielfeld -- ein "Royal Fez" --,
die mehr Punkte, aber eben für den Gegner, bringen.
Das Punktemaximum von 30 Punkten in einem Spiel
erreicht man übrigens, wenn man selbst alle eigenen Steine in einem Zug
auspielt und der Gegner keinen einzigen Stein ausspielen kann; seine drei
Zielfelder sind dann mit roten Steinen belegt.
Das waren bis auf einige Kleinigkeiten nun die
Regeln von "Marrakesch", wie sie in der sehr ausführlichen und durch
zahlreiche Beispiele illustrierten Spielregel nachgelesen werden können. Außerdem
findet man auch ein paar strategisehe Hinweise, die den Einstieg in das Spiel
wesentlich erleichtern. Zu erwähnen wären auch noch die beiden Übersichtskarten,
auf denen alle erreichbaren Muster samt ihren Punktewerten angeführt sind. Ein
richtiger Marrakeschprofi hat diese Dinge aber natürlich alle im Kopf.
Wie bewährt sich nun "Marrakesch" in der
Praxis? Als ich es zum ersten Mal einigen Freunden zeigte, war die Begeisterung
zunächst nicht sehr groß. Auch nach der Erklärung der Spielregeln wares nicht
viel anders, zu ungewohnt sind
die Mechanismen. Doch nach der ersten Partie, eine
solche besteht aus 12 Spielen, begann die Stimmung langsam zu steigen und und
als wir endlich aufhörten, war schon der nächste Tag angebrochen. Das war übrigens
das letzte Mal, daß ich mein Exemplar zu sehen bekam, denn es wurde kurzerhand
zum Allgemeingut erklärt -- und anscheinend gehöre ich nicht zur Allgemeinheit.
Etwas ließ man mich vor kurzem noch wissen: Dem
Spiel ginge es an und für sich recht gut, nur möge ich ein Ersatzpaket Karten
besorgen. Nun ist das Nachbestellen von Spielmaterial sehr oft ein großes
Problem, doch bei "Marrakesch" ist das gesamte Material jederzeit erhältlich
-- ein lobenswertes Service!
Mit "Marrakesch" ist Prince Joli Kansil
ein exquisiter Cocktall aus Glück, Taktik und Bluff gelungen, der eigentlich
jedem munden sollte. Und auch die deutsche Ausgabe ist von der Ausstattung her
-- bis auf die Karten ist alles aus Holz -- absolut gelungen. Nur eines muß man
Claus Volgtschwer ankreiden: Weder auf der Spielschachtel noch in den Regeln
findet sich der Hinweis, daß "Marrakesch" süchtig macht
Win-Wertung:
** Marrakesch SSS TTT WWW AAA