Terra Nova
Viel
Holz vor der Hütte
Auf neu entdecktem Land Grenzen zu ziehen und
Mehrheiten zu erlangen macht mit der opulenten Ausstattung gleich noch mehr
Spaß
„Das sieht aber schön aus“, sagt Helma, als sie das
Spielmaterial von „Terra Nova“ betrachtet. In der kleinen, handlichen Schachtel
stecken insgesamt 44 hölzerne Spielfiguren in vier Farben, die tatsächlich
aussehen wie kleine Menschen mit einem Hut auf dem Kopf, vier Zählsteine zum
Festhalten der erzielten Punkte auf der obligatorischen Kramer-Leiste und 80
braune Grenzsteine, ebenfalls aus Holz, mit denen wir in den kommenden 60
Minuten versuchen sollen, möglichst große Gebiete des neu entdeckten Landes
abzustecken, und sie mit unseren Figuren zu bevölkern. „Dann fang schon mal an
mit dem Erklären“, meint Helma, während sie daran geht, Käse zu schneiden und
Knabberkram auszupacken und in kleine Schalen zu füllen, da sie sich offenbar
auf eine längere Spielregel-Erläuterung einstellt.
„Also gut“, setze ich an, „Du hast in deinem
Spielzug drei Aktionen. Als erste Aktion bewegst du eine deiner Spielfiguren in
gerader Strecke beliebig weit in eine beliebige Richtung. Dann kannst du
wählen, ob du noch mal eine Figur ziehst, oder einen Grenzstein auf den
Spielplan setzt. Und in der dritten Aktion kannst du auch wieder entweder eine
Figur bewegen oder einen Grenzstein setzen.“
Helma hat inzwischen Käse und Chips auf den
Spieltisch gestellt. „Aha, und weiter?“, will sie wissen. „Nix weiter, das war’s.
So sind die Regeln.“ „Und das soll ein Spiel sein?“ fragt Carmen, die sich
gerade einen Chip in den Mund gesteckt hat. Doch als wir schließlich beginnen,
merken alle ziemlich schnell, dass „Terra Nova“ tatsächlich ein Spiel ist. Und
noch dazu ein hochgradig taktisches Spiel rund um Mehrheiten, das ohne jedes
Glückselement auskommt. Da ist schon die Spielvorbereitung Teil des Spiels,
denn zunächst gilt es, seine Spielfiguren reihum gut verteilt auf den Spielplan
zu setzen. Im Spiel zu zweit sind das je 13 Figuren, zu dritt zehn und bei vier
Spielern nur noch acht, die dann auf den insgesamt acht unterschiedlichen
Landschaften von „Terra Nova“ stehen und darauf warten, mit dem Grenzbau zu
beginnen.
Und dann wird im Uhrzeigersinn gezogen und
Grenzsteine werden gesetzt, übrigens immer nur auf eines der sechs Felder rund
um die Spielfigur, die gerade bewegt wurde.
Der
Grenzzaun wird geschlossen
Wird schließlich ein kompletter Bereich des
Spielplans, in dem sich höchstens drei verschiedene Landschaften befinden,
vollständig abgetrennt, wird gewertet. Liegen genau drei Landschaften in dem
neuen Grenzgebiet, erhält der Spieler mit den meisten Figuren dort die Zahl der
Felder als Punkte gut geschrieben und setzt seinen Zählstein auf der Punkteleiste
entsprechend weit vor. Bei zwei Landschaften verdoppelt sich die Punktzahl und
bei nur einer Landschaftsart winken dem Spieler mit der Figurenmehrheit sogar
dreifache Punkte. Damit ist auch die grobe Taktik klar: Möglichst große Gebiete
mit möglichst wenigen Landschaftsarten abtrennen, dort mehr Figuren stehen
haben als die anderen und immer ein Auge auf die Grenzen zu haben, die
vermutlich bald geschlossen werden, um rechtzeitig noch ein oder zwei der
eigenen Figuren in das Grenzgebiet zu bugsieren. Oder um mit einer Figur das
letzte freie Feld zu blocken, um das Abtrennen eines Gebietes noch
herauszuzögern.
Nach einer Wertung werden ohne Ausnahme alle Figuren
in dem abgetrennten Gebiet unwiderruflich aus dem Spiel genommen und das ist
genau die Regel, die für die Zwickmühle des Spiels sorgt. Denn wer sich mit
immensem Figureneinsatz ein hart umkämpftes Gebiet sichert, hat mit hoher
Wahrscheinlichkeit am Ende zu wenig Ressourcen übrig, um in weiteren Gebieten
punkten zu können. Versucht man anfangs noch, sich und seine Figuren erst
einmal in eine möglichst günstige Ausgangsposition zu bringen, häufen sich die
Grenzschließungen gegen Ende und da fehlt es dann an allen Ecken und Enden. Vor
allem an verfügbaren Spielfiguren.
„Puh, da muss man ja ganz schön bei denken“, stöhnt
Helma, als wir gerade eine Viertelstunde zugange sind. „Dabei sind die Regeln
doch ganz einfach“. Recht hat sie. In der „Szene“ würde man dazu sagen: “Große
taktische Tiefe bei einfachstem Regelwerk“.
Typisch italienisch
Vom Spielgefühl her wirkt „Terra Nova“ wie ein
echter Colovini, ein Blick auf die Schachtel verrät jedoch, dass vielmehr
Rosanna Leocata und Gaetano Evola als Autoren verantwortlich zeichnen. Also doch
italienischer Herkunft, dann bleibt das wenigstens in der Familie. Für „Terra
Nova“ erhielten die beiden bereits 2004 den italienischen Spielepreis „Premio
Archimede“, der für unveröffentlichte Spiele vergeben wird. Also quasi das
Pendant zum deutschen Hippodice-Wettbewerb. Nun wurde das eigentlich abstrakte
Taktikspiel von Winning Moves mit einem immer wieder netten Thema und vor allem
gutem Material ausgestattet und in der Reihe „Spielvergnügen im Quadrat“
veröffentlicht.
Michael Menzel, der spätestens seit seinen
kongenialen Grafiken für Spiele wie „Aqua Romana“, „Hart an der Grenze“ oder
„Thurn und Taxis“ von manchen bereits als legitimer Nachfolger Franz Vohwinkels
gehandelt wird, kümmerte sich um die Gestaltung. Dabei gelingt ihm die Gratwanderung
zwischen ansprechender Grafik und spieltechnisch notwendiger Übersichtlichkeit
hervorragend, sodass es schon rein optisch eine Freude ist, das Spiel auf den
Tisch zu bringen.
„Terra Nova“ funktioniert einwandfrei, mit zwei
Personen noch besser als zu dritt oder viert, weil mehr planbar ist. In
größerer Besetzung hat sich auf dem Plan bereits so viel verändert, dass man
zwar noch taktisch agieren kann, aber die schön zurecht gelegte Strategie oft
längst ausgehebelt wurde, wenn man wieder an der Reihe ist. Sind nicht zu viele
Grübler dabei, stimmt auch die angegebene Zeitdauer von etwa 60 Minuten,
insgesamt also eine runde Sache mit immer neuem Spannungsbogen. Erstaunlich,
wie viel Spiel in so einer kleinen Schachtel stecken kann.
Auch wenn das Thema austauschbar ist, hebt sich
„Terra Nova“ zumindest spieltechnisch wohltuend von dem üblichen
Mehrheitenspiel-Einheitsbrei ab. Mit zunehmender Spielerzahl nimmt der
Strategieanteil ab.
Unser Spiel ist beendet, Carmen hat gewonnen. Wie immer
eigentlich bei Taktikspielen. Helma geht zum Schrank und holt eine neue Tüte
Chips. Nervennahrung für die Revanche.
Stefan Olschewski
Überblick
Spieler: 2-4
Alter : ab 10
Jahren
Dauer : ca. 60
Min.
Autor : Rosanna Leocata und Gaetano Evola
Grafik :
Michael Menzel
Preis : ca.
17,- Euro
Verlag : Winning Moves 2006
www.winning-moves.de
Bewertung
Genre :
Abstraktes, taktisches Legespiel
Zielgruppe :
Freunde und Experten
Mechanismus: Gebiete abtrennen und Mehrheiten
erringen
Strategie :
******
Taktik :
******
Glück :
*
Interaktion :
**
Kommunikation :
**
Atmosphäre :
****
Kommentar
Schönes Material
Günstiger Preis
Einfache Regeln
Ansteigender Spannungsbogen
Vergleichbar:
Hazienda,
Stefan Olschewski: Ein schön ausgestattetes und
spieltechnisch austariertes Mehrheiten-Spiel mit einfachen Regeln und viel
taktischer Tiefe, das zu zweit am besten funktioniert – bei notorischen
Grüblern aber etwas länger dauern kann.