DaVinci Code
Japanischer
„Welterfolg“
Die grauen Zellen
werden wieder mal gefordert …
Da Vinci Code! Ein geheimnisvoller Titel, der sofort
Assoziationen mit dem berühmten italienischen Universalgenie der Renaissance hervorruft.
Aber Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen, dieses Codeknackerspiel hat
mit Leonardo da Vinci absolut nichts zu tun. Jeder andere Titel wäre ebenso gut
vertretbar gewesen. Und in der Tat hieß dieser Japanimport bei seiner
Erstvorstellung auf der deutschen Spielmesse in Essen 2003 noch Enigma, benannt nach der berühmten
Codebrechermaschine des Zweiten Weltkrieges. Vielleicht vermuteten die
Werbestrategen von Winning Moves bei der Allgemeinbildung des deutschen Käufers
zu wenige kryptographische Kenntnisse, um mit einem „rätselhaften“ Titel
durchschlagenden Erfolg zu erzielen. Vielleicht aber auch sahen sie ein, dass
die Kunst der Verschlüsselung bei diesem japanischen Zahlencodespiel keine
„enigmagleichen“ Fähigkeiten voraussetzt. Wie auch immer, Da Vinci Code ist ein durchaus überzeugender Titel, jedenfalls für
unsere Ohren reizvoller als das japanische Original von Eiji Wakasugi: Algo. Zudem werden mit dem
Zauberwörtchen „Code“ unendliche Assoziationen zu Geheimschriften, historischen
Chiffren, geheimen Botschaften, sowie politischen Dramen aufgewühlt, und
selbstverständlichen auch zu unserem berechtigten Wunsch, die abertausenden
Nachrichtenbits, die wir täglich versenden, bombensicher zu verschlüsseln.
Bei der Einfachheit
dieses Zahlencodepuzzles staunt man als Spielhistoriker, dass niemand bereits
früher auf die Idee zu diesem Rate- und Logikspiel gekommen ist. Zwar gibt es
zahlreiche auf Codes aufgebaute Welterfolge, allen voran Mastermind, Cluedo und Inkognito, doch unterscheiden sich alle
diese Deduktionsherausforderungen in einem Punkt ganz entscheidend von Da Vinci Code. Sie sind wesentlich
langatmiger und verurteilen die gerade nicht am Zug befindliche Spielerin zu
größeren Wartezeiten. Genau genommen spielt bei Mastermind überhaupt nur einer, der Codebrecher. Der Codeersteller
dagegen wartet, bisweilen mit steigender Ungeduld, auf den nächsten
Entschlüsselungsschritt seines Gegenübers. An dieser Stelle sei eine kleine
spielhistorische Anmerkung erlaubt. Marco Meirovitz, der israelische Erfinder
des Mastermind, hat genau genommen
nur ein aus dem viktorianischen England stammendes Wortspiel, heute in
Großbritannien noch unter Jotto, Bull and
Cow oder Word Mastermind bekannt,
in einen Farbcode übertragen. Wie man aus den Verkaufszahlen sieht, mit
durchschlagendem Erfolg. Bei Cluedo
und Inkognito dagegen kommt diese
Idee des Codeknackens nicht so direkt und unvermittelt an die Spielerinnen
heran. Hier überlagert der Gedanke der
Rollenübernahme durch die Beteiligten das eigentliche deduktive Raten ganz
entscheidend.
Beim Öffnen der
neuen „Spiel kompakt“-Format Schachtel von Winning Moves werden Sie vielleicht
zunächst sehr erstaunt sein. Es liegen nur 26 schwarz-weiße Plastiksteine
bereit, jeweils mit Zahlen von „0“ bis „11“ sowie einem Bindestrich
gekennzeichnet. Ganz anders als die vielfach überladenen Produktionen der
letzten Jahre, mit bisweilen Hunderten von Einzelteilchen, wird hier der Markt
um ein wahrlich schnörkelloses Spiel bereichert. Was ist nun die Aufgabe der
Codeerstellerinnen? Ganz einfach. Abwechselnd nimmt in einer kurzen
Vorbereitungsphase jede Spielerin aus den gut gemischten Steinen vier
(beziehungsweise bei vier Spielerinnen drei) auf und stellt diese geordnet,
numerisch aufsteigend, d.h. links die niedrigere, rechts die höhere Zahl, vor
sich ab. Dabei ist es ganz wichtig, dass wirklich niemand Einblick in den
gegnerischen Code hat. Es ist egal, ob alle vier Steine schwarz oder weiß sind,
oder etwa das Mischungsverhältnis 3:1 oder 2:2 ist. Werden zwei Steine mit der
gleichen Zahl gezogen, wird immer der schwarze links vom weißen aufgestellt.
Eine kleine Warnung: hier können sich bei ungeübten Spielerinnen Fehler
einschleichen, zumindest in der ersten Partie. Wenn Sie sofort mit der
Fortgeschrittenversion anfangen wollen, was ich absolut empfehlen darf, so
könnten Sie im Basiscode auch einen oder sogar beide Bindestriche ziehen. Diese
dürfen an jede beliebige Stelle Ihres Codes eingereiht werden, also auch vor
die „0“ oder hinter die „11“, beziehungsweise zwischen zwei gleiche (schwarze
und weiße) Zahlen. Zuletzt wird noch die Startspielerin bestimmt - und schon
sind Sie beim Aktivieren Ihrer kleinen grauen Zellen …
Der Spielablauf ist
absolut klar. Wer am Zug ist, nimmt einen der verdeckten Steine aus der Mitte,
stellt diesen etwas abseits vom eigenen Zahlencode auf, so dass der Stein nur
von der betreffenden Spielerin lesbar ist, und macht dann den ersten
Rateversuch bei einer der Mitspielerinnen. Dabei zeigt man einfach mit dem
Finger auf den gewählten Stein und nennt eine Zahl von „0“ bis „11“, oder man
tippt auf „Bindestrich“. Liegt man mit der Vermutung richtig, wird der
betreffende Stein nach vorn umgekippt, damit die Zahl für alle offen gelegt,
und die Ratende ist weiterhin am Zug. Allerdings hat sie nun zwei Möglichkeiten:
(1) Weiter attackieren (dieses Wort ist der Spielregel entnommen, Anm. des
Autors), d.h. bei einer anderen oder der gleichen Spielerin einen weiteren
Stein zu erraten versuchen, oder (2) den
Zug beenden. Dies geschieht, indem der anfangs aufgenommene Stein an die
richtige Stelle des eigenen Codes eingeordnet wird. Dies, und das ist die Crux
von Da Vinci Code, ohne ihn den
Mitspielerinnen zu zeigen. Dadurch wird der eigene Code verlängert und damit
das Raten für die Gegnerinnen erschwert. Was passiert, wenn ein Tipp falsch
ist? Ganz einfach, der eigene, gerade gezogene Spielstein muss für alle
sichtbar umgekippt an die exakt richtige Stelle platziert werden. Dadurch
werden selbstverständlich wichtige Informationen preisgegeben. Die im
Uhrzeigersinn nächste Spielerin ist nun mit der hier beschriebenen
Zugmöglichkeit an der Reihe. Dies geht so lange, bis alle Codes bis auf einen
vollständig geknackt wurden.
Die Spielregel
bietet für Da Vinci-Freunde, die mehrere Runden genießen möchten, eine durchaus
interessante Punktspielwertung. Es gibt 10 Punkte für jede ermittelte Zahl in
einem gegnerischen Code, 20 Punkte für jede ermittelte „6“ sowie jeden
Bindestrich, und 50 Punkte, wenn es gelingt, die letzte Zahl eines gegnerischen
Codes zu knacken. Die Gewinnerin, deren Code bis zuletzt ein Geheimnis blieb,
bekommt obendrein den Wert der nicht geknackten Zahlen zu ihrem Punktestand
dazu addiert. Die Rundenzahl sollte bei diesem Wertungsschema vorab festgelegt
werden.
Da Vinci Code wurde in unseren Spielrunden sehr gut angenommen.
Das Spiel ist, wenn ich mir diese altertümliche Sprache erlauben darf, aus
einem Guss. Egal ob mit zwei, drei oder vier Spielerinnen, die Balance zwischen
Deduktion und Raten stimmt, ebenso wie die steigende Spannung gegen Spielende hin.
Da mit zunehmendem Codeknacken immer mehr Steine der Gegnerinnen offen gelegt
werden, und da immer weniger unbekannte Codestücke ein rein elementares Raten
erfordern, steuert Da Vinci Code
einem fühlbaren Höhepunkt entgegen, der für alle am Spielgeschehen Beteiligten
gleichermaßen dramatisch verläuft. Unbedingt empfehlenswert ist, wie schon bei
der Spielerläuterung erwähnt, die im Regelheft als „Spiel für Fortgeschrittene
mit Bindestrich“ angeführte Variante. Durch diesen Kniff zweier zusätzlicher Zeichen,
die an jede beliebige Stelle platziert werden dürfen, also auch links von der
„0“ oder rechts von der „11“, werden die Anforderungen an die Spielerinnen in
exponentieller Weise gesteigert. Allerdings sei hier gleich eine
spieltechnische Warnung ausgesprochen. Ein leises Zögern von Seiten der
Spielerin, die einen der Bindestriche zieht, oder ein dem berühmten zweiten
Geistesblitz folgendes Umstellen in der Codereihe, sind mehr als verräterische
Gesten. Der Bindestrich hat so seine Tücken. Hier werden Spiele leicht und ohne
große logische Akrobatik der Mitspielerinnen gewonnen oder verloren. Ansonst
müssen Sie keine der üblichen Längen eines Ratespiels fürchten. Ganz im
Gegensatz zum bereits erwähnten Mastermind
gibt es noch keine ausanalysierten Wege zum kürzest möglichen Gewinn. Sie
müssen auch nichts vom Gesetz der großen Zahl, von Permutationen oder
Kombinatorik verstehen. Im Gegenteil, die Altersangabe „ab 10 Jahren“ trifft
genau zu. Wie können Sie dennoch Ihre Gewinnchancen erhöhen? Zum einen ist es günstig,
die missglückten Tippversuche aller Mitspielerinnen im Gedächtnis zu speichern,
zum anderen muss die Entscheidung zwischen einem verführerischen Weiterraten
und einem verhaltenen Verlängern des
eigenen Zahlencodes der jeweiligen Spielsituation angepasst werden. Besonders
dann gilt dies, wenn die oben erwähnte Punktspielwertung zur Abrechnung kommt.
Und falls Sie besonders tückisch vorgehen wollen, können Sie auch mal eine im
eigenen Code stehende Zahl „raten“. Dieser Bluff, der durchaus dem Regelwerk
entspricht, kann Ihre Mitspielerinnen bisweilen ganz schön verwirren.
Eine kleine Kritik
zum Spielmaterial möchte ich doch nicht verschweigen. Die rechteckigen
Plastiksteine sind zwar groß und standfest genug, um einen bequemen,
entspannten Überblick während einer Partie zu ermöglichen, die Zahlen haben
auch einen Unterstrich, der die ewige Frage nach „6“ oder „9“ vergessen lässt,
aber zwei Mängel sind dennoch unübersehbar. Zum einen erlaubt bei den weißen
Steinen ein schwaches, kaum wahrnehmbares Durchschimmern der Zahlen bei
künstlichem Lichteinfall aus bestimmtem Winkel ein „erleichtertes“ Raten. Zum
anderen fällt es Ungeübten sehr schwer, die Spielsteine zu mischen. Immer
wieder kippt der eine oder andere, an der Breitseite konisch geformte Stein nach
oben und lässt dabei die geheime Zahl aufblitzen. Ein Tipp zur Abhilfe: Mischen
Sie so, dass die Steine mit Ihren Händen nur von der Seite, nicht jedoch von
oben berührt und verschoben werden. Dadurch können Sie den „Kippeffekt“ bequem
vermeiden.
Mein persönliches
Fazit: Da Vinci Code ist einfach
genug, um in wenigen Minuten erklärt zu werden, deduktiv genug, um auch einen
Erwachsenen, Logik orientierten Menschen zu befriedigen und Glücks betont
genug, um Kinder und Jugendliche zu fesseln. Egal ob zu zweit, zu dritt oder zu
viert, Da Vinci Code lässt immer alle
gleichzeitig am Spielgeschehen teilhaben. Für Denkspielfreunde eine wohltuende
Erfahrung. Mit minimalem Spielmaterial wird eine atmosphärisch dichte
Codebrecherstimmung erzeugt, die dieses Spiel tatsächlich einem weltweiten
Erfolg zusteuern lassen könnte. Daher scheint eine „5“ bei meiner Würfelwertung
durchaus gerechtfertigt. Nicht zuletzt eine für die potenzielle Käuferin
beruhigende Feststellung: Auch die Da Vinci-Expertin wird ganz ohne ein Studium
der Geschichte der Verschlüsselungen auskommen. Sie muss nur ganz einfach
unbeschwert drauflos raten!
DA
VINCI CODE
Spieler: 2-4
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: 15 Minuten
Verlag: Winning
Moves 2004
Autor: Eiji Wakasugi
Preis: ca. € 12
WIN WERTUNG
Genre : Denk-/Logikspiel
Zielgruppe : Familie
Mechanismus : Code knacken
Strategie : *
Taktik : ****
Glück : ***
Interaktion : *****
Kommunikation : **
Atmosphäre : ****
Kommentar:
Originalausgabe: Algo (Japan)
Prototyp (dt.): Enigma (2003)
Empfehlungsliste
Spiel des Jahres 2004
Kurzweiliges Spiel
Gleichzeitiges
„Denken“
Großer
Herausforderungscharakter
Zunehmende
Informationsdichte
Für alle Altersstufen
geeignet
Hugo Kastner: Bei Da Vinci Code werden trotz des
deduktiven Grundcharakters alle Mitspielerinnen gleichzeitig in den Denkprozess
eingebunden. Der doch hohe Glücksanteil macht diesen japanischen „Welterfolg“
ideal für Knobelfreunde.
Wenn Ihnen Cluedo oder Mastermind gefallen, wird Ihnen auch Da Vinci Code zusagen.
Hugo Kastner