BRITANNIA
Britannia
Verlag: WELT DER SPIELE
Autor: Dr. Lewis E. Pulsipher
Anzahl der SpielerInnen: 3 - 5
Spieldauer: 3 - 7 h
Es freut mich ganz besonders, daß Britannia bei der
letzten Abstimmung für die "Hall of Games" an erster Stelle lag, da
es eines meiner Lieblingsspiele ist. Manche Leute halten es für zu starr (hält
sich zu sehr an geschichtliche Abläufe) als auch zu komplex (viele
Ausnahmeregeln). Das liegt wohl daran, daß es immer schon ein schwieriges
Unterfangen war, historische Abläufe in spielerischer Form nachzuvollziehen und
so den Spielern geschichtliche Ereignisse auf eine etwas andere Art
nahezubringen. Dr. Lewis E. Pulsipher ist es mit Britannia gelungen, solch ein
Spiel zu konzipieren. Nach Gibson 1986, Avalon Hill 1987, brachte
"WDS" 1991, trotz der eher kleinen Zielgruppe für geschichtliche oder
historische Spiele, eine deutsche Ausgabe auf den Markt. Doch Britannia ist
nicht nur ein geschichtliches Spiel, sondern auch ein Taktikspiel ersten
Ranges. Dies erklärt wohl seine große Fangemeinde - wenn man dieses Spiel
mittlerweile nicht schon längst zu den "Klassikern" zählen kann.
Doch nun habe ich schon viel geschrieben und noch
wenig gesagt. Worum geht es in diesem Spiel überhaupt?
Tja, bei diesem Spiel geht es um die Befriedung und
Einwanderung verschiedener Völker in England im Zeitraum von 43 n.Chr bis 1085
n.Chr. Da das nicht immer im Einverständnis aller Beteiligten geschah, kam es
hin und wieder zu kleineren Meinungsverschiedenheiten.(Na, habe ich das nicht
elegant ausgedrückt?) Man könnte es natürlich auch etwas anders formulieren,
z.B. so: Rücksichtslose Plünderer und Invasoren fielen brennend und mordend während
des ersten Jahrtausends n.Chr. in England ein und rotteten die dort ansässige
Bevölkerung teilweise oder ganz aus.
Für den einzelnen mag die eine oder die andere
Ansicht richtig sein. Tatsache ist: Bei Britannia handelt es sich um ein
historisches "Konflikt- oder auch Kriegsspiel", das über tausend
Jahre Zeitgeschehen im Rahmen von 16 Runden simuliert; die ersten 12 Runden
davon in Abständen von etwa 75 Jahren.
Bevor ich aber nun zu der Spielbeschreibung komme, möchte
ich kurz den historischen Hintergrund beleuchten:
Die Geschichte begann mit der Invasion der Römer
unter Kaiser Claudius - 43 n.Chr.(Runde 1). Diesen "Berufssoldaten"
hatten die vorwiegend barbarischen Stämme nicht viel entgegenzuhalten. Die Römer
eroberten rasch den Süden Englands, die Midlands, unterwarfen Wales und stießen
nach Norden bis ins heutige Südschottland vor. Dort schlugen sie die ansässigen
Pikten und errichteten die ersten Befestigungen. Aus den unterschiedlichsten Gründen
zogen sich die Römer aus Südschottland zurück und bauten in England das
Festungssystem beginnend mit dem Hadrianswall aus, teils um das Land besser
kontrollieren zu können, teils um gegen die immer wieder stattfindenden Überfälle
und Plünderungen der verschiedensten Völker gewappnet zu sein. Diese Plünderer/Invasoren
waren, beginnend mit den Iren (Runde 3), die Pikten, Schotten, Jüten, Angeln,
Sachsen und all die anderen kleinen Volksgruppen, die im Spiel nicht berücksichtigt
wurden (Runde 4). Trotz alledem lebte der größte Teil Englands zu dieser Zeit
in Frieden.
Die letzten römischen Besatzungstruppen wurden 407
n.Chr. (Ende Runde 5) abgezogen. Das Römische Imperium hatte mit den
beginnenden Germaneneinbrüchen und Westgotenzügen wahrlich genug andere Sorgen.
Danach begann in England das dunkle Zeitalter. Die
Romano-Briten unter ihrem Anführer Vortigern luden die Sachsen zum Siedeln ein
(Runde 6). Diese kamen in großer Zahl, griffen zum Dank die Briten an und
vertrieben sie. Ein Teil der romano-britischen Bevölkerung wanderte in die
Bretagne aus. Etwa zur dieser Zeit unternahmen auch die Schotten und Angeln größere
Invasionen, allerdings ohne eingeladen worden zu sein. Unter Arthur (welch ein
geschichtsträchtiger Name) und seinen Kavallerieeinheiten - ca. 500 n.
Chr.-(Runde 7) erlebten die Briten nochmals eine kurze Periode der Ruhe, bis
Seuchen und die Angeln/Sachsen die Insel heimsuchten. Die Briten zogen sich
nach Wales und in den Norden zurück.
Ab dem 6. Jahrhundert traten die einzelnen Königreiche
(597 n. Chr./Kent) nach und nach zum christlichen Glauben über. Friedlicher wurden
sie dadurch nicht, aber sie wählten jetzt aus ihrer Mitte einen Hochkönig
(Bretwalda-Wahl ab Runde 9, z.B.: Oswiu 645-670, Offa 757-796). Ende des 8.
Jahrhunderts - 793 n. Chr. -(Runde 11) begannen die Wikingerraubzüge und
dauerten fast drei Jahrhunderte an.
Im 9. Jahrhundert wurde die angelsächsische
Herrschaft in England durch Einfälle der Dõnen erschüttert (Runde 12, "Große
Armee" unter Führung der Dänischen Brüder). In der Folge wurde England in
einen englischen und einen dänischen Teil gespalten. Alfred der Große konnte
die Invasion der Dänen stoppen. Währenddessen nützten die Dubliner (eigentlich
Irländer norwegischer Abstammung) die Gunst der Stunde (Runde 13). Ab 919 n.
Chr. kontrollierten sie das Königreich von York, bis König Athelstane sie 937
n.Chr besiegte. Er und auch seine Nachfolger drängten daraufhin die Dänen immer
weiter zurück. Doch diese kamen wieder, und Sweyn/Canute 986 n. Chr. (Runde 14)
führte sie zur Großmacht. Übrigens: Sweyn/Canute (im Spiel ein Spielstein)
waren eigentlich 2 Männer, bei uns sind sie besser bekannt als Sven Gabelbart
und sein Sohn Knut II der Große. Die Dänen waren außer den Römern das einzige
Volk, das Armeen auch zurück in die Heimat beorderte. Denn nach dem Tode von
Knut II - 1035 n. Chr.- (Ende Runde 14) kam es in Dänemark zu Aufständen, und
das Nordseegroßreich brach zusammen. Sein Sohn Hardinknut trank sich bei einer
Hochzeit zu Tode (1042 n. Chr.). Da er keine Erben hinterlassen hatte, wurde
Eduard der Bekenner König von England. Nach seinem Tod 1066 n. Chr. (Runde 15)
- ebenfalls ohne Erben - erhoben gleich drei Männer Anspruch auf Englands
Thron: Harold Godwinsson, Harald von Norwegen und Wilhelm von der Normandie.
Dieser Konflikt endete mit der Schlacht bei Hastings 1066 n.Chr. und dem Sieg
des Herzog Wilhelm (William).
Und nun zum Spiel:
Britannia ist ein Spiel für drei bis fünf Personen,
aber abgestimmt und konzipiert wurde es eigentlich nur für vier Personen. So
sind die Spielsteine, wovon jeder Spieler einen Satz erhält, in ihren Farben
auf das Vier-Personenspiel beschränkt. Was sich im Drei- oder Fünf-Personenspiel,
wo die Völker anders verteilt werden, als ärgerlich erweist.
Doch zunächst einmal zum Spielmaterial selbst. Es
besteht aus einer großen Schachtel (Ravensburger Standardformat) mit dem
bekannten Titelbild der AH-Ausgabe von "Britannia". Sehr zum Leid
meines begrenzten Stauraumes besteht der Innenraum der Schachtel aus gut 80%
Luft. Ein großer Plan (52x72 cm), zweimal gefaltet, sehr schön und übersichtlich
gestaltet, 256 Spielsteine in 4 Farben, wobei jedes Volk sein eigenes Symbol
hat, 17 Siegpunktekarten (für jedes Volk eine Karte), 5 Würfel, nur 4 Rundenübersichtsblätter
(?) und eine gut übersetzte und lesbare Regel. Alle Völker erhielten übrigens
eingedeutschte Namen, nur die Belgae (die im Spiel zusammengefaßten
belgisch/keltischen Stämme in Britannien) wurden vergessen zu übersetzen -
richtig wäre Belger gewesen.
Der Spielplan zeigt die englische Insel inklusive
der Hebriden und Orkneys, jedoch ohne Shetlands. Selbstverständlich sind auch
das Festland und Irland eingezeichnet, aber in einer anderen Farbe, da sie
nicht zum eigentlichen Spiel gehören. In der rechten oberen Ecke des Planes
sind Rundenzähler und Anzeiger für Bevölkerungswachstum und Spielreihenfolge
der Völker untergebracht. Im Gegensatz zu den meisten anderen Spielen kommen
hier die Völker der Reihe nach zum Zuge und nicht die Spieler. Weiters ist der
Plan in 6 Meeres- oder Seegebiete unterteilt (um die, wenn auch nur
sporadischen, Seebewegungen zu regeln). Die Insel selbst ist in 37 Gebiete
aufgeteilt, wovon im Norden auf Schottland 10 Gebiete und im Westen auf Wales 7
Gebiete entfallen. Der Rest von England (20 Gebiete) ist Hauptschlacht- und
Durchzugsgebiet für die meisten Völker.
Einige dieser Völker sind schon zu Beginn des
Spieles auf dem Brett. Die anderen Völker erscheinen zum jeweils geschichtlich
richtigen Zeitpunkt bzw. erhalten Nachschub aus der Heimat, teils um zu
rauben/zerstören (Plünderer) oder um zu siedeln (Invasoren). Jedes Volk besteht
aus einer historisch und spieltechnisch begründeten Anzahl Spielsteine, welche
die Wachstumsobergrenze darstellen. Dadurch sind manche Völker auf ein kleines
Territorium begrenzt. Andere (größere) Völker werden durch Spielgegebenheiten
und Gegner an allzu großer Ausbreitung gehindert.
Jedes Volk muß pro Runde folgende Phasen
durchlaufen:
1. Plünderer/Invasoren und/oder Bevölkerungszuwachs
erscheinen;
2. Bewegung;
3. Konflikte und eventuell daraus resultierende Rückzüge;
4. Siegpunkteermittlung - nach der Völkerkarte bzw.
nur in separaten Runden.
Zuvor möchte ich noch auf die Bewirtschaftung
eingehen, diese wurde einfach und elegant gelöst:
Jedes Gebiet kann zwei Einheiten ernähren, egal in
welcher Verteilung sie in den von einem Volk besetzten Gebieten stehen. Zusätzlich
liefert jedes bevölkerte Gebiet eines Volkes Punkte für den Bevölkerungszuwachs.
Pro drei Punkte "muß" eine Einheit aufgestellt werden. Überzählige
Punkte verbleiben einem Volk für die nächste Runde.
Man ist daher ab einer gewissen Anzahl Einheiten
gezwungen zu expandieren oder sie am Ende des Zuges abzubauen. Der Konflikt ist
also vorprogrammiert, im besonderen auch durch die Verteilung der Siegpunkte im
Spiel. Diese sind so verteilt, daß sich die Ziele der verschiedenen Völker zum
Teil überschneiden, was sowohl Gebietsansprüche als auch die Vertreibung /
Eliminierung bestimmter Völker / Anführer betrifft. Gleichzeitig sind die
Spieler aber bemüht, sich in etwa an die geschichtlichen Abläufe zu halten. Ein
Spieler, der sich nicht daran hält, verliert eine Menge Punkte.
In der Bewegungsphase steht es dem Spieler frei,
beliebig viele Einheiten seines Volkes zu bewegen. Konventionelle Einheiten dürfen
sich von ihrem Ausgangspunkt zwei Gebiete weit bewegen. Römische Legionen und
Kavallerieeinheiten dürfen sich drei Gebiete weit bewegen. Für landende
Einheiten (Plünderer / Invasoren) gilt der gleiche Bewegungsmodus. Dabei dürfen
sich diese auch zuerst ein Seefeld weiter bewegen, bevor sie landen. Der
Unterschied zwischen Plünderern und Invasoren besteht nur darin, daß sich Plünderer
wieder auf See zurückziehen müssen. Unabhängig von der Art der Einheiten endet
die Bewegung beim Betreten eines Hochlandfeldes (Ausnahmen bestätigen die
Regel). Besonders erwähnenswert ist in diesem Falle die Kapazitätsregel, die
sehr oft falsch ausgelegt oder nicht beachtet wird. Diese Regel darf in der
Bewegungsphase überschritten werden, muß aber vor der Konfliktphase überprüft
werden. Eventuell überzählige Armeen müssen abgebaut werden.
Grundsätzlich darf sich pro Gebiet immer nur ein
Volk aufhalten und es beanspruchen. Besetzen am Ende einer Bewegungsphase
Einheiten verschiedener Völker ein Landgebiet, kommt es zum Konflikt. Diese
Konflikte findet simultan statt und werden mit einem sechsseitigen Würfel
ausgewürfelt. Nach jeder Kampf-/ Würfelrunde kann man sich für den Rückzug
entscheiden. Der Konflikt dauert so lange an,bis (k)ein Volk übrigbleibt.
Achtung, es ist durchaus legal, Völker der eigenen Farbe anzugreifen, wenn es für
einen Spieler von Vorteil sein könnte. Es ist durchaus üblich, eines der
kleinen Völker zu "opfern" in der Hoffnung den Gegner aus wichtigen
Gebieten (Punkten) zu verdrängen bzw. "Vorbereitungen" für ein
anderes eigenes Volk zu treffen.
Nachdem alle Bewegungen/Konflikte abgeschlossen
sind, kommt es zur Ermittlung der Siegpunkte. Sie werden entweder direkt nach
Abschluß des Zuges eines Volkes für spezielle Ziele, wie z.B. das Schlagen
eines gegnerischen Spielsteines oder das Besetzen eines Gebietes vergeben (wie
auf den Völkerkarten angegeben). Außerdem werden sie in den meisten Fällen am
Ende einer kompletten Spielrunde (Runden 4, 7, 10, 13 und Spielende) an die
Spieler verteilt. Schließlich werden die Punkte der einzelnen Völker eines
Spielers addiert. Aufgrund der Gesamtpunktewerte wird der Sieger ermittelt.
So gesehen ist Britannia vom Ablauf her das typische
Beispiel eines einfach konzipierten Spieles, das durch das Ausbalancieren
komplex geworden ist. Das heißt, der Rundenablauf ist simpel, wären da nicht
die vielen Ausnahmen, denn für einige Völker gibt es in manchen Runden
Sonderregeln: bessere Kampfstärke, weitere Bewegung, große Invasionen,
Invasionsbeschränkungen (historisch begründet), Ignorieren der Überbevölkerung,
Boote, Anführer, Bretwalda oder Königswahl, Unterwerfung usw.
Wie schon eingangs erwähnt, wurde das Spiel als
Vier-Personenspiel konzipiert. Es ist aber trotz aller Überarbeitungen nicht
gelungen, die Gewinndominanz einer Partei zu beseitigen. Sie liegt bei etwa:
sieben (Rot) zu fünf (Schwarz und Lila) zu vier (Blau) Teilen bei den
verschiedenen Farben.
Bei dem Drei-Personespiel muß ich gestehen, daß ich
es nicht öfter als drei- bis viermal in der langen und in der kurzen Variante
gespielt habe und mir daher kein endgültiges Urteil erlauben kann.
Aufgefallen ist mir allerdings, daß die lange
Variante in etwa so gut ausgewogen ist, wie das Vier-Personenspiel. Also
durchaus zu empfehlen, während die Kurz-Variante eine überdeutliche Dominanz für
den Dänenspieler aufweist.
Erwähnenswert ist auch noch:
* Auf der Siegpunktekarte der Romano-Briten ist
nicht angeführt, daß Walliser und Briganten nicht angegriffen werden dürfen.
* Auf der Siegpunktekarte der Jüten steht nicht
drauf, daß sie nicht nördlich von Cornwall landen dürfen.
Diese wichtigen Regeln sollten unbedingt
nachgetragen werden.
WIN Wertung:
** Britannia AA UU WW II SS K D