18xx in den Niederlanden
Steam over Holland
Wie lässt sich der nächste Zug finanzieren?
Auch wenn der Name eher an „Age of Steam“ erinnert, handelt es sich bei
„Steam over Holland“ um ein klassisches, in den Niederlanden angesiedeltes
18xx. Womit sich natürlich die Frage stellt warum es dann nicht so heißt. Die
Antwort ist denkbar einfach: Die gewünschte Jahreszahl (1839) war schon
vergeben, genauso wie das Anhängsel „NL“. Eigentlich ist das ja auch nicht
verwunderlich wenn man bedenkt wie viele Varianten es mittlerweile gibt.
All jene die, wie ich, schlechte Erfahrung mit einer der älteren
niederländischen Varianten gemacht haben und deshalb gerade überlegen ob sie
noch weiter lesen sollen, können aber beruhigt sein. Abgesehen von der
ähnlichen Karte (Wer hätte das gedacht?) hat „Steam over Holland“ mit dieser
nicht viel gemeinsam.
Der Name ist aber nicht der einzige Punkt in dem „Steam over Holland“ mit
der sonst üblichen 18xx-Konvention bricht. Denn der Autor und Grafiker in
Personalunion, Bert van Dijk, hat sich tatsächlich die Mühe gemacht ein neues
Design zu entwickeln. Das Spiel bleibt aber trotzdem, auch auf den ersten
Blick, als 18xx identifizierbar. Die Änderungen beschränken sich in erster
Linie auf die Plättchen mit denen die
Strecken gebaut werden. Die Gleise sind nicht, wie sonst üblichen, durch
schwarzen Striche schematisch dargestellt, sondern tatsächlich als Gleise
erkennbar. Auch die Städte sind nicht einfach Kreise oder Punkte sondern durch
rote (Großstadt) oder grüne (Kleinstadt) Dächer, also in Vogelperspektive, eingezeichnet.
Wobei die Plättchen der ersten Stufe nicht gelb, wie sonst üblich und nach
Aussage des Autors auch geplant, sondern in einem hellen, gelblichen Grün
gedruckt sind. Das wirkt sich aber weder auf die Optik noch auf die
Spielbarkeit in irgendeiner Form schlecht aus, da sie nach wie vor problemlos
von den viel dunkleren, grünen Teilen der zweiten Ausbaustufe unterscheidbar
sind. Auch das übrige Spielmaterial, wie Aktienzertifikate oder
Gesellschaftsbögen, ist hübsch, übersichtlich und mit Liebe zum Detail
gestaltet.
Zudem sind die Gleisplättchen, im Vergleich zu dem sonst üblichen dünnen
Karton, recht dick und zudem laminiert. Dadurch sind sie griffiger, haltbarer
und wirken auch edler als die meisten anderen in Eigenproduktion entstandenen
Varianten. Dieses noble Erscheinungsbild fängt schon bei der Verpackung an.
Denn die solide, schlicht aber elegant designte Kartonschachtel ist wie eine
Kassette in einer zweiten, bunteren Kartonhülle eingeschoben. Zusammen wirkt
das sehr edel und ist ein optisches Highlight in jeder Spielesammlung.
Eine weitere Änderung betrifft die Bahnhofsmarker. Die hölzernen oder
papierenen Scheiben anderer Varianten wurden durch hölzerne Siedlerhütten
ersetzt. Auch das ändert spielerisch gar nichts, schaut aber hübsch aus. Leider
ist hier aber ein kleiner Fehler unterlaufen. Für eine sonst violett gestaltete
Gesellschaft wurden irrtümlich rosa Häuschen in die Schachtel gepackt. Auch das
wirkt sich spielerisch nicht aus, dennoch habe ich für meine persönliche
Version violette besorgt.
Ein weiterer Kritikpunkt am Spielmaterial, das aber nicht von mir sondern
von Mitspielern, war, dass die Gleisplättchen die Felder des Planes nicht ganz
ausfüllen. Dies hat aber einen spielerischen Hintergrund. Denn da es in den
Niederlanden nun mal keine Berge gibt, wurden Flüsse eingezeichnet, deren
Überquerung der bauenden Firma Geld kostet. Diese sind aber nicht, wie sonst
üblich, in den Feldern eingezeichnet, sondern auf den Kanten dazwischen. Die
Regeln erfordern dass diese auch nach dem Legen der ersten Plättchen sichtbar
bleiben, was durch die etwas kleineren Plättchen gewährleistet ist. Spielerisch
also sinnvoll, manch Modelleisenbahnästhet ist aber nicht ganz glücklich.
Nach dieser ausführlichen Beschreibung des Materials wird es Zeit über die
Spielregeln zu sprechen. Sehr viel gibt es da aber nicht zu sagen, denn im
Grunde handelt es sich um eine Mixtur der Regeln anderer Varianten.
Die einzige wichtige neue Idee ist so simpel wie sie genial ist. Das Spiel
endet nämlich nicht erst wenn das Geld der Bank ausgegangen ist, sondern ist
von Beginn an auf 15 Runden beschränkt. Wobei eine Runde entweder eine Aktien-
oder eine Operationsrunde sein kann. Die Abfolge ist auch stets die gleiche.
Auf eine Aktien- folgen immer zwei Operationsrunden. Womit sich also für das
gesamte Spiel fünf komplette Durchgänge ergeben.
Durch diese einfache Maßnahme entfällt das oft mühsame und langwierige
Endspiel anderer Versionen, in dem nur noch Runde für Runde abgewickelt wird
bis das Geld endlich aus ist. Auch „Wie viele Runden dauert es
noch?“-Spekulationen bleiben den Spielern erspart.
Positiv wirkt sich das natürlich auch auf die Spieldauer aus. Eine flotte
Zweierpartie kann in weniger als zwei Stunden beendet werden und selbst langsame
größere Gruppen sollten in weniger als 6 Stunden fertig werden.
Der Rest ist 18xx-Veteranen schnell erklärt, andere Leser seien auf ausführlichere
Rezensionen anderer Versionen verwiesen. Zuerst werden die Privatfirmen
versteigert, oder alternativ einfach ausgeteilt. Es gibt sieben Stück die
großteils Vorteile bringen, wie sie aus anderen Varianten bekannt sind. Einzig
der Vorteil der „Werkspoor“ war mir neu, die erlaubt der besitzenden
Gesellschaft Züge um 10% billiger einzukaufen. Es spielen aber immer nur so
viele Privatfirmen wie Spieler mit, also niemals alle. Welche ist Zufall.
In der Aktienrunde werden nach den üblichen Regeln Aktien ge- und verkauft.
Um eine neue Gesellschaft zu gründen, genügt es so viele Aktien zu erwerben,
wie sie dem Zug der aktuellen Phase entspricht (wie z.B. in „1856“). Am Beginn
genügen also zwei, wodurch normalerweise jeder Spieler eine eröffnen kann.
Bemerkenswert ist hierbei, das ist mir bisher in keiner Variante untergekommen,
dass bei einer Eröffnung alle dazu notwendigen Aktien auf einmal gekauft werden
müssen. Also in der letzten Phase 6 (entspricht dem 6er-Zug) müssen 60% auf
einmal erworben werden. 60% sind zugleich das Maximum, das ein Spieler von
einer Gesellschaft besitzen darf (wie auch in den meisten anderen Varianten).
Kapital erhalten die Gesellschaften nur für die verkauften Aktien (auch wie
z.B. „1856“). Die nicht verkauften Aktien besitzt die Gesellschaft, und können
dort von den Spielern zum aktuellen Kurswert herausgekauft werden. Die
Gesellschaften erhalten die Dividende für die Aktien die noch ihr gehören, für
jene im Bankpool erhält niemand etwas (wie z.B. „1870“).
Die Gesellschaften können am Anfang ihrer Operationsrunde immer Aktien aus
dem Bankpool zurückkaufen, oder noch im Besitz befindliche an die Bank
verkaufen, dies ist aber beschränkt und ab 2 verkauften Aktien fällt dadurch
der Kurs.
Die Gesellschaften können in ihren Operationsrunden des weiteren
Privatfirmen von den Spielern abkaufen, bis zu zwei Streckenteile legen, wobei
maximal eines ein Upgrade sein darf, Bahnhofsmarker legen (Kosten sind 0, 40,
100, 100, wie z.B. in „1830“ und den meisten anderen, wobei aber die Anzahl der
verfügbaren Stationen für alle Firmen gleich ist), mit vorhandenen Zügen
fahren, Dividende ausschütten oder einbehalten und zu guter letzt noch Züge
kaufen.
Das Fahren erfolgt nach den üblichen Regeln, mit der Ausnahme dass kleine
Stationen nicht zum Zuglimit zählen, also versucht wird möglichst viele dieser
mitzunehmen und nicht, wie bei den meisten anderen, zu umfahren.
Abhängig von der Dividende, steigt der Kurs dann 2 Felder an, wenn das
Einfahrergebnis größer als der doppelte aktuelle Kurswert ist, um 1 Feld, wenn es
größer als der einfache Wert ist, sinkt wenn einbehalten wird, kein Zug oder
keine legale Route da ist, oder bleibt gleich anderenfalls.
Auch für das Zugkaufen gilt das übliche. Steht eine Gesellschaft am Ende
ihrer Runde ohne Zug da, ist sie verpflichtet einen zu kaufen. Geht sich das
finanziell nicht aus, muss sie noch Aktien verkaufen, soweit es die Regeln noch
erlauben. Erst danach ist der Besitzer
verpflichtet (bzw. darf) privates Vermögen zuzuschießen. Sollte sich
trotzdem kein Zug ausgehen, geht die Firma bankrott. Dies bedeutet dass sie
komplett aus dem Spiel entfernt wird. Alle Bahnhöfe werden vom Brett entfernt
und auch die Aktien kommen ohne Kompensation aus dem Spiel. Eine Neugründung
ist nicht möglich. Ein Spielerbankrott mit resultierendem Spielende ist somit
auch ausgeschlossen.
Solche Firmenpleiten waren in meinen bisherigen Partien durchaus üblich.
„Steam over Holland“ ist nämlich eine sehr brutale und anspruchsvolle Variante.
Die gemütliche Aufbauphase, die bei den meisten Varianten anfangs üblich ist,
gibt es hier nicht. Je nach dem wie viele Gesellschaften am Anfang gegründet
werden, kann es schon ab der zweiten Runde für die Firmen ums Überleben gehen.
Das geht ohne verschnaufen weiter, bis alle ihre Permanenten haben. Danach sind
aber nur noch eine bis maximal drei Operationsrunden zu spielen, das Spiel also
fast vorbei.
Noch brutaler spielt sich das Spiel zu zweit, wenn die Kontrahenten
verstärkt versuchen dem Gegner zu schädigen. Im Zweipersonenspiel wird nach den
gleichen Regeln gespielt wie zu mehrt, es bekommt, wie bei den meisten anderen
Spielen auch, einen etwas anderen Charakter, ist aber genauso empfehlenswert
wie Mehrspielerpartien.
Es ergibt sich auch, dass die Kapitalisierung der Firmen und somit der
Aktienmarkt sehr entscheidend ist. In der 18xx-Kategorisierung, bau- oder
aktienlastige Variante, fällt „Steam over Holland“ somit ganz klar in die
zweite Kategorie. Zumal die Karte auch sehr ausgewogen gestaltet ist. Es gibt
keine extrem wertvollen Städte. Das maximale Einfahrergebnis erzielen einige
Auslandsanschlüsse am Rand der Karte und die zentrale Hauptstadt Amsterdam mit
je bis zu 60 Gulden, während alle anderen Großstädte bis zu 40 wert sein
können. Es folgt auch, dass sich bei den Einfahrergebnissen gleichstarker Züge
unterschiedlicher Firmen keine großen Differenzen ergeben. Nur die Anzahl der
Züge macht entscheidende Unterschiede aus.
Trotz alledem ist „Steam over Holland“ durchaus auch 18xx-Einsteigern zu
empfehlen. Man muss zwar darauf gefasst sein in der ersten Partie Lehrgeld zu
bezahlen, dafür enthält die Regel aber keine komplizierten Spezialregeln und ist
mit 10 Seiten im A5-Format für 18xx-Verhältnisse auch relativ kurz.
Die Regeln sind in vierfacher Ausführung beigelegt, in den Sprachen
Deutsch, Englisch, Französisch und Niederländisch. Jede Sprache hat ihr eigenes,
schön gestaltetes Hochglanzheft.
Leider ist die deutsche Fassung mit einigen Fehlern versehen, solche die
typischerweise passieren, wenn Niederländer ins Deutsche übersetzen. Sie ist
zwar grundsätzlich lesbar, dennoch habe ich ziemlich bald zur deutlich besseren
englischen gegriffen.
Ansonsten ist die (englische) Regel gut verständlich und mit zahlreichen
Beispielen versehen.
Ein paar wenige Detailfragen bleiben aber unbeantwortet.
Wie man meiner bisherigen Rezension vielleicht schon entnehmen konnte, bin
ich restlos begeistert von dieser Variante, falls nicht möchte ich dem hiermit
noch einmal deutlich Nachdruck verleihen. Diese Faszination lässt mich über die
kleinen angeführten Mängel bedenkenlos hinwegsehen.
Die Spielregeln betreffend ist es, meinem persönlichen Geschmack nach, ein
„best of“ der unterschiedlichen Varianten und auch realistischer, als
Wirtschaftsimulation betrachtet. Das Spielgefühl ist spannend, für
18xx-Verhältnisse kurz und knackig. Es gibt keine Leerlaufphasen, man ist
ständig gefordert, immer tut sich was und das Material hat absolute
Topqualität.
„Steam over Holland“ ist also, meines Erachtens, ganz klar empfehlenswert
für alle 18xx-Fans, jene die es noch werden wollen und jene die sich noch nie,
auf Grund der Spieldauer anderer Varianten, getraut haben eines auszuprobieren.
Spieler 2-5
Alter 12+
Dauer 270 min
Autor Bart van Dijk
Grafik Bart van Dijk
Vertrieb Vendetta
Preis auf Anfrage
Verlag Vendetta Games 2007
www.mini-bart.com/games/steamoverholland.html
Genre Wirtschaftsspiel,
Eisenbahnspiel
Zielgruppe Experten
Mechanismen Aktien ver- und einkaufen, Strecken
bauen, Züge kaufen
Strategie *******
Taktik ****
Glück *
Interaktion *****
Kommunikation **
Atmosphäre ****
Kommentar
Regeln in 4 Sprachen,
deutsche allerdings fehlerhaft
verhältnismäßig kurze, anspruchsvolle
18xx-Variante
tolles, neu designtes
Spielmaterial
edle Verpackung
Vergleichbar
andere 18xx-Varianten
Age of Steam
Persönlicher Kommentar:
„Steam over Holland“
erfindet 18xx zwar nicht neu, ist aber eine geniale Mischung älterer Varianten.
Es beschränkt den bekannten Mechanismus aufs Wesentliche, ist dadurch kurz und
hat keine langwierige oder langweilige Anfangs- oder Endphase.