HIGH
KINGS OF TARA – SACRED HILL
Back to the Irish roots
Ein Spiel aus
Irland – fast undenkbar in unserer durch wenige mittel- und westeuropäische
Verlage dominierten Spielewelt. Und was für eine elegante und herausfordernde Idee
darüber hinaus. In der neuesten Ausgabe, die unter dem Titel „Project Kells“
sowohl das bereits 1998 erschienene „High Kings of Tara“ umfasst, wie das
einfachere der beiden aktuelleren „Sacred Hill“-Varianten (Heiliger Hügel),
versucht der in Archäologie ausgebildete Autor Murray Heasman die faszinierende
Geschichte der irischen Hochkönige nachzuzeichnen. Das Projekt wurde nach und
nach im Internet um ein weiteres Spiel, „Poisoned Chalice“ (Vergifteter Kelch),
erweitert, zudem um jeweils Doppelvariationen der früheren Ausgaben, die für
erfahrene Strategiespieler eine besondere Attraktion versprechen.
Die Krönung des
Projekts ist jedoch die Vernetzung von strategischen Spielelementen mit der
Geschichte der viele Jahrhunderte alten Ringbefestigungen von Tara. Ich selbst stand
schon einige Male mit Ehrfurcht vor diesen Ringwällen und bin dem Rätsel der
Bedeutung dieser Anlagen nachgehangen. Vieles aus der Zeit der irischen
Hochkönige bleibt Spekulation, vieles hat seine Entsprechungen im keltischen
Europa, aber es ist mit diesen Spielbildern zum ersten Mal gelungen, die
Topografie der Tara-Landschaft in die kleine und doch unendlich weite Welt der
Brettspiele hineinzuzoomen. Die Jahrhunderte scheinen auf einen kurzen
Augenblick zusammen zu schrumpfen. Umrahmt wird das Spielbrett von den nicht
minder beeindruckenden Schleifenmustern des „Book of Kells“, der vermutlich
ältesten Evangelienhandschrift (7. bis 8. Jahrhundert), die im Dubliner Trinity
College alljährlich Hunderttausende von Menschen anlockt. Dieses überragende
Beispiel mittelalterlicher Buchmalerei wurde wahrscheinlich im Kloster Iona vor
der Westküste Schottlands hergestellt, und hat auf verschlungenen Irrwegen
seine neue Heimat im Herz der irischen Hauptstadt gefunden. Das Schriftbild
dieses Buches ist extrem aufwendig gestaltet und mit ungeheurer Akribie
verziert. Die Anfangsbuchstaben wurden teilweise mit sehr feinen Mustern in
leuchtenden Farben, oft mit Gold versehen, gestaltet. Ganz typisch sind die bis heute nur
schwer zu deutenden Spiral- und Flechtwerkmuster, wie auch ornamentale Mensch-
und Tiermotive. Aber überzeugen Sie sich am besten bei Ihrem nächsten
Dublinbesuch selbst davon. Zurück zu unserem Spiel. Gerade diese Verzierungen
der Kells-Evangelien schmücken nicht nur den Brettrand sowie das Schachtelcover
sondern sie spiegeln sich auch im Muster wieder, das während der Spielabläufe
auf den fünfundvierzig Hügeln des Spielbretts entsteht. Tara und Kells werden durch
diese traditionellen keltischen Muster auf geradezu unnachahmlich schöne Weise
vereint.
Nach dieser
Lobpreisung für Idee und Ästhetik muss ich Sie nun wohl endlich mit den
Mechanismen dieser irischen Spielwelten vertraut machen. Zunächst jedoch zum
Spielmaterial. Jedem der beiden Kontrahenten stehen 60 Ringwälle (Ringforts),
das sind Spielsteine mit einem roten oder blauen Ringmuster, 80 Brücken (Bridges),
6 Könige (Kings) und einige Kärtchen zur Verfügung, mit der die jeweilige
Spielvariante festgehalten werden kann. Da die Regeln nur in englischer Sprache
vorliegen, möchte ich zunächst eine kleine Liste der für alle Variationen
nötigen Fachausdrücke vorstellen. Ich entnehme diese der Originalregel. (1) Adjacent
(benachbart) – gemeint ist horizontal oder vertikal; (2) Besieged
(belagert) – nur einzelne, von allen Seiten durch feindliche Ringwälle
umschlossene Ringforts, können belagert werden; (3) Double capture
(Doppelschlag) – Gefangennahme von zwei feindlichen Königen in einem oder zwei
Spielzügen; (4) Friendly (freundlich) – von einer Farbe (rot oder blau);
(5) Hill (Hügel) – eines der 45 Felder auf dem Brett; (6) In Play
(im Spiel) – ein König, der auf einen leeren Hügel ziehen kann; (7) Kingdom
(Königreich) – eine Gruppe von einem oder mehreren Ringwällen einer Farbe; (8) Knight’s
Move (Rösselsprung) – der Grundzug, der der Bewegung des Schachspringers
entspricht (d.h. 2 x 1 Feld oder 1 x 2 Felder);
(9) Knot (Schleife) – Eine in sich geschlossene Schleife in einem
Königreich, die aus mehreren durch Brücken verbundenen Ringwällen besteht; (10)
Linking (Brückenbau) – Verbindung zwischen zwei oder mehreren Ringwällen
gleicher Farbe; das Ergebnis ist immer eine durchlaufende Schleife; (11) Territory
(Gebiet) – die Gesamtzahl der Hügel, die jeder Spieler besetzt hält; (12) Pass
(Passen) – in all diesen Spielen verboten; (13) Illegal Move (Verbotener
Zug) – wird ein verbotener Zug durch den Gegner aufgedeckt, darf er den zuletzt
gelegten Stein nach Gutdünken, jedoch regelkonform, irgendwo am Spielbrett
platzieren; (14) Battle (Schlacht) – die Spieler können feindliche
Königreiche angreifen, müssen aber jedenfalls eigene Königreiche erweitern; (14)
Scoring (Wertung) – Gewinner ist, wer am Ende die geringste Zahl von
Königreichen/Schleifen auf dem Spielbrett hat. Der Gewinner erhält zwei Punkte
plus die Differenz an Königreichen bzw. Schleifen gutgeschrieben. Bei
Gleichstand entscheidet die Zahl der kontrollierten Hügel, also das Gebiet. Gespielt
wird immer auf zwei Partien, um den Anzugsvorteil des größeren Territoriums
auszugleichen.
Sobald die Entscheidung
gefallen ist, welches der vier Grundspiele Sie versuchen wollen, werden die
Hügel abwechselnd Zug um Zug mit den Ringforts besetzt. Dabei muss zunächst der
Knight’s Move Abstand eingehalten werden, exakt bis zu dem Zeitpunkt, wo einem
Spieler dies nicht mehr möglich ist. Nun kommt es zur Phase der Battles, wo
geänderte Zugbedingungen gelten. Jetzt muss jeweils neben einem „freundlichen“
Ringfort gebaut werden, wobei im gleichen Spielzug etwaige Bridges (Brücken)
platziert werden, sodass größere, verschlungene Königreiche entstehen. Diese
Battle-Phasen weisen allerdings eine ungewöhnliche Doppelschneidigkeit auf.
Einerseits wird bisweilen ein belagertes, gegnerisches Ringfort beseitigt,
andererseits damit jedoch dem Gegner der Gewinnweg geebnet. Es ist bei allen
diesen Variationen eben nicht einfach von Vorteil, Belagerungen erfolgreich
abzuschließen, es kommt vielmehr auf die Form und die Größe der entstehenden Königreiche
an. Die Spiele enden, sobald es keine belagerten Ringwälle mehr gibt. Unmittelbar
danach wird abgerechnet, oft begleitet vom Erstaunen der Spieler über eine
völlige Umkehrung der Lage mit den letzten gesetzten Ringwällen und
Brückenverbindungen.
Wo liegt nun der
Pfiff bei diesem taktischen und strategischen Bauen? Nun, einerseits gilt es in
der ersten Manöverphase seine Ringwälle so zu platzieren, dass später möglichst
große Königreiche entstehen können. Andererseits sollte eine ausreichend hohe
Zahl von Hügeln durch isolierte Ringforts besetzt bleiben, sodass der Gegner
gezwungen ist, diese zu belagern und schließlich zu erobern. Die
Siegbedingungen küren ja, wie schon gesagt, bei diesem irischen
Vernetzungsspiel denjenigen, der weniger Königreiche sein Eigen nennt. Aber
Achtung: Bei Gleichstand sind es die territorialen Vorteile, die den Ausschlag
geben. Jedes verschenkte Ringfort kann sich hier bitter rächen. Die einzelnen
Zug- und Legemöglichkeiten werden in einem ausgezeichnet gestalteten, farbigen
Beiblatt detailliert dargestellt. Das Regelheft selbst erfordert dagegen ein
mehrmaliges Anlesen. Aber hier hilft die im WIN-Steckbrief genannte Website
weiter. Durch visuell einprägsame Beispielpartien kann sich selbst der wenig
versierte Strategiefreund sofort orientieren. Ob es dann gleich zu einem
Triumph reicht, wird sehr vom Gegner abhängen. Nun, schon die Weisheit der
Hochkönige über die Kunst der Entscheidungsfindung besagt: Easy to learn, yet a
lifetime to master!
Wie spielt sich das
Urspiel „High Kings of Tara“? Welcher Unterschied besteht zu den beiden
Varianten des „Sacred Hill“? Und wozu ist mit „Poisoned Chalice“ ein weiterer
Knot & Kingdom Vertreter geschaffen worden? Nun, um es vorweg zu nehmen, es
kommt in jedem Fall darauf an, ob Sie sich für die Spielform der „Königreiche“
oder die der „Schleifen“ entscheiden. Die Zahl der Königreiche ist in der
Endstellung auf einen Blick zu erkennen. Daher kann man hier nach ein, zwei
Probepartien schon im Mittelspiel auf eine Gewinnstellung hinarbeiten. Was
selbstverständlich für beide Spieler gilt. Für die Fortgeschrittenen Freunde der
„Old Irish Strategy“ mag aber das Schleifenspiel noch faszinierender sein.
Leider bedarf es einiger Übung zu erkennen, ob in den einzelnen Königreichen
ein, zwei oder sogar mehr Schleifen gebildet wurden. Mit dem geistigen Auge die
Ringwälle und Schleifenverbindungen entlang zu fahren ist äußerst ermüdend und
auf Dauer dem Spielfluss abträglich. Was nun? Es gibt eine relativ simple
Lösung für dieses Problem, so viel sei gesagt. Die visuell hervorragende
Website offeriert unter dem Titel „Knot-Generation“ ein kleines
Trainingsprogramm, das dem Nachspielenden im buchstäblichen Sinne die Augen
öffnet. Daher meine Empfehlung: schrecken Sie nicht vor der ultimativen
Herausforderung zurück und riskieren Sie ein Schleifenspiel, allerdings nicht
unbedingt in Ihrem ersten Spielversuch. Zurück zu den Varianten. Als Einstieg
scheint mir „Poisoned Chalice“, das allerdings nicht in der mitgelieferten
Regel enthalten ist, optimal geeignet. Die Regeln sind leicht mit dem oben
erwähnten Grundvokabular zu erfassen. Die ersten Steinplatzierungen laufen
ziemlich automatisch ab, Sie sind daher sofort mitten im Geschehen. Der zweite
Spielabend könnte zu „Sacred Hill“ (Level 1) führen. Hier wird noch ohne
die Könige Stein um Stein gesetzt und durch den verpflichtenden Brückenbau eine
Verbindung zu Königreichen geschaffen oder eine Belagerung gestartet. Erst nach
diesen Grunderfahrungen würde ich die „High Kings of Tara“ in Angriff nehmen.
Die Bewegung der Könige ist in der ersten Spielphase nicht schwer, allerdings
sind die Rückzüge im zweiten Spielabschnitt eher ungewohnt und daher für den Anfänger
nicht allzu leicht erkennbar. Zuletzt könnte die zweite Schwierigkeitsstufe von
„Sacred Hill“ eine echte Herausforderung darstellen. Hier dürfen Sie nicht
irgendwelche Steinbewegungen machen, sondern sind an neuartige Prioritätsregeln
gebunden. Wunderbar, wie in dieser Spielform die Königreiche, fast von
unsichtbarer Hand gelenkt, langsam anwachsen und die heiligen Hügel überziehen.
Mein persönliches
Fazit: Die High Kings werden auch in unseren Breiten eine Welt für sich
bleiben, ohne Zweifel. Nicht nur der Preis, sondern auch die Schwierigkeit,
dieses Spiel zu erwerben, steht einer weiten Verbreitung diametral entgegen.
Schade, muss der Liebhaber des Strategiespiels jedoch sofort hinzufügen, hätte
doch gerade dieses irische Projekt die Tiefe eines Klassikers in sich, sowohl bezogen
auf den Ideenreichtum als auch auf die optische Umsetzung und Anbindung an
historische Begebenheiten. Schon lange bin ich durch ein abstraktes Spiel nicht
mehr so sehr an ein Kunstwerk erinnert worden als beim Auslegen der Schleifen
und Ringe bei diesen unerwarteten Kells-Ideen. Wer immer zufällig des
verzierten Boards Gewahr wird, kann sich kaum des staunenden Kommentars
enthalten. Faszinierend und wunderschön ist besonders die Deluxe Edition des
„Royal Game of Kells“. Eine ästhetische, braune Lederbox, aus Ton geformte
Spielsteine, die in gedämpften Farben eine dreidimensionale Landschaft auf das
Brett zaubern, sowie elegante Seidentäschchen für die Ring- und Brückensteine,
lassen die längst vergangenen Tage der Welt der Kelten im wahrsten Sinne des
Wortes neu aufleben.
HIGH KINGS OF TARA / SACRED
HILL
Spieler : 2-4
Alter : ab 10 Jahren
Dauer : 30-45 Minuten
Verlag : Tailten Games 1999-2004
www.projectkells.com /
www.tailtengames.com
Autor : Murray Heasman
Grafik : Nicht genannt
Preis : ca. € 35
WIN WERTUNG
Genre : Strategiespiel
Zielgruppe : Freunde des abstrakten Spiels
Mechanismus: Gebiete
formen
Strategie : ******
Taktik : ******
Glück : *
Interaktion : ***
Kommunikation : *
Atmosphäre : ******
Kommentar:
Edition:
Project Kells
Internet:
Animated rules – Poisoned Chalie/Sacred Hill II
Vorgänger:
The Game of Kells (1998)
Vier Spiele in
einer Box
Hervorragende Optik
Historischer
Hintergrund
Easy to learn, yet
a lifetime to master!
Hugo Kastner: Das Irland der Kelten zu lieben ist keine
Voraussetzung, um „High Kings of Tara“, „Sacred Hill“ (zwei Spiele) oder
„Poisoned Chalice“ in Angriff zu nehmen. Kombinatorisches Denken, ein Blick für
die Spieltiefe und Freude am Abstrakten sind dagegen unbedingt nötig, wollen
Sie in den Genuss eines ungewohnten Spielerlebnisses kommen. Wer mit den Ideen
des „Projekts Gipf“ (Gipf, Tamsk, Zertz, Dvonn und Yinsh) etwas anzufangen
weiß, dem werden auch die verschlungenen, visuell meisterhaft umgesetzten Heasman-Ideen
gefallen.
Hugo Kastner