WIRTSCHAFTSSPIEL
DER EXTRAKLASSE
Indonesia
Exotische Handelsimperien
Mit seinen mehr als 17.000 Inseln, davon
6000 bewohnten, bildet der endlose Archipel „Inselindiens“, so die
etymologische Deutung des Namens dieses Staates, den Hintergrund für ein faszinierendes,
wie auch ungewöhnlich forderndes Handelsspiel. Drei bis vier Stunden müssen Sie
sich schon Zeit nehmen, um die malaiische Welt durch Warenanbau und
Unternehmensgründungen zu entwickeln, um Schifffahrtslinien zu etablieren und
Gütertransporte sicher zu stellen. Allein schaffen Sie es in der verfügbaren
Zeit – gerechnet wird bei Wiersinga/Doumen in den Dimensionen Ära und Jahr –
keinesfalls, diesen Archipel durch Reis-, Gewürz-, Kautschuk- oder Öltransporte
in die boomenden Städte Javas, Borneos und Sumatras Gewinn bringend zu
erschließen. Die Mitstreiterinnen um die Macht müssen unbedingt die
Schiffsbäuche ihrer Linien für Ihre Waren frei halten, was sie nur gegen
klingende Münze zu tun bereit sind. Ständig drohende Fusionen lassen aus Ihren
aufstrebenden Unternehmen Töchter eines noch größeren Tycoons werden. Und
leider sind es nicht immer Sie selbst, die an der Spitze der neuen Imperien
stehen. Im richtigen Moment die strategischen Positionen zu besetzen, macht den
Reiz dieses auf Alt getrimmten Spiels aus. Schon der erste Blick auf das
Schachtelcover vermittelt das Gefühl, unsere gewohnten, bunten Spielwelten für
die nächste Zeit verlassen zu müssen – oder vielleicht sollte ich sagen:
„verlassen zu dürfen“. Verstärkt wird dieser Eindruck, wenn die Landkarte
Indonesiens auf dem Tisch ausliegt. Mit verschnörkelter englischer
Schreibschrift gestaltet, fordern die topografischen Namenszüge fast zu einem
einleitenden Studium der Karte heraus: Aceh, Lampung, Kalimantan Timur, Java
Barat, Sulawesi Tenggara, Halmahera, Papua. In diesem Ton geht es weiter auf
den in gedämpften Brauntönen gehaltenen Inseln. Selbst das Meer, durch feine
blaue Linien in Abschnitte unterteilt, passt sich den Ockertönen der Landmassen
an. Kleine Warnung jedoch: Beste Lichtverhältnisse sind hier unbedingt
angebracht. Für den Geografen – und ich selbst bin einer aus dieser Spezies –
kommt das wunderbare Gefühl auf, endlich einmal eine echte Landkarte vor sich
zu haben, auf der so fast nebenbei auch gespielt werden darf. Staunend findet
man sich in einer exotischen, längst vergangenen Welt wieder. Und noch ein
letztes Wort der Einleitung. Das Indonesien der Kolonialepoche ist nicht nur
ein ungewöhnlicher, historischer Ort für dieses Wirtschafts- und Handelsspiel,
sondern die Geografie dieses südostasiatischen Territoriums, mit seiner
außergewöhnlichen Verzahnung von Land und Wasser, wie sie sonst nirgends auf
unserer Erde zu finden ist, bildet die unverzichtbare Grundlage für ein
ungemein anspruchsvolles Handelsabenteuer. Hier ist der physisch-geografische
Hintergrund ausnahmsweise mal nicht nur werbewirksame Kulisse. Jetzt aber auf
zum eigentlichen Spiel …
Die Vorbereitung hält sich im Verhältnis zur
Spieldauer in wohltuend überschaubaren Grenzen. Jede Spielerin erhält 100
Rupien, eine Stadtbaukarte (bei zwei Spielerinnen zwei), sowie sechs Marker,
die auf die ersten Felder der im Plan integrierten Entwicklungsleisten
platziert werden. Zuletzt müssen noch Besitzurkunden für die diversen
Unternehmen auf die entsprechenden Provinzen verteilt werden. Durch das
aufgedruckte Koordinatensystem findet man selbst bei geringer geografischer
Vorkenntnis schnell die richtige Zuordnung. Das war es bereits, die folgenden
Stunden gehören ganz dem Aufbau der Wirtschaftsimperien.
Die Ablaufstruktur dieser holländischen
Spielidee spiegelt auch die Zeitkomponente der realen Welt wider. Unterteilt
wird das Spiel in drei Epochen (Ära a, b und c), die wiederum in eine
unterschiedliche Zahl von Jahren zerfallen. In diesen Zeitabschnitten müssen
sieben Phasen absolviert werden, bisweilen in mehreren Durchgängen. Um diesen
Ablauf zu versinnbildlichen, wird jeder Spielerin ein kleiner Memokarton zur
Verfügung gestellt, der zudem auch Platz für die diversen Geldtransaktionen
bietet. Hier mag sich dieser Zeitplan spröde und umständlich lesen, im
eigentlichen Spiel läuft alles logisch und folgerichtig ab, so viel sei bereits
an dieser Stelle betont.
Bei der Beschreibung des folgenden
Spielablaufs möchte ich auch die englischen Ausdrücke verwenden, da diese auf
dem Spielplan sowie den Spielermemos aufgedruckt sind. Phase 1, neue Ära („New
Era“), wird jeweils durch das Gründen je einer Stadt pro Spielerin (je zwei bei
zwei Spielerinnen) eingeläutet. Dafür kommen nur bestimmte Provinzen in Frage,
die auf den zufällig gezogenen Stadtbaukarten markiert sind. Die jungen
Unternehmensplättchen werden ebenfalls in dieser Phase den Provinzen zugeordnet
und damit die Voraussetzung für das Handelstreiben geschaffen.
Phase 2 („Bid for Turn Order“) erlaubt durch
ein einmaliges Gebot die Spielreihenfolge für das laufende Jahr zu
beeinflussen. Wer höher bietet, oder durch den Entwicklungsmarker mehr
Finanzpower mitbringt, wird als erste zum Zug kommen.
Phase 3, Fusionen
(„Mergers“), bildet einen Kernpunkt dieses Spiels. Wer genügend Platz („Slots“)
und Geld hat, darf zwei gleiche Produktions- oder Transportunternehmen
miteinander verschmelzen lassen. Allerdings geht dies nur in einem beinharten
Auktionsvorgang, an dem sich die bisherigen Besitzer der Unternehmen, wie auch
alle Spielerinnen, die persönliche Platzreserven haben, beteiligen können.
Sollte das neue Megaunternehmen eine gänzlich neue Besitzerin finden, werden
die bisherigen Teile entsprechend dem Auktionserlös abgegolten. Fusionen dürfen
grundsätzlich nur zwischen Unternehmen der gleichen Art abgewickelt werden,
d. h. Reis mit Reis, Kautschuk mit Kautschuk, usw. Dies gilt auch für die
Schiffsketten, deren Tochtergesellschaften allerdings zur leichteren
Orientierung durch farbgleiche Schiffstypen gekennzeichnet werden sollten. Die
neu erworbenen Besitzurkunden – fusionierte Teile bilden immer einen
Gesamtkomplex – werden einfach vor den Spielerinnen abgelegt. Ausnahme von
dieser Fusionsregel bilden allein die Reis- und Gewürzunternehmen, die,
miteinander fusioniert, einen Fastfoodkonzern bilden („Siap Faji“), der durch
eigene, teurere Marker gekennzeichnet ist.
In Phase 4, Neuerwerbungen
(„Acquisitions“), dürfen Spielerinnen, die auf der Entwicklungsleiste einen
„Slot“ frei haben, neue Besitzurkunden an sich nehmen. Das klingt genau so
einfach wie es auch ist. Keine Kosten, keine Mühen. Es wird einfach die
gewählte Urkunde ins Depot genommen sowie ein Warenmarker in die entsprechende
Provinz gelegt, beziehungsweise ein Schiff in eines der unmittelbar an die
Provinz grenzenden Meeresfelder gesetzt. Bereits vorhandene Schiffe haben auf
diese Entscheidung keinen Einfluss.
Ebenso schnell und locker geht die folgende
Phase 5, Forschung & Entwicklung
(„Research & Development“), vor sich. In einem von fünf möglichen
Bereichen darf der Marker um ein Feld nach vor geschoben werden, einmalig pro
Spieljahr. Die Wahl reicht von „Slots“ (Plätzen für Besitzurkunden), „Mergers“
(maximale Zahl der an einer Fusion beteiligten Unternehmen), „Hull Player“
(Anzahl der Güter, die ein Schiff transportieren darf; siehe unten),
„Expansion“ (maximales Wachstum eines Unternehmens in der folgenden
Operationsphase; siehe unten) bis zu „Turn Order Bid“ (Betrag, der das Gebot
bei der Spielreihenfolge um ein Mehrfaches steigert). Zur besseren Übersicht
sollte auch die Ladekapazität der einzelnen Schiffslinien durch einen
Schiffsmarker festgehalten werden.
Die Operation von Unternehmen
(„Operations“), ein weiteres Kernstück von „Indonesia“, bildet Phase 6.
Entsprechend der Spielreihenfolge werden mehrere Durchgänge abgespult, bei
denen entweder Schiffsunternehmen expandieren – mindestens um ein Schiff pro
Unternehmen – oder Produktionsgebiete Waren verkaufen. Das Spannende daran ist
die gegenseitige Abhängigkeit dieser Operationen. Waren können nämlich nur dann
transportiert werden, wenn zwischen Anbaugebiet und Zielstadt eine direkte
Schiffsverbindung besteht, egal wem diese Linie auch gehören mag. Ist es eine
der Rivalinnen um die Handelsherrschaft im Archipel, muss pro Schiff eine
Gebühr von fünf Rupien erbracht werden. Das kann bei weiten Transporten den
Ertrag bis ins Minus schmälern. Und eine der Spielbedingungen schreibt jeden
Transport zwingend vor, sollte dieser handelstechnisch möglich sein. Konnten in
einem Gebiet alle Waren eines Unternehmens einen Abnehmer finden, darf das
Unternehmen gratis um eine bestimmte Zahl von Anbau-Feldern (im wortwörtlichen
Sinn) expandieren. Reihum wird jede Operation vollständig abgewickelt, bevor
die nächste Spielerin ihr Glück versucht. Die entsprechenden Unternehmensurkunden
werden zur Markierung umgedreht, wie auch die gelieferten Warenplättchen. Sie
sehen schon, technisch ist diese das Spiel bestimmende Phase leicht zu
bewältigen. Im realen Ablauf allerdings sind manche Städte bereits an ihrer
Kapazitätsgrenze angelangt, bevor man überhaupt selbst zum Liefern aus eigenen
Anbaugebieten kommt. Und die hohen Schiffsgebühren lassen den Ertrag auch oft
und oft unter die Amortisierungsschwelle fallen. Die ökonomischen Grundregeln
werden in diesem Abschnitt zum Leidwesen mancher Unternehmerin nur allzu
deutlich sichtbar. Jeder kleine Planungsfehler kann katastrophale Wirkung
zeigen.
Zuletzt wird in Phase 7, Städtewachstum
(„City Growth“), geprüft, ob die Bedingungen für ein Anwachsen gegeben sind.
Hat eine Stadt (durch eine grüne Glasperle gekennzeichnet) von jedem auf dem
Plan befindlichen Warenmarker ein Stück geliefert bekommen, wächst sie auf die
nächste Größe an. Um schließlich eine Metropole (rote Glasperle) zu werden,
müssen in einem der Folgejahre jeweils zwei der in den Weiten des Archipels
produzierten Waren in die mittelgroße (gelb markierte) City geschifft werden.
Eine Einschränkung dieser Regel darf nicht verschwiegen werden. Von gelben und
roten Glasperlen sind nur abgezählte acht bzw. drei Stück vorhanden. Der Kampf
um das Wachstum entbrennt daher bereits sehr früh im Spiel.
Sobald am Beginn der ersten Phase nur mehr
Besitzurkunden eines einzigen Unternehmens auf dem Plan liegen, beginnt eine
neue Ära mit dem bereits erwähnten Gründen von Städten sowie Auflegen von
Unternehmensurkunden. Dies ist der ewige Zyklus in der malaiischen Inselwelt.
Wer am Ende das meiste Geld hat, gleichsam der Raja der Rupien, ist der
verdiente Gewinner dieses ungemein fordernden Spiels.
Nun zur kritischen Betrachtung dieses
Abendfüllers. Zunächst eine kleine Warnung. Die Regeln sind, obwohl an sich
schlüssig, nicht wirklich leicht zu erfassen, vor allem, wenn dies im
Selbststudium geschieht. „Indonesia“ durch jemanden anderen erklärt zu
bekommen, ist daher der bei weitem einfachere Weg. Das Material ist schon auf
den ersten Blick außergewöhnlich, einfach deshalb, da alles auf Alt getrimmt
ist. Vielleicht mit Ausnahme der Schiffe, die stilvoller gestaltet sein
könnten, und die (in dieser Preisklasse) auch in größerer Zahl vorhanden sein müssten.
Es wird in der dritten und letzten Ära schon mal knapp mit den
Transportmitteln. Spieldauer und Spieltempo scheinen mir dagegen passend für
die Zielsetzungen der Autoren zu sein, wenngleich mit „Indonesia“ zweifellos
nur eine schmale Gruppe von Liebhabern der Expertenspiele angesprochen sein
dürfte. Wird einmal der Rhythmus gefunden, fallen die Entscheidungen der
Spielerinnen folgerichtig und zügig genug aus, um dem Freund von Handelsspielen
jede unnötige Langatmigkeit zu ersparen. Die Warenplättchen wollen jedoch
erstmal auf die richtigen, sehr knapp bemessenen Plätze gesetzt werden. Hier
ist Fingerspitzengefühl im wahrsten Sinn des Wortes vonnöten. Beim Anspruch,
die geografische Ausdehnung des Archipels möglichst realistisch auf den
Spieltisch zu bringen, mussten die Autoren und Grafiker offensichtlich
Konzessionen an den verfügbaren Platz machen. Realistisch jedenfalls ist sie
allemal geworden, diese südostasiatische Inselwelt. Leicht sind die langfristig
wirkenden Entscheidungen beim Fusionieren, beim Weiterschieben der
Research-Marker oder in der Operationsphase keinesfalls. Im Gegenteil, das
Abwägen von Kosten und Nutzen, das Abschätzen der strategischen Möglichkeiten
in der Operationsphase, die Überlegungen, wann und wohin zu expandieren, das simple
Überblicken des Spielgeschehens, alles erfordert Entscheidungskompetenz,
Vorausahnung und eine kleine Portion Blufffähigkeit. So ganz genau lassen sich
die Geldreserven der Spielerinnen von außen nicht immer überblicken.
Mein persönliches Fazit: Uns wurde die Zeit nicht lang im Indonesien
des Joris Wiersinga und Jeroen Doumen. Im Gegenteil, der Reiz des Exotischen,
die visuell wunderbar erfassbare Entwicklung der Handelsimperien, die starke
Interaktion durch die ständigen Fusionen, die Verzahnung von Land und Wasser,
die optisch elegant transportierte Ausdehnung der Reis-, Gewürz- und Kautschukplantagen, noch dazu in
geografisch und klimatisch passenden Regionen, und nicht zuletzt die bis zum
Ende der letzten Ära anhaltende Spannungskurve, machen dieses neue
Splotter-Spiel in meinen Augen zu einem wahren Vergnügen. Voraussetzung sind
allerdings Mitspielerinnen, die auch die Feinheiten eines Handelsabenteuers zu
schätzen vermögen, in dem die Bewegung der Schiffe oder der Transport der Waren
nicht real am Spieltisch erfolgt, sondern vielmehr in den Köpfen der
Unternehmensbesitzerinnen. Voraussetzung ist auch der Zeitrahmen eines vollen
Spielabends und die nötige Spielenergie aller Handelspartnerinnen. Denn die
Sundainseln Java, Sumatra, Borneo, Sulawesi, dazu die Molukken und Papua wollen
erst einmal erschlossen werden. Nichts geht hier auf die Schnelle. „Indonesia“
kommt sozusagen leise daher, hat aber in Spieltiefe und Anspruch an alle ein
ungeheuer großes Potenzial. Dennoch wird dieses Spiel nur einem elitären Kreis
von Experten, die gleichzeitig Handelsgelüste haben, wirklich Spaß machen. Zu
viel Schweiß und Mühe steckt letztlich im Auf- und Ausbau der
Wirtschaftsimperien. Für mich persönlich, da ich doch ein Liebhaber des
Anspruchsvollen bin, war es jedoch bereits spannend, das Regelheft durch
gleichzeitiges Durchspielen einer Ära genauer kennen zu lernen. Daher mein Rat:
Suchen Sie sich zuerst Ihre Partnerinnen und wagen Sie sich erst dann an dieses
exotisch anmutende Asienabenteuer heran.
Hugo
Kastner
Die Faszination der Autoren
mit Geografie und Wirtschaft wird in diesem Handelsspiel mehr als deutlich. Für
die Spielerinnen erschließt sich eine anspruchsvolle, ungewöhnlich dichte Welt
des kolonialzeitlichen Entstehens von Wirtschaftsimperien in einer exotisch
anmutenden Region unserer Erde.
ÜBERBLICK
Autor: Joris
Wiersinga, Jeroen Doumen
Grafik: Yinze
Moedt, Jeroen Kesselaar
Vertrieb: Fachhandel
Preis: ca.
60 Euro
Verlag: Splotter
Spellen 2005
Spieler: 2-5
Alter: 12
Dauer: 180-240
BEWERTUNG
Genre: Handelsspiel
Zielgruppe: Experten
Mechanismus: Kauf
und Transport
Strategie: *****
Taktik: ******
Glück: *
Interaktion: ******
Kommunikation: ***
Atmosphäre: ******
Kommentar:
Differenzierte Siegstrategien
Geringe Glückselemente
Überlange Spieldauer
Komplexer Aufbau
Intensives Regelstudium
„Roads & Boats“ oder „Antiquity“ vom
gleichen Autorenteam geben einen Vorgeschmack auf dieses abendfüllende
Handelsabenteuer. „Indonesia“ bietet jedoch deutlich mehr Interaktion.