Rezension

 

Willkommen im Unterwasser-Kosmos!

 

OZEANE

 

Evolution unter Wasser

 

Evolution ist ein spannendes Thema, das erfreulicherweise immer wieder in der Welt der Spiele Eingang findet. Gleichnamig sogar seit rund fünf Jahren am Markt, startete ein gelungen konzipiertes, weil sehr atmosphärisches Entwicklungsspiel zum Thema, dem 2017 ein abgespeckter, jedoch nicht minder unterhaltsamer Nachfahre mit Evolution: Der Einstieg folgte. Nun hat die Spiele-Evolution erneut zugeschlagen, das Konzept adaptiert und in eine andere Umgebung transferiert

 

„Wow, was für tolle, bunt designte Karten!“ denkt man sich spontan nach Öffnen einer, solch einen Wow-Effekt erhoffen lassenden Box. Und das Design passt auch insgesamt: Populationsmarker in Rifffisch-Design – ja, Nemo ist auch dabei, nette Riff-Kartonage, lediglich der Spielregel würde ich „Luft nach oben“ bzw. „verwirrend“ unterstellen – Durchtauchen angesagt, es zahlt sich aus! Dementsprechend zögerlich lassen wir unsere erste Spezies ins Riff – bestückt mit vorerst einer Spezial-Eigenschaft, die dabei helfen soll, die kommenden Zeitalter zu überdauern und nicht auszusterben. Doch was soll ich nehmen? „Filtrieren“ und so friedlich, an einen Blauwal erinnernd ordentlich Nahrung aufnehmen und damit gleich den Bestand der Spezies ausweiten, „Schmarotzen“, und dabei die Nachbar-Spezies um ein paar Populationsmarker erleichtern oder gar mit „Spitzenprädator“ fremde Spezies angreifen? Freilich dürfen weder Schutzfunktionen wie Schwarm oder Transparenz aktiv, noch deren Verteidigungswert zu hoch sein, was „Tintensprüher“ vorerst ausschließt. Wenn’s passt, schnabuliert der Räuber dessen Bestand klein – ganz zur Freude von Hai-Putzern, die – vergleichbar mit den Schmarotzern – quasi mitnaschen dürfen.

 

Altern bringt’s!

 

Wem jetzt „Fressen und gefressen werden“ einfällt, der liegt aber nur bedingt richtig, denn ganz ausrotten geht so nicht. Das passiert nur, wenn eine Spezies nicht mehr altern kann, sprich, keinen Populationsmarker nach dem Fressen mehr aufweist. Sang- und klanglos verschwindet dann die Spezies von der Land- – pardon – Meereskarte, und mit ihr deren Eigenschaftskarten. Bitter, aber nicht fatal. Also schnell noch etwas gefressen, um das Aussterben zu verhindern und so weiter Punkte zu kassieren, besser gesagt einen pro eigener Spezies, und zwar unabhängig von der Bestandsgröße, was Punkte-Optimierer zu breiter eigener Spezien-Vielfalt motiviert, doch aufgrund der Beschränkung, nur eine Spezies fressen lassen zu können, eingedämmt wird – Parasitieren angesagt!

 

Die Kambrische Explosion

 

- und damit Phase 2 im Spiel – beginnt, wenn das Riff leer gefressen ist und es muss – wie das leider ja auch die Fisch-Industrie gnadenlos tut – die Tiefsee als Nahrungsquelle herhalten. Zusätzliche (Tiefsee)Eigenschaftskarten werden dabei ins Meeres-Getümmel geworfen, Ereignisse nehmen Einfluss und es werden nun mehr Karten gespielt, was das Spiel beschleunigt – gut so, denn man kennt sich ja schon aus und hat sich aufgestellt. Satte 89 verschiedene (!) Eigenschaften hat man sich einfallen und (toll) gestalten lassen, ja sogar die geistigen Schöpfer sind namentlich angeführt. Zwar nicht perfekt ausgewogen und abgestimmt, dafür definitiv das Salz in der Meeressuppe, schrauben sie Glücks- und Interaktionsfaktor nach oben, Planungssicherheit nach unten. Es wird extremer, wie Karten à la „The Kraken“, der zwei zusätzliche Angriffe bei enormem Angriffswert erlaubt, zeigen, ja mitunter sogar „überdreht“, nimmt man „Superhirn“, „Gen-Übertragung“ oder „Cthulhu-Blutsauger“ als Beispiel, die vielleicht eher als eigene „Trash“-Erweiterung gesehen werden sollten. Sich verschiedene Tiefsee-Kartendecks nach ein paar Partien (um nicht den Überraschungseffekt zu gefährden) je nach Spiel-Verlaufswunsch zusammenzustellen, ist durchaus empfehlenswert!

 

Allzu lange dauert es danach ohnehin nicht mehr, bis auch die letzten Nahrungsreserven futsch sind, was noch eine meist tüftelige Schlussrunde nach sich zieht, in spätestens der das Bestand-Hochfressen besonders wichtig ist, zählt der Schluss-Bestand doch für die Wertung.

Da kommt es besonders darauf an, nicht in die Über-Populationsfalle zu geraten und im Extremfall nicht wegen eines zu viel erhaltenen Fisches auf halben Maximal-Bestand gekürzt zu werden. Zufall, Unübersichtlichkeit und potentiell heftige Interaktion können so den Spielstand durcheinander wirbeln, oft zugunsten des Schluss-Spielers, der zwar auf anfängliche Bonus-Punkte (leider kein adäquates Steuerungsmittel) verzichten muss, aber eben kein Risiko mehr eingeht. Nichts für Planungsfüchse, originell für Spaß-Spieler.

 

Ozeane ist ein wunderschön designtes, Karten-basiertes, insbesondere in der vollen Ausbau-Stufe komplexes Entwicklungsspiel für ambitionierte Familienspiel-Spieler und Vielspieler mit atmosphärischem Tiefgang ab Teenager-Alter, Tendenz: Erwachsene. Nicht immer leicht in der Handhabung und Regel-Einhaltung, kann es gelegentlich zu Tüftelei ausarten – doch sollte es das nicht, denn angesichts des hohen Interaktions- aber auch Nachzieh-Glücksfaktors kann viel Unvorhersehbares, mitunter Entscheidendes passieren. Spannend und unterhaltsam, wie Evolution eben ist!

 

Thomas Bareder

 

Spieler: 2-6

Alter: 14+

Dauer: 90+

Autor: Nick Bentley, Dominique Crapuchettes, Ben Goldman, Brian O'Neill

Gestaltung: Ben Goldman, Catherine Hamilton, Guillaume Cucos & Team

Preis: ca. 55 Euro

Verlag: Schwerkraft Verlag 2020

Web: www.schwerkraft-verlag.de

Genre: Entwicklung

Zielgruppe: Mit Freunden

Version: de

Regeln: de en

Text im Spiel: ja

 

Kommentar:

Wunderschönes Material

Thema gelungen umgesetzt

Optimierungsmechanismen

Viel Atmosphäre

 

Vergleichbar:

Evolution und Varianten

 

Andere Ausgaben:

Sammler-Edition, Kickstarter

 

Meine Einschätzung: 6

 

Thomas Bareder:

Der Vorgänger Evolution empfiehlt sich eher für planungswillige Strategen und Taktiker, Ozeane sollte eher Eigenschafts-Kombinations-Optimierer und Trash-Fun-Spieler mit Hang zum Anspruchsvollen ansprechen.

 

Zufall (rosa): 1

Taktik (türkis): 3

Strategie (blau): 3

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 0

Interaktion (braun): 2

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0