Im Schatten des Big Ben

 

Portobello Market

 

Atmosphärisches Wochenmarktgewusel im alten London

 

Nein! Nicht noch ein Eisenbahnspiel! Das war mein Gedanke, als ich bei einem Spieletreff den Plan von Portobello Market im Vorbeigehen auf dem Tisch liegen sah. Zu stark erinnerte die Streckenführung an ein Zug um Zug, das ja auch inzwischen in den verschiedensten Varianten und Erweiterungen den Markt zu erobern versucht. Bis ich näher kam und sah, dass die von Michael Menzel wie gewohnt liebevoll gezeichneten, filigranen Details in Wirklichkeit Häuser, Plätze, Straßen und Menschen mitten im London des Jahres 1921 darstellten. (Na gut, das Jahr konnte ich nicht erraten, das stand in der Spielregel, die kleinen Kutschen und Gebäude auf dem Spielplan lassen aber durchaus auf den Beginn des 20. Jahrhunderts schließen.) Und da war für mich als London-Fan klar, dass dieses Spiel eine genauere Betrachtung erforderte.

Das Ziel besteht, wie bei Aufbauspielen üblich, darin, seine Marktstände so geschickt nach speziellen Regeln auf dem Spielplan zu platzieren, dass man am Ende des Spiels die meisten Punkte hat. Bei Portobello Market gibt es diese Punkte durch verschiedene Wertungen, deren Zeitpunkt die Spieler individuell (mit-)bestimmen können. Doch dazu später mehr.

 

Prinzipiell nicht schwierig                                                  

Das Spielprinzip ist auf lediglich vier gut bebilderten Seiten leicht verständlich zusammengefasst, es gibt aber auch nicht wirklich viel zu beachten. Abhängig von der Spielerzahl erhält jeder Mitwirkende bis zu 30 hölzerne Marktstände in seiner Farbe, ein kleines Tableau aus Pappe, das die verschiedenen Wertungsmöglichkeiten übersichtlich wiedergibt, sowie drei Aktionsplättchen, deren Zahlenwert von zwei bis vier angibt, wie viele Aktionen man durchführen darf, wenn man gerade an der Reihe ist.

Ein über den Markt patrouillierender Bobby in Form eines Holzpöppels wird in einen beliebigen Distrikt gestellt (die Bereiche zwischen den einzelnen Gassen) und schon kann der Marktaufbau beginnen.

Dazu wählt der Spieler am Zug eines seiner Plättchen und setzt dann entsprechend oft entweder einen seiner Marktstände auf den Plan oder zieht einen Kunden (ebenfalls aus Holz) aus einem Stoffbeutel, den er auf einen der noch freien Plätze setzt. Diese beiden Aktionen darf er in beliebiger Reihenfolge durchführen, auch mehrmals dieselbe hintereinander, und dreht anschließend das eingesetzte Aktionsplättchen um. Erst, wenn alle Plättchen eingesetzt wurden, hat er im darauf folgenden Zug wieder die freie Auswahl aus bis zu vier Aktionen zur Verfügung. Das war’s dann auch schon. Fast.

 

Unter den Augen des Gesetzes:

Na gut, ein paar Regeln für das Einsetzen der Marktstände sind auch noch zu beachten: Gassen dürfen nur von außen nach innen mit Ständen ausgestattet werden und ein neuer Stand muss immer direkt neben einem bereits stehenden aufgestellt werden. Damit dabei auch alles seine Richtigkeit hat, dürfen Stände nur dort gebaut werden, wo der Gesetzeshüter sein kontrollierendes Auge auf das Bauvorhaben werfen kann. Sprich: Ein Markstand darf nur in eine Gasse neben dem Distrikt gesetzt werden, in dem sich der Bobby gerade befindet.

Wer unbedingt seinen Marktstand an anderer Stelle aufschlagen möchte, kann auch das tun, indem er zu einem beliebigen Zeitpunkt einfach den Bobby versetzt. Überquert dieser dabei unbebaute Gassen oder solchen, in denen gegnerische Stände in der Überzahl sind, kostet das allerdings einen Siegpunkt.

 

Sieg nach Punkten

Und damit sind wir auch schon bei der eingangs gestellten Frage angekommen, warum wir überhaupt am Marktaufbau teilnehmen. Selbstverständlich, um Siegpunkte zu erlangen. Und die werden bei Portobello Market nach einem cleveren Prinzip verteilt. Die einfachste Möglichkeit, Punkte zu sammeln, besteht darin, auf seinen Zug komplett zu verzichten und stattdessen entweder sein 2er oder 4er Plättchen in einen beliebigen Distrikt zu legen. Alle eigenen Marktstände in angrenzenden Gassen werden dann addiert und mit der Zahl auf dem Plättchen multipliziert. Wer hier zu lange wartet, kann allerdings Pech haben, denn jeder Distrikt darf nur einmal gewertet werden. Möglich, dass einem ein Mitspieler einen lukrativen Distrikt vor der Nase wegschnappt.

Des Weiteren wird sofort gewertet, wenn eine Gasse komplett mit Ständen belegt ist und sich auf beiden Plätzen an den Enden der Gasse Kunden befinden. Ja nach Farbkombination der dort stehenden Kunden werden die Werte der Marktstände aller beteiligten Spieler mit einem unterschiedlichen Faktor multipliziert. Das klingt nach umständlicher Rechnerei, ist aber im Spielverlauf viel überschaubarer, als es sich hier liest. Schließlich gibt es am Spielende eventuell noch eine so genannte Lordwertung, bei der dann auch unvollständige Gassen gewertet werden. Wer dann die meisten Punkte hat, gewinnt. Es ist wie so oft: Je einfacher die Regeln, desto komplexer die Überlegungen, die getroffen werden müssen, um gut mitzuhalten. Wann werte ich einen Distrikt, wann setze ich welches Aktionsplättchen ein? Wohin setze ich meine Stände oder sollte ich doch lieber einen Kunden aus dem Beutel ziehen? Alles bedingt sich gegenseitig, ist hervorragend austariert und das macht Portobello Market wirklich rund. Allerdings sollte man notorischen Grüblern ruhig ab und an auf die Füße treten, denn irgendwann muss jeder Markt einmal stehen.

 

Zug um Zug zum Sieg

Und was ist nun mit dem Eisenbahnspiel? Tja, so ganz falsch lag ich damit nicht, hat doch Thomas Odenhoven seinen Prototypen einst tatsächlich als solchen konzipiert und im Jahr 2006 als „East India Railway“ beim Hippodice Autorenwettbewerb ins Rennen geschickt – und prompt den Wettbewerb gewonnen. Das neue Thema ist aber bei weitem nicht so abgenutzt und die Mechanismen fügen sich nahtlos auch in das Londoner Marktgewühl ein, sodass die redaktionelle Überarbeitung dem Spiel zweifellos gut getan hat. Atmosphärisch, spannend, kurzweilig und mit prägnanten, eingängigen Regeln. was will man mehr? Um mal bei dem Thema zu bleiben: Für Portobello Market ist der Zug noch lange nicht abgefahren. Auf ins Marktgewühl!

 

Stefan Olschewski

 stefan@stefanmagie.tobit.net

 

Überblick

 

Spieler: 2-4

Alter: ab 8 Jahren

Dauer: ca. 35 Min.

 

Autor: Thomas Odenhoven

Grafik: Michael Menzel

Vertrieb: Schmidt

Preis: ca. 30,- Euro

Verlag: Schmidt Spiele

 

Genre                    : Setz- und Optimierungsspiel

Zielgruppe             : Familie und Freunde

Mechanismen         : Material einsetzen für Punkte

 

Strategie                : *****

Taktik                    : ******

Glück                     : **

Interaktion             : **

Kommunikation      : ***

Atmosphäre           : *****

  

Kommentar:

Thema trägt Spielprinzip sehr gut
Funktioniert auch hervorragend zu zweit
Einfache Regel, große Spieltiefe
Variante schließt Glücksfaktor gänzlich aus

 

Vergleichbar:

Paris Paris (Abacus)
Zug um Zug (Days of Wonder)

 

Stefan Olschewski:

Ein tolles, durchdachtes Taktikspiel mit hervorragendem Material, eingängigen Regeln und schöner Spielatmosphäre, die zum Erlebnis positiv beiträgt. Durch die völlig glückfreie Variante auch für Experten eine Herausforderung.