PERLEN DER SPIELKUNST ◄ AUS DEM MUSeuM
HUGO KASTNER EMPFIEHLT
mensch ärgere dich nicht
„… auf dem die Spielkultur Europas basiert“
Liebe Leserin, lieber Leser! Das Spiele-Buch von Erwin Glonegger, ein Meilenstein der Spieleliteratur, wird mit einem der großen Meisterwerke unserer kreativen Schaffenskunst eingeläutet, dem Pachisi, einem direkten „Modell“ für das klassische „Mensch ärgere Dich nicht“. Wie schreibt Glonegger: „Pachisi ist eines der Spiele, auf dem die Spielkultur Europas basiert.“ … Vermutlich ist der Urahn des Pachisi (der Name bedeutet ‚Fünfundzwanzig‘, womit der höchste Wurf gemeint ist) im 6. Jahrhundert in Indien entstanden, woraus sich im Laufe der Zeit durch immer stärkere Verästelungen zahlreiche Variationen herausgebildet haben. In Europa bringt Thomas Hydes „De Ludis Orientalibus“ 1694 einen ersten Hinweis auf dieses Würfellaufspiel. Daher liegt der Schluss nahe, dass Pachisi durch englische Reisende nach Europa kam. Während der Mogul-Hochperiode vom 16. zum 19. Jahrhundert hatte Pachisi nahezu göttlichen Status. Die Kaiser und der Hochadel ließen die Höfe ihrer prachtvollen Paläste mit Marmorplatten auslegen, auf denen lebende Figuren (in der Regel Sklavinnen) hin- und hergeschoben wurden. … Die symbolische Bedeutung des Kreuzplans umreißt der Indienexperte Andreás Lukácsy mit folgenden Worten: „Das Spiel ist … ein Bild des Menschen von seiner Welt, wo die Figuren von einem Zentrum ausgehen (geboren wurden), um dann die Welt in östlicher, südlicher, westlicher und nördlicher Richtung zu umfahren und schließlich, im glücklichen Fall ohne Not, an den Ausgangsort, den Geburtsplatz, zurückgelangen. Wenn die den Menschen symbolisierende Figur unterwegs … stirbt, muss sie wieder geboren werden, um schließlich in das Endziel zu kommen, wo es kein Auferstehen mehr gibt. In diesem Spiel ist also nicht nur das Schema des urtümlichen Weltbildes mit seinen vier Himmerlsrichtungen enthalten, sondern auch der Gedanke der Reinkarnation.“ Kann man die metaphysische Ebene des Pachisi schöner ausdrücken? … [aus: Hugo Kastner - Die große Humboldt Enzyklopädie der Würfelspiele] Wer sich an einem Wettrennen beim Pachisi, oder dem einfacheren „Mensch ärgere Dich nicht“, versuchen möchte, vielleicht sogar im Österreichischen Spielemuseum in Leopoldsdorf, der möge im Eifer des Gefechts die tiefen historischen Wurzeln dieses Klassikers nicht vergessen. www.spielen.at.
Unser Lichtkegel fällt heute auf einen zentralen Bestandteil jedes Spielmagazins, den Würfelklassiker „Mensch ärgere Dich nicht“. Wenn auch in der vereinfachten „Originalversion“ aus dem Jahr 1910 dem „Neuerschaffer“, Verlagsinhaber Schmidt, vermutlich ein familientaugliches Laufspiel vorschwebte, so beweisen einige Bücher wie zahlreiche Artikel, dass „Mensch ärgere Dich nicht“ eine enorme Bandbreite an Variationen erlaubt. Ich möchte Ihnen hier die zumindest subjektiv besten und reizvollsten Ideen vorstellen: (1) Zählweise: Der erste Kegel, der ein Zielfeld erreicht, bringt dem betreffenden Spieler 16 Punkte (falls zu viert gespielt wird), der zweite Kegel 15 Punkte, usw. Gespielt wird bis zum vorletzten Kegel, der das Ziel erreicht. Das heißt, es geht um insgesamt 135 Punkte. (2) Rückwärtsschlagen: Dies ist auch über das Startfeld hinweg möglich, wodurch es bisweilen zu dramatischen Umwälzungen im Stellungsbild kommt. (3) Zielfelder: Ein Überspringen ist beim Einlaufen auf die entsprechenden Felder a, b und c nicht gestattet. (4) Ausputzer: Jeder Spieler darf mit einer Zusatzfigur in seiner Farbe auf dem Startfeld beginnen. Diese muss sich jedoch deutlich von den übrigen Kegeln abheben. Wer am Wurf ist, darf entscheiden, ob er einen Kegel oder seinen Ausputzer, der immer entgegengesetzt dem Uhrzeigersinn läuft und ständig das Spielfeld umkreist, bewegen möchte. Der Ausputzer darf gegnerische Kegel schlagen, jedoch auch geschlagen werden. Gelingt Letzteres einem Spieler, bekommt er sofort einen weiteren Ausputzer auf sein Startfeld. (5) Räumung: Das Startfeld muss immer sofort mit dem nächsten Wurf geräumt werden. Ausnahme: Das Heimfeld ist bereits leer. (6) 3x-Wurf: Wer keinen Kegel im Umlauf hat (Ausputzer ausgenommen), darf bis zu dreimal würfeln, das heißt, bis eine 6 fällt. Voraussetzung ist, dass etwaige Kegel im Ziel auf den höchstmöglichen Feldern (d, c, b) stehen. (7) Teamspiel/Blockade: Stehen im Teamspiel zwei Kegel einer Mannschaft auf einem Feld, ist dieses blockiert. Das heißt, die Gegner können dieses Feld nicht überwinden. Um die Blockade aufzuheben, muss ein Spieler einen der beiden Kegel herausschlagen und danach nochmals würfeln, um seinen eigenen Kegel vom Blockadefeld wegzubewegen. Der Ausputzer darf Blockadefelder niemals betreten. Ebenso wenig dürfen mehr als zwei Steine auf einem Feld stehen. (8) Doppelstein: Zwei Kegel, die eine Blockade bilden, dürfen gemeinsam gezogen werden, wenn das Zielfeld frei oder nur durch einen gegnerischen Kegel besetzt ist. Der Doppelstein darf jedoch auch jederzeit aufgelöst werden. (9) Doppelzug: Wer einen Stein raus wirft, darf nochmals würfeln und ziehen. Alle diese Ideen warten auf Ihr kreatives Experimentieren – bitte jedoch ohne allzu viel Ärger!
Rückmeldungen an: hugo.kastner@chello.at Homepage: www.hugo-kastner.at
EMPFEHLUNG # 57
Autor: Schmidt
Preis: 15 €
Jahr: Klassiker - 1910
www.schmidtspiele.de
Spieler: 2-6
Alter: ab 8
Dauer: ab 30 Min.
OOOOOOOOO
Taktik Info± Glück
Wer sich an den oben beschriebenen Varianten versucht, wird bald bemerken, dass auch dieser Klassiker kleine taktische Tricks erlaubt.
Hugos EXPERTENTIPP
Variieren Sie die einzelnen Spielrunden, indem Sie die hier vorgestellten Ideen nach Belieben mischen. Absolut empfehlenswert ist übrigens die Teamvariante!
Hugos BLITZLICHT
„Mensch ärgere Dich nicht“ ist nicht nur zufällig zu einem der beliebtesten Spiele des 20. Jahrhunderts geworden. Der Ärgerfaktor ist enorm – trotz eindeutiger Aufforderung, gerade diesen zu ignorieren.
VORANKÜNDIGUNG
CARCASSONNE
Bauern, Ritter, Wegelagerer und Mönche