Für Familien

 

Der Geizigste fliegt raus


Livingstone

Taktische Dampfboot-Fahrt durch Afrika

 

Das Dampfboot, das als putzige Holzfigur der für ein recht materialintensives Brettspiel erstaunlich kleinen Schachtel beiliegt, hat lediglich die Aufgabe eines Rundenanzeigers auf der taktischen, aber wenn man der Pressemitteilung Glauben schenken darf, zugleich familientauglichen Reise entlang des Sambesi. Und um es gleich vorwegzunehmen: diese Charakterisierung spiegelt genau den Eindruck wieder, den die Testgruppen bei den ersten Partien von „Livingstone“ hatten. Sie lesen korrekt: „Partien“, denn die Kürze des Spiels lädt geradezu zu einer Revanche ein, der Wiederspielreiz ebenso. Allerdings eher in größerer Besetzung und dann auch nur, wenn wirklich Familien am Tisch sitzen, denen der Glücksfaktor des Spiels nicht so viel ausmacht wie alten Strategiehasen.

 

Schön und gut?
In der üblich schmucken Menzelgrafik kommt es daher, das angenehm kleine Spielbrett, das endlich einmal nicht gleich einen Tisch in Sondergröße voraussetzt und auch durchaus in normalen Haushalten ausgelegt werden kann. Dennoch findet darauf alles Wesentliche problemlos Platz: Die Landschaft, die von einem Felder-Raster überlagert wird, und die es später mit Zelten zu bebauen gilt und ebenso der Sambesi mit dem eingangs erwähnten Dampfboot, das zunächst ganz links – am weitesten vom Wasserfall entfernt – startet. An den Rändern des Rasters, das die Landschaft in Zeilen und Spalten teilt, sind Zahlen aufgedruckt, die anzeigen, wie viele Punkte es im Laufe des Spiels dort zu holen gibt. Die obligatorische Kramerleiste und eine Legende, die den Wert der Edelsteine, die ebenfalls mit von der Partie sind, darstellt, vervollständigen den Spielplan. Das alles wirkt nicht nur schön, sondern ist gleichzeitig äußerst funktional, sodass weder Probleme mit der Übersichtlichkeit auftreten, noch häufige Blicke in die Spielregel nötig sind, um mit einer Runde „Livingstone“ zu beginnen. Die B-Note fällt also schon einmal ziemlich hoch aus.

 

Die Würfel sind gefallen
Wie viele Würfel bei Livingstone fallen, hängt von der Spielerzahl ab. Je zwei Würfel pro Spieler sind mit von der Partie, maximal fünf Forscher können sich auf den Sambesi wagen. Der Spielablauf, den sich Benjamin Liersch ausgedacht hat, ist dabei einfach und leicht nachvollziehbar und lässt sich in der ordentlich bebilderten Regel auf gerade einmal vier Seiten bequem unterbringen. Und das sogar inklusive einer detaillierten Darstellung der Auswirkungen der diversen Aktionskarten. Dass trotzdem ein zwölfseitiges Heft vor den Spielern liegt, ist darin begründet, dass der Ablauf gleich in drei Sprachen verfügbar ist. Aber zurück zu den Würfeln, die das Grundgerüst des Spielablaufs darstellen.

Zu Beginn jeder Runde wird also einmal gewürfelt. Beginnend beim Startspieler nimmt sich nun jeder reihum einen der Würfel und führt sofort eine der damit möglichen Aktionen aus. Ist man wieder an der Reihe, darf man einen weiteren Würfel nehmen, aber nur, wenn dieser eine höhere Augenzahl zeigt als der zuvor genommene. Ein kleines Bisschen taktieren kann man hier also schon, aber letztlich sind die Spieler doch dem Würfelglück und den Entscheidungen der anderen ziemlich ausgeliefert. Da dies aber für alle gilt, relativiert sich dieser Glückfaktor wieder, denn jeder muss irgendwie damit zu Recht kommen. Es kommt darauf an, aus dem Wurf das Beste herauszuholen. Hat man also einen Würfel vor sich liegen, stehen gleich vier Optionen zur Verfügung, aus denen eine auszuwählen ist.

 

Die Qual der Wahl
Auch „Livingstone“ spielt, wie viele Vertreter seines Genres, mit dem Dilemma, immer viel mehr unternehmen zu wollen, als momentan möglich ist. Liegt ein Würfel vor mir, könnte ich zum Beispiel (unabhängig von der Augenzahl) einfach eine Karte ziehen, die mir im Laufe des Spiels Vorteile bringt und die ich jederzeit einsetzen kann, wenn ich am Zug bin. Auch Kombinationen sind dabei möglich. Alternativ erhalte ich so viele Münzen vom Vorrat wie der Würfel Augen zeigt. Diese Option wählt man praktischerweise eher bei einer fünf oder sechs. Mehr Ausbeute verspricht das Schürfen in der Mine. Pro gewürfeltem Auge darf ich einmal in den schwarzen Beutel greifen und hoffen, möglichst wertvolle Edelsteine herauszuziehen, die ich sofort in Taler umwandeln darf oder alternativ vor mir sammle, um am Ende des Spiels Siegpunkte dafür zu erhalten. Mehr Siegpunkte lassen sich allerdings mit Hilfe der vierten und letzten Aktionsmöglichkeit erzielen, dem Bau von Zelten. Gebaut werden darf immer nur in der Spalte, in der sich das Boot gerade befindet, die Kosten dafür beginnen bei einem Taler und steigen im Laufe des Spiels auf bis zu sechs pro eingesetztem Zelt. Man sollte also tunlichst darauf achten, den eigenen Barbestand im Plus zu halten. Die Würfelzahl bestimmt, in welcher Zeile das Zelt gebaut werden darf. Kann kein Würfel mehr genommen werden, gibt es eine kurze Zwischenwertung, bei der jedes eingesetzte Zelt so viele Punkte bringt, wie die Zahl links neben der jeweiligen Zeile angibt. Sind alle Würfel abgerechnet und die entsprechenden Aktionen ausgeführt, fährt das Boot ein Feld weiter und eine neue Würfelrunde beginnt.

 

Schon Schluss?
Lange dauert es beileibe nicht, das Konstrukt von Autor Benjamin Liersch. Selbst bei voller Besetzung mit fünf Personen. Sind die Regeln einmal verinnerlicht, ist nach einer Dreiviertelstunde unweigerlich Schluss. Schade. Dabei hätte man doch noch so viel machen wollen. Aus Sicht des Rezensenten ist dieser Umstand allerdings ein eindeutiges Qualitätsmerkmal, steigert es doch den Wiederspielreiz und den Anspruch, es beim nächsten Durchgang besser zu machen. „Kurz“ ist hier gleichzusetzen mit „kurzweilig“. Aber noch sind wir ja gar nicht durch, es folgt noch die Schlusswertung, und die ist herrlich fies, denn die Punkte, die es nun für die Mehrheit an Zelten in einer der sechs Zeilen gibt, verhält sich umgekehrt proportional zu den im Laufe des Spiels erreichbaren Siegpunkten. Das heißt: Wenn es in der untersten Reihe zuvor nur einen Punkt pro Zelt gab, bringt die Mehrheit dort am Ende satte 12 Spielpunkte, während sich der Besitzer der Mehrheit in Reihe sechs mit mageren zwei zufrieden geben muss. Es lohnt sich also auch immer die Schlusswertung im Auge zu behalten, um am Ende der erfolgreichste Forscher werden zu können. Zusätzlich zählt jeder Edelstein einen weiteren Siegpunkt, dazu werden die Siegpunkte addiert, die spezielle Aktionskarten einbringen und dann stünde eigentlich der Sieger fest. Wenn – ja wenn – es da nicht noch die dreidimensionalen Schatztruhen aus Pappe gäbe, die bislang noch gar nicht erwähnt wurden.

Geiz ist nicht geil
Mit dem Einführen der Truhen bringt Liersch ein fast „knizianisches“ Moment ins Spiel, denn alle Mühen sind am Ende nichts wert, wenn man sich nicht generös genug zeigt und zu beliebigen Zeitpunkten während des Spiels beliebig viele Münzen heimlich als Spende für die Königin wie bei einem Sparschwein durch den Schlitz im Deckel in seine Kiste steckt. Nach der Schlusswertung werden die Kisten geöffnet und der Inhalt verglichen. Die Folge: Der Geizigste fliegt raus – egal wie viele Punkte er bislang einheimsen konnte und egal ob er schon den sicheren Sieg vor Augen hatte. Hart waren sie, die Zeiten von David Livingstone. Dennoch steht am Ende ein eindeutiger Sieger fest. Ebenso fest wie die unweigerliche Revanche. Und das wiederum spricht eindeutig für das Spiel.

 

Unterm Strich zähl ich
Soweit die eher objektiven Merkmale von „Livingstone“, eine Kritik wäre aber keine Kritik, würden nicht noch einige wirklich persönliche Kommentare des Rezensenten einfließen, und diese habe ich mir für den Schluss aufgespart. Was also ist das Fazit nach vielen Partien in unterschiedlichsten Besetzungen? Erstens: Das Spiel sieht toll aus und funktioniert prächtig. Zweitens: Die Regeln sind kinderleicht, dennoch greifen die Mechanismen gut ineinander und ermöglichen taktische und ansatzweise sogar strategische Überlegungen. Drittens: Es macht Familien wie Vielspielern in den ersten Partien immensen Spaß. Viertens: Der Spaß nimmt mit zunehmender Zahl der Partien deutlich ab. Denn leider fühlt man sich – zumindest als Vielspieler – letztlich dann doch eher gespielt. Die Würfelergebnisse sind purer Zufall, wer welche(n) Würfel nehmen wird, ist meist schon vorher ersichtlich, welche Karten wann ins Spiel kommen und wer sie erhält ist abhängig vom Glück, ebenso wie die Ausbeute an Edelsteinen beim Schürfen. Zieht dann noch jemand die Karte „Mineneinsturz“, hat sich auch das Sammeln von Edelsteinen für die Schlusswertung erledigt, denn diese kommen alle unmittelbar zurück in den Beutel. Ich kann noch nicht einmal frei entscheiden, wo ich mein Zelt platziere, denn auch diese Position wird durch die Position des Dampfbootes und die Augenzahl des gewählten Würfels vorgegeben. Und ob ich dann gewinne zeigt sich erst, wenn die Schatzkisten geöffnet werden und hoffentlich genügend Münzen heraus purzeln, die ein Ausscheiden verhindern. Noch Schlimmer verhält es sich mit der Zwei-Personen-Variante. Hier sollten die Spieler mindestens so viel spenden, wie die Summe aus vier Würfeln angibt. Im Extremfall also 24 Taler. Gelingt dies keinem von beiden, gibt es keinen Gewinner, was den vorherigen Ablauf ad absurdum führt und nun wirklich nicht befriedigend ist.

So negativ, wie es hier klingt, ist das (subjektive) Fazit aber gar nicht, hält man sich die von Schmidt Spiele klar kommunizierte Zielgruppe der spielenden Familie vor Augen. Potenziell hat hier gerade aufgrund des Glücksfaktors jeder die Chance, zu gewinnen, auch wenn er den einen oder anderen taktischen Fehler macht. Letztlich geht es doch um das gemeinschaftliche Erlebnis am Tisch und dies ist bei „Livingstone“ allemal gegeben. Kurz, knackig und in jeder Hinsicht ansprechend ist der Ausflug an den Sambesi. „Livingstone“ will gar kein abendfüllender Brocken für Nachtschwärmer mit Sitzfleisch sein, sondern ein nettes Spiel für Zwischendurch, das durchaus einen gewissen taktischen Anspruch erhebt. Vor diesem Hintergrund kann man Lierschs Werk eindeutig als gelungen bezeichnen.

 

Kid                       

Family          ein    

Adult           8+    

Expert                           

 

Alter                    

Spezial                 

 

 

Spieler         : 2-5

Alter            : ab 8 Jahren

Dauer           : ca. 30-45 Min

 

Autor           : Benjamin Liersch

Grafik          : Michael Menzel

Vertrieb       : Fachhandel

Preis            : ca. 30,- Euro

Verlag          : Schmidt Spiele 2009

                    www.schmidtspiele.de

 

Bewertung:

Genre          : Taktisches Würfel- und Mehrheitenspiel
Zielgruppe    : Für Familien
Mechanismen: Karten, Taler und Edelsteine sammeln, bauen für Mehrheiten

 

Kommentar:

Grafisch und materialmäßig hervorragend umgesetzt
Hoher Aufforderungscharakter und eingängige Regeln
Letztlich etwas zu glücksabhängig
Am attraktivsten in voller Besetzung
 

Zufall                     : 5

Wissen/Gedächtnis  : 0

Planung                 : 4

Kreativität              : 1

Kommunikation      : 4

Geschicklichkeit      :

Action                   :

 

Vergleichbar:

diverse Mehrheitenspiele

 

Atmosphäre: 6

Stefan Olschewski

Schön gestaltetes, gelungenes Familienspiel mit hohem Glückfaktor und leider zu kurzer Spieldauer, um wirklich taktieren zu können. Für Experten zu beliebig.

stefan@pierrot.tobit.net