Rezension
Wahrsager, Ratten und Rubine
DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG
Can’t Stop der Alchemisten
Der Titel hat mich vorerst nicht angesprochen. “Quacksalber“ – (ein Begriff aus dem 16. Jahrhundert ) heute würde man wohl eher Kurpfuscher sagen ist doch negativ behaftet und von Quedlinburg hatte ich bis dato nichts gehört.( Da habe ich wohl in Geografie zu wenig aufgepasst.) Dafür sagt mir „Schmidtspiele“ umso mehr. Der Verlag ist untrennbar mit dem Spiel „Mensch ärger dich nicht“ verbunden, aus Zeiten wo noch nicht über 1000 Spiele jährlich auf den Markt kamen. Aber auch mit Titeln wie „Kniffel“, „Talisman“ etc. hat der Verlag gepunktet, bis er 1997 von der Blatz Gruppe übernommen wurde, die aber noch heute unter diesen Namen veröffentlicht.
Der Autor Wolfgang Warsch ist ist der „shooting star“ in der Brettspielbranche. Gleich mit drei Spielen ( neben den Quacksalbern, The Mind und Ganz schön clever ) in den Nominierungslisten für Spiel des Jahres und Kennerspiel des Jahres zu landen und mit Quacksalber Kennerspiel und einen Spiele Hit in Österreich zu gewinnen, ist wohl Rekord. Seine Erstlinge „Dream Team“ bei Zoch und „Schattenmeister“ bei Piatnik sind an mir vorbei gegangen. Gut „The Mind“ ist für mich eher seltsam und nicht unbedingt preisverdächtig und da bin ich mit meiner Meinung sicher nicht alleine. Die Wege der Jury sind halt unergründlich. Aber das soll hier nicht das Thema sein. Nach „Andreas Pelikan“ und „Alexander Pfister“ dürfen wir uns hier wieder über einen österreichischen Preisträger freuen.
Noch ein paar Worte zu Quedlinburg bevor ich mich mit dem Spiel direkt befasse. Quedlinburg - 922 erstmals urkundlich erwähnt – ist seit 25 Jahren Weltkulturerbe und liegt südlich von Magdeburg in Sachsen-Anhalt und dem nördlichen Harzervorland. Im Harz liegt auch der „Brocken“ oder „Blocksberg“ wo sich angeblich in der Walpurgisnacht die Hexen ein Stelldichein geben. Das ist aber die einzige - weit hergeholte - Verbindung zu den „Quacksalbern“. Die im 10. Bis 12. Jahrhundert als Königspfalz fungierende Stadt diente wohl nur als Stabreimvorlage.
Die Spielidee ist in 9 Runden ein Gebräu mit möglichst vielen Zutaten zu schaffen. Dabei haben die einzelnen Zugaben verschiedene Wirkungen. Wie das Ganze abläuft schildere ich wie folgt:
Gehen wir zum Start. Jeder Mitspieler erhält als Spielplan einen Kessel in dem spiralförmig Plätze für die späteren Zutaten vorgesehen sind. Außerdem sind dort Siegpunkte und Boni in Form von Rubinen vermerkt. Je weiter fort geschritten desto höher sind erstere. Auf der Tafel sind auch die zu Beginn erhaltenen Zutaten nämlich sieben weiße Chips in den Werten 1-4 sowie je einen orangenen und grünen 1er Chip angeführt. Diese versenkt jeder in seinen eigenen Stoffbeutel. Auf dem selben Plan ist auch Platz für ein Flaschenplättchen, ein gezeichneter Beutel für den ersten Rubin und einen Rattenstein. (Hier hätte ich mir zur Stimmungsförderung eine echte Rattenfigur gewünscht ). Mit einem Tropfenplättchen kennzeichnet jeder den Ausgangspunkt in der Mitte des Kessels. Damit sind die jeweilige Spielertafeln erledigt.
Was gibt es jetzt noch? Über 200 verschieden farbige Chips in den Werten 1-4 warten darauf in die Kessel geordert zu werden. Da gibt es u.a. Krähenschädel, Alraunen, Spinnen, etc. um dem Spielthema gerecht zu werden und ein wenig Alchimisten-Stimmung herein zu bringen. Dabei sind die weißen Chips durch ihre Anzahl, über 100, am häufigsten vertreten. Dann gibt es noch Zutatenbücher, die in den entsprechenden Farben sowohl die Kaufpreise enthalten als auch die eventuellen Boni bei richtiger Platzierung. Diese Bücher sind ein schöner Aufputz und erinnern mich an die Bücher von „Valdora“, einem Spiel von Michael Schacht bei Abacusspiele in 2009. Sie dienen dem Variantenreichtum da sie vier verschiedene Sets darstellen und dementsprechend eine variantenreiche Spielweise ermöglichen. 24 Wahrsagekarten für die neun Runden garantieren ebenfalls für Abwechslung. Letztendlich kommen wir zur Tafel mit der Siegpunktleiste und dem Rundenanzeiger. Mit ihrer Doppelseitigkeit bietet sie ebenfalls Varianz. Mit einem kleinen Flammstein wird auf ihr die laufende Runde angezeigt – seltsamerweise oberhalb der gezeigten Kessel - während ich eigentlich der Meinung bin, dass Getränke in einem Topf üblicherweise von unten erhitzt werden. Aber vielleicht bin ich da zu pingelig. Außerdem enthält die Tafel die nach jeder Runde fälligen Wertungsangaben. Soweit die Vorbereitung.
Kommen wir zum Spielablauf. Zuerst wird eine Wahrsagekarte aufgedeckt. Diese gilt für alle Mitspieler. Lila Karten werden sofort ausgeführt, blaue erst zum Rundenende. Nun zieht jeder Chips aus seinem Beutel. Es ist zu empfehlen dies gemeinsam und gleichzeitig ab zu wickeln um keinen Vorteil durch „Abwarten“ zu zulassen. Zu Beginn wird jeweils ein schwarzes und oranges Buch ausgelegt und dazu je nach Set die entsprechenden farbigen Bücher. Lila und gelbe Bücher werden erst im Laufe des Spiels in Runde Zwei und Drei geöffnet. Die gezogenen Chips werden nach ihrer Wertigkeit entsprechend vom Ausgangstropfen entfernt platziert. Dadurch können durchaus auch Leerfelder entstehen. Wie viele Chips man pro Runde unterbringt wird durch die Anzahl der gezogenen weißen Chips vor gegeben. Überschreiten nämlich die Werte dieser Chips Sieben, „explodiert“ der Kessel desjenigen und für ihn entstehen dadurch Einschränkungen bei der Wertung dieser Runde. Haben alle „fertig“ so wird derjenige, der am weitesten vorne liegt mit Hilfe eines Bonus-Würfels belohnt. Das kann Siegpunkte bedeuten, einen Gratis-Chip oder Rubin aber auch ein Vorrücken des Starttropfens bringen. Letzteres bedeutet den Kessel in zukünftigen Runden ein Feld weiter vorne zu befüllen. Dies fördert natürlich die Risikolust um weitere Chips zu ziehen.
Nun folgt die Wertung, welche auf der Siegpunktleiste als Hilfe vorbildlich dargestellt ist. Als Wertung dient jeweils der Platz vor der, am weitesten platzierten Zutat. Hier ist ersichtlich wie viele Siegpunkte man bekommt und, falls angegeben, ob man einen Rubin einheimst. Eine weitere Zahl gibt an zu welchem Betrag man in dieser Runde Chips einkaufen kann. Die Preise sind wie erwähnt an den Büchern abzulesen. Der Einkauf ist allerdings auf zwei Chips beschränkt. Überzähliges Geld verfällt. Spieler, deren Kessel explodiert ist, sind vom Bonuswürfel ausgeschlossen und müssen sich außerdem zwischen Einkauf oder Siegpunkten entscheiden. Alle aufgelegten und neu erworbenen Chips kommen nun wieder in den eigenen Beutel für die nächste Runde.
Schlussendlich kann man jetzt eventuelle erworbene Rubine einsetzen. Und zwar um für zwei Stück entweder den Tropfen um eine Stelle vorzusetzten oder um die zu Beginn erwähnte Flasche „umzudrehen“, also wieder „aufzufüllen“. Welch Bewandtnis hat diese? Mit ihr kann man einen gezogenen weißen Chip wieder zurück in den Beutel werfen. Allerdings nur dann, wenn er den Beutel noch nicht zum Explodieren gebracht hat.
Nun kommt die Stunde der Ratten. Auf der Siegpunktleiste tummeln sich abgebildete Ratten. Um den Führenden nicht allzu weit entwischen zu lassen hat sich Warsch folgende Regel ausgedacht. Zwischen ersten und den folgenden Spielern werden die Anzahl der Rattenschwänze gezählt und der eigene Rattenstein für die folgende Runde um die, der Differenz entsprechenden Anzahl, vor den eigenen Tropfen gestellt. Dies ermöglicht es bei der Befüllung in der nächsten Runde weiter vorne zu beginnen und dadurch vielleicht um einiges besser abzuschneiden. Der Sieger ist, wer bei Spielende am weitesten vorne liegt, wobei am Schluss noch 2 Rubine bzw. 5 Kaufpunkte jeweils 1 Siegpunkt wert sind.
Die 2. Seite der Siegpunktleiste weist noch Reagenzgläser auf, die verschiedene Boni enthalten. Hier kann man sich entscheiden, anstatt den eigenen Tropfen nach vorne zu ziehen, den jeweiligen nächsten Bonus im Reagenzglas zu nutzen.
Wolfgang Warsch ist es toll gelungen das Bag-building Prinzip mit der Can´t stop Versuchung zu verknüpfen. Gleichzeitig kommt mit dem Chip ziehen ein unabwägbarer Glücksfaktor zum Tragen. Es sei denn man merkt sich sowohl die Anzahl der Chips und ihre Wertigkeit im eigenen Beutel. Aber auch hier kann einem trotz der statistischen Wahrscheinlichkeit der Zufall ein Schnippchen schlagen. Das Spiel überzeugt auch durch seine Vielfältigkeit mit Hilfe der Sets und der Wahrsagekarten. Die Regel ist ebenfalls perfekt und lässt keine Wünsche offen. Ich würde es allerdings nicht als Expertenspiel einstufen, was aber keinesfalls als negativ angesehen werden sollte. Jede spielerfahrene Familie müsste locker damit zurechtkommen, schließlich ist die Altersangabe mit 10 Jahren durchaus dem Schwierigkeitsgrad entsprechend. Ich bin auch sicher, dass die „Quacksalber“ eine Menge Liebhaber finden werden.
Rudolf Ammer
Spieler: 2-4
Alter: 10+
Dauer: 90+
Autor: Wolfgang Warsch
Grafik: Dennis Lohausen
Preis: ca. 35 Euro
Verlag: Schmidt Spiele 2017
Web: www.schmidtspiele.de
Genre: Sammelspiel
Zielgruppe: Für Freunde
Version: de
Regeln: de en es nl
Text im Spiel: nein
Kommentar:
Kennerspiel des Jahres 2018
Homogener Mix aus Bag-building + Can’t Stop
Viele Varianten
Schönes Material
Vergleichbar:
Bag-Building Spiele allgemein
Andere Ausgaben:
999 Games (nl), North Star Games (en), Devir (es)
Meine Einschätzung: 6
Rudolf Ammer:
Wolfgang Warsch ist als quasi Newcomer ein bemerkenswerte Spiel gelungen, das auf weitere Highlights von ihm hoffen lässt.
Zufall (rosa):2
Taktik (türkis): 1
Strategie (blau): 0
Kreativität (dunkelblau): 0
Wissen (gelb): 0
Gedächtnis (orange): 1
Kommunikation (rot): 0
Interaktion (braun):0
Geschicklichkeit (grün): 0
Action (dunkelgrün): 0