Rezension

 

Der Koloss von Carcassone

 

Die Baumeister des Colosseum

 

Kafkaeske Konstruktion des Kolosseums

 

Die Erfolgsgeschichte von „Carcassonne“, u.a. „Spiel des Jahres“ 2001, ist mittlerweile nicht nur zeit-, sondern auch grenzenlos. Im Rahmen der Serie „around the world“ durften wir u.a. sogar die Südsee und den Amazonas besuchen – bislang nicht jedoch die geografisch „dazwischenliegende“ Osterinsel. Für diesen Ort hat uns der Autor jedenfalls schon mit „Rapa Nui“ (Empfehlungsliste „Spiel des Jahres“ 2012) viele vergnügliche Stunden bereitet. Einige der dort verwendeten Spielelemente finden sich jetzt auch hier wieder (vielleicht, weil zur Osterzeit die Kirchenglocken nach Rom und wieder zurückfliegen?).

 

Spielthema ist natürlich die Errichtung des Kolosseums in Rom. Als dessen Basis dient ein Tableau, welches in die Schachtel zurück zu legen ist (naturgemäß erst nach der Entnahme des übrigen Spielmaterials). In insgesamt 17 ostereiförmig bzw. oval angeordneten Schlitzen sollen im Verlauf einer Partie die gleiche Anzahl an Bauteilen bzw. die entsprechenden Plättchen (bzw. sogar durchaus beeindruckende „Platten“) gesteckt werden; zu Spielende liegt dann ein fertig gestelltes Kolosseum in hübscher 3D-Optik vor!

 

Am Weg dahin bzw. zum Bauen dieser Platten braucht es auch hier Baustoffe: Diese erhalten wir – in der Form von Karten – über eigenen Landschaftsbesitz (dieser wiederum in der Form von Plättchen). Neben einem pro Mitspieler etwas unterschiedlichen Startkapital an Landschaftsplättchen liegen diese um den Spielplan verteilt zu vier Reihen mit jeweils vier Plättchen aus. Die schöne Idee dabei: Nehme ich mir aus der Auslage ein neues Landschaftsplättchen, damit ich mir eine (weitere) potentielle Einnahmenquelle verschaffe, wird das dahinterliegende Plättchen nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen ausgewertet (bzw. die entsprechenden Baustoffe „ausgeschüttet“). Nehme ich mir etwa ein Getreidefeld und liegt dahinter ein Steinbruch, erhalten alle für jeden ihrer Steinbrüche jeweils eine Steinkarte. Deswegen möchte man den eigenen Besitz natürlich am liebsten auf eine Weise vermehren, dass die Mitspieler am Wenigsten davon haben (bzw. „mitnaschen“ können).

 

Dieser – bereits aus „Rapa Nui“ bekannte – Mechanismus sorgt zum einen für Interaktion, zum anderen auch dafür, dass die Mitspieler in die Aktion des jeweils aktiven Spielers involviert sind. Bei „Rapa Nui“ war aber noch ein Zugriff stets auf alle vier Reihen möglich – zum Unterschied dazu wird hier das Auswählen einer konkreten Reihe über eine gemeinsame Spielfigur gesteuert, die rundum auf den sieben (wieder ostereiförmigen) Feldern des Spielplans gezogen wird; mindestens um einen Schritt, für mehr Schritte sollte man sich Stallplättchen beschaffen. Hat man diese nicht (bzw. sind die eigenen bereits „verbraucht“), kann bzw. muss pro weiteren Schritt je ein Siegpunkt ausgegeben werden. Vor dieser Möglichkeit wird man zumeist (verständlicher Weise) zurückschrecken, mag diese Hemmung auch unberechtigt bzw. spielerisch ungeschickt sein; jedenfalls fühlt man sich durch diesen Mechanismus doch etwas „gespielt“ bzw. noch stärker vom Glück abhängig, als dies bei „Rapa Nui“ der Fall gewesen ist.

 

Denn der Idealfall – bloß der eine Gratis-Schritt führt mich zur ohnehin gewünschten Auswahl – wird nur selten vorliegen, obgleich diese Konsequenz für den Folgespieler durch den Zug des Vorspielers von diesem oft gar nicht bedacht gewesen sein wird. Bei einer mehr taktischen Spielweise wird man zwar bei der Platzierung der Spielfigur versuchen, den nachfolgenden Spieler „zu ärgern“, doch ist einem das Hemd zumeist näher als die Toga. Neben den vier unterschiedlichen Arten von Landschaftsplättchen und den Stallplättchen gibt es als sechste (und letzte) Plättchensorte dann noch Lagerhäuser, welche ihren Besitzern ein höheres Handkartenlimit ermöglichen.

 

Die andere Aktionsmöglichkeit ist das Bauen einer Kolosseums-Platte: Gegen Abgabe der jeweils geforderten Baustoffkarten wird man sofort mit Siegpunkten belohnt, etwa kann eine Kombination aus einer schwarzen, grünen und gelben Karte vier Punkte bringen. Das ist der eher unoriginelle Teil der Spielmechanismen, denn derartiges (bestimmte Farbkombinationen zum Erfüllen von Aufträgen) haben wir in den letzten Jahren wohl schon wirklich sehr häufig gesehen. Auch deswegen ist es schade, dass es „Rapa Nui“ bislang nicht zu einer Neuauflage geschafft hat, denn dort war die Verwertung der Rohstoffkarten in Siegpunkte weitaus origineller und mit mehr spannender Ungewissheit gelöst.

 

Wie bereits erwähnt, werden die konkreten Auswahlmöglichkeiten über eine gemeinsame Spielfigur gesteuert. Um nicht der Fortuna des bloß einen Gratisschrittes ausgeliefert zu sein, sollte man eben rechtzeitig darauf schauen, dass man auch Stallplättchen sammelt, damit man die geforderten Extraschritte zur Verfügung hat, wenn man sie braucht. Diese Stallplättchen müssen danach aber immer wieder – ebenfalls über das Auslösen von Wertungen – „aufgeladen“ werden, was natürlich auf Kosten von Baustoffkarten bzw. von Bau-Aktionen geht. Wessen Gedächtnis das schafft, kann sich auch zu merken versuchen, welche Farben die Mitspieler so sammeln, damit man ihnen bei der einen oder anderen Bau-Aktion vielleicht noch zuvorkommt. Zumindest im Endspiel wäre das durchaus wichtig, damit man nicht noch auf einer vollen Kartenhand sitzen bleibt, welche dann nur mehr wenige „Trostpunkte“ bringen würde. Außerdem wird die Errichtung der letzten drei Kolosseum-Platten mit einigen Extrapunkten belohnt.

 

Ebenfalls als bloße „Trostpunkte“ missverstanden wird zunächst oft die Möglichkeit, auf das Beteiligtsein an einer Wertung zu verzichten, wofür es jeweils einen Punkt gibt. Denn würde man etwa ohnehin bloß eine Baustoffkarte erhalten, wäre das Verhältnis „ein Punkt für eine Karte“ durchaus lukrativ – oder auch, wenn man eine bereits (fast) volle Kartenhand hat, kann sich ein Verzicht empfehlen, denn ansonsten müsste man die neuerworbenen Karten letztlich ohnehin nur wieder abwerfen. Zu Spielende gibt es dann noch wichtige Punkte für die jeweilige Mehrheit in jeder der sechs Plättchensorten, sodass auch aus diesem Grund die Auslagen der Mitspieler nicht außer Acht gelassen werden sollten.

 

Im Spielgefühl wird leider ein sich aufbauender Spannungsbogen vermisst; im Wesentlichen geht es über die ganze Partie hinweg um das stets sehr ähnliche Sammeln von Karten und deren Umwandlung in Siegpunkte. Im ersten Drittel wird das Augenmerk zwar noch eher auf den Erwerb von Landschafts- und Lagerhausplättchen gerichtet sein, zumal die späteren Kolosseums-Platten „arbeitsintensiver“ sind als jene zu Beginn. Immerhin steht man dabei doch vor dem Dilemma, lieber auf die ungewisse Zukunft oder auf einige schnellverdiente Punkte setzen zu wollen. Doch meist wird es erst wieder knapp vor Spielende etwas hektischer und „kribbeliger“. Für weitere Partien wird leider nicht viel Abwechslung geboten, bloß die Funktion eines der sieben Spielplanfelder kann vor Beginn jeweils anders definiert werden.

 

Atmosphärisch wirkt es zum einen etwas eigenartig, dass hier neben den (spielerisch bereits vielfach „bewährten“) Materialien Holz und Stein auch Wasser und Getreide als die beiden weiteren Baustoffe Verwendung finden. Dass damit nämlich etwa bloß die Arbeiter verköstigt werden sollten, geht grafisch nicht hervor; auch wäre es diesfalls eigenartig, dass bei anderen Kolosseum-Platten die Arbeiter offenbar hungern bzw. dursten dürfen. Auch die Art der Bauweise – nämlich nicht von unten nach oben (wie man es eigentlich erwarten würde), sondern von links nach rechts, wobei sogar auch ein „chaotisches“ Einstecken der 17 Platten spielerisch unproblematisch wäre – würde eher zum Bau der Chinesischen Mauer als zum Bau des Kolosseums passen (jedenfalls so, wie jener in der gleichnamigen Erzählung von Franz Kafka beschrieben ist; übrigens ist es sehr lohnend diese nachzulesen, etwa unter http://gutenberg.spiegel.de/buch/franz-kafka-kleinere-werke-167/1 oder unter https://de.wikisource.org/wiki/Beim_Bau_der_Chinesischen_Mauer_(1931) ). Oder – thematisch noch mutiger – zum avisierten Bau der bereits berüchtigten Grenzmauer zu Mexiko).

 

Harald Schatzl

 

Spieler: 2-4

Alter: 10+

Dauer: 45+

Autor: Klaus-Jürgen Wrede

Grafik: Michael Menzel

Preis: ca. 24 Euro

Verlag: Schmidt Spiele 2016

Web: www.schmidtspiele.de

Genre: Sammel- und Bauspiel

Zielgruppe: Familie

Version: de

Regeln: de

Text im Spiel: nein

 

Kommentar:

flottes Spielgefühl

gelungene Mischung aus Taktik und Glück

besonders gut für Mitspieler mit wenig Spieleerfahrung

schönes Spielmaterial

Spielplan aber etwas unübersichtlich

3D-Optik des vollendeten Werkes

schlau-designter Schachteleinsatz

 

Vergleichbar:

Rapa Nui, Siedler von Catan (ohne Verhandlungen)

 

Andere Ausgaben:

Derzeit keine

 

Gesamt: 5

 

Harald Schatzl:

 „Die Baumeister des Colosseum“ ist ein flottes, eher locker-leichtgängiges, wenig variantenreiches taktisches Sammel- und Bauspiel für Familien- und Gelegenheitsspieler, bei dem sich das Sammeln der Baustoffe origineller gestaltet als deren Verwertung in Siegpunkte. Der starke Glücksanteil kann außerdem ein frustrierendes Spielgefühl für den/die (wenn auch nur subjektiv) Hintenbleibenden bewirken. Das Spielmaterial ist grundsätzlich schön anzusehen, leider vermag der Spielplan etwas zu verwirren. Der Vergleich mit dem weitaus eleganteren Vorgängerspiel „Rapa Nui“ fällt jedenfalls zu Gunsten des Kartenspiels aus.

 

Zufall (rosa): 2

Taktik (türkis): 2

Strategie (blau): 1

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 1

Kommunikation (rot): 1

Interaktion (braun): 2

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0