Wu Feng rief die Geister!
Ghost Stories
Ich werd’ sie nun nicht los!
Der junge Spieleautor Antoine Bauza aus Frankreich hat mit „Ghost Stories“ ein schön gestaltetes Spiel geschaffen, das nicht funktioniert.
Ganz offensichtlich vom Hongkong Film „A Chinese Ghost Story“ („Sien nui yau wan“, Regie: Siu-Tung Ching, 1987) inspiriert, wenn auch ohne Verweis auf diesen, entsendet Bauza bis zu vier Wagemutige in der Rolle von Taoisten in den Kampf gegen Wu Feng, „Herr der neun Höllen“. Dieser böse Dämonenfürst schickt sich soeben an, ein kleines Dorf zu vernichten, um aus dessen Friedhof (s)eine Urne zu bergen, auf dass er wiedergeboren werde. Und das geht so:
Das Dorf besteht aus neun quadratischen Bauwerkteilen (mit der in Essen 2008 präsentierten Wachturm-Erweiterung kommt ein zehnter zur Auswahl hinzu), die zufällig zu einem Spielfeld (3 x 3 Karten) ausgelegt werden. Die Vorderseite, mit der man beginnt, zeigt die Bauwerke mit Dorfbewohnern, die Rückseite stellt dieselben Örtlichkeiten von Geistern verflucht und von den Bewohnern verlassen dar. Um das so entstandene Dorf werden die vier Spielertafeln gelegt. Diese zeigen neben je drei Ablagefeldern für Geisterkarten sowie Zugsymbolen für Geisterfiguren ebenfalls leicht unterschiedliche Abbildungen, und weisen den farblich (blau, gelb, grün, rot) entsprechenden Taoisten jeweils andere Fähigkeiten zu. So kann etwa der blaue Taoist in seinem Zug entweder zweimal kämpfen oder zweimal die Hilfe eines Dorfbewohners nützen, oder in beliebiger Reihenfolge diese beiden Aktionen je einmal durchführen. Grün darf entweder einen zusätzlichen Kampfwürfel und muss nie den Fluchwürfel benützen, oder darf jeden Würfel einmal neu würfeln; ähnliches steht den beiden übrigen Farben zu Gebote. Es ist allerdings, wie sich herausstellen wird, eher nebensächlich, für welche Fähigkeiten man sich entscheidet. Die Spielregel lässt ebenfalls freie Hand bei der Auswahl.
Die Spieler nehmen sich die entsprechende Spielfigur, Lebenspunktemarker (mit „Qi“ bezeichnet), einen Glücksbringer in der eigenen Farbe und (in der Anfänger- und Normalspielvariante) noch ihr Yin-Yang-Plättchen (einzusetzen für einmalige Zusatzaktion).
Aus den zehn möglichen Erscheinungsformen Wu Fengs (in der Erweiterung kommen noch einige dazu) wählt man zufällig und verdeckt eine aus, und steckt diese als elftletzte Karte in den Geisterkartenstapel. Von diesem wird in jeder Runde mindestens eine Karte gezogen und auf ein freies Feld der Spielertafeln gelegt – entweder farblich passend (Geisterkarten gibt es in blau, gelb, grün, rot und schwarz), oder (schwarze Geister) bevorzugt auf die Tafel des aktiven Spielers, oder letztendlich wo immer noch ein freies Feld zur Verfügung steht. Sollte irgendwann kein freies Geisterkartenfeld vorhanden sein, verliert der aktive Spieler einen Lebenspunkt. Dann beginnt die eigentliche Spielphase des jeweils aktiven Taoisten. Entweder wird versucht, einen Geist zu vertreiben – man rollt die farbigen Kampfwürfel; um einen erfolgreichen Exorzismus zu vollziehen, benötigt man mindestens so viele Farbpunkte, wie die Geisterkarte aufweist; notfalls addiert man farblich passende Glücksbringer hinzu, verliert diese aber dadurch –, oder man bedient sich der Hilfe der Dorfbewohner des Standfeldes (so lange die Person noch anwesend ist, also die Vorderseite der Karte sichtbar). Diese stellen zum Beispiel einen für alle und andauernd gültigen Glücksbringer zur Verfügung, oder eine Buddhastatue, die automatisch Geister (nie jedoch die Inkarnation Wu Fengs) vertreibt, oder frischen Lebenspunkte und Glücksbringervorrat auf. Für den Fall der Fälle kann man einen gefallenen Taoisten auch auf dem Friedhof wiederbeleben lassen.
Die Spieler gewinnen nur, wenn es mindestens einem auch nach diesem Akt noch lebenden Taoisten gelingt, den Geist von Wu Feng zu vertreiben, bevor der Geisterkartenstapel ganz aufgebraucht ist. Sie verlieren bereits davor, wenn die Geister alle Taoisten getötet haben oder gleichzeitig vier Dorffelder verflucht (also auf die Rückseite gelegt, mithin von ihren Bewohnern verlassen) sind.
Klingt spannend und herausfordernd, funktioniert aber höchst selten bis nie, wie eingangs erwähnt.
Das Spielmaterial ist liebevoll, sogar ästhetisch äußerst anspruchsvoll gestaltet, die Taoistenfigürchen allerdings in unnötig grellen Farben. Spielmarken sind ausreichend vorhanden, und es gibt erfreulicherweise nicht zu viele unterschiedliche Arten davon. Die Probleme beginnen mit dem Regelheft, besser gesagt den Regelheften in französischer, englischer und deutscher Sprache. Das Heft ist jeweils schwarz mit weißem Fließtext, Überschriften und Hervorhebungen sind jedoch blau gehalten. Schon bei Tageslicht, besonders aber bei künstlichem Licht, kann da die Lektüre Schwierigkeiten bereiten. Ein Index ist nicht vorhanden, obwohl dieser sehr hilfreich wäre. Dafür gibt es doppelseitige Spielhilfen, die, da eben in drei Sprachen, in unterschiedlichen Kombinationen bedruckt sind. So kann man jeweils eine gleichsprachige Vorder- und Rückseite nebeneinander auslegen. Damit finden sich erfahrene Spielerinnen und Spieler gewiss noch ab. Weniger fein freilich kommt die unklare Formulierung bereits der französischen Originalregel daher. Ungenauigkeiten bis hin zu Auslassungen ganzer Absätze in den Übersetzungen erschweren aber eine Antwortsuche bei Unstimmigkeiten unnötig. Selbst die Symbole (zum Beispiel gibt es Bilder für „Geist verflucht Dorffeld“, „eine weitere Geisterkarte ziehen“, „Geisterfigur rückt ein Feld vor“, „wirf einen Kampfwürfel weniger“ „Glücksbringer dürfen nicht eingesetzt werden“, „gilt nur für die Inkarnation von Wu Feng“) werden nirgends einheitlich und in ihrer Gesamtheit erklärt.
Hat man diese Unzulänglichkeiten einmal mittels Kompromissen, wilden Sprachkombinationen und einer ungefähren Idee, was sich der Autor oder Graphiker wohl vielleicht ursprünglich dabei gedacht haben mag (selbst dann tauchen bei genauerer Recherche im Internet noch immer einige Widersprüche, in diversen Foren sogar durch Antworten von Bauza selbst, auf), überwunden, steht man erschrocken vor der Tatsache, dass das Spiel offenbar nur durch eine Verquickung glücklicher Umstände und ebensolcher Würfelergebnisse eventuell zu gewinnen sein könnte. In sämtlichen Testspielen trat dieser Fall genau ein Mal ein. Alle Planung ist vergebens, ändert sich doch die Spiellage fast mit dem Aufdecken jeder neuen Geisterkarte, also mindestens einmal pro Zug. Da etliche dieser Geister sowie manches Würfelergebnis zusätzliche Gespenster ins Spiel bringen (was bei voll belegten Spielertafeln auch sehr rasch zum Tod eines oder mehrerer Taoisten führt), kommt man spätestens nach dem ersten kompletten Durchgang in arge Bedrängnis. Ob man lieber einen Geist auszutreiben versucht, oder doch die Dorfhexe bittet, einen Fluch aufzuheben und die Bewohner dorthin zurückruft (das Dorffeld wieder auf die Vorderseite dreht), ist bald keine Wahl mehr zwischen Pest oder Cholera, sondern nur mehr ein Hinauszögern des Unvermeidlichen und Selbsttäuschung.
Freilich kommt diese Erkenntnis nicht überraschend. Bereits kurz nach Erscheinen des Spiels gab es heftige Forderungen nach überarbeiteten Spielregeln. Im November 2008 kündigte dann im Asmodee-Spieleblog des Verlags (http://blog.proludo.de/category/spiel/ghost-stories/) vermutlich eine mit dem Spiel befasste (anonyme) Person eine Regelrevision auf der Frequently Asked Questions-(FAQ)-Seite zum Ausdrucken an (bis zum Abschluss dieser Rezension ist diese Seite noch nicht vorhanden).
Da wir die Grundidee des Spieles durchaus für gut, neu und auch anziehend halten, bieten wir hier zwei Ideen an, wie das Spiel zumindest etwas ausgeglichener wird. Da es ohnedies schon schwer genug ist, einen Exorzismus erfolgreich durchzuführen (beinahe reines Würfelglück – wobei ein Würfel mehr für alle gleichfalls die Chancen erhöhen würde), sollte dies nicht eine von zwei Optionen, sondern eine zusätzliche reguläre Handlung in jedem Zug werden. Diese Sonderfähigkeit des blauen Taoisten müsste dann allerdings durch eine andere ersetzt werden; mithilfe des sogenannten Yin-Yang-Plättchens ist diese Möglichkeit bereits jetzt einmal jedem Spieler gegeben.
Da Wu Feng verständlicherweise wild entschlossen ist, seine Reinkarnation möglichst rasch in die Wege zu leiten, sollte der Geisterkartenstapel – immerhin 55 Karten ohne Wu Feng – zu Beginn in fünf Teile geteilt und die Wu Feng Karte in den vorletzten Stapel gemischt werden. Sobald Wu Feng erscheint, sollten keine neuen Geister ausgelegt werden (außer durch Vorgaben einer bereits im Spiel befindlichen Karte). Das Spiel endet dann, wenn Wu Feng besiegt wird, alle Taoisten tot sind, oder nach einer Anzahl (beliebig festzusetzen, etwa auch wieder zehn) Runden – Karten wie gewohnt ziehen, aber einfach unbesehen ablegen.
In der vorliegenden Fassung stellt „Ghost Stories“ keine Herausforderung dar, sondern eine schier unlösbare Aufgabe. Der Spaß am Spiel ist leider nicht gegeben, und kaum jemand wird die Geduld aufbringen, so viele Varianten durchzuspielen, bis zufällig einmal ein Sieg der Taoisten eintritt. Die Spielregeln halten übrigens noch die Möglichkeit verschärfter Versionen („Albtraum“, „Hölle“) parat. Diese malt man sich aber lieber gleich gar nicht aus.
Martina & Martin Lhotzky, Marcus Steinwender
Kid
Family
Adult
Expert ein
Alter
Spezial 1
Spieler : 1 – 4
Alter : ab 12
Dauer : ca. 90 Minuten
Autor : Antoine Bauza
Grafik : Pierô
Vertrieb A. : Asmodée
Preis : ca 28,00 Euro
Verlag : Repos Productions 2008
www.rprod.com
Genre : Kooperationsspiel mit Horrorthema
Zielgruppe : Für Vielspieler/Experten
Mechanismen : auf Karten reagieren, Würfeln
Zufall : 7
Wissen :
Planung :
Kreativität :
Kommunikation : 7
Geschicklichkeit :
Action :
Kommentar:
Sehr schöne Gestaltung
Gelungener Spielansatz
Misslungene Umsetzung
Regel muss überarbeitet werden
Vergleichbar:
In dieser Art erstes Spiel
Atmosphäre : 7
Martina, Martin und Marcus:
Wer oft verliert, kommt trotzdem nie ans Ziel. Die Spielanleitung von „Ghost Stories“ bedarf einer starken Überarbeitung und Entschärfung. In der Besprechung bieten wir zwei erste Vorschläge an.