Timbuktu – der Weg durch die Wüste …

 

Sichere Schlafplätze für Kamele?

 

Timbuktu – diese Stadt hat den zauberhaft verklärten Klang eines weit abgeschiedenen Ortes irgendwo in der Ferne. Ob damit den Spielerinnen eine Welt abseits des Trubels und der Hektik suggeriert werden soll? Der Grund für diesen Mythos entstammt zum einen der Idee eines Carl Barks, seinen echauffierten Donald Duck am Ende einer Geschichte nach Timbuktu entfliehen zu lassen, zum anderen der historischen Bedeutung Timbuktus als Handelsumschlagplatz und Wasserquelle, die dieser Stadt im heutigen Mali bereits seit dem 10. Jahrhundert zukam. So viel zum Namen des neu bei Queens Games aufgelegten Dirk Henn Spiels, das bereits 1993 im eigenen db-Verlag erschien und in Insiderkreisen sofort für positive Kritiken sorgte. Spannend ist es für den Rezensenten zu beobachten, wie nach und nach alle alten Henn-Produktionen den Weg zu einem breiteren Publikum finden (vgl. Al Capone – Der Palast von Alhambra, Stimmt so! – Showmanager – Atlantic Star, Iron Horse – Metro, Carat – Die Gärten der Alhambra, Texas – Rosenkönig, Anm. d. Verf.). Qualität setzt sich eben auf Dauer durch, und gehaltvoll und mit einem ganz eigenen Reiz ausgestattet sind sie alle, diese Dirk Henn-Werke. Von einem Geheimtipp hat sich dieser Spielautor inzwischen zu einem ganz Großen der Branche entwickelt. Gratulation!

 

Timbuktu“ blieb als einzige der früheren Ausgaben im Titel unverändert erhalten. Zu treffend schien dieser für den langen Weg durch die Wüste. Wie nun aber funktionieren in der Neuauflage die Warenlieferungen bei der Wanderung der Kamele von Oase zu Oase? Zunächst muss der für alle vorgeschriebene Karawanenweg ausgelegt werden, abhängig von der Kameltreiberinnenzahl. Bei maximaler Fünf-Personen-Besetzung brauchen Sie schon eine überlange Spielfläche, wenn Sie unhandliches Stückeln der Spielplanteile (die jeweils 25 Stellplätze für Kamele zeigen) vermeiden wollen. Zudem wollen die farblich individuell auf die Spielerinnen abgestimmten Karawanen-Tafeln mit Waren belegt werden. Gold, Kaffee, Pfeffer, Salz und Wasser stehen in ausreichender Zahl zur Verfügung, insgesamt 105 Stück. Jedes Kamel wird mir vier Waren bepackt. So viel als möglich davon sollte in mehreren Etappen nach Timbuktu gebracht werden. Wer am Ende die meisten und wertvollsten Waren liefert – und auf dem Wörtchen „wertvoll“ liegt die Betonung –, wird zum erfolgreichsten Karawanenführer. Hier, beim Lohn für die Transportmühen, wird wieder Dirk Henns geniale Handschrift sichtbar. Wertvoll ist eine Ware dann, wenn im Laufe des Karawanenzugs viel davon verloren geht – klarerweise bei den Mitspielerinnen, nicht auf Ihrer eigenen Karawanen-Tafel! Ein kleines illustratives Beispiel: Wurden acht Salzsäcke abgegeben, so ist jede Salzlieferung nach Timbuktu exakt acht „Punkte“ wert. (Ich hätte eine stilechte Währungseinheit als Gradmesser des Erfolgs bevorzugt; Anm. d. V.) Zuletzt werden noch einige Diebskarten kreisförmig ausgelegt, abhängig von der Spielerinnenzahl fünf bis acht Kamele in ziemlich freier Wahl auf vorgezeichneten Startfeldern bereitgestellt, und schon kann es losgehen mit der Wanderung durch die Wüste.

 

Im Detail folgt der Spielablauf einem einfachen Schema. Zunächst erhält jede Kameltreiberin einen Satz Diebskarten, die drei Informationen zu den bevorstehenden Diebstählen enthalten: (1) den betroffenen Pferch, (2) den betroffenen Stellplatz und (3) die betroffenen Warensorten. Theoretisch sind die Kombinationsmöglichkeiten exakt ausgewogen, d. h. jede Spielerin hat die gleichen Startchancen. In der Folge geht es über mehrere Etappen, die sich wiederum in Runden unterteilen lassen. Durch einen eigenen Etappen- wie Rundenstein ist dieser Ablauf eindeutig und klar erkennbar markiert. In jeder der Runden darf eine Spielerin genau ein Kamel um eine Oase (sprich Spielplanteil) weiterziehen, in das vorderste Feld der mit jeweils von „1“ bis „5“ durchnummerierten fünf mal fünf Matrix in den Farben Gelb, Grau, Weiß, Violett und Braun. Dabei spielt es keine Rolle, wo dieses Kamel vorher stand, solange es in einen der beiden durch Pfeile vorgegebenen neuen Pferche geführt wird. Soll dagegen ein Schlafplatz in einem der drei anderen Pferche gewählt werden, kostet dies eine Ware. Kein großer Verlust, zugegeben, aber vielleicht bei dieser Wüstenreise letztlich dennoch Spiel entscheidend. Fünf bis acht Runden (wieder abhängig von der Spielerinnenzahl) werden nach diesem Schema abgewickelt, bis letztlich jedes Kamel seinen Platz gefunden hat. Am Ende jeder Etappe werden die Diebskarten offen gelegt und damit aufgezeigt, in welchem Pferch und auf welchen Stellplätzen welche Waren geklaut werden. Insgesamt sind in jedem Pferch zwei Stellplätze Opfer der Diebe, wobei immer zwei Warensorten gestohlen werden. Ist ein Kamel sogar mit mehreren „passenden“ Waren beladen – was auf den offen liegenden Karawanen-Tafeln jederzeit ersichtlich ist – wird von den „Dieben“ alles mitgenommen. Schließlich sind wir ja mitten in der Wüste. Zur Übersichtlichkeit empfiehlt das Regelheft, alle gestohlenen Waren fein säuberlich sortiert und offen auszulegen, damit der momentane Wert der späteren Warenlieferungen deutlich sichtbar wird. Zur Erinnerung: Je mehr Diebstähle eines Gutes, desto teurer werden die Restbestände. Wohl dem, der diese wertvollen Waren heil nach Timbuktu bringt. Das war es bereits, abgesehen von einer kleinen Zusatzaktion. „Timbuktu“ wäre kaum mehr als ein reines Glücksspiel, wenn Sie nur mit den drei Infos auf Ihren Basisdiebskarten auskommen müssten. Am Ende der Etappe gäbe es vielleicht das eine oder andere lange Gesicht, von Planung und Taktik wäre jedoch nicht viel zu spüren. Aber hier bietet Dirk Henn eine simple Abhilfe. Pro Oase sind jeweils zwei Stellplätze durch ein Kartensymbol markiert. Sobald ein Kamel dort abgestellt wird, kommt es zum Reihumtausch der Diebskarten. Die Spielerinnen erhalten dadurch Zusatzinformationen, die zu sehr vorsichtigem und bedachten Verhalten bei den weiteren Kamelbewegungen führen, sind doch immer mehr Stellplätze als gefährdet bekannt. Und schließlich möchte niemand seine schwer verdienten Waren als Diebsgut verlieren. Da reihum Kamel um Kamel bewegt werden muss, versuchen alle Spielerinnen gedanklich auszuloten, was die anderen am Tisch wissen. Gleichzeitig versucht jede Spielerin in den folgenden Runden zu erahnen, welche Kamele von den anderen weitergeführt werden und wohin der Weg geht. In dieser Phase schimmert wieder einmal das bewährte Stein-Schere-Papier-Prinzip durch. Zudem sind bei den späteren Etappen die Warenladungen der einzelnen Kamele bereits ziemlich ausgedünnt. Daher läuft so mancher Diebszug buchstäblich ins Leere. Anders formuliert: Sie können Ihre unbeladenen Kamele ohne große Sorge auf gefährdete Stellplätze bewegen. Außer dass Sie dadurch den Mitspielerinnen das Leben erleichtern, wird für Ihren Transport kein Schaden entstehen. Vielleicht können Sie an dieser Stelle schon erahnen, dass Stellplatz nicht gleich Stellplatz und Kamel nicht gleich Kamel ist. Die Gefahr lauert jedoch wahrlich im „Verborgenen“, solange Sie nicht die entsprechenden Diebskarten kennen.   

 

Wenn es einen Kritikpunkt gibt, dann die eher unrealistische Spieldauer von 45 Minuten, die das Schachtelcover ziert. Eine Grüblerin unter den „Kameltreibern“, ein paar Spielsituationen, bei denen das Abwägen des optimalen Pferchs Spiel entscheidend scheint, und schon rinnen die Minuten dahin. Nichts geht mehr auf dem Weg in die nächtlichen Stellplätze. Hier hilft kein Agreement im Voraus, zu spannend und intensiv tauchen manche Spielerinnen auf der Suche nach dem besten Platz ins Geschehen ein. Daher meine unbedingte Empfehlung: Spielen Sie „Timbuktu“ mit einer Sanduhr oder einem Timer. Sie zwingen dadurch alle Konkurrentinnen zur Entscheidung, und Sie machen damit dieses Spiel zu einem wirklich tiefen Erlebnis. Sobald die eine oder andere Spielerin unruhig wartend und frustriert auf die Uhr blickt, wird auch das Ziel nebensächlich. Dann droht das unbarmherzige Aus für „Timbuktu“, und dieses Spiel könnte unverdienterweise an einem „abgeschiedenen Ort irgendwo in der Ferne“ (sprich: verstaubtes Regal) landen. Dies wäre mehr als schade, denn die Mechanismen bringen, so viel aus den Testrunden, ein ums andere Mal knisternde Spannung. Spielplan, Holzkamele, Diebskärtchen, Warenplättchen wie auch das Regelheft sind nicht nur schön anzuschauen sondern auch funktionell auf höchstem Niveau. Ein in der Regel empfohlenes schriftliches Festhalten der durch Diebstahl gefährdeten Pferche muss allerdings auf nicht beigelegtem Notizpapier gemacht werden. Kein Problem an sich, schon richtig, jedoch wäre eine elegantere Lösung als dieses verdeckte Geschreibsel durchaus vorstellbar. Positiv zu erwähnen ist auch die Expertenvariante, bei der die Verteilung der Waren auf den Karawanen-Tafeln nicht nach Vordruck geschieht, wie im Grundspiel, sondern jede Mitspielerin die freie Wahl hat, ihre persönlichen Schwerpunkte zu setzen. Dadurch kommt noch ein Schuss Taktik ins Geschehen.

 

Mein persönliches Fazit: Wenn Ihnen Denken, Kombinieren und Grübeln zusagen, so erwartet Sie mit „Timbuktu“ anspruchsvolle eine Reise durch die Wüste, die noch dazu einen hohen Wiederholungswert garantiert. Wenn Sie jedoch eher zum stimmungsabhängigen, kommunikativen Typ gehören, der schnelles Zocken und lockeres Geplauder während eines Spielabends schätzt, sollten Sie die Finger von diesem Deduktionsspiel lassen. So nebenbei lassen sich die Kamele nicht bändigen, so viel sei betont. In jedem Fall ist eine volle Fünf-Personen-Runde die optimale Besetzung für dieses Logistikabenteuer am fernen Ende der Welt. Diesen kleinen Hinweis sollten Sie beachten, wollen Sie dem Flair und der Grundidee des Spiels wirklich gerecht werden. Meine Empfehlung: Auf nach Timbuktu!    

         

 

Timbuktu

Spieler:                 3-5  

Alter:                    ab 8 Jahren

Dauer:                  45 Minuten

Verlag:                  Queen Games 2005

                            www.queen-games.de

Autor:                   Dirk Henn

Grafik:                   Jo Hartwig

Erstausgabe:          db-Verlag (1993)

Preis:                    ca. € 23

 

WIN WERTUNG

Genre:                  Deduktionsspiel  

Zielgruppe:            Grübler und Denker

Mechanismus:        Gefahrenstellen meiden

Strategie:               ***

Taktik:                  ******

Glück:                   ***

Interaktion:            *****

Kommunikation:     *

Atmosphäre:          ****

Kommentar:

Deduktionsspiel mit Glücksfaktor

Einfallsreiche thematische Einbettung

Temperamentabhängig

Schönes Spielmaterial

Hugo Kastner: „Timbuktu“ ist für mich ein glasklares Deduktionsspiel, jedoch mit einem wohltuend eingebauten Glücksfaktor. Dennoch ist die Spieldauer sehr von den Mitspielerinnen abhängig. Eine Grüblerin genügt, um einzelne Spielzüge für Minuten zu verzögern und den Weg nach Timbuktu wahrlich lang und trocken werden zu lassen. Daher nochmals mein Ratschlag: Greifen Sie zur Sanduhr! Wenn Ihnen das klassische „Cluedo“ oder Randolphs „Incognito“ zusagen, werden Sie auch an „Timbuktu“ gefallen finden.   

     

Hugo Kastner

hugo.kastner@chello.at