Faszination
Archäologie
Jenseits
von Theben
Artefakte – Ausstellungen – Kongresse
Der
Titel Jenseits von Theben ruft
bei mir Assoziationen zum John-Steinbeck-Klassiker „Jenseits von Eden“ wach.
Vermutlich ist dies keine bewusste Anlehnung von Peter Prinz an den mit James
Dean verfilmten Roman des amerikanischen Starautors. Das hätte der Österreicher
mit seinem thematisch-ästhetischen Meisterwerk auch gar nicht nötig. War schon
die erste, optisch eher ungeschliffene Version aus dem Jahr 2004 binnen Kurzem
vergriffen (Grund: Qualität des Spielmechanismus), so verdient das 2007 bei
Queen Games erschienene Update noch viel mehr ein starkes Lob. Jenseits von
Theben, also südlich und östlich der bekannten Ausgrabungsstätte gelegen, suchen
und erforschen die Hobbyarchäologen – in diese Rollen schlüpfen die Mitspieler
– die berühmten Tells (Grabungshügel) von Mesopotamien, Kreta, Ägypten und
Palästina. Ein bislang in Spielen wenig erprobter Zeitmechanismus lässt uns die
Jahre knapp nach Schliemanns Arbeiten in Troja wie im Flug vergehen.
Vorbereitung
& Spielziel: Die
Queens-Box bietet wie gewohnt opulentes Zubehör
für die Reise in die Tiefen der Antike: ein praktischer, weil nicht
unnötig großer Spielplan, 100 Spielkarten der Kategorien Forschung, Ausstellung
und Übersicht, Holzfiguren und Zeitsteine, für jeden Forscher einen prall mit
Grabungsplättchen gefüllten Stoffbeutel, einige Grabungserlaubnisse und vier Chronokel
(was für ein Wort!). Dazu kommt noch eine, bei Queen Games schon erwartete, bunte
und leicht lesbare Spielregel. Dieses Material will zunächst einmal sortiert
werden, was beim ersten Spiel doch einige Minuten in Anspruch nimmt. Doch alles
ist logisch ausgerichtet, die Forscher haben die gleichen Startvoraussetzungen,
und so darf diese Vorbereitungszeit als durchaus angemessen bezeichnet werden.
Was ist das thematische Ziel des Spiels? Eine Reise durch europäische
Metropolen des beginnenden 20. Jahrhunderts (Warschau, Moskau, Berlin, Paris,
London, Wien und Rom), die es ermöglichen soll, ausreichendes Wissen für
erfolgreiche Grabungsexpeditionen nach Griechenland, Kreta, Ägypten, Palästina
und Mesopotamien durchzuführen. Die Funde können später in Ausstellungen hohes
Prestige bringen. Dazu werden auch noch Kongresse veranstaltet, die ebenfalls
zum Ansehen der Archäologen (Spieler) beitragen. Das alles ist jedoch ein
Wettlauf mit der Zeit, denn gnadenlos verrinnen die Wochen in den versunkenen
Zentren der Antike.
Spielablauf
& Spieltipps: Hoch
interessant ist der Ablauf dieses Grabungswettlaufs, wird doch die Reihenfolge
der Spieler nicht nach einem fixen Schema abgespult. Über die Zugreihenfolge
der Forscher entscheidet allein, wer auf der in Wochen getakteten Zeitleiste
weiter hinten steht. Dieser Forscher darf dann zur Aktion schreiten, unter Umständen
auch mehrmals hintereinander. Vier Möglichkeiten bieten sich dabei jeweils an:
(1) eine Forscherkarte erwerben, (2) eine Kartenauslage tauschen, (3) eine
Ausstellung machen und (4) eine Ausgrabung durchführen. Bei Letzterer
entscheidet immer das so genannte Chronokel, eine Art Drehscheibe (ähnlich
einem Rechenschieber), die angibt, wie viele Fundstücke ein Forscher in einer
von ihm frei gewählten Anzahl von Wochen ausgraben darf. Die Entscheidung für
oder gegen eine hohe Zahl an Versuchen ist eines der Kriterien des Spiels. Denn
alles kostet wertvolle Zeit, die von den Konkurrenten gnadenlos ausgenützt
werden kann. Außerdem darf innerhalb eines Jahres (drei stehen insgesamt zur
Verfügung) jedes Gebiet von jedem Archäologen nur einmal durchforscht werden.
Das Spiel endet mit Ablauf des Jahres 1903, wenn alle Figuren die 52. Woche auf
der Zählleiste erreicht haben. Nun wird abgerechnet: Artefakte (wertvolle
Bruchstücke), Ausstellungen, Kongresse und in Bibliotheken erworbenes Fachwissen
in bestimmten Grabungsgebieten bringen Prämienpunkte. Wer die meisten
Siegpunkte zusammengeschaufelt hat, kehrt siegreich ins „Diesseits von Theben“
zurück.
Kritik
& Anmerkungen: Meine
Spielrunde war nach kurzer Eingewöhnungsphase sehr von der thematischen Dichte
dieses Spiels begeistert. Das Grabungsfieber hat uns wahrlich gepackt. Dass
dann später beim Ausgraben oft und oft nur loser Schutt gefördert wird, mag den
einen oder anderen in Verzweiflung gestürzt haben. Doch so ist das
Forscherleben eben, nicht alles ist Gold, was glänzt. Elegant ist der
Mechanismus des Chronokels, findig auch die Umrechnung sämtlicher Aktionen auf
Zeit. Das Sprichwort „Zeit ist Geld“ wird von Peter Prinz gefühlvoll in das
Motto „Zeit statt Geld“ umgewandelt. Vielleicht zunächst ungewohnt, fand ich es
wohltuend, für einmal nicht ständig Geldscheine oder Spielchips über den Tisch
schieben zu müssen. Zurück zum Chronokel
und damit zu den Ausgrabungen. Je mehr Artefakte eines Grabungsgebietes schon zutage
gefördert wurden, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, weitere wertvolle
Fundstücke zu entdecken. Der Grund: Schuttplättchen werden in die „Grabungsbeutel“
zurückgeworfen. Damit ändert sich ständig das Verhältnis Treffer zu Niete. Aber
keine Angst, Sie müssen keine Wahrscheinlichkeitsrechnung beherrschen. Peter
Prinz liefert übersichtliche Grabungskarten mit, die zeigen, was eine
Grabungsstätte (theoretisch) hergibt. Grafisch und inhaltlich hervorragend ist
das Übersichtsblatt, wo neben Forscher- und Ausstellungskarten auch eine
historisch korrekte, knappe Beschreibung aller Artefakte mitgeliefert wird. Ich
sehe dies als einen kleinen Beitrag zur so wichtigen Achse „Spiel und
Wissenschaft“.
Mein persönliches Fazit: Eine gewisse Frusttoleranz ist schon
vonnöten, wenn die Ausbeute aus einem Grabungsversuch immer wieder nur aus
leerem Schutt oder wenig wertvollen Bruchstücken besteht. Hier verflucht nicht
nur der Archäologe in uns das Schicksal aller Forscher, hier leiden auch unsere
enttäuschten Spielerseelen. Doch gerade dieser Zufall lässt Jenseits von Theben auch im
Familienkreis zu einem Abenteuer werden. Nicht immer ist es der erfahrene,
weltgewandte, weit gereiste Erwachsene, der sich am Ende freuen darf. Die Laune
des Zufalls lässt selbst dem Anfänger manch glückliche Scherbe zutage fördern.
Die Nominierung zum Spiel des Jahres,
die Auszeichnung beim Spiel der Spiele
und ein Top-10 Platz beim Deutschen
Spielepreis sind jedenfalls der verdiente Lohn für die Mühen des Peter
Prinz. Möge er uns auch in Zukunft solch wertvolle Artefakte zur Stillung
unserer Sehnsüchte schenken, … egal ob diesseits oder jenseits von Theben.
Hugo
Kastner
Thematisch ist Jenseits von Theben ein wunderbares
Spiel, mit einer starken Verquickung von Reisefieber, Abenteuerlust,
Weltoffenheit und Grabungsspannung. Der Mechanismus mit der in Wochen
ablaufenden Zeit verlangt zunächst ein Umdenken, bringt jedoch bald ein
interessantes Wechselspiel von Chronos und Kairos, also realer und empfundener
Zeit. Alles zielt auf Ausgrabungen, Kongresse und Ausstellungen ab – und doch
bleibt das subjektive Gefühl der ewigen Faszination der Antike.
ÜBERBLICK
Autor: Peter
Prinz
Grafik: Michael
Menzel
Vertrieb: Fachhandel
Preis: ca.
22 Euro
Verlag: Queen
Games 2007
www.queen-games.de
Spieler: 2-4
Alter: 8+
Dauer:
60
BEWERTUNG
Genre: Taktisches
Abenteuerspiel
Zielgruppe: Familie
Mechanismus: Artefakte
„graben“
Strategie: ●●●○○○○
Taktik: ●●●●○○
Glück: ●●●●○○○
Interaktion: ●●●●○○○
Kommunikation: ●●○○○○○
Atmosphäre: ●●●●●●○
Kommentar:
Faszinierender Zeitmess-Mechanismus
Prickelndes „Graben“ von Artefakten
Schöne Ausstattung
Hervorragende thematische Einbindung
Jenseits von Theben
hat eine unglaubliche
atmosphärische Dichte, die bei einer Ein-Stunden-Abenteuerreise alle
Mitspielenden in den Bann ziehen kann. Betonung auf dem letzten Wörtchen. Denn
bisweilen passiert es, dass entgegen aller statistischer Wahrscheinlichkeiten
ein Spieler immer alle Artefakte und der andere nur den losen Sand in Händen
hält. Und Letzterer zerrinnt bekanntlich zwischen den Fingern. So ist das
Leben, sage ich mal salopp, wenn man sich auf eine Abenteuerreise einlässt. Andere
Ausgrabungsspiele wie etwa Troja
oder Mykonos dürfen nicht als
Vergleichsobjekte verstanden werden, zu unterschiedlich sind die Mechanismen,
das Zielpublikum, ja der ganze Spielfluss. Mich jedenfalls hat Jenseits von Theben am tiefsten in die Grabungsstätten der antiken
Welt entführt.