MIT FREUNDEN
DIE HEILIGTÜMER DES TODES (*)
COLONIA
Reliquien-Handel und
Rohstoff-Wandel
Dirk Henn ist als recht emsiger Spieleautor bekannt. Sein größter Erfolg war
bislang „Der Palast von Alhambra“ als das Spiel des Jahres 2003. Zeitlich und
geographisch liegt „Colonia“ jedoch näher bei „Wallenstein“, an das wir uns
zuletzt in WIN 1/2010 als Perle der Spielekunst erinnert haben (auch als „Shogun“
im japanischen Ambiente herausgekommen und für das diesen Herbst eine zweite
Auflage geplant ist). Auch die riesige Schachtelgröße von „Colonia“ entspricht
den Dimensionen von „Wallenstein/Shogun“. Thema des Spiels ist Köln im
Mittelalter. Da sollen wir also wohl beim Bau des Kölner Doms mithelfen (der im
Gegensatz zu der Kathedrale von Kingsbridge auch real existiert)? Nein, ganz
falsch (deswegen konnte der Kölner Dom auch erst im 19. Jahrhundert
fertiggestellt werden) – es geht vielmehr um den Einkauf von Reliquien, den
tatsächlichen oder (häufig eher) angeblichen Überbleibseln von katholischen
Heiligen.
Reliquieneinkauf in Köln, ist das erfunden? Nein, eine kurze Recherche bestätigt
das Spielthema. Umso unverständlicher, weshalb in der großen Spielschachtel mit
einer Ausstattung, bei der man sich offenbar viel Mühe gemacht hat, nicht auch
irgendwo eine kleine historische Erläuterung zu finden ist. Stattdessen gibt es
nur einen kurzen Absatz mit dem üblichen „Blabla“ von Patrizierfamilien, die
Macht und Einfluss gewinnen wollen. Zweiter offenkundiger Wermutstropfen sind
die Spielfiguren, die bloß in der „Collector´s Edition“ als Männchen
ausgestaltet sind; die Masse muss sich mit kleinen Holzwürfeln begnügen (aber
natürlich ist das auch eine Geldfrage).
Der Spielmechanismus
lässt sich kurz derart beschreiben, dass wir (wieder einmal) unsere Figuren auf
Spielplanfelder setzen, damit wir Rohstoffe bekommen, die weiter zu bearbeiten
sind, damit letztlich Siegpunkte herausschauen. Im Unterschied zu anderen
vergleichbaren Spielen erwerben wir hier aber keine Gebäude, Handwerker oder
dgl., die unsere Rohstoffe in Siegpunkte umwandeln, alles wird über den Spielplan
abgewickelt – für die Mitspieler gibt es auch keine Entwicklungsmöglichkeiten,
um das Tauschen effektiver gestalten zu können. Außerdem sind unsere Figuren
(bzw. Holzwürfel) hier keine Arbeiter, sondern Familienmitglieder; je nach
Anzahl der Mitspieler stehen davon jedem zwischen etwa 20 und 40 zur Verfügung
(da mag man sich die familiäre „Weihnachtshölle“ gar nicht vorstellen – noch
dazu, wo es als Geschenke bloß Reliquien gibt!).
Was braucht man also für den Kauf der Reliquien(karten)? Richtig, Geld. Geld
bekommen wir dafür, dass wir Waren auf Schiffe verladen. Die Waren wiederum
holen wir uns bei Handwerkern im Eintausch gegen Rohstoffe, die Rohstoffe für
diese Waren gibt es am Markt. In chronologisch richtiger Reihenfolge läuft eine
Spielrunde (= eine Woche) so ab:
Montag: Aufstehen, Zähneputzen, Anziehen, und dann das Spielmaterial für
diese Runde/Woche vorbereiten; das wird über zufällig gezogene Karten ermittelt.
Sonst passiert am Montag nichts, wir dürfen also im Wesentlichen blau machen. Ein
recht witziges Spielelement ist der Umstand, dass über das Inkrafttreten der drei
Ereigniskarten jeder Runde/Woche erst abgestimmt werden muss. Die Anzahl der
Stimmen pro Mitspieler bestimmt sich nach den Holzwürfeln, die wir am Dienstag
losschicken.
Dienstag: Aufstehen, Zähneputzen, Anziehen, und dann Holzwürfel ins
Rathaus schicken, zum einen für die drei Abstimmungen dieser Runde/Woche – zum
anderen entscheidet die Anzahl der Holzwürfel auch über die Spielerreihenfolge.
Erst danach kommen die Holzwürfel des vorigen Dienstages wieder zurück zum
eigenen Vorrat.
Mittwoch: Aufstehen, Zähneputzen, Anziehen, und dann Holzwürfel zum
Markt schicken – jeder Holzwürfel bringt mir einen Rohstoff. Erst danach die
Holzwürfel vom vorigen Mittwoch wieder zurück zum eigenen Vorrat.
Donnerstag: Aufstehen, Zähneputzen, Anziehen, und dann Holzwürfel zu den
Handwerkern schicken, um die Rohstoffe in Waren umzuwandeln. Erst danach die
Holzwürfel vom vorigen Donnerstag wieder zurück zum eigenen Vorrat.
Freitag: Aufstehen, Zähneputzen, Anziehen, und dann Holzwürfel zu den
Schiffen schicken, um die Waren zu verladen.
Samstag: Aufstehen, Zähneputzen, Shopping, und dann Geld für die Waren
kassieren. Erst jetzt die Holzwürfel vom vorigen Freitag wieder zurück zum
eigenen Vorrat.
Sonntag: Ausschlafen, Zähneputzen, Kirchgang, und dann Reliquien kaufen.
Dieser klar strukturierte und stets gleiche sequentielle Ablauf wirkt zwar
etwas altbacken, wenn man bedenkt, welch dynamische und vielfältige Entscheidungen
abverlangende Mechanismen es in vergleichbaren Spielen bereits gegeben hat.
Dadurch kommt „Colonia“ zunächst aber natürlich Spielrunden entgegen, die mit
vielen verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten überfordert sind. Dennoch
abschreckend kann natürlich die 14-seitige Anleitung wirken, die dafür (einige
Ereigniskarten ausgenommen) alles leicht verständlich und umfassend erklärt. Leider
lässt sich „Colonia“ nicht aus dem Bauch heraus spielen. In den ersten beiden
Runden/Wochen ist es zwar eher gleichwertig, was man tut, weil die erworbenen
Rohstoffe/Waren/Geldscheine später wohl schon noch gebraucht werden. Vor allem
in den letzten beiden Runden will man aber natürlich auf seinem Kapital nicht
sitzen bleiben und das animiert zum Tüfteln bzw. Rückrechnen: Ich möchte gerne
die Reliquienkarte A kaufen, dafür sollte ich die Waren X, Y und Z auf das
zweite Schiff verladen, dafür brauche ich noch die Rohstoffe weiß, schwarz und
braun. Nicht zuletzt dürfen auch die Holzwürfel nicht zu planlos oder gar verschwenderisch
eingesetzt werden, sonst droht spätestens in der folgenden Woche/Runde eine
„Mangelwirtschaft“.
Außerdem sollte man auch noch im Hinterkopf behalten, wie viele und welche Geldscheine die Mitspieler bereits verdient haben – die gibt es nämlich, genau wie die Reliquien, in vier Währungen/Farben – denn sonst schnappt mir vielleicht noch jemand die gewünschte Reliquie weg (auch sonst muss man beim Spielen mit einem gewissen Frustpotential umgehen können). Deswegen ist es auch nur bedingt möglich, den eigenen nächsten Zug während der Aktionen der Mitspieler vorzuplanen, denn bis ich drankomme, ist das Gewünschte vielleicht weg und ich muss etwas Anderes überlegen. Aus diesem Grund wird die grundsätzlich erfreuliche Möglichkeit, „Colonia“ auch zu sechst spielen zu können, in der Praxis eher scheitern. Zusammengefasst leidet der Spielreiz daran, dass zum einen eher viel Denk- bzw. Kombinationsarbeit notwendig ist und man sich zum anderen leicht um die Früchte der eigenen Mühen betrogen fühlen kann, weil die diversen Glückselemente vielleicht mehr die Mitspieler begünstigen.
28 Tage später
Die Spieldauer von sechs
Runden/Wochen bzw. 42 „Tagen“ ist nicht bloß länger als die Fastenzeit, sie
fühlt sich zeitweise auch ähnlich zäh und mühsam an. Zu empfehlen ist somit
eine Verkürzung der Rundenanzahl von sechs auf vier (Das hat sich ja auch schon
bei „Der Name der Rose“ von Stefan Feld bewährt). Dann gibt es vier Wochen mit
insgesamt 28 Tagen, was für einen schönen Spielemonat ausreicht (jedenfalls im
Februar) und die Spieldauer angenehmer gestaltet. Beim Spielmaterial sollten
dafür pro Farbe je ein Schiff und je drei Reliquienkarten vorab aussortiert und
die Anfangsausstattung der Mitspieler um etwa 50% erhöht werden.
(* Joanne K. Rowling, Harry Potter, Band VII)
ÜBERBLICK
Spieler 3-6
Alter 12+
Dauer 120+
Autor: Dirk Henn
Grafik: ???
Vertrieb: ???
Preis: ca. 40,00 Euro
Verlag: Queen Games
www.queen-games.de
Genre : Ressourcenmanagement
Zielgruppe :
Mit Freunden
Mechanismen : Ressoucen einsetzen, tauschen
Zufall : 3
Wissen/Gedächtnis : 2
Planung : 4
Kreativität :
Kommunikation : 5
Geschicklichkeit :
Action :
Kommentar
Originelles, historisch verbürgtes Thema
Schöne Ausstattung
Für den Spielreiz zu lange Spieldauer
Tüftelanfällig, dennoch relativ starker Glücksanteil
Vergleichbar mit
alle Spiele, in denen reihum Spielfiguren zur Rohstoffbeschaffung eingesetzt
werden
Atmosphäre 5
Harald Schatzl
Nomen est omen? Der erste
Impuls nach dem Lesen der Spielanleitung, nämlich „Colonia“ gleich in den
gleichnamigen Kübel zu werfen, ist zwar unberechtigt. Das Spiel wird es aber
dennoch schwer haben Spielrunden zu finden, die auch wiederholt Vergnügen an weiteren
Partien empfinden.