„Moderne Zeiten“ in der Vergangenheit
BATAVIA
Per Schiff auf der Suche nach Seide, Muskat und Porzellan
Aha, es geht also nach
Asien ins Reich der Seide und des Ingwer, in die Regionen, in denen mit Pfeffer
und Muskat gehandelt wird, in den fernen Osten, um Tee, Baumwolle und edles
Porzellan zu importieren. Und das alles zur heutzutage verklärten Zeit der
Ostindischen Handelskompanien im 17. Jahrhundert. Stimmungsvoll ist sie, diese
Hintergrundgeschichte des neuen Queen-Spiels, und sie verheißt ein spannendes
Spielerlebnis und vermutlich ein taktisches und strategisches Ringen um die
wertvollsten Waren. Ein Blick in die Regel zeigt: Dieser erste Eindruck ist
absolut korrekt – wenn auch das zu Grunde liegende Regelwerk bei Insidern
Erinnerungen das bereits vor sechs Jahren von Jumbo herausgegebene
Wirtschaftsspiel „Moderne Zeiten“ erinnert. Auch dieser Eindruck ist übrigens
korrekt. Aber schön der Reihe nach.
Der von Michel Menzel wie
immer stimmungsvoll illustrierte, aber für seine Verhältnisse relativ abstrakt
gehaltene, Spielplan zeigt Asien und ein Stückchen Meer, an der Küste entlang
windet sich eine Strecke aus 36 Spielplanfeldern, die im Laufe des Spiels mit
Handelsstationen (in Form von sechseckigen Papp-Plättchen) belegt wird. Jede
Station zeigt eine der eingangs erwähnten Warenarten sowie die Flagge einer der
fünf Ostindien-Kompanien England, Dänemark, Frankreich, Niederlande und
Schweden. Auf dem Zielplättchen am Ende der Strecke schließlich sind alle fünf
Flaggen abgebildet. Darüber hinaus benötigen die 3 bis 5 Kaufleute je 12
hölzerne Warenkisten, eine Spielfigur der eigenen Farbe, 10 zufällig zugeteilte
Schiffskarten (wieder mit je einer Flagge darauf) sowie einen Zählstein, um auf
der den Spielplan umlaufenden Kramerleiste die aktuelle Anzahl der begehrten
Goldstücke abzutragen. Wer am Ende des Spiels, das nach rund 60 Minuten
eintritt, am weitesten vorn steht, gewinnt natürlich. Doch bis dahin ist es ein
weiter Weg, der zu Beginn jeder Runde von einem Würfel bestimmt wird, ohne
dabei aber zu einem zufallsgesteuerten Glücksspiel zu mutieren.
Der Würfel ist gefallen
Die Aktionsmöglichkeiten
der Spieler sind begrenzt. Das macht zwar den Einstieg leicht, nachdenken muss
man aber dennoch, um gerade aus diesen eingeschränkten Optionen das Beste
herauszuholen – mit dem Manko, das alle strategischen Spiele dieses Kalibers
ereilt, nämlich der Gefahr, die Spieldauer bei ein paar notorischen Grüblern am
Tisch ins Unermessliche zu steigern. Zunächst einmal wird ein Auktionator
bestimmt, der den Würfel wirft und entsprechend viele Schiffskarten vom Stapel
der übrigen, noch nicht an die Spieler verteilten, Karten aufdeckt. Zusätzlich stellt
er ein kleines hölzernes Schiff zu den Karten; es symbolisiert das
Startspielerrecht, das nun gemeinsam mit den bis zu 6 ausliegenden Karten an
den Meistbietenden versteigert wird. Geboten wird mit Wechseln, von denen den
Spielern anfänglich jeweils 15 zur Verfügung stehen. Interessant geregelt ist
das Bezahlen des Meistbietenden, der reihum den gebotenen Betrag an die übrigen
Mitspieler verteilt. So profitiert letztlich jeder zusätzlich finanziell, wenn
er nicht die ausliegenden Karten ersteigert.
Danach gibt es für jeden
Spieler genau zwei Aktionsmöglichkeiten, bevor eine neue Runde mit einer neuen
Versteigerung beginnt. Entweder zieht ein Kaufmann zwei verdeckte Schiffskarten
vom Stapel, nimmt sie auf die Hand und der Spielzug ist beendet, oder er spielt
Schiffskarten aus, um seine Spielfigur zu bewegen und eines der
Stationsplättchen zu erhalten. Letzteres ist zum Spielsieg zwingend
erforderlich, denn nur so lassen sich Kontore mit Waren belegen, die am Ende
zusätzliches Gold einbringen. Ein Kaufmann darf allerdings nur Schiffskarten
offen vor sich auslegen, wenn er dadurch die Mehrheit aller ausliegenden Karten
mindestens einer Kompanie erzielt. Legt er beispielsweise drei schwedische
Schiffskarten aus und hat dann insgesamt fünf Karten vor sich liegen, Spieler B
hat vier und Spieler C und D jeweils drei der schwedischen Schiffskarten
ausgelegt, hat der Spieler die Mehrheit und legt ein hölzernes Siegel an seine
Kartenauslage, um die Mehrheitsverhältnisse stets übersichtlich zu halten. Auf
dem Spielplan bewegt der Spieler nun seine Figur bis zum nächsten
Stationsplättchen der Kompanie, in der er die Mehrheit besitzt und nimmt das
Plättchen an sich. Außerdem legt er eine seiner Warenkisten auf das Kontor der auf
dem Stationsplättchen abgebildeten Warenart (z.B. Muskat). Er platziert es auf
der Flagge der Kompanie, die ebenfalls auf dem Stationsplättchen angegeben ist
(z.B. Frankreich). So füllen sich nach und nach die Kontore, werden Runde um
Runde Schiffskarten zur Mehrheitsbildung versteigert, wandern die Siegel von
Spieler zu Spieler und Wechsel über den Tisch. Wer zwischenzeitlich zu Gold
kommen möchte, kann außerdem im Rahmen der zweiten Aktion seine gesammelten
Stationsplättchen direkt in Gold eintauschen. Dazu gibt er je ein
Stationsplättchen jeder Kompanie ab, von der er momentan Plättchen besitzt. Bis
zu fünf sind also möglich, was satte 15 Goldstücke einbringt, die direkt auf
der Kramerleiste markiert werden.
Piraten!
Für noch mehr Spannung
sorgen die Piratenüberfälle, die immer dann ausgeübt werden, wenn insgesamt
mindestens 21 bzw. bei vier oder fünf Spielern 25 Schiffskarten auf dem Tisch
ausliegen. Dann nämlich versenken die Piraten die größte Kompanie mitsamt allen
Schiffen und die entsprechenden Karten wandern auf den Ablagestapel. So kann
ein Spieler, der fast uneinholbar scheint, ganz schnell seine sichere Mehrheit
in einer der Kompanien wieder einbüßen. Damit man nicht ständig die Karten
zählen muss, hat der Verlag eine Skala in den Spielplan integriert, auf der
eine kleine Kanone mit jeder ausgelegten Karte ein Feld weiter wandert, auf der
aber gleichzeitig auch die Anzahl der ausgespielten Karten der einzelnen Kompanien
mit kleinen Holzwürfeln markiert wird. Eine hervorragende Lösung, die jederzeit
für Übersicht sorgt.
Nimmt schließlich ein
Spieler das letzte Stationsplättchen – das Zielplättchen – an sich, wird die
laufende Runde noch zu Ende gespielt und dann folgt die Schlusswertung. Hier
gibt es dann noch einmal Punkte bzw. Goldstücke für fast alles. Die meisten für
Mehrheiten in den einzelnen Kontoren. Aber auch für die meisten Wechsel, für
den Besitzer des Zielplättchens sowie für jedes Kompanie-Siegel im eigenen
Besitz. Der Spieler mit dem meisten Gold gewinnt schließlich nach gut einer
(kurzweiligen) Stunde das Spiel.
Geschickt verzahnt
„Batavia“ lebt von der
geschickten Verzahnung der beiden Kernmechanismen Versteigerung und
Mehrheitenbildung sowie von der doppelten Belegung der Stationsplättchen mit
Warenarten und Flaggen, die immer wieder von den Spielern Entscheidungen
abverlangt. Ersteigere ich gezielt teure Kartenkombinationen, um die Stationen
zu erreichen, die ich benötige oder verlasse ich mich auf das Glück beim
Kartenziehen? Was führen die Mitspieler im Schilde und welche Mehrheiten
benötigen sie, um möglichst viele verschiedene Plättchen zu ergattern oder sich
die Mehrheit in einem oder mehreren der Kontore zu sichern? Riskiere ich durch
Auslegen zu vieler Karten einen Piratenüberfall oder provoziere ich ihn sogar,
um bewusst die größte Kompanie zu versenken und die Verhältnisse zu meinen
Gunsten umzukehren? Es gibt jede Menge Unwägbarkeiten, aber auch Vieles, das
sich beeinflussen lässt. Die gelungene Mischung aus Glück, Strategie und Taktik
ist das, was „Batavia“ immer wieder spannend macht.
Fazit
Wurden dem Jumbo-Original
(zu Recht) Regelschwächen nachgesagt, kann man Dirk Henns Überarbeitung absolut
keinen Vorwurf machen. Die 8 gut bebilderten Seiten der Anleitung lassen
praktisch keine Fragen offen und fassen den gesamten Spielablauf auf der
letzten halben Seite noch einmal knapp und übersichtlich zusammen, sodass man
sich das Blättern sparen kann. Taktischer und Strategen werden mit „Batavia“ ebenso
Spaß haben wie „Aus-dem-Bauch-heraus-Spieler“, was die potenzielle Zielgruppe
von Experten bis hin zur spielenden Familie erweitert. Während „Moderne Zeiten“
grafisch wie thematisch recht trocken daherkam – Aktien und ein Börsencrash haben
dann doch einen etwas geringeren emotionalen Wert als große Handelsschiffe mit
geblähten Segeln, die in die unbekannte Welt aufbrechen und Piratenüberfälle
fürchten müssen – ist auch die neue thematische Einkleidung nur als gelungen zu
bezeichnen. Letztlich wurde seitens der Regeln am Original nicht viel
verändert, denn auch das Jumbo-Spiel hatte durchaus seinen Reiz, sonst hätte es
wohl kaum die hier vorliegende Neuauflage erfahren. Wie aber schon bei
„Jenseits von Theben“ oder „Eketorp“ zeigt sich auch bei „Batavia“, wie der
Spielreiz mit dem gekonnten Feilen an Details noch gesteigert werden kann.
„Für alle Beckmesser unter den
wehrten Lesern sei abschließend noch schnell der Titel des Spiels erklärt, denn
„Batavia“ ist eben nicht nur der Name einer Stadt, (genau genommen das heutige
Jakarta, ironischerweise an der Nordwestküste der Insel „JAVA“ gelegen) in der
unsere Mitspieler versuchen, Handel zu treiben. „Batavia“ ist außerdem
der Name eines Segelschiffs der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Es sank
1629 auf seiner ersten Fahrt. Unter den Überlebenden kam es zu Massakern. Es
bleibt zu hoffen, dass dieses Schicksal nicht auch das Spiel ereilt, denn die
Überarbeitung hat dem Spiel wirklich gut getan. Zumindest zu Massakern dürfte
es am Spieltisch kaum kommen, dazu ist „Batavia“ dann doch etwas zu brav. Spaß
macht es indes trotzdem.
Spieler: 3-5
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: ca. 45 Min
Autoren :
Mauricio Gibrin, Mauricio Miyaji und Fabiano Onça
Grafik :
Claus Stephan, Martin Hoffmann
Vertrieb :
Piatnik
Preis :
ca. 30,- Euro
Verlag :
Queen
Genre :
Positions- und Wirtschaftsspiel
Zielgruppe :
Familie und Freunde / Experten
Mechanismen: Karten und Positionen nutzen
Strategie :
******
Taktik : ******
Glück : ****
Interaktion : *****
Kommunikation : *****
Atmosphäre : *****
Kommentar:
Atmosphärisch dichtes Spielerlebnis
einfacher Einstieg bei viel taktischer Tiefe
geschickt miteinander verzahnte Spielabläufe
hochwertiges Material
angenehm kurze Spieldauer
originelle Spielmechanik
sticht positiv aus der Flut der Mehrheitenspiele heraus
Vergleichbar:
Moderne Zeiten, Jumbo
Stefan
Olschewski
Eine
gelungene Überarbeitung des Jumbo-Spiels, dessen thematische Einbettung,
grafische Gestaltung und regeltechnische Optimierung überzeugen. Erstaunlich,
wie viele taktische Winkelzüge lediglich zwei unterschiedliche
Aktionsmöglichkeiten erlauben.
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