zwei spiele in einem

Alhambra – Das Würfelspiel

Eine Würfelreise nach Andalusien

 

„Mächtig, maurisch, meisterhaft, malerisch, majestätisch, mysteriös“ – was ist nicht alles geschrieben worden über diese monumentale Welttouristenattraktion, die Alhambra von Granada mit ihrer berühmten Zitadelle, der Alcazaba, die dem Adel noch zusätzlichen Schutz bieten sollte. Als Dirk Henn im Jahr 2003 mit dem Palast der Alhambra sein Meisterstück lieferte, schien auch dieses Thema endlich seinen fixen Platz am Spielefirmament gefunden zu haben. Immerhin handelte es sich im Wesentlichen um eine aufgemotzte, doch gehaltvolle Verbesserung früherer Ausgaben mit anderer Thematik (Stimmt so! und Al Capone). Aber der andalusische Siegeszug sollte seitdem nicht mehr abreißen. Zunächst kamen mit Die Gunst des Wesirs, Die Tore der Stadt, Die Schatzkammer des Kalifen und Die Stunde der Diebe vier Erweiterungen mit je vier Ideensammlungen dazu, insgesamt also kaum überschaubare sechzehn Module, die aber unabhängig voneinander eingebaut werden können. Einzigartig, selbst für ein Spiel des Jahres! Assoziativ ergänzt sogar das spieltechnisch völlig andersartige Die Gärten der Alhambra diesen Queens-Erfolgstitel. Und nun kommt auch noch Alhambra – Das Würfelspiel dazu, eigentlich zwei Spiele in einem, wie ich schon im Titel andeutete. Bleibt da überhaupt noch Platz für Innovation und Kreativität? Eine kurze Antwort, ganz aus dem Bauch heraus: Ja, warum denn nicht! Würfelspiele folgen anderen Gesetzen als Karten-, Lege- oder Brettspiele, um nur einige Gattungen zu nennen: Bluff, Glück, Stimmung, Tempo, Zocken – so sieht das Alphabet des Würfelns aus. Dazu kommt, dass diese neueste Ausgabe gerade mit der Alcazaba-Variante das beschauliche Bauen der schönen Burgfestungen, wie sie für das Grundspiel charakteristisch sind, mit dem hektischen Treiben des Würfelwurfs verbindet. Elegant gelöst, würde ich als Liebhaber vieler alhambrabetonter Spielabende meinen. Aber mich fasziniert das Würfeln ja schon seit Kindestagen …

Für alle weiteren Betrachtungen muss ich gleich auf die Doppelbearbeitung, der ich mich im Weiteren befleißigen werde, hinweisen. Es stecken eben zwei Spiele (hm, genau genommen eineinhalb; das Grundspiel müssen Sie schon haben) in der Schachtel. Und da ein entscheidender Teil des Plans bei diesen identisch ist, erlaube ich mir diesen vielleicht auf den ersten Blick seltsam anmutenden Paralleltanz. Das Spielziel ist jedenfalls – wie bei allen Alhambra-Derivaten – mit einer möglichst hohen Zahl von Siegpunkten definiert. Geht dies beim Würfelspiel durchs Umlegen der Wurfergebnisse auf Gebäudepunkte, so bietet die Alcazaba-Variante ein wirkliches Bauen mit den gewohnten Bauplättchen. Nur werden diese hier eben nicht gekauft, sondern vielmehr erwürfelt. Glauben Sie aber jetzt nicht gleich, dass dadurch der Glücksfaktor immens ansteigt – denn gerade dies ist zweifellos nicht der Fall. Reihum kommt jede Spielerin fünfmal mit je acht Würfeln, deren sechs Seiten die bekannten Gebäude zieren (Pavillon, Serail, Arkaden, Gemächer, Garten, Turm), zum Zug. Bis zu drei Würfe pro Spielzug sind möglich, mit Beiseitelegen einzelner Kuben, so dies gewünscht wird. Sogar ein Wiederaufnehmen für den dritten und letzten Wurf ist erlaubt. Elegant, wie Orgelpfeifen gestaffelt, leuchten die drei Spalten pro Gebäudeart vom Spielbrett (je nachdem, ob ein Wurf benötigt wurde, deren zwei oder sogar drei). Und theoretisch sind in jeder Spalte bis zu acht Würfelpunkte erzielbar. Schafft also zum Beispiel eine Spielerin bei den Arkaden vier Punkte im ersten Wurf, eine Gegnerin dagegen diese erst im zweiten oder dritten, kommt das auch optisch durch eine leicht erhöhte Setzposition des Markierungssteins rüber. Runde für Runde wird solcherart gewürfelt und gesetzt, bis eben alle ihre fünf Steine auf die sechs Gebäudespalten verteilt haben. Dann kommt es zur Prämierung der Runde, allerdings mit grundlegenden Unterschieden in den beiden Spielarten.

Vorweg möchte ich jedoch gleich betonen: Es geht in beiden Varianten grundsätzlich und zu allererst um erfolgreiches Würfeln. Daran führt kein Weg vorbei. Beim Würfelspiel stehen den Spielerinnen, die das beste und zweitbeste Ergebnis in der Würfelspalte eines Gebäudes erzielen konnten, entweder zwei Gebäudepunkte oder ein Gebäudepunkt sowie ein Bonus-Chip zu. Und diese kleinen Dinger erlauben einige Zusatzhandlungen für die jeweils aktive Spielerin. Sie sehen vielleicht schon, es ist ganz entscheidend, dass die Würfelspalten an vorderster Front gemeistert werden. Bei der Alcazaba-Variante darf der beste Spieler ein typisches Alhambra-Gebäudeplättchen aus der Auslage wählen, danach der zweitbeste Spieler usw., solange der Vorrat reicht. Aber Achtung: Zu Beginn werden insgesamt nur elf Plättchen in die sechs Spalten gelegt. Sie müssen also schon gut würfeln, um die Edelstücke zu erobern. Bleibt ein Blättchen ohne Abnehmer liegen, wird dieses vor der nächsten Auslage einfach aus dem Spiel genommen. Nach Runde eins, drei und fünf kommt es zur gewohnten Alhambra-Wertung, die beim ersten Mal nur die jeweils beste Spielerin jeder Gebäudeart belohnt, dann auch die zweitbeste und bei der finalen dritten Wertung die ersten drei Baumeisterinnen. Da hier wieder eine gestaffelte Punkteausbeute winkt (Turm ist mehr wert als Garten, dieser wiederum steht über den Gemächern etc.), sind nicht alle Wurfspalten gleich attraktiv. Verlieren Sie diese Tatsache nie aus den Augen. Am Ende jedoch entscheidet allein die Gesamtzahl der Siegpunkte über die Güte Ihrer Wurfresultate.

Was ist kritisch anzumerken? Zunächst im positiven Sinn die gelungene Umsetzung dieses doch enorm bunten Themas auf ein Würfelspiel. Hier kam dem Autor die ursprüngliche Auslegung der Alhambra-Bestandteile auf sechs Gebäudearten sehr zugute, denn damit war die Form des Hexaeders optimal zu nutzen. Schön und funktional sind sie jedenfalls, die acht weißen sowie der eine schwarze Würfel, dem eine Sonderfunktion zukommt, keine Frage. Gut vermarktet scheint mir auch das von reinen Würfelspielen wie Chicago oder Liar Dice bekannte Prinzip, mit maximal drei Würfen, bei denen einzelne Würfel herausgelegt werden dürfen, ein gutes Ergebnis vorzulegen. Sind es dort nur wenige Würfel, wird hier die Vielfalt der theoretischen Kombinationsmöglichkeiten durch die Verwendung von acht Spielgeräten deutlich erhöht. Und visuell gibt es an den Plänen auch nichts auszusetzen. Die Regeln erklären sich mit deren Hilfe fast von selbst, von einer einzigen Ausnahme abgesehen: Die Bonus-Chips und der Startspieler-Chip verlangen nach einem zweimaligen Hingucken. Aber das ist auszuhalten, denke ich, denn durch diese Plättchen bleibt der Spielausgang länger im labilen Gleichgewicht. Für beide Varianten gibt es eine exzellente Zweispielerversion, die durch die Hereinnahme eines imaginären dritten Spielers, Dirk genannt (ein Blick auf den Autor ist angesagt), ungemein belebt wird. Erinnerungen an das Original werden wach. Auch die Wertungstabellen für die Gebäude erinnern sofort an die Tafeln des Originalspiels. Wer das eher lockere Zocken schätzt, wer also mit virtuellen Gebäuden sein Auslangen findet, der wird beim „Würfeln pur“ seine Befriedigung haben. Wer dagegen auch mit realen Gebäudeplättchen spielen und bauen möchte, dem muss ich die Alcazaba-Version empfehlen. Der Würfelbereich ist gleich funktional, das sei betont, doch bei der Gebäudewahl steht doch viel mehr das taktische Überlegen hinsichtlich der Baumöglichkeiten im Vordergrund. Allerdings muss für letztere Spielform erst einmal ein Palast von Alhambra zur Verfügung stehen. Geschickt werden jedenfalls die Würfelfreunde, die am Original vorbeigeschrammt sind, zu einem weiteren Kauf animiert, das muss ich schon betonen. Soll dies nun als Lob oder Tadel verstanden werden? Immerhin haben Sie nun als Käufer gleich zwei schnelle, wunderbar abgestimmte Spiele vor sich. Also lassen wir vielleicht die Kritik an der Verlagsstrategie und anerkennen wir die Schönheit, Funktionalität und Vielfalt der „Alhambra“. Schließlich darf Qualität doch auch was kosten, oder?  

Mein persönliches Fazit: Ein starkes „Doppelspiel“, das Sie mit dieser Spielschachtel erwerben! Für jede Spielrunde eine Bereicherung! Der Grund für diese plakative Bewertung: Ich habe nach den ersten paar Partien fast den Eindruck, dass beide hier vorgestellten Spielformen taktische und planerische Elemente haben, die sogar noch deutlicher spürbar werden als bei der Grundversion mit ihren vielen Erweiterungen. Ein dumpfes Setzen der Würfel reicht keinesfalls für ein gutes Resultat. Bisweilen muss ein Gebäude völlig aufgegeben werden, um an anderer Stelle den erwünschten ersten Platz einzufahren. Oder es empfiehlt sich aus taktischen Überlegungen schon nach dem ersten oder zweiten Wurf aufzuhören und dafür etwa die eine oder andere Umbauaktion an seiner Alhambra vorzunehmen (siehe Alcazaba-Version). Ständig kommen Wahrscheinlichkeitsüberlegungen und Gefühl ins Spiel. Und bei allen diesen Abwägungen müssen letztlich die Würfel mitspielen. Jedenfalls entsteht ein visuell klares Bild des Fortschritts, speziell in der Alcazaba-Variante, wo ja parallel zum Würfelgeschehen vor jeder Spielerin gleich noch eine Alhambra entsteht. Als Bauherr sieht man ständig, was an Gebäuden noch auf dem Markt zu haben ist und vor allem, wie weit die Gegnerinnen bei ihren Bemühungen gekommen sind, die Bauwürfel effektiv einzusetzen. Außerdem sind Umbauten der eigenen Alhambra an einen Wurfverzicht gebunden. Das Risiko, das man selbst eingehen muss, kann entsprechend dosiert werden. Andererseits kommt durch die freie Entscheidung, nach dem ersten oder zweiten Wurf aufzuhören, ein gewisser Can’t Stop-Effekt hinzu. Das kann dann schon einen Anflug von Schadenfreude auf die Gesichter der Gegnerinnen zaubern, so der Wurf misslingt, aber auch zu einem Gefühlsausbruch führen, wenn man doch noch eine Gebäudespalte für sich entscheidet. Und genau das ist es, was das Würfeln so attraktiv macht – letztlich heißt es eben immer wieder: Alles oder nichts!

        

Hugo Kastner

Alhambra – Das Würfelspiel darf durchaus in beiden Versionen auf den Tisch kommen. Sowohl das mehr vom Glück bestimmte pure Würfeln als auch die Verschmelzung der Bauphasen des Grundspiels mit dem Auswürfeln der Setzsteine. Beides hat seinen Reiz! Jedenfalls spielt es sich in mit dem Wurfbecher ganz anders als gewohnt. Und vor allem geht es hier ja fast im Sekundentakt um die große Frage: Alles oder nichts!    

 

ÜBERBLICK

Autor:                  Dirk Henn

Grafik:                 Jo Hartwig

Vertrieb:              Fachhandel

Preis:                            ca. 20 Euro

Verlag:                Queen Games 2006

                            www.queen-games.de

Spieler:      2-6 

Alter:                   8+

Dauer:         60

 

BEWERTUNG (Würfelspiel / Alcazaba-Variante)

Genre:                 Würfelspiel 

Zielgruppe:                   Familie

Mechanismus:     Wertvolle Gebäude errichten

Strategie:            **               ***

Taktik:                ****            *****

Glück:                           *****          ****

Interaktion:                  *****          ******

Kommunikation: ***             ***

Atmosphäre:                 *****          ******

Kommentar:

Can’t Stop Effekt

Schöne Ausstattung

Gute Balance – Glück und Taktik

Lockeres Spielgefühl

 

Vergleichbar:

Can’t Stop, franjos

 

Alhambra – Das Würfelspiel führt uns ganz unvermittelt zurück in die stimmungsvolle Welt der andalusischen Gefilde, trotz des aufgrund der Würfeldominanz im Vergleich zum Grundspiel völlig unterschiedlichen Antriebsmechanismus. Wer das ganz charakteristische Feeling bei Würfelspielen mag – und darüber hinaus das Spiel des Jahres 2003 gerne spielt – der wird auch hier voll auf seine Rechnung kommen.          

    

Hugo.Kastner@spielen.at