Keythedral– Um Sitz
und Ehre
Nr. 4 der
Breese’schen Key-Welten
Richard Breese
entführt uns auch mit diesem vierten Spiel seiner “Key“-Serie in ein graphisch fast
märchenhaft anmutendes Land. Nach Keywood
(1995), Keydom (1998) sowie Keytown (2000) war es das Jahr 2002, wo
praktisch die gesamte Auflage seiner bislang besten Key-Kreation innerhalb
kürzester Zeit vergriffen war. Bedauerlich für die vielen Fans der
Breese-Welten, umso gewinnträchtiger für die Ebay-Anbieter dieser „Key-Erstauflage“.
Nun, vielleicht ein wenig überraschend, ist es 2004 dem Kleinverlag Pro Ludo gelungen, Keythedral in fast unveränderter Form neu auf den Markt zu bringen.
Übrigens basiert dieser doppeldeutige Titel auf dem englischen Wort für
Kathedrale (cathedral.) Wortspiele waren, so scheint’s, schon immer die Sache
der Briten.
Was ist das Ziel
dieser sehr interessanten englischen Spielidee? Ganz einfach, Sie müssen sich
dem Bau einer Kathedrale widmen. Schließlich braucht jede Stadt, die
einigermaßen auf sich hält, ein repräsentatives Gotteshaus. Um dieses Ziel
erreichen zu können, gilt es, möglichst viele der 22 Sitze, die zur
Fertigstellung des klerikalen Bauwerks nötig sind, zu erwerben. Sobald der
letzte Bauabschnitt vollendet ist, kommt es zur alles entscheidenden Leistungsbilanz.
Bei Keythedral geht es jedoch nicht
so einfach um schnöden Mammon, wie bei vielen anderen Wirtschaftsspielen. Nein,
hier gilt es, Ressourcen (Holz, Stein, Nahrung, Wasser sowie Wein) und Produkte
(Kunstschmiedearbeiten, farbiges Glas und Goldschmiedearbeiten) gegen gute und
weniger gute Ehrensitze in der Kathedrale umzutauschen. Um die Spannung nicht
zu früh abebben zu lassen, werden die allerbesten Sitze in der ersten Reihe als
letztes vergeben. Die Spielerinnen müssen daher mit allen gesetzlich erlaubten
Mitteln trachten, und dieses „gesetzlich“ ist ausnahmsweise ganz wörtlich zu
nehmen (siehe unten), ihre Position in Keytown Runde um Runde zu verbessern.
Klingt simpel, die Ressourcen stehen allerdings nicht a priori zur Verfügung,
sondern müssen vielmehr in schweißtreibenden Stunden von den Arbeitern auf den
passenden Landschaftsfeldern erwirtschaftet werden. Dabei wird es eng und
enger, je weiter der Kathedralenbau wächst. Jedes Landschaftsfeld trägt nämlich
nur einen Arbeiter, der zudem nur einen ganz spezifischen Rohstoff fördern
kann. So garantieren Wälder den Holzertrag, Bauernhöfe sorgen für Nahrung und
Seen funktionieren als Wasserspender. Bisweilen suchen die Arbeiter auch ergiebige
Steinbrüche oder, „in vino veritas“, Genuss spendende Weinberge. Keine Sorge, sollte
es mal zu Engpässen kommen. Die Breese-Welten bieten für alles einen Ausweg an.
Sie können jederzeit Tauschgeschäfte durchführen, etwa zwei Steine gegen ein
Holz handeln, und so fort. Klar, dieser Minushandel ist auf Dauer nicht befriedigend,
aber es gelingt dadurch, Lagermängel zu beheben. Die Gegnerinnen können Ihre Ressourcenprobleme
ohnehin nur so ungefähr erahnen, liegen doch alle Ihre Rohstoffe und Produkte
fein säuberlich geordnet hinter einem schützenden Sichtschirm.
Wie reibungslos
funktioniert der Spielablauf bei dieser Richard Breese Kreation? Zunächst wird
in einer Runden basierten Form die Startlage der Landschaften und Hütten
ausgelegt. Dabei gilt es, die Achteckplättchen Weinberge, Wälder, Seen, Bauernhöfe
und Steinbrüche so zu platzieren, dass die quadratischen
Hütten-/Häuserplättchen in die Lücken passen. Womöglich sollte jede Spielerin
zu allen Rohstoffen Zugang haben. Dadurch werden spätere Handelsdefizite
vermieden. Durch diese Einstiegszüge wird der eigentliche Spielplan geformt. Keythedral zeichnet sich aber noch durch
zwei Nebenschauplätze aus. Zum einen prägt die Silhouette der wuchtigen
Kathedrale das Bild (hier werden die Ehrensitze erworben), zum anderen findet
sich in der Pro Ludo-Schachtel ein einfacher Lageplan Keytowns, der eine
Goldschmiede, eine Kunstglaserei, eine Schmiede, eine Handelsstätte sowie einen
Kapitelsaal zeigt. In letzterem werden neue Gesetze, oder Sonderregeln, wenn
Sie diese so nennen wollen, erlassen. Beide Zusatztafeln stellen mehr oder
weniger Lagerplätze für die zahlreichen, wenn auch notwendigen Rohstoffe und
Produkte dar.
Das Herzstück des
Breese-Meisterwerks sind jedoch die fünf Aktionsphasen, in denen sich Ihre
Expertise im Kathedralenbau bestätigen muss. Phase 1 beginnt mit der
Feststellung der Reihenfolge, in der die Arbeiter ihre Hütten verlassen dürfen.
Hier sind Sie als Spielerin bereits sehr gefordert. Denn insgesamt stehen nicht
genug Landschaftsfelder zur Verfügung, um allen Arbeitern Beschäftigung zu
geben. Kommt Ihnen vielleicht bekannt vor in unserem leidgeprüften Tagen? Wie
auch immer, wer nichts zu tun hat, schmort Däumchen drehend in seiner Hütte und
wartet auf einen neuen Tag. Nicht sehr lukrativ, versteht sich. Phase 2 bringt
Ihnen Ressourcen, je nachdem, wo Ihre Arbeiter gerade ihre Plackerei
verrichten. Sie können Holz, Wein, Nahrung, Wasser oder Steine erwirtschaften,
auch gleich mehrere von diesen Rohstoffen. Phase 3 fehlerfrei und Gewinn
bringend zu bewältigen wird bei den ersten Bauversuchen ein Wunschtraum bleiben.
Aber hier entscheidet sich das Spiel, hier werden die Grundmauern zum
Kathedralenbau gelegt. Es gibt sieben Möglichkeiten, von denen reihum je eine
gewählt werden darf, auch nachdem eine Spielerin bereits gepasst hat. Diese
Phase zieht sich so lange hin, im positiven Sinn, wohlgemerkt, bis alle
durchpassen oder durch den Erwerb einer Gesetzeskarte nicht mehr aktiv ins
Geschehen eingreifen dürfen. Allzu mächtig darf sich niemand fühlen im Lande
Keydom. Was nun ist in Phase 3 alles möglich? Wieso müssen sehr bedächtig Plus
und Minus abgewogen werden? Nun, Sie können (1) einen Sitz in der Kathedrale
erwerben, (2) eine Hütte in ein Haus umwandeln (und damit in der nächsten Runde
die doppelte Zahl an Arbeitern auf die Landschaftsfelder schicken), (3) einen
Zaun errichten oder entfernen, (4) einen Kauf beim Kunstschmied, Kunstglaser
oder Goldschmied tätigen, (5) mit dem Händler Geschäfte machen, (6) eine neue
Gesetzeskarte erwerben oder (7) einfach passen. Die vorletzte Spielphase ist
eigentlich nur ein Aufräumen der Arbeiterplättchen und eine Minivorbereitung
für die folgende Spielrunde. Dafür geht es in der abschließenden Auktionsphase
um sehr viel, werden doch einerseits die Landschaftsfelder für die Arbeiter,
andererseits die Kaufoptionen für die Ehrensitze eng. Wer zuerst kommt, hat in
der gesamten Runde wesentliche bessere Möglichkeiten. Der Preis für das Recht,
die Startspielerin zu bestimmen, sind hohe Gebote an Ressourcen. So viel zu den
Aktionen bei Keythedral. Wer am Ende
die meisten Sitze plus Rohstoffe und Produkte sein Eigen nennt, darf sich der
höheren Weihen erfreuen. Aber es ist ein steiniger Weg …
Was hebt dieses
Spiel aus der Vielzahl ähnlicher gelagerter Entwicklungsspiele heraus? Zum
einen die exzellent aufeinander abgestimmten, dennoch technisch einfach zu
bewältigenden Spielelemente, die ein insgesamt komplexes Geschehen ermöglichen.
Schon das Auslegen der Landschaftsplättchen steht unter dem Gedanken der
späteren Arbeiterwege. Nur so kommen Sie billig zu Ressourcen. Wer handelt, das
heißt, Rohstoffe im Verhältnis 2 : 1 tauscht, muss wesentlich mehr berappen. Um
die Ressourcen optimal einzusetzen, müssen weitere strategisch-taktische
Überlegungen getroffen werden. Klar, die Ehrensitze in der Kathedrale sind das
Ziel, und diese Sitze bringen am Ende immer doppelt so viele Siegpunkte wie die
dazu notwendigen Ressourcen. Aber das Anhäufen der Baukosten geht eben
leichter, wenn die Arbeiter nicht in einer Hütte sondern in einem Haus wohnen.
Dann dürfen doppelt so viele von ihnen auf die „Felder“ ziehen. Ein Haus
wiederum kostet, und damit bleibt der Kauf beim Goldschmied für eine weitere
Runde vielleicht nur ein hehrer Traum. Wollen Sie dagegen mit neuen Gesetzen
das Glück zwingen, müssen Sie andere Aktivitäten hintan stellen. Egal, wie Sie
planen, es wird ständig zu Engpässen kommen. Auch wenn Sie versuchen, die
Möglichkeiten der anderen Spielerinnen objektiv einzuschätzen, wird Ihnen der
Sichtschirm den optimalen Blickwinkel verstellen. Zuletzt mag Ihnen die Auktion
um das Startspielerinnenrecht die letzten Reserven entlocken. Wie gesagt, der
Weg zur Kathedrale ist ein steiniger.
Ein paar kurze,
kritische Worte möchte ich mir noch zur Spielregel und zum Material der Pro
Ludo Ausgabe erlauben. Eine elegante, einseitige Hintergrundstory beleuchtet
das Geschehen und gibt gleichzeitig einen Vorgeschmack auf diese spannende
„Keywelt“. Das Regelheft beantwortet alle Fragen, wenn auch bei manchen Stellen
zweimal nachgelesen werden muss. Insbesondere die 20 Gesetzeskarten bedürfen
einer genauen Regelinterpretation, da die Texte auf den Kärtchen nicht immer
alle Möglichkeiten ausloten. Hier ist der Griff zur Anleitung obligatorisch.
Und damit habe ich meinen Finger bereits bei einer der Schwachstellen. Die
Gesetzeskarten sollten eigentlich geheim gehalten werden, bis der passende
Moment zum Aufdecken kommt. Wer aber das Regelheft studieren muss, wird
womöglich den Mitspielerinnen zu früh Einblick in seine spieltaktischen
Überlegungen geben. Ein zweiter leiser Kritikpunkt: gerade in den ersten
Partien kann es vorkommen, dass beim Aufbau der Landschaften Fehler gemacht
werden. Wer hier in Rückstand kommt, wird manchmal zum passiven Zuschauer
verdammt (kirchenrechtlicher Ausdruck, Anm. des Autors.) Um dieser Schwäche
entgegen zu wirken, macht Richard Breese in der Spielanleitung sehr clevere
Vorschläge. Teilen Sie diese bitte Ihren Mitspielerinnen unbedingt mit, so Sie
die Regelstudien betrieben haben, um ein faires Spiel zu ermöglichen. Auch die
Variante zu zweit ist ein wenig schal. Ganz einfach deshalb, da die
Auktionsphase zu einem simplen Anbot stellen mutiert und die Zäune kaum
behindern. Liebevoll dagegen sind die Spielplättchen, funktional die Farben für
Ressourcen und Produkte, praktisch die von manchen Kritikern bekrittelten
Spalten zwischen Landschaftsplättchen und Hütten. Schließlich können Hütten zu
Häusern werden, durch Wenden der quadratischen Plättchen. Und dies geht ohne
größere haptische Probleme nur, wenn die Fingernägel eine Zugriffmöglichkeit
haben. Wer weniger Zeit hat, kann auch die Kurzvariante mit auf 17 Sitze
verringerter Kathedrale spielen. Da die Sitze zwischen vier und zwölf Punkte
bringen, wird dadurch die Siegpunktzahl um vierzig Punkte reduziert. Um ehrlich
zu sein, entspricht dies genau der Erstauflage des Spiels im Jahr 2002. Also
ist diese „Variante“ eher auf die Genesis des Spiels zurückzuführen und nicht
auf einen weiteren Geistesblitz des Autors. Dafür sollten Sie einen anderen der
Spielregel entnommenen Vorschlag unbedingt prüfen, nämlich mit offenen Sitzen
auf allen Bankreihen der Kathedrale zu spielen. Normalerweise wird ja erst nach
Erwerb des letzten Platzes einer Reihe die nächst höhere aufgedeckt. Das
taktische Element verstärkt sich bei offenem Spiel doch beträchtlich. Ein
letztes Wort des Kritikers: ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen,
wie ein achtjähriges Kind die Feinheiten des Kathedralenbaus meistern sollte.
Von der Themenfaszination möchte ich gar nicht erst sprechen. Aber die Leserin
dieser Zeilen ist über dieses zarte Alter ja meist ohnehin bereits hinaus.
Mein persönliches
Fazit: Es macht Freude, dieses Spiel in die Hand zu nehmen und das Auge über
die Landschaftsfelder und Arbeiterplättchen schweifen zu lassen. Jedes von
Juliet Breese (Schwester des Spielerfinders) gezeichnete Bild ist „absolutely
unique“, wie die Briten sagen würden. Die Entscheidungsvielfalt ist vom Moment
des Aufbaus der Startaufstellung an groß, die permanente Knappheit an
Ressourcen verlangt von den Spielerinnen ein optimales Timing. Und durch die
Gesetzeskarten fehlt es auch nicht am notwendigen Glücksfaktor. Im Spannungsdreieck
Glück-Logik-Bluff, in dem sich fast alle Spiele bewegen – mal abgesehen von den
reinen Geschicklichkeitsübungen à la Villa
Paletti – liegt Keythedral fast
am Schnittpunkt der Koordinaten. Wie gesagt, Gesetzeskarten entscheiden über Glück
und Pech, die Abfolge in der Hauptspielphase unterliegt
kombinatorisch-logischen Entscheidungen, und der Sichtschirm versagt den
Gegnerinnen den Einblick in die jeweilige Spielposition der anderen
Kathedralenerbauerinnen. Dadurch können die Spielerinnen Drohungen aufstellen,
die bekanntlich oft stärker wirken als die tatsächlichen Spielzüge. Eine alte
Schachweisheit, die schon von den legendären Weltmeistern Steinitz und Lasker
erkannt wurde. Bei der Würfelwertung kann ich eine uneingeschränkte „5“ geben,
unabhängig von der Zusammensetzung der Spielrunde. Für manche Freunde des
Entwicklungsspiels wäre vielleicht sogar eine „6“ nicht zu hoch gegriffen. Daher
meine Empfehlung: kaufen! Selbst nach einer etwaigen weiteren, fünften „Key-production“,
der ich persönlich mit Freude entgegensehe, wird Keythedral zu den viel gespielten „Best of five“ (by Richard
Breese) gehören.
Hugo Kastner
Spieler: 3-5
(Variante für 2)
Alter: ab
8 Jahren
Dauer: 90-120
Minuten
Verlag: Pro
Ludo 2004
Autor:
Grafik: Juliet Breese
Preis: ca.
€ 35
Genre: Entwicklungsspiel
Zielgruppe: Familie
und Spielrunden
Mechanismus: Ressourcen erwerben und eintauschen
Strategie: ****
Taktik: ***
Glück: ***
Interaktion: *****
Kommunikation: **
Atmosphäre: *****
Kommentar:
Originalausgabe R&D
Games (Eigenverlag, Großbritannien) 2002
Großer
Entscheidungsspielraum
Beträchtliche
Interaktion
Origineller
„Startspieler“ Mechanismus
Komplexes Ganzes
Schöne Gestaltung
Hugo Kastner: Keythedral wird sich erst nach der
zweiten oder dritten Partie voll erschließen, dafür aber mit großer
Nachhaltigkeit in die Spielerherzen einprägen. Trotz überzeugender
strategisch-taktischer Elemente erlaubt der Glücksfaktor beim Ziehen der
Gesetzeskarten ein Abend füllendes Familienerlebnis.
Wenn Ihnen Spiele
aus der Siedler-Familie gefallen, werden
Sie auch beim Erwerb von Sitzen in der Keythedral
auf Ihre Rechnung kommen.