Civilization

 

Nachdem die Fa. PIATNIK dankenswerter Weise diesen absoluten Klassiker reanimiert und in ihr Programm aufgenommen hat, weil es außerdem hoch an der Zeit ist, CIVILIZATION wieder in Erinnerung zu rufen, weil das Preis-/Leistungsverhältnis stimmt und weil ich selbst es sehr gerne spiele, habe ich mich entschlossen, meine Reihe der "vergessenen Spiele" mit vorliegendem Artikel zu beginnen.

Bei CIVILIZATION scheiden sich die Geister und bei der Erwähnung des Titels, bekommt ein kleiner Teil des Spiele Kreises feucht/wässrige Augen (jö, ja, Superspiel, schon lange nicht mehr gespielt, kennt ja kaum noch wer), die zweite, die "kennt ja kaum noch wer"-Gruppe, reagiert mit erstauntem Kopfschütteln und dann gibt es noch jene verschwiegene Minderheit, die sich ganz einfach nicht zu einem Spiel setzt, das 7 Mitspieler benötigt, mehr als 5 Minuten Regelstudium erfordert und eine Spielzeit von über 15 Minuten aufweist.

Aber genug der Einleitungen; worum geht’s eigentlich? Wie schon oben angeführt, wetteifern sieben Spieler darum, eines der im vorchristlichen Mittelmeerraum bzw. Nahen Osten beheimateten Völker zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung zu führen und dies läuft folgendermaßen ab:

Beginnender Konflikt vor dem Spiel (Vorspielproblem)

In demokratischer Art und Weise wird entschieden, wem denn nun eigentlich die Illyrer gehören und warum gerade dieser oder jener Spieler die Kreter zugeteilt bekommen muß. Sind danach mehr als 50% der Spieler das, was der Volksmund als "angefressen" bezeichnet, ist eine hervorragende Grundvoraussetzung für eine lustige Spielrunde gegeben und jeder Spieler erhält noch diverser Beiwerk in Form von Spielmarkern, Schiffen, Städten usw., um auch auf dem Spielplan präsent sein zu können. Wahlweise können die Völker auch zugelost werden - aber warum einen potentiellen Streitpunkt schon von vorne herein außer Acht lassen? Außerdem werden noch die Handels-, Katastrophen- und Zivilisationskarten entsprechend aufgelegt, jeder Spieler erhält eine Übersichtstafel, auf der ersichtlich ist, was eigentlich wann getan werden sollte, im Ursprungsgebiet jedes Volkes rotten sich die ersten Bewohner in Form einer Spielmarke zusammen und schon geht es mit dem eigentlichen Spielablauf los.

Phase 1: Blutsauger

Sobald ein Spieler sich in grenzenlosem Größenwahn erdreistet, eine Stadt zu erbauen, schlägt der Fiskus mit erbarmungsloser Gewalt zu - eine Sitte, die sich übrigens bis heute gehalten hat, nur die Stadt ist weggefallen und die Finanz arbeitet jetzt direkt am Endverbraucher. Sei es, wie es sei, jeder Spieler muß im Anlaßfall eine Anzahl von Spielmarken abgeben. Ist ihm dies aus Ermangelung derselben leider nicht möglich, kommt es zur sogenannten Revolte - eine Sitte, die sich übrigens leider nicht mehr bis heute gehalten hat.

Phase 2: Wachset und vermehret euch

Da CIVILIZATION in einer Zeit spielt, in der die Welt noch nicht mit Satellitenschüsseln oder durch Produkte der Fa. MICROPROSE missioniert war, ist der Zeitvertreib auf so profane Dinge wie die Vermehrung der Bevölkerung beschränkt und genau um diese geht es. Da auch diverse Pülverchen wie für vorher oder gegen nachher noch nicht bekannt waren, vermehrt sich jeder Spielstein ohne Rücksicht auf Verluste und es kommt zu einer Bevölkerungsverdopplung.

Phase 3: Helmut RITTER schlägt zu

Um diverse Posten in diversen amtlichen Dienststellen zu sichern, kam man offensichtlich schon vor Zeiten auf die glorreiche Idee, all die Leutchen, die da herumkreuchen- und fleuchen, einer amtlichen Zählung zu unterziehen. Es ist zwar in Vergessenheit geraten, warum dies eigentlich passiert und die Geschichtsforschung schwankt noch zwischen den beiden Erklärungen streng religiöses Ritual/guter Job für sechstgeborene Fürstensöhne, aber für das Spiel ist es insoferne von Bedeutung, als durch den jeweils bei der Volkszählung ermittelten Wert die spätere Zugreihenfolge festgelegt wird.

Phase 4: Ich geh’ ins Wasser

Aufgrund der auf dem Spielplan befindlichen blauen Flächen, die gemeinhin auch als Meer bezeichnet werden können, wird es den Spielern gnadenhalber gestattet, Schiffchen zu bauen, um mit diesen jene Früchte des Zeitvertreibs, die in Phase 2 gebastelt wurden, über die graue Öde der See zu neuen Ufern zu bringen. Blöderweise kosten diese schwimmenden Untersätze in der Erhaltung einen Spielstein und hat man von diesen zu wenige, tritt das sogenannte Titanicgesetz in Kraft und das Schiff ist samt Mann und Maus Geschichte - passt eigentlich recht gut, da es sich ja um ein historisches Spielthema handelt.

Phase 5: Bewegungstherapie

Entsprechend der durch Volkszählung der Phase 3 festgelegten Reihenfolge bewegen die Spieler nun ihre Bevölkerungssteinchen in angrenzende Gebiete oder starten auch gleich mittels Schiff eine weitere Reise. Im Urlaubsziel angekommen, wird sofort die eigene Flagge gehisst, man nimmt das Land in Besitz und plant, es nie oder nur unter Zurücklassung schwerster Verwüstungen wieder herzugeben - diese Verhaltensmuster werden neuzeitlich als Tourismus bezeichnet.

Phase 6: Kleinere Unstimmigkeiten

Nun kann es ja manchmal geschehen, daß ein Spieler seine touristisch tätige Bevölkerung in ein Gebiet schickt, in welchem sich bereits Leutchen einer anderen Volksgruppe breitgemacht haben. Da es nun in keiner Phase des Spieles gestattet ist, Mischehen einzugehen, kann eine gütliche Einigung nur mit den Kräften des Verstandes und der Vernunft erzielt werden, wodurch es also zum Krieg kommt - eine Unsitte, die sich leider wiederum bis heute gehalten hat. Es gibt aber keine Würfelorgien oder sonstige schwer strategischen Kampfhandlungen, sondern jeder am Konflikt Beteiligte nimmt abwechselnd einen Spielstein aus der entsprechenden Provinz und, oh Wunder, derjenige, der dann noch über Bevölkerung dort verfügt, hat sich behauptet. Eine Ausnahme bilden hierbei die Städte, da dort schon mit einer Übermacht von 7 Spielsteinen angegriffen werden muß, um erfolgreich zu bleiben - eh kloar, Mauern und so. In einem solchen Fall wird die Stadt in 6 Spielsteine umgewandelt und ist diese Anzahl nicht mehr vorhanden, kommt es zur schmählichen Kapitulation - eine Sitte, die insbesondere die Italiener bis zum 20. Jahrhundert zur Kunst erhoben haben und die sich ebendort großer Beliebtheit erfreute. Sind nach einem Konflikt nur mehr 2 Spielsteine in einer Provinz vorhanden, hat die Stadt zu existieren aufgehört, was ja auch kein Wunder ist. Wie soll denn bei so wenig Bevölkerung für die zahlreichen Vergnügungsetablissements eine wirtschaftliche Überlebenschance existieren.

Phase 7: Rothschildsyndrom

Entsprechend der Anzahl von Städten werden nun jedem Spieler die Früchte seiner Arbeit in Form von Handelskarten zuteil. Ist zwar eigentlich die Arbeit der Bevölkerung, aber die guten Kuchenstücke kriegen ja immer die Chefs - blöde Sitte. Entsprechend ihrer Punktewerte sind die Handelskarten gestapelt und besitzt ein Spieler zum Beispiel 3 Städte, kann er sich von den Stapeln 1 - 3 jeweils eine Karte nehmen.

Phase 8: Schacherei

Nun geht es darum, möglichst gut zu betrügen oder möglichst ehrlich zu sein oder halt irgendwo dazwischen zu agieren. Alle Spieler dürfen Handelskarten zum Tausch anbieten, wobei sich der Wert gleicher Karten vervielfacht; so sind zwei Salz-Karten nur 12 Punkte wert, 4 stehen jedoch bereits für 48 Punkte. Der Gag des Handels besteht aber darin, daß man Pakete von Handelskarten anbietet und nur eine der im Stapel befindlichen Waren muß auch zutreffend angegeben werden. Welch erfreutes Aufleuchten der Augen, wenn man vom Mitspieler, den man immer schon besonders mochte, endlich die lang ersehnte Bronze erhält und dafür nur in Kauf nehmen muß, daß man auch ein Ocker übernimmt; welche wütender Grimm im Blick, wenn man bemerkt, daß diese Laus von Mitspieler, bei dem erst jetzt dieser gemeine Zug um die Mundwinkel auffällt und dessen tiefliegende Augen ja direkt auf den miesen Charakter hinweisen, zwar das versprochene Ocker liefert, jedoch statt der Bronze nur Papyrus beigelegt wurde - der Gründung dauerhafter freundschaftlicher Beziehungen ist in dieser Phase keinerlei Grenze gesetzt.

Phase 9: Obwohl ich mein Volk führe, ist es nicht unklug

Nun gehen die Spieler daran, die durch listige Umtriebe in Phase 8 erworbenen Handelskarten in Zivilisationskarten umzutauschen. Alle diese Zivilisationskarten haben so ihren Preis, der wiederum durch den Punktewert der Handelskarten beglichen werden kann und dem Fortschritt ist so Tür und Tor geöffnet. Erwirb man die Karte ARCHITEKTUR, bekommt man auf die Karte LITERATUR einen Bonus von 15 Punkten, denn merke: Wert baut, der liest auch. Durch den Besitz der Zivilisationskarten wird auch der Fortschritt der einzelnen Völker normiert und der jeweilige Stand der Dinge ist in der Entwicklungstabelle nachzulesen.

Phase 10: Blöder Zufall

In jedem Handelskartenstapel findet sich auch eine sogenannte Katastrophenkarte, die das allgemeine Spielgefühl hebt und immer wieder für vereinzelte Laute des Glücks und der Zufriedenheit sorgt - einseitigerweise jedoch vorwiegend bei nicht davon betroffenen Mitspielern. Hier ist aber anzumerken, daß auch Katastrophen möglich sind, die einer breiten Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden dürfen und deren Auswirkungen gleich für mehrere Mitspieler einen Born der Freude darstellen. Wie nett ist doch eine kleine und örtlich begrenzte Seuche und auch Vulkanausbrüche oder Erdbeben erfreuen sich steigender Beliebtheit, da sie ja endlich dazu führen, daß der ewig mit Spielmaterial überladene Spielplan wieder ein frommes Bild der Vereinsamung zeigt. Gemeinerweise gibt es sogar Katastrophenkarten, die nicht sofort gespielt werden müssen, sondern deren Einsatz erst dann geplant werden sollte, wenn den oder die Gegner danach wirklich der Schlag trifft.

Phase 11: Allzuviel ist ungesund

Da niemand mehr als 6 Karten auf der Hand halten darf, ist der Überhang kommentar- und ersatzlos abzulegen. Ein solcher Überhang entsteht insbesonders, wenn der betreffende Mitspieler durch hervorragend geschicktes Tauschverhalten der Handelskarten nicht mehr bis 6 zählen konnte und dient zur Blutdruckregulierung des jeweils Handelnden, hebt jedoch andererseits die Spielfreude aller übrigen Mitspieler - vom sozialen Gedanken der Unterhaltung der Mehrzahl eigentlich ein begrüßenswerter Regelpunkt.

Phase 12: Mein Gott, bin ich gut

Nun werden in der Entwicklungstabelle die entsprechenden Fortschritte festgehalten. Vorbedingung, um in die sogenannte 2. Epoche aufzusteigen, ist z.B. der Besitz zweier Städte und in die 3. Epoche gelangt nur jenes Volk, das aus 3 der 4 Gruppen der Zivilisationskarten (Künste, Handwerk, Wissenschaft, Gesellschaft) zumindest jeweils eine Karte in Besitz hat.

(Phase 13): Mein Gott, ich bin ja sehr gut

Gewonnen hat jener Spieler, dessen Fortschrittsmarker in der Entwicklungstabelle zuerst im Zielkreis, der sich in der 5. Epoche, die nur mit einer Gesamtpunktzahl von 1.000 zu erreichen ist, befindet, wobei die Vorgaben für die einzelnen Völker durchaus unterschiedlich sein können.

Sollte man diese Phase 13 erreichen, ist ein Spiel absolviert, das sicherlich nicht unbedingt als einfach zu bezeichnen ist, das eine bestimmte Anzahl von Spielern benötigt und insbesonders auch einen bestimmten Zeitaufwand erfordert. Zu empfehlen ist, die erste Partie - wenn möglich - mit einem bereits CIVILIZATION-erfahrenem Spieler durchzuspielen; die Siegeschancen werden zwar dadurch wahrscheinlich minimiert, doch das Heranführen an die einzelnen Mechanismen und Zusammenhänge des Spieles gestaltet sich fraglos einfacher. Alle jene, die Zeit und Lust haben, einen etwas komplexeren Vertreter des Genres kennenzulernen, sollten sich mit CIVILIZATION bekannt machen - aus dieser lockeren Bekanntheit kann nämlich ganz leicht und schnell eine handfeste Liebesbeziehung werden.