Tiefschürfende Erkenntnisse
Sutter’s Mill
Den Letzten beißen die Hunde
Den kalifornischen Goldrausch kennt die jüngere Generation an sich ja höchstens aus den Dagobert Duck-Geschichten in Disneys „Lustigen Taschenbüchern“. Was dort überspitzt wie ein Einfallen von Heuschrecken dargestellt wird, die alles abgrasen, was nicht niet- und nagelfest ist und beim Versiegen der Goldader wieder abziehen und nichts als öde Geisterstädte zurücklassen, ist indes gar nicht so fern der Realität. Sutter’s Mill von Marco Teubner entführt zwei bis vier Goldschürfer in das Goldgräberstädchen Coloma, in dem es gilt, Nuggets zu fördern und die Geschäfte der Stadt mit ihren diversen Sonderfunktionen sinnvoll zu nutzen, um der reichste Goldgräber zu werden. Doch damit nicht genug, denn wer es versäumt, rechtzeitig sein Bündel zu schnüren und vor dem Versiegen der Goldader die Stadt wieder zu verlassen, muss herbe finanzielle (und personelle!) Verluste hinnehmen. Ein interessanter Ansatz, der ein spannendes Spiel verspricht. Ob das Versprechen gehalten werden kann, beantworten die folgenden Zeilen.
Two in One
Schon das Grundprinzip des zweigeteilten und jeweils nach unterschiedlichen Regeln ablaufenden Spiels im Auf- und Abbau der Stadt ist faszinierend und fand bislang – zumindest im Bereich der strategischen Spiele – kaum Anwendung. Bei den Familienspielen fällt einem vielleicht noch AMIGOs „Der Untergang von Pompeji“ ein, bei den Kinderspielen variiert momentan Kai Haferkamp gekonnt die Prämisse, mehrere Spiele in einem zu kombinieren. Im Bereich der komplexen Spiele scheint Sutter’s Mill also allein auf weiter Flur und alleine darum schon einen genaueren Blick wert.
Auf gerade einmal acht großzügig bebilderten Seiten fasst die Regel den Spielverlauf gut verständlich zusammen, wobei sogar noch genug Platz für einen kurzen historischen Blick auf das reale Coloma bleibt, der zugleich stimmungsvoll in die Zeit des Goldrauschs hineinversetzt. Also lassen wir uns nicht lange bitten, denn die Goldader schlängelt sich bereits in Form von verdeckt liegenden Goldchips durch Fluss, Hang und Gebirge und die Stadt wartet nur darauf, von uns mit jeweils fünf eigenen Goldsucherpöppeln besiedelt zu werden. Und damit wir auch in Coloma deutlich machen können, wer in der Stadt das Sagen hat, sind wir zudem jeweils mit 13 Einfluss(poker)karten von 2 bis Ass ausgestattet. Mit schlappen 6 Goldnuggets als Startkapital beginnt unsere Goldsuche im Camp am Fluss, in das wir einen unserer Goldsucher stellen. Und schon packt uns das Goldfieber.
Einfacher Ablauf
Wer am Zug ist, hat genau zwei Möglichkeiten. Entweder er sucht Gold und macht Geschäfte oder er agiert in der Stadt, um seinen Einfluss zu mehren und dadurch die Sonderfähigkeiten der einzelnen Gebäude nutzen zu können.
Goldsuchen ist recht einfach und kann durchgeführt werden, solange sich mindestens ein Goldsucher im gerade aktuellen Camp befindet (logisch). Für jeden Goldsucher, den ich aus dem Camp auf ein beliebiges Gebäude in der Stadt setze, erhalte ich den vordersten Chip von der Goldader. Ob dieser 1, 2, 3 oder gar 4 Nuggets zeigt, erfahre ich erst, wenn ich ihn umdrehe. Das Schürfen und die Freude über eine hoffentlich große Ausbeute ist hier spielmechanisch stimmig umgesetzt worden. Außerdem bringt jede Besitzurkunde eines Gebäudes, die gerade vor mir liegt, weil ich dort über den größten Einfluss verfüge, je einen weiteren Goldchip. Diese erste Aktionsmöglichkeit ist also eindeutig dazu da, sein Konto aufzustocken. Das ist auch bitter nötig, denn um in Coloma seinen Einfluss geltend zu machen, muss man schon den einen oder anderen Nugget auf den Tisch legen. Alle weiteren taktischen Optionen ergeben sich aus der Möglichkeit, in der Stadt zu agieren. Und hier wird es schon recht anspruchsvoll, die sinnvollsten Aktionen zu wählen. Bis zu 5 sind möglich, auch mehrmals dieselbe hintereinander. Die erste Aktion ist kostenlos, jede weitere ist in den Preisen gestaffelt bis hin zu 15 Goldnuggets für alle 5 möglichen Aktionen. Als da wären: Goldsucher einsetzen (auf eines der 3 Camps oder auf ein Gebäude der Stadt), Einflusskarte in ein Gebäude legen (in dem sich dazu eine bestimmte Anzahl eigener Figuren befinden muss) und schließlich Goldsucher versetzen (auf ein anderes Gebäude oder Camp). Auch hier ist die Spielregel keineswegs komplex, wohl aber die Überlegungen, die dabei angestellt werden müssen.
Wer die höchste Summe an Kartenwerten in einem Gebäude liegen hat, erhält die entsprechende Besitzurkunde und kann die Vorteile des Gebäudes ab sofort nutzen – und zwar genau so lange, bis sich jemand anderes den meisten Einfluss sichert und die Urkunde damit direkt zu ihm wandert. Um den Spielausgang möglichst knapp zu halten, bringt Teubner mit dem „Glücksritter“ eine weite Karte als ausgleichendes Element ins Spiel, die immer derjenige erhält, der aktuell die wenigsten Urkunden besitzt, und die ihm beim Goldsuchen immer einen Goldchip zusätzlich einbringt. Die detaillierte Auflistung der Vorteile jeder einzelnen der insgesamt acht Besitzurkunden möchte ich Ihnen an dieser Stelle ersparen. Alle von ihnen besitzen jedoch positive Auswirkungen auf den Besitzer. So bringen Sie beispielsweise zusätzliche Goldchips in bestimmten Gebieten („Sutter’s Mill“, „Hook and Ladder House No 1“ sowie „Miner’s Drug Store“), ermöglichen das kostenlose Einsetzen („Eldorado Bath House and Shaving Saloon“) oder Entfernen („Adams and Co. Express Office“) einer Einflusskarte, oder lassen uns einen Goldsucher kostenfrei ein- oder versetzen („Odd Fellows Hall“) bzw. im Abbau, dem zweiten Teil des Spiels, versetzen oder aus dem Spiel nehmen („Chalmer’s Sierra Nevada Hotel“). Und bevor Sie jetzt fragen, warum es das Ansinnen der Spieler sein sollte, erst Figuren und Karten mühsam in die Stadt hinein und dann plötzlich wieder heraus zu bringen, antworte ich lieber gleich darauf. Denn genau in dieser Zwickmühle liegt der eigentliche Reiz von „Sutter’s Mill“.
Rein, rauf, runter, raus!
Also schön der Reihe nach: Für alles, was wir in Coloma so treiben, erhalten wir am Ende des Spiels Punkte, und zwar für die geschürften Goldnuggets, aber auch – und das ist die Krux – für alle Einflusskarten, die in die Stadt hinein, aber auch rechtzeitig vor Spielende wieder herausgebracht wurden. Auch Goldsucher, die das Versiegen der Goldader und damit das Ende des Spiels verschlafen und noch immer in der Stadt stehen, schlagen mit Minuspunkten zu Buche. Das Pfiffige daran ist, dass jeder Spieler selbst entscheidet, wann er in die Abbauphase wechselt und damit beginnt, seine Sippe wieder aus der Stadt abzuziehen. Je länger man wartet und seinen Einfluss stärkt, desto mehr Gold für die Endabrechnung oder zum Bezahlen von Aktionen erhält man, und desto mehr zusätzliche Karten und Figuren kann man einsetzen. Figuren sind nötig, um überhaupt eine Karte in ein Gebäude legen zu dürfen, und zwar mindestens so viele, wie nach dem Einsetzen eigene Karten in dem Gebäude liegen. Wer also beispielsweise die insgesamt dritte eigene Karte auf einem Gebäude ablegen will, muss dort drei eigene Figuren stehen haben. Je mehr Figuren und Karten ich aber ins Spiel bringe, desto schwieriger wird es zwangsläufig werden, diese rechtzeitig wieder aus der Stadt herauszubringen. So ein Goldsucher hatte es wirklich schwer.
Mit dem Wechsel in den Abbau dreht der jeweilige Spieler die vor ihm liegende Papptafel mit einer praktischen Spielübersicht um und damit ändern sich für ihn ab sofort auch die regulären Aktionsmöglichkeiten beim Agieren in der Stadt. Statt Goldsucher und Karten einzusetzen ist es nun nur mehr möglich, diese wieder aus Coloma abzuziehen. Ein Wechsel zurück in die Aufbauphase ist nicht möglich und darum belauern sich die Spieler spätestens kurz bevor die Hälfte der Goldchips abgebaut wurde wie die Geier, um nicht den optimalen Zeitpunkt für den Rückzug zu verpassen.
Auch beim Entfernen der Einflusskarten hat der Autor einen einfachen, aber fast genialen Kniff eingebaut, denn die Karten müssen in umgekehrter Reihenfolge wieder entfernt werden. Wer also als Letzter seine Karte in einem Gebäude platziert hat, darf sie als Erster wieder entfernen. Wer schnell an eigene, früher im Spiel abgelegte Karten kommen will, muss so unter Umständen erst störende gegnerische Einflusskarten entfernen und schustert damit dem grinsenden Mitspieler direkte Siegpunkte zu.
Das Spiel endet, wenn der letze Goldchip von der Goldader entfernt wurde mit der Wertung. Nun zählt jede Einflusskarte, die wieder aus der Stadt herausgebracht wurde für ihren jeweiligen Besitzer Punkte in Höhe des Kartenwertes. Hinzu kommen die auf den geschürften Goldchips abgebildeten Nuggets. Davon abgezogen werden – wie bereits angedeutet – die Werte der Karten, die noch in der Stadt liegen und die nicht rechtzeitig abgezogenen Figuren. Wer noch alle 5 in Coloma stehen hat, wird hier beispielsweise mit satten 15 Minuspunkten abgestraft. Wer nun die meisten Punkte hat, ist der erfolgreichste Goldsucher und gewinnt.
Der Teufel liegt im Detail:
Diese kurze Beschreibung zeigt bereits, dass der eigentliche Ablauf von „Sutter’s Mill“ keineswegs kompliziert ist und die Mechanismen eingängig und damit schnell verinnerlicht sind. Teubners kleine regeltechnische Kniffe sind es, die dennoch immer wieder für Spannung bis zur letzten Sekunde sorgen und das Spiel aus der Kategorie „Seichte Familienunterhaltung“ in den Bereich eines taktischen und strategischen Hochkaräters heben. Jede einzelne Entscheidung hat großen Einfluss auf den weiteren Spielverlauf und „Sutter’s Mill“ lädt dazu ein, die unterschiedlichsten Strategien zu verfolgen und auszuprobieren. Ob Konzentration auf das Schürfen, ob Fokus auf Macht und Einfluss, ob Mut zum Risiko und extrem später Rückzug aus Coloma – hier ist jeder wirklich seines Glückes Schmied. Und das passt wiederum hervorragend zum Spielthema.
Bewertung:
Spieler: 2-4
Alter : ab 10 Jahren
Dauer : ca. 60 Min
Autor : Marco Teubner
Grafik : Harald Lieske
Vertrieb : Phalanx Deutschland
Preis : ca. 30,00 Euro
Verlag : Phalanx Games 2008
www.phalanxgames.de
Genre :Taktisches Auf- und Abbauspiel
Zielgruppe : Für Jugendliche/Erwachsene
Mechanismus: Kartenmehrheiten bilden und Sonderfunktionen
nutzen
Zufall : 1
Wissen/Gedächtnis :
Planung : 6
Kreativität : 1
Kommunikation : 4
Geschicklichkeit :
Action :
Kommentar:
Tolle Grundidee, spannender Spielverlauf
Clevere und neuartige Regeldetails
Trotz einfacher Regeln für Familien letztlich etwas zu taktisch
Gut aufeinander abgestimmte Mechanismen
Vergleichbar:
Grundidee der zwei Phasen: „Der Untergang von Pompeji“ (AMIGO), Mechanismus: die meisten Mehrheitenspiele, in dieser Kombination aber bislang einzigartig
Atmosphäre: 7
Stefan Olschewski
Toll umgesetzte, bislang unverbrauchte Grundidee mit vielen pfiffigen Regeldetails, die immer wieder für Spannung und knappen Spielausgang sorgen. Für Familien leider einen Tick zu komplex.