Geschickte Geschichtsstunde

 

Justinian

 

Kleine Plättchen sorgen für großen Einfluss bei verzwickten Ränkespielen um die Gunst des Kaisers

 

Liebe Schülerinnen und Schüler, nehmt bitte eure Hefte heraus und schreibt auf: „Flavius Petrus Sabbatius Iustinianus wurde etwa 482 in Tauresium, heute Taor bei Skopje, geboren und wurde am 1. August 527 unter dem Namen Imperator Caesar Flavius Iustinianus Augustus oströmischer Kaiser.“ Weil dieser Name aber nicht nur umständlich auszusprechen ist, sondern auch kaum auf eine Spieleschachtel passen würde, entschied man sich im Hause Phalanx dann doch für den hierzulande geläufigeren Namen Justinian. Intrigen am Hof des Kaisers verspricht man uns im Untertitel, das klingt nach Mord und Todschlag, oder zumindest nach herrlich fiesen Querelen wie in „Intrige“, das vor einiger Zeit bei AMIGO eine Neuauflage erfuhr. Sollen wir doch bei Justinian durch überaus großzügige Geschenke, die wir den Günstlingen am Hofe machen, deren Zuneigung gewinnen, auf das sie beim Kaiser dann auch ein gutes Wort für uns einlegen, was letztlich Siegpunkte bringt. Aber wirklich fies geht es dabei nicht zu. Ruhig, beinahe bieder kommt das Spiel daher, was nicht unbedingt schlecht sein muss. Und damit sind wir auch schon mittendrin.

 

Auf einer Ablagefläche, die den Hof des Kaisers darstellen soll, liegen, in aufsteigender Reihenfolge von links nach rechts, zwölf stabile Karten mit historisch anmutenden Abbildungen der bereits erwähnten Günstlinge. Basilius, Eraclius, Narses und wie sie alle heißen. Eigentlich historisch untypisch gehört auch eine Frau dazu: Teodora. Hier muss man der Redaktion wirklich erstklassige Recherche bescheinigen, war die Schauspielerin Teodora doch Justinians Ehefrau, wozu seinerzeit sogar eine Gesetzesänderung nötig gewesen sein soll, da Senatoren keine Schauspielerinnen ehelichen durften. Darum ist es nur legitim, sie in die Reihe seiner Günstlinge aufzunehmen. Aber zurück zum Spiel.

 

Zunächst erhält jeder der bis zu vier Spieler acht Spielkarten, von jeder der vier verschiedenen Rückseitenfarben zwei. Vorn sind die 12 Günstlinge abgebildet, jeder taucht in jeder Farbe einmal auf. Diese Karten geben an, welche Figuren man im Laufe des Spiels möglichst weit in der Gunst des Kaisers nach oben steigen lassen sollte. Am besten funktioniert das mit kleinen, selbstverständlich völlig uneigennützigen Aufmerksamkeiten, die den Günstlingen überreicht werden, hier repräsentiert von so genannten Einflussmarkern. Zehn davon (in seiner Farbe) deponiert jeder Spieler hinter seinem Sichtschirm. 22 davon stehen jedem insgesamt zur Verfügung. Sind diese aufgebraucht, kann man seinen Einfluss am Hofe nicht mehr geltend machen. Die Siegpunktetafel wird in der Nähe bereitgelegt, denn sie zeigt nicht nur an, wer gerade wie viele Punkte hat, sondern auch, in welcher Spielphase sich die Runde befindet und ist zudem noch wichtig für das Auslösen einer Wertung. Ein Holzspielstein wird auf die 1. Spielphase gestellt und schon kann es losgehen.

 

Tanz auf vielen Hochzeiten

Keine Sorge, mit der Vorbereitung ist der schwierigste Teil bereits abgeschlossen, denn der Ablauf selbst ist mit einem Satz erklärt: Reihum legt jeder Spieler genau einen Einflussmarker verdeckt entweder auf einen Platz am Hof, genau oberhalb des Günstlings, den man bestech… ääh…mit seinen Geschenken erfreuen möchte, oder man legt ihn alternativ auf das Feld seiner Farbe auf der Spielphasenanzeige auf der Siegpunktetafel. Das war es auch schon. Hier merkt man deutlich die Mitarbeit von Leo Colovini, der mit Spielen wie Carolus Magnus oder Clans bereits ähnlich einfache, aber zugleich anspruchsvolle Entwicklungen vorzuweisen hat. Wer keinen Marker mehr ausspielen kann oder will, passt und darf dafür zwei neue Einflussmarker hinter seinen Sichtschirm legen, um seinen Vorrat wieder auszustocken. Haben alle Spieler gepasst, werden die Marker am Hof aufgedeckt und die Zahlen darauf zusammengezählt. Ist die Summe positiv, wandert der Günstling die entsprechende Anzahl an Positionen nach rechts in Richtung des Kaisers, ist sie negativ, fällt die Figur in Justinians Gunst und wird nach links versetzt. Dabei bestimmt der Spieler, der zuletzt gepasst und damit die meisten Einflussmarker geopfert hat, ob die Günstlinge am rechten oder linken Ende beginnend gewertet und versetzt werden. Denn jeder einzelne Platzwechsel hat Einfluss auf die Gesamtkonstellation der Auslage. Hier muss man also schon ein wenig nachdenken.

 

Eine wichtige Frage haben wir aber bisher nicht geklärt: Wofür erhalte ich überhaupt Punkte? Und vor allem, wann? Im Gegensatz zu anderen Spielen dieser Art gibt es keine feststehenden Zeiten für eine Wertung, denn auch die insgesamt drei Wertungen liegen in der Hand der Spieler. Nur wer auf der Siegpunktetafel eine bestimmte Summe mit seinen Einflussmarkern abgelegt hat, hat das Recht, am Ende der Runde (also nach dem Versetzen der Günstlinge) eine Wertung auszurufen. Dies tut man natürlich vorzugsweise dann, wenn die auf den eigenen Karten abgebildeten Günstlinge möglichst weit vorne stehen. Und hier wird es dann doch etwas kompliziert. Denn wer die Wertung ausruft, bestimmt noch lange nicht die Kartenfarbe, die gewertet wird. Das tut derjenige, der den höchsten Zahlenwert mit seinen Einflussmarkern auf der Siegpunktetafel platziert hat. Dann erhalten alle Spieler so viele Punkte, wie aktuell durch eines der Löcher auf den Günstlingskarten am Hof sichtbar sind. Eine clevere Lösung, denn da sich diese Löcher auf jedem Günstling an unterschiedlichen Stellen befinden, zeigen unterschiedliche Günstlinge immer unterschiedliche Werte, selbst wenn sie an derselben Stelle liegen. Dadurch schaffen es die Autoren, ein interessantes Gleichgewicht zu erzeugen. Wer es schafft, den dritten Günstling ganz an die Spitze zu bringen, erhält dafür weniger Punkte als für den Sechsten oder Siebten der Rangfolge, wenn dieser ganz nach oben wandert. Ruft keiner eine Wertung aus, beginnt eine neue Runde, wie oben beschreiben, wieder mit dem Ausspielen von Einflussmarkern.

 

Tief in der Bredouille

Zusätzlich gibt es ein paar weitere Feinheiten zu beachten, die den Spielern ständig Kopfzerbrechen bereiten. Wer als letzter passt, darf zuerst eine Wertung ausrufen, hat dann aber weniger Einflussmarker für die nächste Runde zur Verfügung. Wer zu Beginn zu viele verteilt, ist später zum Zusehen verdammt, denn alle eingesetzten Marker kommen komplett aus dem Spiel. Man will grundsätzlich immer mehr machen, als möglich ist, und gerade dann, wenn die eigene Taktik endlich aufzugehen scheint, ist das Spiel meist schon zu Ende. Es gewinnt, wer nach drei Wertungen die meisten Siegpunkte besitzt. Ist das clevere Grundprinzip der Entwicklung von Alessandro Saragosa und Leo Colovini erst einmal verstanden, tritt dieser Fall oft wesentlich früher ein als nach den auf der Schachtel angegebenen 45 Minuten. Letztendlich sitzt einem also auch noch die Zeit im Nacken, denn wer weiß schon, was die anderen Mitspieler gerade im Schilde führen.

 

Stimmt so

Justinian ist zwar taktisch, aber nicht wirklich strategisch, denn zu schwierig ist es, den weiteren Spielverlauf durch die Vielzahl der Entscheidungsmöglichkeiten und das verdeckte Ausspielen der Marker vorauszusagen. Ein wenig Glück ist dabei, etwas Bluff auch, wenn man denn beim Legen der Marker ein wissendes Pokerface machen möchte. Die Atmosphäre des Ränkespiels ist zumindest hervorragend durch den Mechanismus eingefangen. Das Spiel funktioniert, ist nicht zu lang und darüber hinaus historisch überaus korrekt. Das zieht sich bis in die grafische Gestaltung von Harald Lieske hinein, der sich für das Cover von einem zeitgenössischen Mosaik aus der Kirche San Vitale in Ravenna inspirieren ließ, das Justinian zeigt. Ein anderes Mosaik in derselben Kirche stellt übrigens seine Frau Teodora dar, deren Abbildung ebenfalls detailgetreu in das Cover des Spiels eingearbeitet wurde. Manchmal kann Geschichte wirklich spannend sein. In jeder Hinsicht.

So, und jetzt klappt bitte eure Bücher zu, die Geschichtsstunde ist beendet.

 

Fazit: Ein Historisch gut recherchiertes Denkspiel um die besten Plätze. Wunderbar auch aus dem Bauch heraus spielbar, wenn man die vielen Entscheidungsmöglichkeiten, die sich trotz aller Einfachheit bieten, erst einmal überblickt. Ein paar Partien sind schon nötig, um den wahren Reiz zu entdecken.

 

Stefan Olschewski:

Ein nettes, taktisches Spielchen für zwischendurch, das mit einfachen Regeln, einem guten Spannungsbogen, kurzer Spieldauer und guter Ausstattung überzeugt, mit dem politischen Thema aber Familien eher abschrecken dürfte, obwohl der Zugang auch Gelegenheitsspielern im Grunde leicht fällt.

 

Spieler: 2-4

Alter: ab 10 Jahren

Dauer: ca. 45 Minuten

 

Autor           : Alessandro Saragosa und Leo Colovini

Grafik          : Harald Lieske

Vertrieb        : Fachhandel

Preis            : ca. € 35,-

Verlag          : Phalanx Games  

  www.phalanxgames.nl

 

Genre          : Taktisches Denkspiel

Zielgruppe    : (Familie), Freunde und Experten

Mechanismus: Einfluss durch Punktemehrheiten erlangen

 

Strategie                : ****

Taktik                    : *****

Glück                    : **

Interaktion             : ***

Kommunikation      : **

Atmosphäre           : ***

 

Kommentar

Schönes Material

Einfache Regeln

Kurze Spieldauer

 

Vergleichbar:

Erstes Spiel seiner Art

 

Stefan Olschewski

stefan@stefanmagie.tobit.net