Unsere Rezension
Der Feld in Venedig
RIALTO
Wenn die Gondeln Punkte bringen
Ein gern gesehener und häufiger „Gast“ auf unseren Spieltischen ist Stefan Feld; zumeist bürgt sein Name nämlich für originelle Mechanismen und für Spielvergnügen auf hohem Niveau. Und heuer spielt es sich überhaupt ab: Nahezu zeitgleich sind bereits „Bora Bora“ (alea) sowie „Brügge“ (Hans im Glück) erschienen, außerdem soll im Herbst (bei Queen Games) auch noch „Amerigo“ herauskommen. Nach Rom, Paris, Hamburg, Straßburg und Brügge führt uns Stefan Feld bei seiner europäischen Städtereise nunmehr also nach Venedig. Sollte jemand sein Lebenswerk im Sammeln von Brettspielen mit Venedig-Bezug sehen, ist er nicht zu beneiden. Alleine mit den Spielen, auf deren Spielbrettern der Stadtplan der Lagunenstadt abgebildet ist, können schon mehrere Schränke gefüllt werden. Die durch die Kanäle gezogenen Grenzen der Stadtviertel eignen sich aber auch besonders gut für eine spielerische Verwertung, insbesondere für Mehrheitenspiele.
Ein weiteres Mehrheitenspiel in Venedig, das klingt zunächst einmal also nicht besonders originell. Als spannende und spekulativere Facette stellt sich hier aber erst im Spielverlauf heraus, wie viele Punkte jeder der sechs Stadtteile für den dort jeweils Führenden bringen wird. Zunächst liegt Venedig somit quasi „nackt“ vor uns und alles ist gleich viel wert (also vorerst nichts). Jeder Stadtteil bietet deswegen Platz für den Anbau von bis zu vier Brücken, welcher aber auch als Anlegestelle für jeweils eine Gondel genutzt werden kann. Jede Brücke wertet einen Stadtteil um drei bis sechs Siegpunkte auf, eine Gondel nur um einen Punkt. Das theoretisch maximal mögliche Ergebnis für einen Stadtteil beträgt 23, im Durchschnitt sind es 11 Siegpunkte; davon erhält der zweite dann die Hälfte, der dritte ein Viertel, etc.
Unter anderem diese Bestimmung des Punkteausmaßes als auch das Einsetzen der Spielfiguren werden über Karten gesteuert. Zu Rundenbeginn liegen davon mehrere Reihen zu jeweils sechs Karten offen aus, von denen sich die Mitspieler jeweils eine aussuchen. Dann zieht jeder noch zwei zufällige Karten und wählt aus seinen nunmehr acht Karten für die aktuelle Runde sieben Stück aus. Die Zusammensetzung der eigenen Kartenhand – eher verschiedene oder mehrere gleiche – gibt dann die jeweiligen Aktionsmöglichkeiten vor: Will ich etwa in der aktuellen Runde bei allen sechs möglichen Aktionen mit dabei sein, brauche ich unterschiedliche Karten. Besser ist aber das Lukrieren eines Bonus, den stets nur jener erhält, der die meisten Karten einer Art ausspielt. Dadurch müssen aber natürlich zwangsläufig andere Aktionen in dieser Runde vernachlässigt werden; Joker-Karten sowie das Errichten und Nutzen von bestimmten Gebäuden erlauben dabei eine flexiblere Spielweise.
Die Aktionen werden dann jede Runde in einer stets gleichen Reihenfolge abgewickelt: Zuerst kommen die Dogen-Karten dran. Hier erlaubt jede Karte das Fortschreiten auf der sogenannten „Dogenleiste“, welche nahezu alle Reihenfolge- sowie Gleichstandsfragen beantwortet; wer weiter vorne ist, kommt also nicht nur früher dran, sondern erhält bei Gleichständen auch den Bonus bzw. die Siegpunkte am Schluss (eine vergleichbare Leiste kennen wir ja auch schon u.a. aus „Im Jahr des Drachen“, „Macao“ sowie den „Burgen von Burgund“). Man ist bei dieser Leiste also gerne vorne mit dabei, was im Spielverlauf aber doch eine beträchtliche Anzahl an Karten – und somit Aktionen – kosten kann. Wer deswegen auf das Streiten um diese Reihenfolge verzichtet und seine Bemühungen lieber auf andere Aktionen konzentriert, hat ebenso gleichberechtigte Chancen auf den Sieg.
Nach den Dogen-Karten kommen die Gold-Karten und danach die Gebäude- = Ziegel-Karten dran. Mit den Ziegel-Karten baut man Gebäudeplättchen, welche – neben ein bis vier Siegpunkten pro Gebäude – auch noch bestimmte Vorteile bieten; jede Nutzung dieser Vorteile erfordert jedoch jeweils eine Goldmünze. Natürlich ist es nicht sehr logisch, dass ein Gebäude bezahlt werden muss, damit es „tätig“ wird. Stimmiger wären hier Personen gewesen, welche man zunächst (etwa mit Wein) anwirbt und später mit Gold entlohnt. Vermutlich hat die diesfalls frappante Ähnlichkeit mit „Brügge“ den Verlag zu dieser gestalterischen Entscheidung bewogen, was jedoch nur einer der Gründe ist, weshalb Einsteigern das erste Spiel unnötig schwer gemacht wird.
Als vierte Aktion kommen die Brücken-Karten: Hier erhält man pro Karte einen Siegpunkt (während des Spiels) und als (zweiten) Bonus darf man eine Brücke errichten. Dieses Privileg gewährt eine besondere Einflussmöglichkeit auf die Schlussabrechnung: Eine attraktive Brücke werde ich natürlich bei einem Stadtteil platzieren, in dem ich mir die Mehrheit erhoffe bzw. sogar schon habe, eine weniger tolle Brücke kommt eher zu von den Mitspielern beherrschte Stadtteile. Andererseits „drohen“ auch noch die Gondeln, welche sich punktemäßig sogar noch miserabler auswirken würden als die schlechteste Brücke. Und gerade in den ersten zwei bis drei Runden ist es noch gar nicht so klar, in welchen Stadtteilen ich mich letztlich tatsächlich behaupten werde, sodass beim Platzieren einer Brücke auch sehr viel Hoffen und Bangen involviert ist.
Der jeweilige Bonus (bei den sechs verschiedenen Karten) ist zwar zumeist leicht nachzuvollziehen: Wer etwa die meisten Gold-Karten ausspielt erhält ein Extra-Gold. Dennoch vermisst man eine Übersicht: So bringen die Gondel-Karten grundsätzlich Nachschub beim eigenen Figurenvorrat; der Bonus bedeutet hier aber das Einsetzen einer Figur auf dem Spielplan, etwas das man sonst erst mit der sechsten Kartenart bzw. Aktion (nämlich mit den „Ratsherren“) bewirkt. Dabei wäre es leicht möglich gewesen, die – in der vorliegenden Form eigentlich unnötigen – Spielertableaus um eine Kurzregel bzw. aussagekräftige grafische Symbolik zu erweitern.
Der Gondel-Bonus ist außerdem die einzige Möglichkeit, sich nachträglich noch in einen bereits abgehandelten Stadtteil dazuzusetzen, um etwa bereits sicher geglaubte Mehrheiten umzustoßen; allerdings um den Preis, dass eine Gondel den Wert dieses Stadtteils ja nur um einen Siegpunkt erhöht. Oder man platziert seine Figur als erster in einen Stadtteil, welcher erst in den Folgerunden drankommt. Zweimal im Spiel gibt es nämlich eine Fünf-Punkte-Belohnung für denjenigen, der als erster in drei bestimmten Stadtteilen vertreten ist. Diese Punkte sind nicht zu verachten, zumal die Endergebnisse der Mitspieler zumeist nur knapp auseinander liegen.
Auch sonst konterkariert das Spieldesign das Versprechen (der Schachtelrückseite) eines „leicht zugänglichen Brettspiels“: Für Siegpunkte finden sich gleich vier verschiedene grafische Darstellungen und deren Leiste ist verwirrend gestaltet. Diese „Kinderkrankheiten“ sind zwar im Wesentlichen nach einer Probepartie überwunden. Als den Spielfluss weiterhin hemmend kann sich aber das Kartenauswählen zu Beginn jeder Runde erweisen; im Unterschied zu „Strasbourg“ sind die Mitspieler beim Kartenauswählen nicht gleichzeitig, sondern einer nach dem anderen beschäftigt. Hier kann es vor allem bei vier oder fünf Mitspielern doch zu unangenehmen Wartezeiten kommen, wenn der erste die (bis zu sechs) ausliegenden Kartenreihen zu analysieren versucht. Außerdem lässt sich mit manchen Gebäuden der Umfang der eigenen Kartenhand vermehren. Dem Warten, bis alle Mitspieler endlich ihre Reihe genommen haben, kann also das erneute Warten darauf folgen, dass alle ihre zusätzlichen Karten gezogen und die überzähligen abgeworfen haben. Diese zweite Phase findet zwar im Wesentlichen gleichzeitig statt; wer jedoch nicht in derartige Gebäude investiert hat, ist hier erneut zum Untätigsein und Zuschauen verdammt. Die behauptete Spieldauer von rund 60 Minuten ist schon aus diesen Gründen kaum zu halten. Auch während einer Runde können die Karten oft nicht einfach runter gespielt werden, diverse Überlegungen, ob ein Joker oder ein bestimmtes Gebäude jetzt oder doch erst später genutzt werden sollen, müssen schon sein. Das ist zwar für das Spielgefühl noch kein Nachteil, verlängert aber natürlich ebenfalls die Spielzeit.
Für das Spiel zu zweit wird eine Variante mit einem fiktiven dritten Mitspieler angeboten. Für diesen werden jede Runde zufällig sieben Karten gezogen, womit dann mehr Konkurrenz sowohl bei den diversen Karten-Boni als auch bei den Mehrheiten in den Stadtteilen besteht. Diese Variante ist sehr gut spielbar, erfordert aber natürlich einen etwas höheren Verwaltungsaufwand als das Grundspiel.
Harald Schatzl
Spieler: 2 - 5
Alter: 12+
Dauer: 90+
Autor: Stefan Feld
Grafik: Andreas Resch, Hans-Georg Schneider
Preis: ca. 30 Euro
Verlag: Pegasus Spiele 2013
Web: www.pegasus-spiele.de
Genre: Mehrheitenspiel
Zielgruppe: Mit Freunden
Version: multi
Regeln: de en
Text im Spiel: nein
Kommentar:
Die verschiedenen Spielweisen sind im Ergebnis gut ausbalanciert
Unnötig hohe Einstiegshürde durch Design
Eher nüchternes und wenig Spielmaterial
Vergleichbar:
Mehrheitenspiele mit Venedig-Thema - San Marco, Doge, Venezia; Strasbourg
Andere Ausgaben:
Tasty Minstrel Games, Ludanova, Rebel.pl (geplant)
Meine Einschätzung: 5
Harald Schatzl:
„Rialto“ stellt eine gelungene Wiederbelebung eines bereits totgeglaubten Genres dar, zumal der Autor auf feine Weise u.a. mehrere aus seinen früheren Spielen bekannte Elemente zu einem neuen Ganzen kombiniert hat. Der Regelaufwand ist zwar relativ gering, Wenig- und Gelegenheitsspieler werden beim ersten Mal dennoch Unterstützung von Vielspielern benötigen.
Zufall (rosa): 1
Taktik (türkis): 2
Strategie (blau): 1
Kreativität (dunkelblau): 0
Wissen (gelb): 0
Gedächtnis (orange): 1
Kommunikation (rot): 1
Interaktion (braun): 2
Geschicklichkeit (grün): 0
Action (dunkelgrün): 0