Herrscher der Drachen
Drachen haben nichts zu
lachen, wusste schon 1979 Franz Sklenitzka, und verfasste ein reizendes
Kinderbuch gleichen Titels. Auch heute noch werden diese seltenen Geschöpfe oft
missverstanden, misshandelt oder gar missbraucht. Der jüngste Fall von
Kriechtierschändung wird aus der Röhrenwelt Midgaard gemeldet, wo jeder
dahergelaufene Abenteurer mithilfe eines sogenannten Steines des Drachen sich
zum Herren über eine Kreatur der Lüfte aufschwingen, und diese sodann zu
schändlichen Taten, wie etwa dem Auslöschen ganzer Armeen, zwingen kann.
Es wird berichtet, dass
zwischen den einzelnen Reichen beständig Krieg um die Vorherrschaft geführt
wird, einzelne kleinere Gruppen von mordlüsternen Raufbolden aber, von
skrupellosen Königen ausgesandt, das Ödland Vigrond auf der Suche nach
Drachensteinen und anderen Artefakten durchkämmen, um die ganze Macht für ihre
Herrscher und ihr Volk zu erringen.
Die Spieler schlüpfen in
die Rolle der Anführer eines von vier Völkern (Barbaren, Elfen, Orks oder Zwerge),
und besiedeln auf dem Spielplan reihum, ausgehend von ihrer jeweiligen zufällig
gewählten Hauptstadt, die Kontinente der Welt Midgaard (kein besonders
origineller Name, aber bitte). Nach dieser Aufbauphase verfügt jedes Volk über
gleich viele Landstriche sowie zusätzlich so genannte Goldländer, die ein
erhöhtes Einkommen garantieren. Je nach Spieleranzahl können daneben auch noch
neutrale Reiche eingerichtet werden. Jedes Volk beginnt mit der gleichen Summe
Startkapitals, wackeren Mannen, einem König, einem Zauberer (der bereits zwei
Zaubersprüche kennt), zusätzlich zwei Spruchkarten, einem Schiff, und nicht
zuletzt der Grundausrüstung für eine Abenteurergruppe (Fackel und Spitzhacke
als Spielmarken). Darüber hinaus sind jedem Volk noch bestimmte Fähigkeiten zu
eigen, die es von seinen Rivalen unterscheidet und auf einem Referenzblatt
aufgelistet stehen. Die Barbaren sind beherzte Seefahrer und stark, vermehren
sich aber langsamer, die Elfen beherrschen eine spezielle Kriegslist, die Orks
vermehren sich schneller und die Zwerge verstehen sich besonders auf den
Bergbau.
„Herrscher der Drachen“
wird in Runden gespielt, jede Runde verläuft in sieben Schritten je Spieler,
die – mit Ausnahme der Kämpfe zu Lande, zu Wasser oder in der Abenteuereinöde –
nacheinander drankommen. Ziel des Spieles ist es, eine bestimmte Anzahl (im
Grundspiel vier, alternativ aber auch drei, fünf, oder alle) Königreiche unter
seine Kontrolle zu bringen. Die Blutrauschvariante eröffnet sogar die Option,
solange zu spielen, bis nur mehr ein König auf dem Feld steht.
Der erste Schritt besteht
darin, neue Einheiten anzuwerben, die aber erst in Schritt sieben platziert
werden. Im zweiten Schritt können, so man (noch) über Schiffe verfügt Einheiten
über See transportiert, und eventuell Inseln besiedelt werden. Danach kommt die
Abenteuerphase, die bei Begegnung mit gegnerischen Abenteurergruppen auch zu
einem kleinen Gemetzel im großen Gemetzel werden kann. Die vierte Phase
eröffnet meist die Feindseligkeiten zwischen den Völkern (zu Beginn vielleicht
noch mit Neutralen, also am restlichen Spielgeschehen völlig unbeteiligten
Reichen), danach können die Truppen umgruppiert werden, um im sechsten Schritt
das Einkommen einzuziehen. Nach dem Aufstellen der am Anfang des Spielzuges
angeheuerten Mannschaften (oder auch Schiffen), kommt der nächste Spieler an
die Reihe, und vollzieht dieselben sieben Schritte.
Wie sich sehr bald
herausstellt, ist das Spiel auf Konfrontation ausgerichtet. Außer bei der
Landung auf unbesetzten Inseln, kommt es immer zu kriegerischen
Auseinandersetzungen, wenn fremde Landstriche betreten werden. Die Bewegung
erfolgt zu Lande jeweils um ein Feld, über See bis zu sechs Felder (zehn für
Barbaren), oder ausnahmsweise per Teleportation (entweder mittels Zauberspruch
oder Teleportal zu einem beliebigen anderen Dimensionentor oder mithilfe eines
Drachenlords, sobald ein solcher für das betreffende Volk zur Verfügung steht).
In der Kampfphase gibt es noch die Möglichkeit eines Gewaltmarsches über vier
(eigene) Felder. Einen Rückzug kann nur der Angreifer ausführen, der
Angegriffene darf sein Gebiet niemals freiwillig räumen. Gekämpft wird mittels
Würfeln oder Zaubersprüchen, deren Wirkung allerdings zumeist ebenfalls
ausgewürfelt wird. Für den Kampf wird die Angriffsstärke der beteiligten
Kämpfer errechnet (Anführer, Zaubersprüche, besondere Schätze oder
Geländeformationen können Bonuspunkte bringen), und dann gilt es mit einem
Würfel je Mannschaft höchstens die eigene Kampfstärke zu erzielen. Bei Kämpfen
in der Abenteuereinöde Vigrond können die Gegner bisweilen Monster (etwa
Ratten, Zombies, oder auch Drachen) mit seltsamen Verteidigungswerten sein, für
die es entsprechende Würfel (4-, 8-, 10- oder 12-seitig) gibt, gegen alle
anderen Widersacher benötigt man den klassischen Sechsseiter. Wenn die
verteidigenden Truppen eliminiert sind, wird das neue Gebiet dem Reich
einverleibt. Die Alternative: der Angreifer gibt auf (darf sich zurückziehen),
oder ist selbst vernichtet.
Das Hauptmotiv, eine
Abenteurergruppe nach Vigrond zu entsenden, stellt die Möglichkeit dar, dort
Verstärkungen für die eigenen Armeen im Rest Midgaards zu entdecken. Schätze
oder Zaubersprüche können erworben, vielleicht sogar ein Drache zur
Unterstützung versklavt werden, der dann von einem Drachenlord in die Schlacht
geführt wird. Man trifft auf Hexen, Priester, neue Gefährten und fallweise
verfeindete Abenteurergruppen, mit denen man sich eine dufte Prügelei liefert.
Hin und wieder werden auch die Götter mittels eines (durchsichtigen
sechsseitigen) Orakelwürfels befragt – die Chance, erhört, ignoriert oder
verflucht zu werden liegt bei je einem Drittel. Im schlimmsten Fall, wenn der
König auf dem Schlachtfeld geblieben sein sollte, findet sich sogar ein
Thronfolger in Vigrond. Die Abenteuer in dieser öden Wildnis werden zu eigenen
kleinen Spielen, sehr zum Ärger der Mitspieler. So ein Abenteuer kann ganz
schön Zeit kosten, kein Wunder also, dass deswegen die unterschiedlichen
Forschungstrupps selten gut aufeinander zu sprechen sind.
Da wären wir bei einem
großen Kritikpunkt angelangt. Die Wartezeiten zwischen den einzelnen
Spielerzügen wachsen manchmal ins Uferlose, verkürzt werden sie nur durch
Kämpfe, in welche aber auch nicht mehr als zwei Parteien gleichzeitig
involviert werden. Alle anderen am Tisch streichen sich derweil ein Butterbrot,
greifen zu (hoffentlich legalen) Drogen oder lesen wieder einmal zur
Auffrischung „Krieg und Frieden“. Die Idee, in ein Spiel, das abgesehen von den
Fantasyelementen fatal an ein verbessertes „Risiko“ (Verlag Parker) erinnert, ein
kleines weiteres Spiel , zwar mit denselben Kampfregeln, ansonsten aber ohne
direkten Bezug, einzubauen, ist ausgesprochen charmant. Leider aber geht die
Rechnung nicht auf. Der Erwerb der Artefakte ist zu langwierig, die spontane
Übertragung an die äußeren Truppen widerspricht noch dazu der Logik der
Abgeschiedenheit der Abenteurergruppe; trotzdem ein netter Versuch, zwei extrem
gegensätzliche Elemente zu verbinden.
Ungewöhnlich erscheint auch
die Herkunft von „Herrscher der Drachen“, denn aus Kanada hört man nicht allzu
oft von neuen Spielen. Die getestete Version ist die leicht veränderte
Neuauflage (Quest for the DragonLords – Second Edition) des Spieles aus dem
Jahre 2002. Gegenüber der ersten Ausgabe wurden die Regeln gestrafft, das Spielbrett übersichtlicher gestaltet,
einige Sätze neuer Karten und neuer Zauber (Einsatz von Magie kostet jetzt
Mana-Punkte) eingefügt, die einzelnen Abenteuer (20 Questkarten) umgekrempelt,
kurzum, das Questen-Element insgesamt gestärkt. Auch soll die Qualität der zahlreichen
(über 200) Miniaturen deutlich verbessert worden sein. Beim verwendeten
Halbhartkunststoff, an dem noch so mancher Gussgrat rundum hervorsticht, den
klobigen Schiffs- und Drachenmodellen, und den wenig detaillierten übrigen
Figuren kann man die Besitzer der ersten Auflage nur von ganzem Herzen
bedauern, erfüllt die angebliche Verbesserung doch kaum auch nur mittlere
Ansprüche. Um allzu großes Gedränge auf den Kontinenten zu vermeiden, darf man
Einheiten sodann durch mitgelieferte, billig wirkende Plastikjetons (weiß = 1,
rot = 5, blau = 10) ersetzen; obenauf sitzt eine Miniatur, um den Besitzer zu
kennzeichnen. Ein guter Einfall war hingegen, verschiedene Werte (etwa für
Zauberspruchstärken) mittels Steckelementen zu markieren – somit wird Schummeln
erschwert. Warum das nicht für alle veränderlichen Attribute ausgeführt wurde,
bleibt das Geheimnis der Hersteller.
Immerhin, die Spielregeln kommen einigermaßen übersichtlich daher, wenn auch Übersetzung und Layout etwas eigenwillig geraten sind. Einzelne Blöcke wurden sogar in der vorliegenden Ausgabe zu übersetzen vergessen, was jedoch den hausbackenen Charme eher erhöht. Besser als ein Glossar („Kampfrunde: Alle sieben Schritte der Kampfsequenz.“; „Kampfsequenz: Die Abfolge der sieben Kampfschritte.“) wäre freilich ein Register gewesen, denn auch das ausführliche Inhaltsverzeichnis nützt bei speziellen Fragen herzlich wenig. Im Notfall muss man dann doch wie so oft (und wie auch bei anderen Verlagen) auf das als .pdf-Datei verfügbare und damit leichter zu durchsuchende Regelwerk (im weltweiten Netz auf englisch unter http://www.dragonlords.ca) zurückgreifen. Die Regeln für Teleportationen bleiben dennoch eher rätselhaft, dafür übersieht man andererseits leicht, dass man vom oberen (nördlichen) Rand des Spielplans direkt zum unteren (südlichen) gelangen kann – eben eine Röhrenwelt. Hier ergeben sich eventuell interessante taktische Möglichkeiten.
Das Spiel lässt dennoch leider einiges zu wünschen übrig, die beiden Komponenten (Völkerschlachten auf der einen, Questen mit maximal zweimal neun Kämpfern auf der anderen Seite) driften zu stark auseinander.
Martina & Martin
Lhotzky. Marcus Steinwender
Spieler : 2 – 4, sinnvoll ab 3
Alter : ab 12 Jahren
Dauer : 2-3,5 Stunden
Autor : Robert Johannessen
Grafik : Jarmo Kaski
Vertrieb : Mad Man’s Magic
Preis : ab 35,– €uro
Verlag : DragonLords 2006
Bewertung:
Strategie: ****
Taktik: *****
Glück: ******
Interaktion: ***
Kommunikation: **
Atmosphäre: ***
Kommentar:
Teilweise problematische
Regeln
Nicht optimales Material
Interessanter Mix von
Mechanismen bzw. Komponenten
Deutsche Ausgabe von
Dragonlords, 2002
Martin und Martina Lhotzky:
Das Spiel versucht, ein Welteroberungsszenario um Elemente eines Fantasy-Rollenspiels zu erweitern. Je nach Disposition der Spielteilnehmer kommt aber stets eines der beiden zu kurz. Spieler, die „Risiko“ und besonders die „Herr der Ringe“-Variante schätzen, wird „Herrscher der Drachen“ vermutlich dennoch begeistern. An sensibleren Charakteren freilich, die nicht unbedingt in jedem Spiel nach der Weltherrschaft streben, oder nicht ganz so gerne das Ausschalten von Kontrahenten betreiben, werden berechtigte Zweifel nagen, ob dieses Spiel wirklich das geeignete sein wird.
Vergleichbar:
Dragonlords
Andere Fantasy-Abenteuerspiele mit hohem Glücksfaktor