PERLEN DER SPIELKUNST

 

ORBIT

 

Kreisen um ein Schwarzes Loch!

 

Liebe Leserin, lieber Leser! Drei Denkspiele in einem, so präsentiert „Die Spiele-Galerie“ von Franckh-Kosmos in der Edeledition „Orbit“ einen Alex-Randolph-Spielmechanismus, der in der langen Autorenkarriere des Altmeisters immer wieder aufgegriffen wurde. Randolph selbst charakterisiert das dieser Trilogie zugrunde liegende Thema wie folgt: „In diesen drei Spielen scheint alles durch den sogenannten ‚Zufall‘ bestimmt zu sein, doch spielt ‚Glück‘ überhaupt keine Rolle. In jeder Runde geben Würfel (also das Schicksal) eine Ausgangssituation vor. Danach ist es jedem Spieler überlassen, damit etwas anzufangen – oder es bleiben zu lassen.“ Dazu mein Kommentar: „Orbit“, das Titelstück, ist zweifellos am einfachsten im Familienkreis zu genießen, „Harun“ stellt eine deutlich höhere Denkhürde dar, und „Corona“ darf durchaus als Hirnakrobatik pur verstanden werden, etwas für Spieler mit überschüssigem Adrenalin. Letztere Spielidee war zum Zeitpunkt der Herausgabe dieser Sammlung bereits zwanzig Jahre alt, und das Prinzip der gleichzeitigen Suche aller Akteure nach dem optimalen Weg wurde in Randolph-Werken wie „Die verbotene Stadt“ oder „Rasende Roboter“ („Ricochet Robots“) in den Neunzigerjahren neuerlich durchaus erfolgreich bemüht. Sollten Sie sich zum Denken anregen lassen wollen, eventuell sogar als solitäre Therapie, dürfen Sie wie immer im Österreichischen Spielemuseum in Leopoldsdorf an die „Arbeit“ gehen. www.spielen.at

Je nachdem, für welche Umlaufbahn von Planeten Sie sich entscheiden, zeigt der obligate Lichtkegel Platz (Felder) für sieben oder zwölf Trägersteine. Diese sollen in der Folge mit sechs Symbolsteinen bestückt werden, streng nach dem Zufallsergebnis diverser farbiger bzw. schwarzer Würfel. Das Schicksal in Form von Wurfresultaten muss die Vorgaben machen, so will es Randolph, der geniale Autor dieses Mechanismus. Nun zu den Unterschieden in der Umsetzung seiner Grundidee. Bei „Orbit“ werden zunächst alle Trägersteine auf dem kleineren Umlaufplan verteilt, nur um später entsprechend der farbigen Würfel im Uhrzeigersinn oder gegen ebendiesen (hier entscheidet der schwarze Würfel) bewegt zu werden, in streng vorgegebener Farbfolge. Diese wird auch über die Punkte (in Form von Chips) entscheiden, die jeder Spieler einfahren kann. Betonung auf dem letzten Wort „kann“, denn es kommt vor allem darauf an, so schnell als möglich den richtigen, hochkarätigen Trägerstein mit dem eigenen Symbolwürfel zu besetzen. Da alle gleichzeitig nach diesem Optimierungszug streben, ist alles eine Sache von Tempo und Übersicht. „Harun“ bietet mit zusätzlichen vier Fixsternen auf dem Zwölffelder-Plan eine weitere Herausforderung, die schon viel vom späteren Randolph-Klassiker „Rasende Roboter“ vorwegnimmt. Dieses Mal gilt es, in einer Minute – durch eine Sanduhr gestoppt – möglichst viele Punkte durch Besetzen von sogenannten Fixsternen (vier Sondersteine) anzusagen. Das höchste Gebot darf nach Ablauf der Zeit den optimalen Weg vorzeigen – oder aber diverse Strafpunkte an die Mitspieler zahlen. Krönender Höhepunkt dieser kleinen Spielsammlung ist zweifellos das ungemein spannende, vielschichtige „Corona“, bei dem die Punkte entsprechend der Dichte der Trägersteine auf einem Feld bemessen werden. Landet man auf einem leeren Feld, gibt es nur einen einzigen Punkt als Belohnung, wird ein anderer Träger erreicht, bekommt man zwei Punkte, stehen zwei Träger auf einem Feld, fährt man drei Punkte ein, usw. Wieder gilt es, in der einen Minute, die die Sanduhr vorgibt, den optimalen Weg zu finden und den erhofften Punktewert – ja, es geht leider oft schief – den Mitdenkenden rechtzeitig anzukündigen. Da dies selbstverständlich auch deren Begehr ist, müssen die grauen Zellen in Sekundenschnelle aktiviert werden – sonst kommt man immer zu spät. Denn niemand kreist ganz ohne Sinnsuche um ein Schwarzes Loch, nicht einmal im reinen Spiel.    

Unser Lichtkegel fällt auf ein düsteres Stadtviertel des Londoner East Ends: Whitechapel. Hier tummeln sich acht Charaktere, von denen einer das Böse verkörpert. Sein Name: Mr. Jack. Allerdings verbirgt sich dieser Verbrecher geschickt unter den übrigen Figuren, die teils literarisch oder historisch verbriefte Persönlichkeiten darstellen: Sherlock Holmes, John H. Watson, John Smith, Polizeiinspektor Lestrade, Miss Stealthy, Sergeant Goodley, Sir William Gull und Jeremy Bert. Jeder dieser Charaktere hat seine ganz spezifischen Fähigkeiten, und diese können von beiden Spielern, Inspektor und Verbrecher, geschickt genutzt werden. Das Ziel des Jägers ist es, Mr. Jack vor Ablauf der acht Runden dingfest zu machen, die Hoffnung des Verbrechers diametral dazu, dem Häscher im dichten Straßengewirr Whitechapels zu entkommen. Runde für Runde muss Mr. Jack Hinweise an den Inspektor geben, und Runde für Runde wird der Kreis der Verdächtigen kleiner. Das Netz zieht sich langsam zusammen, doch gleichzeitig erlöschen immer mehr der Gaslaternen – und der Weg zur Flucht aus Whitechapel gelingt vielleicht doch noch „kurz vor Morgengrauen“. Voraussetzung ist, dass Mr. Jack die Runde zuvor von keinem Zeugen gesehen wurde, also dem fahlen Schein der Gaslaternen geschickt ausweichen konnte. In weniger als einer halben Stunde ist die Jagd vorbei, und egal wer dieses Katz-und-Maus-Spiel als Sieger beendet, der Wunsch nach einer Revanche mit vertauschten Rollen ist unumgänglich. Eine Erfahrung aus zahlreichen Jagdstunden in Whitechapel sei erlaubt: Die Rolle des Mr. Jack ist die schwierigere, vor allem im Originalspiel, doch kommt diebische Freude auf, wenn es gelingt, den Inspektor ständig an der Nase herum zu führen. Dies gelingt teils durch geschicktes Hinlenken der Figuren in das Laternenlicht, teils durch Bluff, wie etwa ein absichtliches Abseitsstellen eines Hauptverdächtigen. Der Inspektor wird zur Reaktion gezwungen, verliert viel Zeit und muss schließlich hilflos zusehen, wie sich Jack aus dem Staub macht. Das Schicksal des realen Jack the Ripper wiederholt sich auf dem Spielbrett. Fall ungelöst!   

 

Rückmeldungen an: hugo.kastner@chello.at               

Homepage: www.hugo-kastner.at


EMPFEHLUNG # 79

Spieler: 2

Alter: 9+

Autor: Bruno Cathala, Ludovic Maublanc

Dauer: 30+

Preis: ca. 25 Euro

Jahr: 2006

Verlag: Hurrican

    

Taktik: 7 von 9

Info±: 0 von 0

Glück: 2 von 9

 

Eigentlich ist der Glücksfaktor verschwindend gering, nach Randolph zu urteilen überhaupt nicht vorhanden – und doch muss ich mich für zwei „Ringe“ entscheiden. Meine Erklärung dafür: Im Gegensatz zu anderen kombinatorischen Spielen, die eine Tiefe der Analyse mit einem Mindestmaß an Zeit koppeln, geht bei „Orbit & Co.“ alles blitzartig vonstatten. Ein falscher Gedanke, der der Intuition des Moments entspringt, und einer der Mitspieler wird „zufällig“ eher den Pfad um das „Schwarze Loch“ finden, ohne dies vielleicht rational begründen zu können. Das Tröstliche an der Sache: Eine schwache Performance kann durchaus mit Pech erklärt werden.

 

Hugos EXPERTENTIPP

 

Beginnen Sie mit „Orbit“ und tasten Sie sich langsam an die tückischen Kreisbahnen von „Harun“ und „Corona“ heran. Es hilft auch sehr, die im Beiheft angebotenen 20 Corona-Probleme als Solitär-Aufgabe durchzudenken und an der möglichen Optimierung der Punkte zu feilen. Wie jedes Denken, verlangt auch dieses spezielle Randolph-Kreisen der Trägersteine ein gehöriges Maß an Übung. Viel Spaß!       

 

Hugos BLITZLICHT

Alle drei Spielideen leben vom blitzschnellen Denken der Spielerinnen und Spieler. Wie schrieb die Fachzeitschrift Pöppel-Revue über diesen eleganten Mechanismus: „Die Ludophilen lieben das Spielsystem, bei allen wird es als Juwel gehütet, aber gespielt hat es in der letzten Zeit keiner mehr." Der Grund dafür ist einfach erklärt: Es macht zwar gewaltigen Spaß, dieses „Kreisen um ein Schwarzes Loch“, doch müssen Sie Sie es verkraften können, Ihre Grenzen des Denkens aufgezeigt zu bekommen. „Orbit & Co.“ ist alles andere als ein Selbstläufer!

 

Im Laufe des Spiels wird es in Whitechapel immer düsterer, da die spärlichen Laternen sukzessive vom berüchtigten Stadtviertel verschwinden. Und sollte sich kein Zeuge gefunden haben, kann Jack the Ripper die Gunst der Stunde zur Flucht nutzen. Exzellentes Spielmaterial, eine reich illustrierte Anleitung, lockeres Artwork, ein hoher Spannungsbogen und abwechslungsreiche Szenarien – „Mr. Jack“ ist wahrlich ein Knüller für Zwei. Herz was willst du mehr!     

 

VORANKÜNDIGUNG

FREYA’S FOLLY

Die Halskette der Fruchtbarkeitsgöttin