Vom Schwarzen Meer nach St. Petersburg

 

1861 – The Railways of the Russian Empire

 

Eisenbahnbau ohne Gründung von Aktiengesellschaften

 

 

Bei 1861 handelt es sich um eine Variante der Eisenbahnspielserie die üblicherweise als 18XX bezeichnet wird. Anfangs sollte erwähnt werden dass dieser Artikel nicht die Grundregeln behandeln wird sondern die Unterschiede zu anderen Versionen, im speziellen zu 1830, das oft als Referenz herangezogen wird, hervorheben soll.

Wie der Untertitel schon vermuten lässt ist Thema dieser Variante der Aufbau des russischen Eisenbahnnetzes mit landestypischen Rubel als zu erstrebendes Zahlungsmittel und Moskau als zentraler Stadt. Der Spielplan erstreckt sich von der polnischen Grenze im Westen bis zum Ural im Osten, vom Schwarzen Meer im Süden bis nach St. Petersburg im Norden.

Beim näheren Betrachten der Karte fällt auf, dass auf der Karte ungewöhnlich viele Startbahnhöfe eingezeichnet sind, nämlich 16. Keiner von diesen gehört jedoch zu einer der vorhandenen 8 Aktiengesellschaften. Die Erklärung dafür ist gleichzeitig auch der größte Unterschied und grundlegende Idee von 1861. Hier werden die Aktiengesellschaften im Normalfall nicht gegründet, sie entstehen aus anderen kleineren Gesellschaften, so genannten Minors (dt.: Geringere, ich werde aber weiter den englischen, in der Regel benutzten Begriff verwenden). Für diese 16 Minors, manch einer wird es sich vielleicht schon gedacht haben,  gehören auch die 16 eingezeichneten Startbahnhöfe. Diese Minors können mit den Vorpreußischen aus 1835 verglichen werden. Im Gegensatz zu 1835 besitzen sie aber auch einen Aktienkurs, der einen gewissen Wert aber nicht übersteigen darf.

 

Zu Beginn des Spiels werden die 5 Privatgesellschaften versteigert. Diese garantieren dem Besitzer, wie in 1830, ein fixes Einkommen und  können später an Gesellschaften verkauft werden, wobei mit Gesellschaften stets sowohl Aktiengesellschaften als auch Minors gemeint sind. Versteigert wird nicht nach dem in vielen Varianten auftauchenden 1830-System. Stattdessen wird jede einzeln, beginnend mit der schwächsten, versteigert. Jeder Spieler hat die Möglichkeit den letztbietenden zu überbieten, wodurch jeder grundsätzlich die Chance hat zu ersteigern was er möchte. Sind alle 5 vergeben, können 10 der 16 Minors gekauft werden, die übrigen 6 kommen erst nach der Inbetriebnahme der ersten 3er Lok in das Spiel. Die Minors werden wieder nach dem gleichen System versteigert, wobei stets der aktive Spieler entscheidet welche als nächste unter den Hammer kommt. Der Verkaufspreis entspricht dem Startkapital der Gesellschaft und regelt den Anfangskurs. Die Minors können nicht verkauft werden und bleiben bei ihrem Besitzer bis sie umgewandelt oder nationalisiert werden, dazu später mehr. In späteren Aktienrunden können auch Aktien von Aktiengesellschaften ge- oder verkauft werden. Anzumerken ist hier dass der Kurs beim Verkauf nur fällt wenn der Direktor verkauft. Ab der ersten 4er Lok ist auch das Gründen neuer Aktiengesellschaften grundsätzlich möglich, es genügt die Direktoraktie zu kaufen um sie operieren zu lassen. Dies ist in 1861 aber nicht üblich da es mit einigen Nachteilen verbunden ist und durch das Umwandeln von Minors zahlreiche Aktiengesellschaften in das Spiel kommen. Den Startbahnhof für eine Neugründung kann der eröffnende Spieler zwar frei wählen, allerdings mit der Einschränkung dass diese Stadt noch mit keiner anderen verbunden ist. Ein Schienennetz muss somit immer neu aufgebaut werden. Egal ob eine neue Aktiengesellschaft gegründet oder umgewandelt wurde, Kapital erhält sie nur für verkaufte Aktien. Nicht verkaufte Aktien kommen immer in den Firmenschatz und können von dort zum aktuellen Kurs gekauft werden.

Auf die Aktienrunde (AR) folgen immer 2 Operationsrunden (OR). Auch da unterscheidet sich 1861 von 1830, von Anfang bis Ende des Spiels gibt es immer 2 OR zwischen den AR. In den OR werden zuerst die Privatgesellschaften ausbezahlt, dann folgen die Minors in absteigender Reihenfolge nach dem aktuellen Kurswert, wie aus 1830 für die Aktiengesellschaften  bekannt. Danach folgen die Aktiengesellschaften.

Während einer AR können die Gesellschaften nun Strecken und Bahnhöfe bauen. Das erste Streckenteil darf, bis auf Baukosten für das Gelände, gratis gelegt werden. Ein zweites darf für 20 Rubel gebaut werden. Bahnhöfe kosten, ähnlich wie in 1835, 20 beziehungsweise 40 Rubel für jedes Hexfeld das die neue Station vom nächsten eigenen Bahnhof entfernt ist. Die 20 sind für den zweiten, die 40 für den dritten und letzten Bahnhof zu bezahlen. Die Anzahl an zu Verfügung stehenden Bahnhöfen ist für alle Aktiengesellschaften gleich. Minors haben generell nur den Startbahnhof.

Danach wird das Einfahrergebnis der Gesellschaft ausgerechnet. Als Besonderheit von 1861 kann hier erwähnt werden dass Kleinstädte stets ausgelassen werden können. Das eingefahrene Geld kann nun einbehalten oder zu 50% oder 100% ausgeschüttet werden. Der Aktienkurs steigt wenn die Dividende größer oder gleich dem alten Kurs ist. Wird nichts an die Aktionäre ausbezahlt sinkt der Kurs. Die Dividende für nicht verkaufte Aktien erhält die Gesellschaft. Dafür aber nichts für wieder verkaufte Aktien aus dem Bankpool. Diese können aber am Anfang der OR von der Gesellschaft zurückgekauft werden. Minors zahlen immer die Hälfte an den Besitzer aus und behalten den Rest ein. Sie steigen immer wenn das Einfahrergebnis größer als Null ist, fallen anderenfalls.

Danach müssen eventuell vorhandene Kredite zurückgezahlt werden. Zuvor müssen aber noch 10% Zinsen berappt werden. Kredite werden bei 1861 immer nur für Streckenbaumaßnahmen, Kreditzinsen oder einem erzwungenen Zugkauf vergeben und auch nur wenn sich die aufnehmende Gesellschaft nicht genug Geld für die Anschaffung zur Verfügung hat.

Zum Schluss können (bzw. müssen) noch Züge gekauft werden. In aufsteigender Reihenfolge sind 2er bis 8er Züge zu kaufen. Sobald der erste 8er Zug gekauft wird, wird das Ende des Spiels eingeläutet. Es werden noch eine bestimmte Anzahl an OR und maximal noch eine AR gespielt, bevor die Abrechnung erfolgt. In diesen letzten Runden können auch noch die letzten beiden im Spiel vorkommenden Züge gekauft werden, der 2+2 und der 5+5E. Diese fahren die angegebene Anzahl an Städten (2 oder 5) an und verdoppeln das errechnete Ergebnis. Dem 5+5E ist es sogar erlaubt Großstädte auszulassen.

Die sonst in 18XX übliche Bedingung für das Spielende, kein Geld mehr in der Bank, würde auch hier das Spiel beenden. Durch die andere Bedingung tritt sie aber kaum in Kraft. Ein Spielerbankrott kann in 1861 nicht auftreten. Gesellschaften die am Ende ihrer OR keinen Zug haben werden nationalisiert. Der Besitzer kann (oder muss) kein Geld zuschießen. Nationalisieren heißt bei 1861, dass der Aktienkurs um ein Feld gesenkt wird, weitere Felder werden noch für offene Kredite abgezogen. Der dann geltende Marktwert wird den Besitzern von der Bank ausbezahlt. Den Besitz der Gesellschaft erhält die Russian State Railway. Diese dient im Spiel als Auffanggesellschaft. Sie operiert und kann nach festen Regeln Züge kaufen, kann aber keine Strecken oder Bahnhöfe bauen. Es ist den Spielern auch nicht möglich Anteile zu erwerben.

Nach den OR finden noch Mergerrounds (MR) statt. Der Name leitet sich aus dem englischen „to merge“ her, was soviel wie fusionieren oder übergehen bedeutet. Hier können Minors in Aktiengesellschaften umgewandelt werden. Dies kann auf zwei Arten geschehen. Minors die einen gewissen Aktienwert erreicht haben können konvertiert werden. In diesem Fall übernimmt die neue Gesellschaft den Aktienkurs der Minor und der Besitzer erhält die 20%-Direktoraktie. Alternativ können 2 bis 10 Minors fusionieren. Einzige Bedingung hierfür ist, dass eine der Teilnehmern legale Routen zu allen anderen beteiligten Startbahnhöfen hat. Der neue Aktienkurs wird die Summe des höchsten und des niedrigsten Aktienkurses der fusionierenden Minors festgelegt. Die Besitzer der Teilnehmer erhalten je eine 10%-Aktie für jede Gesellschaft. In beiden Fällen wird der Besitz aller und maximal zwei Bahnhöfe der Minors übernommen.

Nach dieser eher Zusammenfassung der Regeln möchte ich nun noch versuchen die vielleicht interessantere Frage, wie spielt sich 1861, zu beantworten. Ein Vergleich von 1830 und 1861 ist ähnlich wie der Vergleich von amerikanischem Kapitalismus mit russischer Staatswirtschaft. In 1861 werden alle nicht mehr lebensfähigen Gesellschaften nationalisiert. Der Besitzer verliert dadurch nur wenige Rubel. Zudem ist es nicht möglich den Aktienkurs von Gesellschaften zu drücken. Somit macht es auch wenig Sinn einem Gegner eine marode Firma anzuhängen, wie es in anderen 18XX-Versionen sehr effektiv ist. Man muss also beim Aktienkauf nicht auf solche Dinge aufpassen. Dadurch spielt sich 1861 einfacher, da Fehler einfacher zu verkraften sind, es geht aber auch viel vom Spielreiz von 1830 verloren.

Dafür gewinnt 1861 an anderer Stelle. Der Mechanismus mit den Minors und dem Umwandeln in Aktiengesellschaften bietet sehr viele Möglichkeiten. Somit verläuft auch jede Partie anders und bietet einen hohen Anreiz es wieder zu spielen.

Eine weitere Folge des Systems ist, dass die erste Aktienrunde sehr entscheidend ist. Hier haben Anfänger sicher einen großen Nachteil, zumal alles versteigert wird, was ein gewisses Einschätzen des Wertes erfordert. Dies wird noch dadurch verstärkt dass anfangs nur 10 Minors zu kaufen sind. Weitere Firmen sind erst ab dem ersten 3er Zug zu erwerben. Da es genau 10 2er, also genauso viele wie Gesellschaften gibt, muss eine dieser anfangs gegründeten einen 3er kaufen. Dies kann, wenn man in der ersten Runde nicht richtig investiert hat, ein paar Runden dauern, wodurch Spieler die mehr oder bessere Firmen gekauft haben einen Vorsprung aufbauen, der kaum mehr aufzuholen ist. Erfahrene Spieler können aber rechtzeitig einen Phasenwechsel herbeiführen, sodass sich dieser Effekt nach einem ersten Aha-Erlebnis vermeiden lässt.

Ebenso entscheidend ist es den richtigen Zeitpunkt zum Umwandeln zu wählen. Zu früh ist nicht gut, da man mit den Minors normalerweise mehr einfährt, zu spät kann eine ungewollte Nationalisierung zur Folge haben. Da sowohl Privat- als auch Firmenvermögen offen sind bleiben die Phasenwechsel grundsätzlich vorhersehbar, aufgrund der vielen Gesellschaften kann man sich aber dabei leicht verrechnen.

Die Endphase des Spiels gestaltet sich dagegen eher mühsam. Obwohl nicht entscheidend ziehen sich die letzten Runde recht lange. Aufgrund der vielen variablen Streckenbauteile und vielen Umfahrungsmöglichkeiten kann man bis zur letzten Runde noch neue Strecken bauen oder alte ausbauen. Um gute Züge ausfahren zu können ist das auch notwendig. In den meisten Partien haben die meisten Gesellschaften in der letzten Runde sogar zwei Züge.

Die auf der Schachtel angegebene Spieldauer von 3-5 Stunden konnte in unseren Testpartien jedenfalls kaum eingehalten werden. Mit Anfängern muss man eher mit 11 Stunden rechnen. Erfahrene Runden sollten es in 6-8 Stunden schaffen können.

Die Regeln sind in Englisch geschrieben, leicht verständlich, logisch aufgebaut aber, wie bei einem Spiel dieses Genres üblich, recht lang. Allerdings werden einige Detailfragen in der Regel nicht beantwortet. Hier bleiben nur die Möglichkeiten sich im Internet schlau zu machen oder sich in der Spielrunde zu einigen. Beispielsweise wird die Frage ob das Anfahren von zwei nicht miteinander verbundenen Stationen auf einem Plättchen erlaubt ist nicht behandelt. (Laut Autor ist dies nicht erlaubt, dies kann man aber nur im Internet nachlesen.)

Die Grafik ist, wie für 18XX-Spiele üblich, einfach aber zweckmäßig gestaltet. Das Spielmaterial ist üppig und solide aus Karton oder Holz. Um alles in der kleinen Schachtel unterzubringen muss man aber platzsparend einsortiern.

An dieser Stelle möchte ich auch noch auf einen Druckfehler auf der Schachtelaußenseite aufmerksam machen. Das Spiel ist für 3-6 Spieler spielbar, obwohl auf der Schachtel nur 3-5 angegeben sind. Allerdings haben die Spieler bei 5 oder 6 Spielern anfangs nur sehr wenig Geld zur Verfügung, wodurch sich nicht viele Möglichkeiten eröffnen. Ich persönlich bevorzuge daher Spiele mit 3 bis 4 Spielern. Bei der Spieldauer war man sich wohl nicht ganz einig. Auf Englisch werden 3-5 angegeben, direkt daneben 4-8 in Russisch.

Zusammenfassend möchte ich sagen dass 1861 durch den eigenen Mechanismus sich anders spielt als andere mir bekannten 18XX-Versionen, was auch seinen Reiz ausmacht. Allen interessierten Spielern die sich von einer langen Spieldauer nicht abschrecken lassen, vor allem natürlich Fans der Serie, würde ich raten ihm eine Chance zu geben. Auch wenn es, gerade wegen der anstrengenden Endphase, nicht jedermanns Favorit sein wird.

 

Markus Wawra

markuswawra@gmx.at

 

Spieler         : 3-6

Alter            : 10+

Dauer          : 3-5

 

Autor           : Ian D. Wilson

Grafik          : Mike Hutton

Vertrieb        : JKLM  Games / Lookout Games / Zman Games

Preis            : derzeit ausverkauft

Verlag          : JKLM  Games / Lookout Games / Zman Games 2007

                    www.lookout-games.de

 

Genre                    : Eisenbahnspiel, Wirtschaftsspiel

Zielgruppe             : Experten

Mechanismen         : Aktien und Firmen kaufen, Strecken bauen

 

Strategie                : *******

Taktik                    : ****

Glück                    : *

Interaktion             : *****

Kommunikation      : **

Atmosphäre           : ***

 

Kommentar            :

lange englischsprachige Regeln

Schönes, umfangreiches Material

Lange Spieldauer

Sehr komplex

 

Persönlicher Kommenta:

Bei 1861 – The Railways of the Russian Empire handelt sich um eine nicht aktienlastige 18XX-Version, bei der die Gesellschaften auf eine neue Art aus kleinen Bahnen entstehen und dadurch einen eigenen Charakter mit hohem Spielreiz entwickelt.

 

Vergleichbar:

Andere 18xx Varianten