FÜR ERWACHSENE
60 MINUTEN BIS ZUM TOD …
Roter November
Hektisches Treiben auf dem Unterseeboot
Wie Bruno Faidutti auf seiner Homepage schreibt, hat das neue Kooperationsspiel „Roter November“ (im Original: Red November) seine kleine persönliche Geschichte. Auf der Suche nach einem Grundthema, das dem Mechanismus von „Schatten über Camelot“ ähnlich sein sollte, vor allem mit einem unbekannten Verräter in der Gruppe, wurden zunächst die Hintergrundgeschichten von König Arturs „Rundem Tisch“ sowie von „Star Wars“ angedacht. Das Sinken des russischen Unterseeboot Kursk im August 2000 war allerdings zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch in aller Munde. Die Zeit war jedoch noch nicht reif und so vergingen die Jahre mit anderen Projekten. Als einer der Spieltester, Jef Gontier, der beruflich als Ingenieur an den französischen Nuklear-U-Booten mitarbeitete, auf dieses „technische“ Thema stieß, war der Bann gebrochen. Sofort gingen Faidutti und Gontier ans Werk zum neuen „großen“ Kooperations-Spiel (Arbeitstitel: Save the Kursk!). Zielsetzung: Einfach, spannend, humorvoll – und doch irgendwie realistisch. Das Ergebnis: Roter November. Das U-Boot-Treiben kann sich wahrlich sehen lassen.
Vorbereitung & Spielziel: Ein Profilschnitt eines U-Boots mit zehn Kammern bildet den eigenwillig anmutenden Spielplan. Drei Kammern (Maschinenraum, Sauerstoffpumpen und Reaktorraum) dienen der Reparatur, eine Kammer wird als Raketenkontrolle genutzt, und zwei Räume, der Ausrüstungsraum und die Kapitänskabine erlauben es, Gegenstände für den Ernstfall zu holen. Und dieser Ernstfall tritt auf diesem U-Boot sofort ein, glauben Sie mir. Ok, in der Kapitänskabine darf man sich so nebenbei am edlen Grog-Vorrat bedienen, von dem sechs Flaschen sogar offen zur freien Entnahme aufliegen. Ein bisschen Spaß muss ja wohl sein. Um den Plan läuft eine 60-Felder-Leiste, die exakt das Zeitmaß einer Stunde symbolisiert. Hier gilt es, mit den eigenen Zeitmarkern vorzurücken und letztlich vor dem Untergang der „Roter November“ das (imaginäre) Feld „Gerettet“ zu erreichen. Dies ist das gemeinsame Spielziel aller, wohlgemerkt. Verlieren können Sie dagegen auf verschiedenste Art: Entweder einer der Katastrophen-Marker (es gibt drei davon) erreicht einen bestimmten Pegel oder aber eine akute Gefahr wird von allen Spielern missachtet. Nicht willentlich, versteht sich. Oder es gehen einfach alle Matrosen in den Flammen um oder ersaufen in einer überfluteten Kammer. Die „Roter November“ ist eben ein traumatischer Ort, da gibt es nichts zu beschönigen. Weiter mit den Vorbereitungen: Jeder Spieler führt eine Gnomfigur, die durch einen Zehnflächer-Würfel dem Zufall folgend in eine der Kammern platziert wird. Ein farblich passender Zeitmarker sowie eine Gnomen-Karte (mit der „Nüchtern“-Seite nach oben) werden ebenfalls vorweg verteilt. Betrinken dürfen Sie sich dann ganz nach Wunsch im Laufe des Spiels. Das ist wirklich notwendig, schon um sich Mut zu machen. Zuletzt bekommt jeder Matrose, pardon: Gnom, verdeckt zwei Gegenstände für den folgenden Überlebenskampf. Neben dem Spielbrett wartet ein „böser“ Stapel mit Ereigniskarten, die das Leben auf der „Roter November“ wahrlich hektisch werden lassen. Auf geht’s – das Leben kann kurz sein!
Spielablauf & Spieltipps: Die Zugfolge auf dem U-Boot „Roter November“ ähnelt der von „Jenseits von Theben“. (1) Immer der auf der Zeitleiste am weitesten zurück liegende muss erst einmal seinen Gnom „bewegen“. Die Anführungszeichen besagen, dass dieses Bewegen eine Palette von Handlungen umfasst: Öffnen einer Luke zur nächsten Kammer, Abfließen lassen von Wasser, Betreten eines Raums oder sogar das Verlassen des U-Boots. All das kostet Zeit – und das Maß sind die verfügbaren „60 Minuten bis zum Tod …“ (siehe Überschrift). Die detaillierten Modifikationen müssen echte Matrosen – und Sie gehören hoffentlich dazu – durch eigene Erfahrung ausloten. Jedenfalls sind die Bewegungsschritte nicht zu unterschätzen. (2) Phase 2 sind die Aktionen. Manche erlauben in bestimmten Kammern dringliche Reparaturen, andere, wie das Löschen von Feuer, das Pumpen von Wasser oder das Beheben einer Luken-Blockade, können überall auf der „Roter November“ erforderlich sein. In zwei Kammern dürfen, gegen Zeitvorgabe, vom Vorrat Gegenstandsmarker bzw. Grogflaschen entnommen werden. Die Zeit wird, vom Feld des jeweiligen Spielers weg, durch einen sogenannten „Geisterzeit-Marker“ gemessen. Sollte einer der Gnome während seiner Aktivphase einen Grog konsumiert haben, so muss er eine „Ohnmachtsprobe“ (3) bestehen. Details auch dazu in der Spielregel. Doch soviel vorweg: Der Grog putscht zwar auf, doch sollte die Probe nicht bestanden werden, wird der Gnom für eine gewisse Zeit besinnungslos. Wenn da ein Feuer ausbricht oder ein Raum überflutet wird …? Sie sehen schon, alles hat seinen Preis. Der Grund für den Geisterzeit-Marker: In Phase (4) wird der eigene Markierungsstein über Ereignisfelder bzw. Gegenstandsfelder gezogen, bis zum weißen Geisterzeit-Marker, wobei diese Ereignisse unmittelbar abgehandelt werden. Und sie sind nahezu allesamt mit schrecklichen Erschwernissen für die Spieler verbunden. Was damit gemeint ist? Die Katastrophenmarker werden bedenklich hoch gepusht, akute Gefahren tauchen auf, Gegenstände müssen ungenutzt abgegeben werden, und vieles mehr. Es gibt nur wenige echte Verschnaufpausen. Diese drei bis vier Phasen wiederholen sich reihum, bis entweder die Gnome die 60 Minuten überstanden haben – das soll vorkommen – oder in den Fährnissen des U-Boot-Daseins ihr Leben aushauchen (im Jargon der Matrosen: „den Löffel abgeben“). Ja, und da gibt es noch einen kleinen Kick: Falls auch nur ein Spieler das Feld „10 Minuten“ überschritten hat, darf sich jeder, so er kann, leise aus dem Staub machen: man nennt das „Kameraden-verlassen“-Aktion. Voraussetzung ist allerdings eine Taucherausrüstung (bei den Gegenständen dabei), um das sinkende Schiff zu verlassen. Damit werden die Siegbedingungen auf den Kopf gestellt: Gewinnen die Gnome, verliert der Flüchtige. Umgekehrt gewinnt er alleine, wenn die anderen dem Katastrophenszenario zum Opfer fallen. Zuletzt einige Spieltipps: Horten Sie nicht wie wild Gegenstandsmarker, denn einige Ereigniskarten werden ein „Handlimit“ fordern. Sprechen Sie sich ab, wer welche Rettungsaktion übernehmen soll. Und achten Sie besonders auf die akuten Gefahren, die auf der Zeitleiste jeweils 10 bis 15 Minuten „in der Zukunft“ liegen. Sobald alle Gnom-Matrosen die betreffende Markierung überschritten haben, endet das Spiel unmittelbar mit dem Untergang aller. Behalten Sie ständig die Katastrophenleiste im Auge und führen Sie rechtzeitig notwendige Reparaturen aus. Die widrigen Ereignisse werden alle ganz unerwartet schnell kommen …
FAQ: Auf Bruno Faiduttis Homepage werden einige Fragen aus erster Hand beantwortet. Hier die 10 wichtigsten: (1) Zwei Spieler? Ja, allerdings muss jeder zwei Gnome kontrollieren, und zudem darf die „Kameraden-verlassen“-Aktion nicht durchgeführt werden. (2) Plättchen offen? Möglich, allerdings wird das Spiel dadurch schneller und berechenbarer. (3) Zahl der Marker? In einer Aktion dürfen beliebig viele, sogar identische, gespielt werden. Allerdings gibt es selbst bei zwei Grogs nur eine Ohnmachtskontrolle. Wird nach einem Grog in derselben Runde ein Kaffee geschlürft, entfällt sogar die obligate Kontrolle. (4) Feuer? Sobald ein Feuer ausbricht, sich ausbreitet oder einen bereits unter Flammen stehenden Raum erfasst, wird der Sauerstoff-Marker um ein Feld nach oben gezogen. Ein Gnom darf einen brennenden Raum nur mit einem Feuerlöscher oder einer Portion Grog betreten. Er darf den Raum auch wieder verlassen, ohne das Feuer zu löschen. Ein Gnom, der sich beim Ausbruch des Feuers bereits im Raum befindet, muss dieses unter Umständen „mit den Händen“ löschen. Oder aber er wählt eine andere Aktion und stirbt dafür nach der betreffenden Runde den „Heldentod“. (5) Tod in den Flammen? Falls ein aktiver Gnom nicht aus einem brennenden Raum fliehen kann, stirbt er am Ende seiner Runde. Blockierte Türen können im Feuer oder bei unter Wasser stehenden Räumen nicht geöffnet werden. Ein ohnmächtiger Gnom stirbt im Feuer sogar dann, wenn er nicht an der Reihe ist. (6) Gefahren? Wird ein Gefahren-Marker beseitigt, darf gleichzeitig auch der Katastrophen-Marker zurückgesetzt werden. (7) Katastrophen-Marker? Diese können theoretisch sogar zweimal, das heißt bis zur Ausgangsstellung, zurückversetzt werden. Allerdings darf zwischen zwei Reparaturen keine Bewegung auf der Katastrophenleiste stattgefunden haben. (8) Ohnmächtiger Gnom? Für alle Zeitfelder, die der Geisterzeit-Marker anzeigt, werden Ereigniskarten und Marker gezogen. Das kann für einen betrunkenen Gnom tödlich sein! Ein bereits betrunkener, doch noch nicht ohnmächtiger Gnom, darf übrigens unbesorgt beliebig viel Grog in sich hineinschütten. Angezeigt wird nur bis zur Stufe 4. Außerhalb des U-Boots ohnmächtig zu werden, hat den unmittelbaren Tod zur Folge. (9) Raum unter Wasser? Nur bei Öffnen einer Luke zwischen überfluteten und wasserfreien Räumen gleicht sich der Pegel aus. Sonst niemals. (10) Rettung? Gewinnen alle Gnome, die zu Beginn auf der „Roter November“ waren, oder nur die Überlebenden? Bitte entscheiden Sie selbst! Bruno Faidutti möchte „aus moralischen Gründen“ (wie er schreibt) bei einem Kooperationsspiel auf diese Frage keine Antwort geben.
Kritik & Anmerkungen: Ich erlaube mir, trotz ziemlich uneingeschränkter Freude mit diesem Spiel, vorweg die doch sehr klein geratenen Materialteilchen zu bekritteln. Es verschiebt sich leicht der eine oder andere Marker, und zudem muss man sich beim Platzieren der diversen Plättchen ganz schön Mühe geben. Warum nicht eine „Roter November“ mit besseren Proportionen? Nicht einfach ist das erstmalige Lesen der Regeln, was ja auch durch die sehr bald im Internet zusammengetragene Liste mit FAQ bestätigt wird. Aber gleich der „Beruhigungsgrog“: Der Spielablauf ist, sobald alles klar wird, sehr eingängig und zügig. Umso mehr, da Spielfreude und Spannungsbogen beachtliche Spitzenwerte erreichen, zumindest in meinen Testrunden, vor allem für ein kooperatives Spiel. Eine Empfehlung darf ich mir an dieser Stelle erlauben: Lassen Sie zumindest im ersten Überlebensversuch die optionale Regel „durchgeknallter Gnom“ einfach außer Acht. Hier können Freundschaften, besser: Kameradschaften, zerbrechen. Der „weniger tödliche Tod“ (was es nicht alles gibt!) ist jedoch durchaus eine Möglichkeit der individuellen Gestaltung. Preis-/Leistungsverhältnis stimmen jedenfalls bei „Roter November“, wenn Sie diese kaufmännische Überlegung überhaupt interessiert. Und Platz sparend ist das Ganze auch noch. Wohltuend sind auch die beiden Übersichtsblätter, die ein schnelles Nachschlagen der Raumverteilung, der Aktionsmöglichkeiten und vor allem der Gegenstände zeigen. Wer kooperative Elemente in einem Brettspiel schätzt, der sollte sich erst einmal auf die „Roter November“ wagen. Überleben ist immerhin möglich, so viel sei verraten.
Mein persönliches Fazit: Je öfter ich mich an einem Überlebenskampf versuche, desto besser will mir das „Abenteuer Roter November“ gefallen. Meine Spielpartner haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Selbst die optionale Regel, in der zweiten Runde die „Verschnaufpause“-Ereigniskarten wegzulassen, wird plötzlich zu einer willkommenen Herausforderung. Ob Sie auch mit der Regel „durchgeknallte Gnome“ was anzufangen wissen, hängt sehr von der Mentalität Ihrer Mitspieler ab, würde ich meinen. Jedenfalls gab es bei meinen Gnomen-Freunden nur geteilte Zustimmung zu dieser Facette des Matrosenlebens. Dafür möchte ich – zumindest für jeden Spieler einmal pro Spiel – die optionale Regel „weniger tödlicher Tod“ empfehlen. Wer will schon den Mitkämpfern beim Leiden zuschauen müssen? Sollten Sie jedenfalls ein Herz für kooperatives Wirken haben, so wird ein Abend auf der „Roter November“ fast zur Pflicht. Wie gesagt: Es gilt ja, nur 60 lächerliche Minuten zu überstehen! Kopf hoch! – Golova vysoko! (Sie erinnern sich an den Untergang der Kursk!)
Spieler: 3-8
Alter: 12+
Dauer: 120
Autor: Bruno Faidutti, Jef Gontier
Grafik: Christophe Madura
Vertrieb: Heidelberger
Preis: ca. 18 Euro
Verlag: Heidelberger Spieleverlag 2008
Genre : Tückisches Kooperationsspiel
Zielgruppe: Für Jugendliche/Erwachsene
Mechanismus: Spannender Würfelmechanismus
Zufall: 4
Wissen/Gedächtnis:
Planung: 3
Kreativität:
Kommunikation: 5
Geschicklichkeit:
Aktion:
Kommentar:
Material etwas unhandlich
Spannungsbogen sehr hoch
Regelwerk anfangs etwas gewöhnungsbedürftig
Vergleichbar mit:
Schatten über Camelot
Als kooperatives Spiel darf Roter November am ehesten mit Schatten über Camelot verglichen werden. Doch finden sich bei Faidutti viele witzige und originelle Elemente.
Atmosphäre: 5
Hugo Kastner
Komisch gnomisch … das ist kein reines Wortspiel. Denn wie betrunkene, vom Grog gezeichnete Gnomen erleben manche der Matrosen auf dem Unterseeboot ‚Roter November‘ ihre vermeintlich letzte Stunde. Nur kooperatives Verhalten verspricht eine winzige Chance, dem Druck der Zeit zu trotzen und zu überleben. Oder gibt es doch den einen oder anderen Fahnenflüchtigen unter den Gefährten? Bitte ausprobieren!