UNSERE REZENSION

 

Maus, Maus, zuckersüSSe Maus

 

Maus und Mystik

 

Trauer und Erinnerung

 

„,Ach die Mäuse, die Mäuse kommen wieder’, rief Marie erschrocken,
und wollte die Mutter wecken, aber jeder Laut stockte,
ja sie vermochte kein Glied zu regen, als sie sah,
wie der Mausekönig sich durch ein Loch der Mauer hervorarbeitete,
und endlich mit funkelnden Augen und Kronen im Zimmer herum,
dann aber mit einem gewaltigen Satz auf den kleinen Tisch,
der dicht neben Mariens Bette stand, heraufsprang.
"Hi – hi – hi – musst mir deine Zuckererbsen – deinen Marzipan geben, klein Ding
– sonst zerbeiß ich deinen Nussknacker – deinen Nussknacker!"
 – So pfiff Mausekönig,
knapperte und knirschte dabei sehr hässlich mit den Zähnen,
und sprang dann schnell wieder fort durch das Mauerloch.“

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, „Nussknacker und Mäusekönig“

 

Das kooperative Abenteuerrollenspiel „Maus und Mystik“ entführt uns in das Märchenreich von König Andan. Seit langer Zeit verwitwet, bringt ihn die Hexenkönigin Vanestra dazu, ihr mit Leib und Seele zu verfallen. Kurz vor der Hochzeit hat sie den alten Monarchen bereits so weit, dass er ihr alle Macht im Land überträgt, da er auf mysteriöse Weise schwächer und kränker wird. Sein Sohn, Prinz Collin, und einige wenige Getreue planen eine Verschwörung gegen Vanestra, werden aber von ihren Häschern aufgespürt. Die Flucht gelingt ihnen in Gestalt von Mäusen, in die sie (und sich selbst) der alte Hofzauberer Maginos verwandelt. Doch die Zauberin hetzt ihnen – ebenfalls in Ungeziefer verwandelte – Jäger nach. Außerdem sind die Mäuseheldinnen und -helden noch ganz anderen Gefahren im Schloss und in den Kellergewölben ausgesetzt: Mausefallen, Gift, bösartige Katzen und hungrige Vögel sind nur die offensichtlichsten dieser Übel. Aber sie treffen auch Verbündete. Bei einigen von diesen werden weitere Abenteuer wohl weisen, ob auch sie einst Menschen waren oder aber zum märchenhaften Personal des Reiches von König Andan zählen.

Das Spiel beginnt – folgt man, wie empfohlen, dem Abenteuerbuch „Trauer und Erinnerung“ des Grundspiels –, direkt nach der Verwandlung der fünf Charaktere (Nummer sechs, die Mäuseheldin namens „Lily“, taucht erst im zweiten Szenario auf), einschließlich Prinz Collins, in mehr oder minder mutige Mäuse. Das Hauptaugenmerk in „Maus und Mystik“ liegt nun darauf, die Rolle eines magischen Nagetiers (oder mehrerer Nager) einzunehmen, um deren Geschichte selbst zu erleben. Dabei haben die Mäusecharaktere auf variablem Spielfeld diverse Aufgaben zu erfüllen, wie etwa Hinweise zu finden, Verbündete aufzuspüren oder Gegenstände zu sammeln. Jedes Abenteuer ist dabei ein Kapitel der märchenhaften Erzählung, die bei einem Erfolg der Mäuse zum Untergang der bösen Vanestra führen wird.

Die Mechanismen von „Maus und Mystik“ sind nicht neu, aber interessant kombiniert. Jedes Abenteuer beginnt mit einer längeren Einleitung, die die Ausgangslage schildert. Dann bauen alle gemeinsam das Startspielfeld auf, wie im jeweiligen Kapitel angegeben. Meist handelt es sich dabei um mindestens drei quadratische Räume (die Pappendeckelteile sind beidseitig unterschiedlich bedruckt, oft auf der einen Seite mit einem Raum des Schlosses und auf der anderen Seite mit den darunter liegenden Stollen oder Gewölben). Dann folgen im Anleitungsheft Sonderregeln, gegebenenfalls Sonderbedingungen (z. B. bestimmte Karten oder Begegnungen) für diese Queste und nicht zuletzt Ziel und Dauer dieser Mission (auf der Kapitelleiste wird eine Seitenzahl markiert; schaffen es die Mäuse bis zum Erreichen dieser Seite nicht, an ihr Ziel zu gelangen, ist das Abenteuer nicht bestanden) sowie oft eine Zusammenstellung der Abenteurergruppe: manchmal muss etwa Prinz Collin unbedingt mit von der Partie sein, bisweilen sollen nur drei oder vier (beliebige) Mäuse, dann wieder unbedingt alle sechs verfügbaren Charaktere aufbrechen.

 

Auf ihrem Weg durch Gänge und von menschlichen Wesen fast völlig entblößte Hallen (Ausnahme: die alte Köchin Bertha spielt eine nicht unbedeutende Rolle und auch der König will am Ende gerettet werden) begegnen die Mäuse ständig unangenehmen Widersachern. Bisweilen sind es nur lästige Kakerlaken, oft aber Rattenkrieger (vor ihrer Verwandlung in Nagetiere waren sie Vanestras Schlägertruppen), giftige Krabbeltiere, Riesenspinnen, hungrige Krähen oder die Schlosskatze Brodie. Daher müssen unsere Mäuse die meiste Zeit kämpfen und die Gegner ausschalten, bevor sie in den nächsten Raum gehen dürfen. Auch hindern die lästigen Angreifer beträchtlich beim Forschen nach den Missionszielen. Damit sollte man sich nämlich nicht zu viel Zeit lassen, wird doch immer, wenn die Mäuse einmal am Ende einer Runde ohne Gegner herumstehen, ein weiteres Käseeckerl auf das Zifferblatt der Kapitelleiste gelegt. Sobald dort sechs Käsestücke liegen, wird eine neue Seite aufgeschlagen, das heißt, der Markierungsstein rückt dem Kapitelende ein Feld näher. Der Kampf selbst wird mittels Würfeln entschieden. Sowohl die Mäuse als auch die jeweiligen Gegenspieler werfen so viele Symbolwürfel, wie auf ihren Charakterblättern angegeben (Sonderregeln bzw. Ausrüstungskarten modifizieren den Wert bisweilen), addieren die passenden Symbole für Angriff oder Verteidigung. Erzielt man mehr Angriffs- als Abwehrsymbole, verursacht man entsprechenden Schaden. Da es keinen Monstermeister bei „Maus und Mystik“ gibt, würfeln für die Ratten, Spinnen, Kakerlaken et cetera übrigens immer die Mitspielenden. Ob und wie das Solospiel funktioniert (laut Verlagsangabe ist „Maus und Mystik“ ja für ein bis vier „Mäuse“ ausgelegt) entzieht sich unserem Verständnis.

 

Das Spiel ist nicht sonderlich kompliziert, der Aufbau geht rasch von der Hand, die Modelle (Mäuse, Ratten, Küchenschaben, Hundertfüßler, Spinne) sind exquisit und selbst die auch hier recht zahlreichen Karten (für Charaktere und Reihung auf der Initiativ- = Rundenablaufleiste, für Begegnungen, Ausrüstung, Ereignisse, Zaubersprüche usw.) und Marker (Fallen, Gegenstände, Hauptgegner, Verwundungen usf.) verzögern den Spielfluss nicht unnötig. Das Regelheft ist relativ gut strukturiert, verfügt über ein brauchbares, wenn auch durchaus noch ausbaufähiges, Register. Einige Ungereimtheiten (und ärgerliche, aber immerhin nur wenige Druckfehler) bleiben freilich dennoch. Während die Sonder- und Ausnahmeregeln bei den jeweiligen Szenarien sehr schön aufgelistet und erklärt werden, fällt es eher schwer, die zahlreichen Feinheiten bei den Grundregeln stets im Auge zu behalten. Um die Angelegenheit nicht ungebührlich in die Länge zu ziehen, empfiehlt es sich, zumindest in den ersten Partien auch einmal fünf gerade sein zu lassen und im Bedarfsfall mit im weiteren Verlauf gewonnener Erfahrung ein bereits abgehandeltes Abenteuer noch einmal zu spielen. Zum Originalspiel (USA) sind bereits einige Erweiterungen (teilweise mit neuen Figuren) erschienen, für die deutschsprachige Ausgabe kündigt der Heidelberger Spieleverlag für das erste Quartal 2014 zusätzliche Abenteuer an.

 

Der Glücksfaktor ist erstaunlich hoch. Da doch ein erhebliches Ausmaß auf Kämpfe entfällt und selbst die (fast ständig nachwachsenden) Gegner meist vom Zufall der gerade ausliegenden Begegnungskarte abhängig gemacht werden, ist man für unseren Geschmack viel zu oft gezwungen, die Würfel rollen zu lassen. Für ein letztlich komplexes und kooperatives Abenteuerspiel hätte es gerne mehr auf Planung als auf Würfelglück ankommen dürfen.

 

Obwohl „Maus und Mystik“ in einer Märchenwelt angesiedelt ist (die Mäuse sind auch wirklich niedlich) und Jerry Hawthorne, der Autor, offenbar fest davon überzeugt ist, sein Spiel eigne sich schon für Kinder ab sieben, scheint uns diese Altersempfehlung etwas gewagt. Einerseits spielen doch einige drastische Horrorelemente ins Geschehen hinein – Vanestra verwandelt sich in eine Kankra-artige Spinnenkreatur, in mehreren Episoden vernehmen die bereits in Sicherheit befindlichen Mäusecharaktere, wie in ihrem Rücken Gegner recht grausam zu Tode kommen, zahlreiche Ratten sterben bei einer Explosion und folgender Feuersbrunst –, andererseits sitzen die Spielregeln besonders wegen ihrer Detailliertheit erst nach einigen Durchgängen zumindest so fest, dass man nicht mehr ständig im Regelheft nach Gewissheit suchen muss.

Unsere Empfehlung – und trotz all dieser Einwände empfinden wir „Maus und Mystik“ großteils als gelungen – wäre daher, erst nach dem Volksschulalter und unbedingt unter kundiger Leitung mit dem Spiel zu beginnen.

 

Martina & Martin Lhotzky, Marcus Steinwender

 

Spieler: 1-4

Alter: 7+

Dauer: 120+

Autor: Jerry Hawthorne

Grafiker: John Ariosa

Preis: ca. 43 Euro

Verlag: Heidelberger Spieleverlag 2013

Web: www.heidelbaer.de

Genre: Fantasy, Kooperation

Zielgruppe: Für Familien

Spezial: 1 Spieler

Version: de

Regeln: de en es fr it

Text im Spiel: ja

 

Kommentar:

Altersangabe erscheint etwas niedrig, ab 10 wäre angemessen

An sich als Familienspiel gedacht, Spielerfahrung von Vorteil

Erwachsenenbegleitung für Kinder nötig

 

Vergleichbar:

Die Legenden von Andor

 

Andere Ausgaben:

Ediciones MasQueOca, Filosofia Édition, Plaid Hat Games, Raven Distribution

 

Meine Bewertung: 5

 

Martina, Martin und Markus:

Bezauberndes, wenn auch düsteres Rollenbrettspiel, das durch die Thematik jüngere Spieler für Fantasy-Spiele begeistern soll, aber aufgrund der Spieldauer und der komplexen Regeln wohl doch eher für erfahrene Spieler in Frage kommt.

 

Zufall (rosa): 3

Taktik (türkis): 3

Strategie (blau): 2

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 2

Interaktion (braun): 3

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0