Asche zu Asche, Staub zu Staub

 

Dust

 

Welt erobern – neuer Anlauf

 

Die ganze Welt ist Bühne und alle Frau’n und Männer bloße Spieler, wusste schon  Shakespeares Edelmann Jacques (Wie es Euch gefällt, II. Akt, 7. Szene). Aber ahnte er auch, dass die ganze Welt aus sechs Puzzleteilen bestehen kann, die den Damen und Herren Spielern als Tableau für ihre Eroberungsphantasien dienen?

So jedenfalls bietet sich die Ausgangslage für „Dust“ aus dem der Feder Albertarelli & Zucca dar. Diese beiden haben bisher hauptsächlich Würfel- und Rennspiele (Anno Domini, 1995; America’s Cup, 2003; Bunjee, 2005) geliefert, gemeinsam zeichneten sie schon für PitStop (2001, ein Autorennspiel) verantwortlich. Mit der jüngsten Kooperation bereichern sie den Kosmos der global dimensionierten Kriegsspiele. Für den Test stand die englischsprachige Ausgabe (in amerikanischer Orthographie) zur Verfügung.

 

Jede der bis zu sechs teilnehmenden Mächte erhält die gleiche Anzahl diverser militärischer Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft (und das bedeutet eine Menge Kunststofffigürchen – der Einfachheit halber sollte man zusätzlich Behältnisse organisieren, und die zahlreichen – laut Verpackungsaufdruck über 800 – Modelle vorsortiert aufbewahren), eine Hauptstadtmarke sowie sechs Aktionskarten. Dann werden 16 Ressourcen-Plättchen auf die entsprechenden Felder gelegt, und der Weltkrieg kann beginnen. Startspieler wird, wer die Aktionskarte mit dem höchsten Wert ausspielt. In der ersten Runde hat man, wie erwähnt, sechs Karten zur Auswahl, danach beläuft sich das Handkartenlimit auf fünf. Reihum werden nun Hauptstädte und eigene Regionen bestimmt (mit jeweils einer Panzereinheit, beziehungsweise Flotteneinheit bei Meeresfeldern, besetzt) und zusätzlich Produktionszentren auf der Landkarte verteilt, immer einzeln in Runden gemäß absteigender Reihenfolge der ersten gespielten Aktionskarte. Sind alle freien Felder vergeben (bei weniger als sechs Parteien kommen noch neutrale Hauptstädte und Einheiten der übrigen Farbe[n] hinzu), darf jede Spielnation noch eine Anzahl zusätzlicher Verstärkungstruppen (ebenfalls abhängig von der Aktionskarte, allerdings von einem anderen der darauf angegebenen Werte) aufstellen.

 

Mit der ersten richtigen Spielrunde beginnt das Gemetzel. Dazu ein Hinweis aus der Spielregel: „Tip: A typical game of Dust lasts five to seven rounds. Don’t wait to begin attacking and expanding, or you may find the game over before your war machine can get rolling!“ („Tipp: Eine typische Partie Dust dauert fünf bis sieben Runden. Warte nicht mit Angriff und Expansion, oder du könntest das Ende des Spiels erleben, bevor deine Kriegsmaschinerie überhaupt loslegt!“)

Ab nun hält jeder Spieler und jede Spielerin höchstens fünf Karten auf der Hand, sucht davon eine aus (diese Wahl legt weiterhin die Zugreihenfolge fest), und bringt drei Phasen hinter sich: Produktion, Bewegung, Kampf. Danach verschiebt man den Punktezähler auf der Punkteleiste (verläuft entlang des Südpols der Weltkarte) entsprechend dem Rundenergebnis. Sollte dabei eine vorgegebene Punkteanzahl erreicht werden (abhängig von der Spieleranzahl in der Premium-Version, einheitlich 40 Siegpunkte sowie die Kontrolle über mindestens eine Hauptstadt in der Epic-Version), endet das Spiel.

„Dust“ unterscheiden von „Risiko“ hauptsächlich zwei Elemente: Aktionskarten und Kunststoffmodelle. Die Kunststoffspielelemente teilen sich in Kampfeinheiten (Panzer, „Mech“ Roboter, Kampfflieger, Bomber und U-Boote, jeweils alle in sechs meist unfreundlichen Farben) und Produktionszentren (kleine, kathedralenförmige Fabriken, in einer siebten Farbe; in unserer Testversion war dies rotbraun). Die Aktionskarten erfüllen viele unterschiedliche Aufgaben. Sie bestimmen die Zugreihenfolge und gleichzeitig die Zahl der Angriffsmöglichkeiten, die Bewegungen einer Partei und die Produktionskapazität. Da es immer wieder zu Gleichständen kommen kann, verfügt jede Karte noch über eine Anzahl von Sternchen (eins bis drei), um eine eindeutige Reihung zu ermöglichen. Zu guter letzt zeigt jede Aktionskarte eine Abbildung einer besonderen Aufgabe im Kampf. Elf spezielle Möglichkeiten, von Sanitäterinnen als Rettung geschlagener Einheiten bis zu Interkontinentalraketen für revanchenlose Erstschläge, beeinflussen die taktischen Überlegungen der kriegsführenden Spielnationen gewaltig. Was die Spielregel verschweigt, wurde hier eigens ausgezählt: jede dieser Möglichkeiten ist auf entweder drei (7 Mal) oder sechs (4 Mal) Karten (unterschiedlichster anderer Punktwerte) vorhanden.

 

Sobald die Zugreihenfolge feststeht, beginnt die Produktionsphase. Die vorgegebenen Punkte der Aktionskarte werden mit der Anzahl der eigenen Produktionszentren (multipliziert mit dem Faktor 3, begrenzt durch Ressourcengebiete) und anderen Gegebenheiten (Parteienanzahl, Hauptstädte – hier gibt es minimale Unterschiede zwischen der Epic- und der Premium-Version) addiert. Das Ergebnis ist die Zahl der Produktionspunkte dieser Runde, wofür Einheiten, Fabriken oder Aktionskarten erworben werden. Nicht ausgegebene Punkte verfallen.

Die Bewegung der Einheiten wird ebenfalls von der gewählten Karte bestimmt. Als Bewegung gilt dabei das ununterbrochene Verschieben beliebig vieler Einheiten von einem eigenen Feld über beliebig viele eigene oder freie Felder (in der Epic Version dürfen freie Felder nicht durchquert werden, sondern sind ein mögliches Zielfeld), mit der Möglichkeit, eigene Flotten für Seebewegungen zu nützen – auch über die Ost-West-Ränder des Spielfeldes auf vorgegebenen Routen hinweg.

Die Aktionskarten, die als gemischter Stapel ins Spiel kommen sind der größte Zufallsfaktor, dagegen nehmen sich Kampfhandlungen geradezu berechenbar aus – auch hier ein kleiner Unterschied zu „Risiko“: nicht immer führt die angreifende Armee den ersten Schlag, sondern die Seite, welche die taktische Überlegenheit für sich beanspruchen kann (kumulativ resultierend aus technisch ausgereifteren Truppen, dem Schutz durch eine Hauptstadt und manchen Aktionskarten). Die Kampfwürfel zeigen vier blanke Seiten und zwei (gegenüberliegende) Fadenkreuz-Symbole, bieten also eine Drittelchance, einen Treffer zu erzielen. Die Summe der möglichen Kampfhandlungen, oder, wenn man so will, Kriegsschauplätze, wird durch die Anzahl der Kampfpunkte, die bereits die Zugreihenfolge geregelt haben, gleichfalls von der Karte vorgegeben. Die nächste Spielnation folgt mit denselben Optionen, möglicherweise aber schon militärisch geschwächt, bis alle dran waren. Dann wird der Punktestand ermittelt, und falls noch niemand die Siegbedingungen erfüllt hat, startet eine neue Runde mit der Auswahl geeigneter Aktionskarten.

 

In „Dust“ gibt es keinerlei Geheimaufträge oder Sondersiegbedingungen, Absprachen sind nur insofern bindend, so weit man mit denselben Leuten noch mal spielen will, ohne als notorischer Vertragsbrecher zu gelten. Ausgefeilte Taktiken sind nur im Rahmen der durch Aktionskarten gegebenen Möglichkeiten vorstellbar. Als eindimensionales, relativ schnelles Kriegsspiel funktioniert „Dust“ gut.

Die überschaubare Zahl an Komponenten lässt dieses Strategiespiel ein wenig aus dem üblichen Programm des Verlages Fantasy Flight Games / Heidelberger herausfallen – kaum Kartonmarken, nur sechs Arten von Modellen, lediglich 45 Spielkarten! Die beiden Regelhefte, 24 Seiten im A5 Format, sind ausführlich und übersichtlich, erklären den Spielmechanismus anhand einiger, meist zu gut gemeinter Beispiele klar und logisch. Es hätte freilich durchaus ein Heft gereicht, die Unterschiede zwischen der Einstiegsvariante und der epischen Version sind tatsächlich minimal, und bereits in dieser Kritik hinlänglich aufgezählt. Stattdessen wären einseitige Kurzregeln für alle, zusätzlich zu oder zusammen mit den (merkwürdigerweise drei) Produktionskostentabellen praktisch.  Die Regeln sind aber ohnedies schnell erlernt, Überraschungen bietet bestenfalls der Spielverlauf selbst, umso weniger freilich, sobald man die Verteilung der Aktionskarten kennt und berücksichtigt. Die (Kriegs-)Handlung wird zusätzlich dadurch beschleunigt, dass man die Startaufstellung selbst wählt und nicht Provinzen zugeteilt bekommt. Die Strategie, das eigene Imperium rund um die Hauptstadt anzulegen und lieber zu Beginn nahe Meeresregionen zu beherrschen, liegt nahe, Scharmützel, die oft die ersten paar Runden bei Risiko lähmend erscheinen lassen, entfallen meist (erinnert sei an den kriegstreiberischen Hinweis der „Dust“-Regel).

 

Die grafische Gestaltung, so spärlich sie auch auftreten mag, wirkt liebevoll, und möchte in ihren eher blassen, erdigen Tönen an bizarre Technoträume und alte Wochenschaufilme erinnern. Dazu passt ganz gut das verwirrendste Element: der vorangestellte Hintergrundbericht über eine sich 1938 abgespalten habende Parallelwelt, in der eine nazideutsche Expedition (man beachte den freien Umgang der Spieleerfinder mit der Geschichte) auf eine ungeheure Energiequelle in der Antarktis stößt, und sich daraufhin alles ändert – Allianzen, Technologie, geopolitische Lage. Der kurze Abriss ruft Reminiszenzen an Howard Philipp Lovecrafts Erzählung „Berge des Wahnsinns“ oder seltsame Filme wie „FP1 antwortet nicht“ (1932, Regie Karl Hartl, mit Hans Albers und dem Schlager „Flieger, grüß mir die Sonne“) hervor, sollte aber dringend und ganz schnell vergessen werden. Die Schilderung dieser sogenannten „Schwabenland Expedition“ in „Dust – Strategy Board Game“ trägt nichts zur Atmosphäre, sondern nur zur Verharmlosung einer Weltkriegsthematik bei.

 

Martina & Martin Lhotzky, Marcus Steinwender

 

Spieler         : 2-6

Alter            : ab 12

Dauer          : variabel

 

Autor           : Spartaco Albertarelli & Angelo Zucca

Grafik          : Paolo Parente und Team

Vertrieb        : Heidelberger

Preis            : ca. € 40,00

Verlag          : EG / Fantasy Flight / Heidelberger 2008

                     www.heidelberger-spieleverlag.com

 

Genre                    : Konfliktspiel mit Fantasy-Hintergrund

Zielgruppe             : Freunde

Mechanismen         : Konflikte austragen, Regionen kontrollieren

                           

Strategie:               ******

Taktik:                  *****

Glück:                   ******

Interaktion:            ****

Kommunikation:     ***

Atmosphäre:          ***

 

Kommentar:

Liebevolle Grafik

Hintergrundgeschichte aufgesetzt

Im Prinzip Risiko-Variante

Schöne Ausstattung

 

Vergleichbar:

Risiko, Mighty Empires

 

Martin, Martina und Georg:

Wir haben dieses Spiel geschüttelt und gerührt, ja selbst die letzte Glut gerüttelt und geschürt – herausgekommen ist dabei nichts Neues, lediglich eine weitere Variante von „Risiko“. Diese aber ist recht gelungen. Für Leute, die gerne Welteroberungspläne durchtesten, bietet „Dust“ eine nette Abwechslung.