UNSERE REZENSION
DREI FREGATTEN WARTEN
DIE GULLI PIRATTEN
DER SCHRECKEN DER KANALISATION
Die Schachtel berichtet: Tief unter der Welt der verschwenderischen Menschen liegt noch eine unerforschte Welt, unbemerkt vom Treiben der Oberflächenbewohner. Nur die wagemutigsten unter den Kreaturen der Oberwelt steigen hinab in die Mysterien des Untergrunds und fordern ihr Schicksal an Bord einer der legendären Kanalfregatten heraus, um gewaltige Schätze zu erbeuten.
Das Spiel Die Gulli-Piratten führt euch hinab in Ozeana voller Dreck und Müll und gibt euch Gelegenheit, eure eigene Piratenlegende zu werden, inmitten von Schmutz und Exkrementen. Stelle eine furchtlose Crew von Piraten zusammen und wähle dabei aus charismatischen Ratten, blitzschnellen Kakerlaken, ausdauernden Kröten und muskelbepackten Waschbären, die dich mit ihren artenspezifischen Fähigkeiten unterstützen. Gib dich nicht mit weniger als Fast Food-Resten und weggeworfenen Spielzeugen zufrieden, um letztendlich dein Ziel zu erreichen und eine wahre Legende unter den Gulli-Piratten zu werden.
Manchmal erhält man die Chance, etwas von Anfang an zu begleiten, beim Entstehen mit dabei zu sein, nicht erst das fertige Produkt zu sehen.
Seit vielen Jahren veranstaltet die Wiener Spiele Akademie zusammen mit dem Spielemuseum immer im August ein Spieleautorentreffen in Leopoldsdorf. Hier kommen die Spieleautoren aus Österreich zusammen und zeigen ihre Werke. Schon öfters führte die Präsentation eines derartigen Prototyps am Autorentreffen zu einer Veröffentlichung.
So zum Beispiel auch, als Andreas Pelikan im Jahr 2009 ein Spiel mit dem nüchternen Arbeitstitel „Piraten auf Kaperfahrt“ dem Chef des Heidelberger Spieleverlag Harald Bilz zeigen konnte. Die Heidelberger waren neben dem Vertrieb für Kleinverlage vor allem dafür bekannt, die opulenten Miniaturen-Spiele von Fantasy Flight Games in deutscher Version auf den Markt zu bringen.
Vor kurzer Zeit hatten sie jedoch auch begonnen, die Palette der Eigenproduktionen stärker auszuweiten. Im Piratenspiel sah Harald Bilz das Potential für das erste hauseigene Miniaturen-Spiel. Das eröffnete natürlich die Möglichkeit, den verschiedenen Piraten unterschiedliche Spezialfähigkeiten zu verpassen. Und so erging der Auftrag an den Autor, eben jene Fähigkeiten zu entwickeln und auszutesten.
Zur Spielemesse SPIEL in Essen 2011 erscheint das Spiel nun unter dem Titel „Die Gulli-Piratten: Der Schrecken der Kanalisation“.
Die große quadratische Schachtel, die mittlerweile bei vielen Verlagen zum Standardprogramm gehört, ist gut gefüllt. Zunächst stechen natürlich die 30 Plastik-Miniaturen ins Auge. Sechs verschiedene Kanal-Tiere im Piratenkostüm erinnern auf den ersten Blick an Fluch der Karibik, bei genauerem Hinschauen aber auch ein wenig an Flutsch und Weg. Je fünf in neutralem Grau gehaltene Ratten, Waschbären, Kakerlaken, Kröten, Schnecken und Wiesel warten darauf, von den Spielern sogenannte Color-Clicks an die Füße gesteckt zu bekommen.
Von diesen ansteckbaren Farbmarkern, die dank seitlicher Nasen gut halten, hat jeder der zwei bis fünf Spieler vier Stück in der eigenen Spielerfarbe, um damit die vier Piraten seine Crew zu markieren. Darüber hinaus zählen drei große Schiffspläne, 42 quadratische Beutemarker, 14 runde Beute-Upgrademarker, 54 Talisman-Karten, 6 Tiersippenkarten und zwei Übersichtstafeln zur Ausstattung des Spiels.
Die drei witzig illustrierten Schiffspläne werden nebeneinander in die Tischmitte gelegt. Sie zeigen die legendären Kanalfregatten: eine alte Badewanne, zusammengezurrte Autoreifen und ein aufblasbares Krokodil. Auf jeder Fregatte befinden sich drei Felder für die Crew und ein durch ein Segel abgetrenntes Kapitäns-Feld. Links vorne auf jedem Schiffsplan ist der jeweilige Talisman zu sehen: Katzenschädel, Fischgräten und Vogelschädel.
Vor jede Fregatte wird eine Gruppe aus drei Beutemarkern und einem Beute-Upgrademarker offen ausgelegt. Diese Schätze treiben im Kanal und warten darauf, von der Mannschaft der Fregatte erbeutet zu werden. Um ein wenig vorausplanen zu können, kommt vor jede Fregatte noch eine zweite Gruppe aus drei Beutemarkern und einem Beute-Upgrademarker. Die übrigen Marker bilden einen verdeckten Vorrat.
Die Talisman-Karten werden gemischt und als verdeckter Zugstapel hinter die Schiffspläne gelegt, vier Karten werden offen ausgelegt. Zuletzt erhält jeder Spieler eine bestimmte Anzahl an Talisman-Karten und vier Piratenfiguren, die er mit seinen Color-Clicks markiert. Der genaue Modus hängt hier vom gewählten Spiel-Level ab. Insgesamt drei Levels und ein Grundspiel stehen zur Auswahl.
Im Grundspiel, das im Wesentlichen dem 2009 vorgestellten Prototypen entspricht, bekommen der Startspieler und sein linker Nachbar je drei Karten, alle übrigen Spieler je vier Karten. Welche Figuren man nimmt spielt keine Rolle, denn es wird ohne Sonderfähigkeiten gespielt. Das Grundspiel ist auch für jüngere Spieler, ca. ab 8 Jahren, oder zum Kennenlernen der Spielabläufe geeignet. In den Profi-Levels kommen die Sonderfähigkeiten der Sippen hinzu. Die einzelnen Profi-Levels unterscheiden sich nur in der Spielvorbereitung voneinander.
Ziel des Spieles ist es, möglichst fette Beute zu machen. Wobei fett hier wörtlich zu nehmen ist, denn bis auf wenige Ausnahmen zählt nur Essbares. Alle Marker zeigen einen Punktewert in einer runden Blase oder in einem Stern. Marker mit einer runden Blase zählen direkt den aufgedruckten Wert, während Punkte in einem Stern nur in Verbindung mit passenden, gleichfarbigen Markern zählen. Z.B. ist Ketchup alleine wertlos, erhöht aber den Wert jedes eigenen Pommes-Markers um ganze 5 Punkte, wobei die Pommes-Marker selbst zwischen 2 und 4 Punkte wert sind.
Auf dieselbe Weise kann man Wok-Nudeln (3 bis 5 Punkte) mit Chilli (+4 Punkte) aufpeppen, oder Burger (4 bis 6 Punkte) mit einem Milchshake samt Krone (+3 Punkte). Noch mehr Punkte, nämlich 7 bis 10, bringen Puppen und Teddybären. Allerdings braucht man dann einen sprechenden Papagei, der diese „Geiseln“ bei den Menschen gegen Futter eintauschen kann.
Mit einem Papagei kann man entweder alle eigenen Puppen oder alle eigenen Teddybären werten. Will man beide Gruppen werten, braucht man zwei Papageien. Jeder Papagei selbst bringt auch einen Punkt, hoffentlich wegen der vielen Geschichten, die er erzählen kann. Mit 10 bis 15 Punkten stehen schließlich die Dosengerichte ganz hoch im Kurs. Allerdings braucht man pro Dose, die man öffnen möchte, einen Öffner. Dieser wiederum bringt, mit oder ohne Dose, zwei Punkte.
Wie kommt man zu den Beutemarkern? Natürlich, indem man mit den Kanalfregatten auf große Beutefahrt geht. Dazu muss man erst mal an Bord, und als abergläubischer Pirat braucht man dafür wiederum einen Talisman.
Das Spiel geht reihum im Kreis. Wer dran ist, darf eine einzige, kurze Aktion ausführen. Vier verschiedene Aktionen stehen zur Auswahl: Talisman-Karten nehmen, einen Piraten auf ein Mannschaftsfeld ziehen, Kapitän werden oder in See stechen.
Wer Karten zieht, darf sich zwei Karten aus der offenen Auslage und/oder dem verdeckten Nachziehstapel auf die Hand nehmen. Erst danach wird die offene Auslage wieder auf vier Karten ergänzt. Hat der aktive Spieler jetzt mehr als 6 Handkarten, muss er überzählige Karten nach eigener Wahl abwerfen.
Gegen Abgabe einer zum Schiff passenden Talisman-Karte kann man einen Piraten auf das hinterste freie Mannschaftsfeld des Schiffes stellen, und gegen Abgabe weiterer passender Talisman-Karten auf das nächste freie Mannschaftsfeld weiter ziehen.
Besetzte Mannschaftsfelder werden kostenlos übersprungen. Ein Pirat, der bereits an Bord ist, kann nach den gleichen Regeln weiter vorwärts gezogen werden.
Kapitän zu werden funktioniert im Prinzip genau gleich, ist aber eine eigene Aktion. Denn auf das Kapitänsfeld ziehen darf man nur, wenn vor dem eigenen Zug kein Mannschaftsfeld zwischen dem Piraten und dem Kapitänsfeld frei ist. Für einen Piraten, der bereits an Bord ist, kostet das genau eine passende Talisman-Karte. Sind alle Mannschaftsfelder eines Schiffes besetzt, kann auch ein Pirat aus dem eigenen Vorrat auf das Kapitänsfeld gesetzt werden, das kostet dann aber drei passende Talisman-Karten. Hier achtet die Piratengewerkschaft darauf, dass altgediente Seebären bei der Beförderung nicht allzu leicht übergangen werden können.
Steht zu Beginn des Zuges ein eigener Pirat auf einem Kapitänsfeld, so muss man mit diesem in See stechen. Das zählt dann als Aktion für diese Runde. Der Kapitän erhält den Beute-Upgrademarker und darf sich zusätzlich als erster einen der drei Beutemarker aussuchen. Danach dürfen sich die Piraten auf den vordersten Mannschafts-Feldern je einen der übrigen Beutemarker aussuchen. Piraten, die Beute erhalten haben, gehen mit der Beute von Bord zurück in den Vorrat des Besitzers. Piraten, die leer ausgehen, bleiben an Bord und rücken ein Feld vorwärts. Abschließend segelt das Schiff weiter. Je nach verfügbarem Platz am Spieltisch wird das Schiff zum nächsten Beutehaufen geschoben oder der Beutehaufen zum Schiff. Danach wird ein neuer Beutehaufen zur Vorausschau ausgelegt.
Ist der Vorrat an Beute- und Upgrademarkern aufgebraucht, wird ohne Nachlegen weiter gespielt, bis vor einem der drei Schiffe kein Beutehaufen mehr liegt. Schiffe, auf denen jetzt das Kapitäns-Feld besetzt ist, stechen noch in See, danach endet das Spiel sofort. Die Spieler zählen die Punkte auf ihren Beute- und Upgrademarkern zusammen, der Spieler mit den meisten Punkten gewinnt.
Durch die kurzen Aktionen läuft das Spiel auch bei fünf Spielern recht zügig. Wenn jemand in See sticht, muss man allerdings ein wenig aufpassen, wer als nächstes an die Reihe kommt. Denn es geht beim Spieler links vom Kapitän weiter, und nicht links vom Spieler, der zuletzt einen Beutemarker auswählt.
Es ist ratsam, gezielt Sets zu sammeln. Die relative Wertigkeit der verschiedenen Sets verschiebt sich je nach Spielerzahl. Im Spiel zu zweit wirken sich die kumulativen Boni stärker aus, bei Vollbesetzung sind die Dosen effizienter. Wenn sich aber alle nur auf Dosen stürzen, werden Pommes Rot-Rot zu einer nicht zu verachtenden Delikatesse.
In den Profi-Levels kommen die Spezialfähigkeiten der sechs verschiedenen Sippen zu tragen. Ratten sind gierig und nehmen sich bei der Verteilung der Beute gleich zwei Beutemarker. Hinter einer Ratte bleibt wenig über. Kakerlaken fürchten den Zorn der Götter nicht und zahlen bei jeder Bewegung eine Talisman-Karte weniger, auf das nächste freie Feld zu ziehen ist sogar kostenlos. Das spart Aktionen, denn man braucht seltener Karten nachziehen. Zieht man über einen Waschbären, muss man eine passende Talisman-Karte an dessen Besitzer zahlen. Damit kann man den Kakerlaken ein wenig entgegen wirken. Die Kröte kann auf ihren Anteil an der Beute verzichten und an Bord hocken bleiben.
Damit ist sie in einer guten Startposition für die Beute im nächsten Haufen. Das Wiesel kann zwei Aktionen hintereinander ausführen. Das kling zunächst sehr mächtig, es relativiert sich aber, wenn man bedenkt, dass beide Aktionen mit dem gleichen Wiesel ausgeführt werden müssen, und Karten ziehen keine Figuren-Aktion ist. Die Schnecke kann immer, wenn sie auf ein freies Mannschafts-Feld zieht, mit etwas Glück auf das nächste Feld weiter rutschen. Sie deckt die oberste Talisman-Karte vom Nachziehstapel auf, und wenn der Talisman zum Schiff passt, zieht sie auf das nächste Feld, das kann auch das Kapitänsfeld sein. Steht auf dem Feld ein Pirat, tauscht die Schnecke den Platz mit ihm.
Level 1 dient zum Kennenlernen der Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Piraten. Vier Sippenkarten werden blind gezogen, jeder Spieler nimmt sich je eine Figur jeder gezogenen Sippe. Talisman-Karten werden wie im Grundspiel vergeben. Die Spieldauer ist etwa gleich zum Grundspiel.
Auf Level 2 stellt jeder Spieler ein zufälliges Vierer-Team zusammen, dabei können mehrere Piraten der gleichen Sippe in einem Team sein. Stehen die Teams fest, werden sie versteigert. Zum Bieten erhält jeder Spieler acht Talisman-Karten.
In Level 3 werden Spielerzahl mal vier Piraten in einer Reihe aufgestellt und einzeln versteigert. Für den vordersten Piraten ist null ein gültiges Gebot, für jeden übersprungen Piraten erhöht sich das Mindestgebot um eine Karte.
Durch die Versteigerungen erhöht sich die Spieldauer geringfügig, wobei man für Level 3 rund 10 bis 15 Minuten zusätzlich einplanen sollte.
So haben wir ein ansprechendes neues Spiel, das durch Titel und Grafik im Fantasybereich präsentiert wird, sicher ein guter Zug, denn als abstarktes Spiel hätte es nie das gleiche Interesse gefunden.
Besprechung Ferdinand de Cassan
Spieler: 2-5
Alter: 10+
Dauer: 30+
Autor: Andreas Pelikan
Grafik: Marina Fahrenbach
Preis: ca. 30 Euro
Verlag: Heidelberger Spieleverlag 2011
Web: www.hds-fantasy.de
Genre: Fantasy-Piratenspiel
Zielgruppe: Für Freunde
Version: de
Text im Spiel: ja
Kommentar:
Tolle Ausstattung * originelles Thema * drei verschiedene Schweirigkeitsstufen * Thema und Mechanismen passen gut zusammen
Vergleichbar:
Alle Set-Sammel- und Worker Placementspiele; in dieser Kombination von Mechanismen erstes Spiel
Andere Ausgaben:
Derzeit keine
Meine Einstufung: 6
Ferdinand de Cassan:
Ein Piratenspiel in der besten Tradition, immer muss die beste Entscheidung getroffen werden, um den besten Anteil an der Beute zu bekommen. Ein ansprechendes Spiel eines österreichischen Spieleautors.
Zufall (rosa): 2
Taktik (türkis): 3
Strategie (blau): 2
Kreativität (dunkelblau): 0
Wissen (gelb): 0
Gedächtnis (orange): 0
Kommunikation (rot): 0
Interaktion (braun): 2
Geschicklichkeit (grün): 0
Action (dunkelgrün): 0