rezension

 

Von der Genesis bis zur Offenbarung?

 

Risiko Europa

 

Dice-War in good old Europe

 

Am Anfang war die Welt, und die Welt hatte 42 Gebiete; die Evolution kam erst später. Aber auch in Mittelerde konnte es riskant sein. Gibt es in Frankreich bald wieder einen Napoléon? Oder gar einen Bürgerkrieg in Amerika? Wie lange können wir uns „deluxe“ noch leisten; sollten wir nicht lieber mehr „classic“ leben? Wird uns das Netz bis zum Jahr 2210 alle zu Zombies transformieren? Oder werden wir gar zu den Sternen (aus-)wandern, dann aber auch dort Kriege führen?

 

Soweit eine kleine Übersicht zu 15 (bei weitem nicht allen) Varianten (*) von „Risiko“, eines jener Brettspiele, das wohl jeder kennt. Wer zählt die Stunden, die wir in der Kindheit, Jugend und sogar als Erwachsene damit zugebracht haben? Und jetzt, im Alter, dürfen wir endlich nach Hause zurückkommen. Es ist jedoch kein friedlicher Ort, an dem wir unsere Ruhe finden sollen; denn auch in Europa herrscht Krieg. Das Schachtel-Cover weist bereits den Weg: Ein grimmig dreinblickender, bekrönter Ritter mit einem düsteren Schlachten-Szenario im Hintergrund.

 

Vielleicht aus Gründen der Nachhaltigkeit wird die Schachtel ohne Schutzfolie verkauft. Stattdessen befinden sich auf allen vier Kanten runde Kleber, welche sich aber leider nicht spur- und beschädigungslos entfernen lassen. Auch der Inhalt der Spielschachtel hinterlässt gemischte Gefühle: Der große, durchaus schöne Spielplan würde mit mehr „antiquarischen“ Details noch mehr Vergnügen bereiten, und die Spielkarten weisen eine eher „flapsige“ Qualität auf. Dafür gibt es bei den vier Armeen nicht nur jeweils vier verschiedene Einheitentypen – Fußsoldaten, Bogenschützen, berittene Ritter und Belagerungsmaschinen – erfreulicher Weise variiert auch die Gestaltung der vier Armeen untereinander: Es gibt Wikinger (blau), Osmanen (lila), und zwei Arten von Rittern (grün und rot). Die Wikinger müssen aber mit einem technisch etwas simplen Belagerungsgerät auskommen – nämlich bloß mit Rammböcken – spielerisch bzw. in der Hektik des Kampfes noch nachträglicher wiegt der Umstand, dass sich die Fußsoldaten und die Armbrustträger zu ähnlich sehen.

 

Nun denn, auf zum Regelstudium: Die Anleitung ist nicht schlecht, aber etwas umständlich geschrieben; immerhin ist sie (bis auf wenige, nicht wirklich relevante Details) gut verständlich. Jedenfalls entpuppt sich dabei die erste große Überraschung: Das simple Truppenverstärken, Erobern, Verschieben und danach Karteziehen gibt es hier nicht mehr. Stattdessen benötigt jede der vier möglichen Aktionen – Steuern einheben, Geld ausgeben, Angreifen und Verschieben – eine (von acht) (Hand-)Karte(n), die wiederum jeweils zwei Optionen bieten; zwar würden sogar fünf dieser Karten Angriffe erlauben, doch muss stattdessen oft die Alternative des Verschiebens genutzt werden. Pro Runde wählen alle Mitspieler davon zwei (gleichzeitig und geheim) sowie auch deren gewünschte Abfolge aus – was einmal liegt, das pickt! Sollten in den beiden Aktionsphasen die eigenen Befehle dann nicht mehr halten, was sie zunächst versprochen haben, kann man nur mehr auf die andere Option der aktiven Befehlskarte ausweichen. Ein effektives Erobern erfordert hier also eine gewisse planerische Weitsicht, denn erst nach jeweils vier Runden stehen wieder alle Handkarten zur Auswahl.

 

Die zweite große – und noch gelungenere – Überraschung: Jeder Einheitentyp hat einen anderen Kampfmodus und andere Kosten! Fußsoldaten sind am billigsten (nur eine Münze pro Einheit), dafür aber eher nur als „Kanonenfutter“ zu gebrauchen. Bogenschützen (zwei Münzen) haben ein Vorschussrecht und treffen jeweils mit einem Würfelergebnis von 5 bzw. 6 (also mit einer Drittel-Chance). Reiter sind sogar bereits ab 3 „tödlich“ effektiv (also eine Treffer-Chance von sogar zwei Drittel), kosten aber auch drei Münzen und kommen in jeder Kampfrunde erst nach den Bogenschützen dran. Quasi eine „Wunderwaffe“ ist die Belagerungsmaschine bzw. das Katapult: Es trifft nicht nur so gut wie die Reiter, es erlaubt auch noch das Werfen von zwei Würfeln und wird sogar noch vor den Bogenschützen aktiv – dafür kostet es auch stolze 10 Münzen! Ohne technische Aufrüstung bzw. ohne Katapult bleibt außerdem der Angriff auf ein gegnerisches Gebiet mit Festung tabu; auch letztere können – zusätzlich zur eigenen Start-Festung – gekauft werden, und bieten noch weitere Verteidigungsvorteile. Erst nachdem alle „Spezial“-Einheiten tätig waren, kommen (erst) als letzter Schritt pro Kampfrunde die klassischen „Risiko“-Regeln dran: Also (maximal) drei Würfel gegen (maximal) zwei, mit Vergleich von deren Werten (bzw. wenn auf beiden Seiten ohnehin nur Fußsoldaten beteiligt sind, bleibt es stets bei dieser Variante des Kämpfens). Insgesamt ergibt das alles eine sehr stimmige und intuitive (bzw. „realistische“), dennoch nicht übermäßig komplizierte Art, Schlachten abzuwickeln. Worauf man dabei jedoch vergessen hat, ist ein „Battleground“, auf welchem die jeweils involvierten Truppen schön übersichtlich hätten platziert werden können, zumal es auf dem Spielplan in einem umkämpften Gebiet doch auch sehr eng und unübersichtlich werden kann. 

 

Nicht wirklich überraschend ist der Umstand, dass es zum Gewinnen nicht auf das Erfüllen von Aufträgen ankommt („Erobern/Befreien Sie Europa“), sondern auf den Besitz von einer bestimmten (spielerzahlabhängigen) Anzahl an Stadtgebieten am Ende einer Runde. Mit Geld können aber auch Kronen-(= Siegpunkte)-Karten gekauft werden, sodass es nicht ausschließlich auf das (Un-)Glück auf dem Schlachtfeld ankommt. Je größer das eigene zusammenhängende Reich, desto mehr Steuern sind zu lukrieren. Sehr gut gelöst ist die Möglichkeit, einem wirtschaftlich (zu) mächtigen Mitspieler durch den gezielten Angriff auf ein oder zwei Gebiete empfindlich in seinem Geldrausch zu stören (sodass sich dieser doch wieder in seine Rüstung wird zwängen müssen). Sämtliche Kämpfe werden aber erst zu jedem Rundenende – also nachdem jeder seine zwei Befehls-Karten genutzt hat – abgewickelt, sodass zwischen dem Einmarsch und dem Beginn einer Schlacht noch viel passieren kann.

 

Im Spiel zu dritt und zu zweit wird Geld auch noch zum (rundenweisen) Anwerben der (einen oder zwei) Söldnerarmeen benötigt, was spielerisch ebenfalls erstaunlich gut funktioniert. Da sich jede Söldnerarmee das gebotene Geld behalten bzw. in weiterer Folge zum eigenen Aufrüsten verwenden darf, kann dieser Mechanismus leicht den Effekt haben, dass die Mitspieler sich kaum mehr eigene Einheiten leisten können bzw. wollen, sondern sich lieber vor der benachbarten Söldnerarmee zu schützen versuchen bzw. mit deren geballter Kraft den Mitspieler anzugreifen streben. Denn das erfolgreiche Aufrüsten einer Söldnerarmee kann hier natürlich den bitteren Effekt haben, dass einem der vormals finanziell Verbündete in den Rücken fällt. Die Söldnerarmee ist aber nicht nur in ihrer Gunst wankelmütig, man kann sich bei Abgabe des Gebotes auch nie wirklich sicher sein, ob einem in der Folgerunde für diese auch zwei Angriffsbefehle zur Verfügung stehen oder bloß deren Steuern-Einheben/Kaufen-Karten.

 

Die diversen Neuerungen sind im Einzelnen zwar nicht wirklich innovativ, ergeben insgesamt aber ein stimmungsvolles Gesamtes, ohne deswegen einen zu komplizierten Regelmehraufwand zu bewirken. Zum einen hätte ich mir aber bei den Befehlskarten mehr Varianz gewünscht – etwa Kombinationen aus Angreifen/Steuern-Einheben oder Verschieben/Kaufen. Zum anderen sind mir die stets gleichen und fixen Vorteile für die goldenen Start-Städte zu gleichförmig, zumal etwa der Besitz von London und Paris (bzw. Paris und Madrid) mit regelmäßigen Extra-Truppen belohnt wird, was im Vergleich zu den Vorteilen der anderen Start-Städte gerade zu Beginn des Spieles einen nur schwer einholbaren Vorsprung verschaffen kann (immerhin lässt sich auch auf diese Vorteile verzichten, zumal darauf ohnehin immer wieder leicht vergessen wird). Und auch die mitgelieferte Variante zu den Kronenkarten erscheint nicht gut durchdacht: Dabei können diese nicht einfach gekauft werden, sondern es müssen bestimmte Geheim-Aufträge erfüllt werden, damit die Karte als sicherer Siegpunkt gilt (quasi eine Reminiszenz an das Original-Spiel). Der Schwierigkeitsgrad dieser Aufträge reicht aber von „babyleicht“ bis nahezu unerfüllbar, was die grundsätzlich gute Idee – das Spiel dadurch taktischer bzw. strategischer zu machen – völlig konterkariert.

 

Varianten:

 

I.) Die Landkarte von Europa hat mehr als die „klassischen“ 42 Gebiete der „Risiko“-Weltkarte, sodass sich zum einen ein Spiel (auch) zu fünft oder gar sechst anbietet, sofern im eigenen Fundus weitere Armeen zu Verfügung stehen (etwa aus „Der Herr der Ringe - Risiko“); dazu müsste bloß noch jeweils ein weiterer Kartensatz (für die Befehle) gebastelt bzw. kopiert sowie die Anzahl der für einen Sieg erforderlichen Kronen auf 6 bzw. 5 reduziert werden.

 

II.) Zum anderen kann das Spiel auch leicht jüngeren Kindern (wohl eher nur Buben) zugänglich gemacht werden; die empfohlene Altersangabe von „ab 14 Jahren“ erscheint zwar ohnehin als zu hoch angegeben, doch mit einem Rückgriff auf die Original-Regeln sollten auch schon Volksschüler Spaß an dieser vereinfachten Version haben können (in der Folge werden nur die relevanten Änderungen für vier Mitspieler beschrieben):

 

Vorbereitung: Auf jede goldene Startstadt wird eine Festung gestellt; jeder Mitspieler erhält eine (zufällige oder ausgesuchte) dieser goldenen Startstädte (mit einer Festung) und mit einer Anzahl von Fußsoldaten in Höhe von zehn minus dem Steuerwert (der eigenen Startstadt). Die acht goldenen Städte haben ansonsten keine Sondervorteile, gespielt wird außerdem ohne Befehlskarten.

 

Zug eines Spielers:

 

a.) Rundeneinkommen: Summe aus dem größten Gebiet von miteinander verbundenen Stadt- und Landgebieten (wie bei „Risiko Europa“).

 

b.) Truppenverstärken: Geld kann beliebig für neue Truppen ausgegeben (oder gespart) werden; auf jedem Stadtgebiet dürfen aber nur so viele neue Einheiten zusätzlich platziert werden, wie der Steuerwert dieser Stadt beträgt, wobei eine Festung diesen Wert verdoppelt. Es darf nur eine Kronenkarte pro Zug gekauft werden; außerdem erst ab dem Zeitpunkt, nachdem alle Stadtgebiete (egal von wem) besetzt sind.

 

c.) Angriffe: beliebig viele (wie im Original), abzuwickeln grundsätzlich wie bei „Risiko Europa“; das Erobern eines leeren Stadtgebietes „kostet“ aber Einheiten in Höhe von dessen Steuerwert (üblicherweise wird man dafür Fußsoldaten entfernen); auch für das Erobern einer noch leeren goldenen Stadt wird ein Belagerungsgerät benötigt (das dabei aber nicht zwingend entfernt werden muss).

 

d.) Truppenverschieben: maximal nur zwei Felder weit (wie bei „Risiko Europa“), stets muss eine Einheit zurückgelassen werden.

[Anmerkung: bei der Version meiner Kindheit waren noch beliebig viele Truppenbewegungen erlaubt – das finde ich auch stimmiger – später ist das auf nur mehr eine pro Zug beschränkt worden; das kann je nach persönlichem Geschmack gehalten werden]

 

Ende: Sobald ein Mitspieler am Ende seines Zuges 6 Kronen besitzt, hat dieser sofort gewonnen.

 

(*) „Evolution“, „Der Herr der Ringe“, „ÉditionNapoléon“, „Captain America - Civil War Edition”, „Deluxe“, „Classic“, “A.D. 2210”, “The Walking Dead”, “Plants vs. Zombies”, “Transformers”, “Star Trek”, “StarCraft”, “Star Wars”, “Star Wars - Die Klonkriege” sowie “StarWars - Die Original Trilogie”

 

Harald Schatzl

 

Spieler: 2-4

Alter: 12+

Dauer: 60+

Autor: nicht genannt

Grafik: nicht genannt

Preis: ca. 55 Euro

Verlag: Hasbro 2016

Web: www.hasbro.de

Genre: Würfel-Kampf-Spiel

Zielgruppe: Mit Freunden

Version: de

Regeln: de

Text im Spiel: ja

 

Kommentar:

 

anders und interessanter, weil besser planbar als das Original

Spielweise und -verlauf haben kaum mehr Ähnlichkeiten

fein ausgestattetes Spielmaterial, das aber noch schöner und praktikabler hätte ausfallen können

 

Vergleichbar:

Axis & Allies, Samurai Swords, andere Risiko-Varianten

 

Andere Ausgaben:

Hasbro (en, es, fr)

 

Meine Einschätzung: 5

 

Harald Schatzl:

 „Risiko Europa“ ist ein taktisch-strategisches und (weiterhin) glücksbetontes Eroberungsspiel, das – Warnung und Empfehlung zugleich – mit seinen Wurzeln nicht mehr wirklich viel zu tun hat. Dafür schafft es der ehemals feuchte Traum der Kindheit als (ebenfalls reifer gewordener) Wiederkehrer erneut, unsere nunmehr alt gewordenen Augen zu befeuchten; zum einen aufgrund sentimentaler Rührung, zum anderen ob der Ungewissheit, ob uns noch weitere 42 Jahre Lebenszeit verbleiben mögen, die wir mit diesem Spiel verbringen können. Und falls nicht: Begrabt mein Herz an der Ecke der Spielschachtel!

 

Zufall (rosa): 2

Taktik (türkis): 2

Strategie (blau): 1

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 1

Kommunikation (rot): 2

Interaktion (braun): 3

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0