Euphrat
& Tigris
von Reiner
Knizia
für 3-4
Spieler ab 12 Jahren
Hans im
Glück 1997
Beim
heurigen Rundgang durch die Hallen der Spiel '97 in Essen ist mir das neueste
Spiel von Hans im Glück irgendwie besonders ins Auge gestochen. Ich kann nicht genau
sagen, warum, aber es hat einfach interessant ausgesehen, und ich wollte es
unbedingt ausprobieren.
Da man auf
der Messe, trotz ihrer Größe, immer wieder Bekannte aus Österreich trifft,
waren bald zwei Gleichgesinnte gefunden, die sich auch für das Spiel
interessierten. Gegen Hinterlegung eines Ausweises konnten wir uns das Spiel
bei HiG ausleihen. Schwieriger war es schon, auch einen Platz zum Spielen zu
finden. Wir setzten uns unauffällig an einen der Tische am Ravensburger-Stand,
und schon konnten wir mit dem Studium der Spielregel und der Inspektion des
Schachtelinhaltes loslegen.
Euphrat
& Tigris ist ein taktisches Legespiel, das von der Zivilisationsentwicklung
im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris handelt. Zwei bis vier Spieler
übernehmen je eine Dynastie und versuchen, die Entwicklung ihrer Zivilisation
auf allen Gebieten möglichst gleichmäßig voranzutreiben, ohne am Ende in einem
der vier Bereiche Schwächen zu zeigen. Der Bezug zu Zivilisationen und deren
Entwicklung ist im Gegensatz zu Civilization (Avalon Hill, WDS) in diesem Spiel
aber eher abstrakt.
Werfen wir
also zuerst einen Blick auf die Verpackung und das Spielmaterial. "Warum
gerade auf die Verpackung", werden sich einige fragen. Nun, wie den
meisten unter Euch wahrscheinlich angenehm aufgefallen ist, sind die Spiele in
letzter Zeit immer kleiner geworden, was ihrer Qualität selten geschadet hat.
Euphrat & Tigris fällt hier etwas aus dem Rahmen, da es unter diesem
Gesichtspunkt wahrscheinlich das größte Spiel des Jahrgangs 97 ist. Zur
Ehrenrettung des Verlages muss ich aber anmerken, dass man mit diesem Spiel
auch eine Menge Material erhält, das schließlich auch untergebracht werden
muss. Aber etwas flacher wäre es schon gegangen.
Die
grafische Gestaltung der Verpackung, des Spielplans, der Spielregel und der
Spielsteine ist sehr ansprechend und stimmungsvoll dem Thema angepasst. Die
Grafiken stammen übrigens von Doris Matthäus, die auch schon die graphische
Gestaltung von El Grande für HiG gemacht hat. Doris Matthäus ist außerdem auch
die eine Hälfte des Kleinverlages Doris & Frank (Mü, Igel ärgern, ...).
Doch nun
wieder zurück zum Spielmaterial von Euphrat & Tigris. Das besteht zunächst
aus einem großen Spielplan, der das Zweistromland mit den beiden Flüssen
Euphrat und Tigris darstellt. Der Plan ist in 16 x 11 quadratische Felder
unterteilt, davon sind zehn besonders markiert. Des weitern findet man 153
sogenannte Zivilisationsplättchen aus den vier Bereichen Bevölkerung (30),
Religion (57), Landwirtschaft (36) und Markt (30), 8 Katastrophenplättchen, 1
Verbindungsplättchen, 6 Monumente (aus Holz), 16 Anführer (runde Holzscheiben,
4 je Dynastie und Bereich), 140 Holzwürfel in vier Farben (jedem Bereich ist
eine Farbe zugeordnet) zur Anzeige der Siegpunkte, 10 Schätze (naturfarbene
Holzwürfel), 4 Sichtschirme, 1 Beutel, aus dem später die
Zivilisationsplättchen gezogen werden, und natürlich eine Spielregel.
Die
Monumente müssen vor dem ersten Spiel so zusammengebaut werden, dass jede der
möglichen Farbkombinationen (ein Monument besteht immer aus zwei
verschiedenfarbigen Teilen) aus den Farben Schwarz, Rot, Blau und Grün nur
einmal vorkommt. Als eigentliche Spielvorbereitung werden auf die durch
geflügelte Löwen markierten Felder des Spielplanes je ein Tempel (rotes Zivilisationsplättchen,
steht für den Bereich Religion) und ein Schatz gelegt. Jeder Spieler wählt eine
Dynastie bestehend aus vier Anführern mit dem gleichen Symbol (Stier, Löwe,
Keramik, Kurzbogen stehen zur Auswahl), dem entsprechenden Sichtschirm und zwei
Katastrophenplättchen. Außerdem zieht jeder Spieler 6 Zivilisationsplättchen
aus dem Beutel und legt sie, für die anderen Spieler nicht sichtbar, hinter
seinen Schirm.
Den
Spielern sind in diesem Spiel nicht bestimmte Farben, sondern Symbole
zugeordnet. Die Farben dienen dazu, die unterschiedlichen Bereiche einer
Zivilisation darzustellen. Schwarz steht für Bevölkerung, Rot für Religion,
Blau für Landwirtschaft und Grün für den Handel. Auch die vier Anführer einer
Dynastie sind jeweils dem ihrer Farbe entsprechenden Bereich zugeordnet. Jede
Dynastie besitzt einen König (schwarz), einen Priester (rot), einen Bauer
(blau) und einen Händler (grün).
Ein
weiterer wichtiger Begriff in diesem Spiel ist das Königreich. Im
Verlauf des Spiels werden Plättchen (damit sind ab jetzt immer
Zivilisationsplättchen gemeint) und Anführer offen auf dem Spielplan ausgelegt.
Anführer und Plättchen, die waagrecht oder senkrecht miteinander verbunden
sind, bilden ein Gebiet. Enthält ein Gebiet mindestens einen Anführer (egal
welcher Farbe), gilt dieses Gebiet als Königreich. Diagonale Verbindungen gibt
es nicht. Königreiche können mehrere Anführer, auch verschiedener Spieler,
enthalten, solange die Anführer unterschiedliche Farben haben. Kommt es im
Spielverlauf dazu, dass sich in einem Königreich Anführer gleicher Farbe
befinden, kommt es zu einem oder mehreren Konflikten. Wir werden später noch
sehen, wie es dazu kommen kann.
Nachdem ein
Startspieler bestimmt wurde, läuft das Spiel im Uhrzeigersinn reihum. Der
Spieler der an der Reihe ist, kann bis zu zwei der nachfolgend beschriebenen
Aktionen ausführen. Es bleibt dem Spieler überlassen, ob er zwei gleiche oder
zwei verschiedene Aktionen ausführt. Es stehen folgende Aktionen zur Verfügung:
- Einen
Anführer setzen: Ein Anführer kann von außerhalb auf den Spielplan gesetzt,
innerhalb des Spielplans versetzt oder vom Spielplan genommen werden. Anführer
müssen immer waagrecht oder senkrecht benachbart zu einem Tempel gesetzt
werden. Auf Flussfelder dürfen sie jedoch nicht gelegt werden. Wird ein
Anführer in ein Königreich gelegt, indem es schon einen gleichfarbigen Anführer
eines anderen Spielers gibt, kommt es zu einem Konflikt (mehr über Konflikte
weiter unten). Das Setzen eines Anführers bringt noch keine Siegpunkte, ohne
Anführer können aber auch keine Siegpunkte gesammelt werden.
- Ein
Plättchen legen: Die Plättchen dienen dazu, die Zivilisation zu erweitern.
Jeder Spieler hat zu Beginn eines Zuges 6 Plättchen hinter seinem Sichtschirm.
Eines davon wird genommen und auf ein freies Feld am Spielplan gelegt (Blaue
Plättchen dürfen nur auf Flussfelder gelegt werden, alle anderen dürfen nicht
auf Flussfelder gelegt werden). Wird das Plättchen in ein Königreich gelegt,
wird dafür ein Siegpunkt in der Farbe des Plättchens vergeben. Existiert in dem
Königreich ein Anführer in der Farbe des gelegten Plättchens, so erhält den
Siegpunkt der Spieler, dem der Anführer gehört. Gibt es keinen Anführer in der
entsprechenden Farbe, stattdessen jedoch einen König (schwarzer Stein), erhält
der Besitzer des Königs den Siegpunkt. Gibt es auch keinen König, erhält
niemand einen Siegpunkt. Es gibt außerdem auch keinen Siegpunkt, wenn das
Plättchen nicht in ein Königreich oder als Verbindung zweier Königreiche gelegt
wird.
- Ein
Katastrophen-Plättchen einsetzen: Katastrophen-Plättchen können auf leere
Felder oder auf andere Plättchen am Spielplan gelegt werden. Sie dürfen aber
nicht auf Plättchen gelegt werden, auf denen sich ein Monument oder ein Schatz
befindet, und sie dürfen nicht auf Anführer gelegt werden. Katastrophen-Plättchen
unterbrechen die Verbindung benachbarter Plättchen bzw. Anführer, so dass ein
Königreich dadurch in zwei oder mehr Teile zerfällt. Außerdem kann mit einem
Katastrophen-Plättchen der letzte benachbarte Tempel eines Anführers zerstört werden,
so dass dieser dann vom Spielfeld genommen werden muss.
- Bis zu 6
Plättchen tauschen: Ist ein Spieler mit den Plättchen hinter seinem
Sichtschirm nicht zufrieden, hat er die Möglichkeit beliebig viele davon
wegzulegen und die gleiche Anzahl aus dem Beutel wieder nachzuziehen. Die
weggelegten Plättchen sind ganz aus dem Spiel. Diese Aktion ist sinnvoller
weise als erste Aktion durchzuführen.
Hat ein
Spieler seine Aktionen durchgeführt, ist sein Zug zu Ende. Sind seine Anführer
mit Monumenten verbunden, erhält er dafür entsprechende Siegpunkte. Als letztes
ergänzt er seine Plättchen aus dem Beutel wieder auf 6 Stück. Haben andere
Spieler zu diesem Zeitpunkt auch weniger als 6 Plättchen, so ergänzen diese
ihren Vorrat auch auf 6 Stück.
Durch das Setzen
von Anführern bzw. durch das Legen von Plättchen kann es im Verlauf des Spieles
zu Konflikten kommen, da ja immer nur ein Anführer pro Farbe in einem
Königreich erlaubt ist. Anführer dürfen nicht freiwillig zurückgezogen werden,
um einem Konflikt auszuweichen. Zur Entscheidung der Konflikte zählen Plättchen
auf dem Spielplan, zusätzlich können die Spieler Plättchen aus ihrem Vorrat
einsetzen. Am Ende eines Konflikts dürfen sich nur noch Anführer
unterschiedlicher Farben in einem Königreich befinden.
Kommt es zu
einem Konflikt durch Setzen eines Anführers in ein Königreich, in dem schon ein
gleichfarbiger Anführer vorhanden ist, wird der Konflikt durch das Aktivieren
möglichst vieler Tempel ausgetragen. Angreifer und Verteidiger zählen die
benachbarten Tempel ihrer betroffenen Anführer auf dem Spielplan, zusätzlich
darf jeder Spieler (der Angreifer zuerst) einmal beliebig viele Tempel aus
ihrem Vorrat nehmen und zusätzlich auslegen. Wer insgesamt mehr Tempel
aktivieren kann, hat gewonnen. Bei Gleichstand gewinnt der Verteidiger. Der
Verlierer muss seinen Anführer vom Spielplan nehmen, der Gewinner erhält einen
roten Siegpunkt und die zusätzlich ausgelegten Tempel beider Spieler kommen aus
dem Spiel.
Kommt es
durch das Legen eines Plättchens zur Verbindung von Königreichen, so kommt es
nur dann zu einem Konflikt, wenn sich dadurch gleichfarbige Anführer in dem neu
entstandenen Königreich befinden. In diesem Fall können das auch mehrere
Konflikte sein. Für das soeben gelegte Plättchen erhält niemand einen
Siegpunkt, stattdessen wird es durch das Verbindungsplättchen gekennzeichnet.
Der Spieler, der die Verbindung zwischen den Königreichen hergestellt hat,
entscheidet, in welcher Reihenfolge die Konflikte ausgetragen werden.
Bei der
Austragung dieser Konfliktform kommt es darauf an, möglichst viele Anhänger zu
aktivieren. Anhänger sind alle Plättchen in der gleichen Farbe der betroffenen
Anführer, die sich in dem ursprünglichen Königreich des Angreifers bzw. des
Verteidigers befinden (nicht nur die benachbarten). Auch in diesem Fall können
die Spieler Plättchen aus ihrem Vorrat zum Nachsetzen verwenden. Wer insgesamt
mehr Anhänger aktivieren kann, gewinnt, bei Gleichstand gewinnt wieder der
Verteidiger. Der Verlierer muss seinen Anführer und all seine Anhänger aus
seinem ursprünglichen Königreich entfernen, der Gewinner erhält für jeden
entfernten Anhänger und für den unterlegenen Anführer je einen Siegpunkt in der
entsprechenden Farbe.
Durch das
Entfernen der Plättchen des Verlierers können soeben verbundene Königreiche
sofort wieder in mehrere Teile zerfallen. Dadurch kann es dazu kommen, dass
Konflikte, die am Beginn noch drohten, nicht mehr aktuell sind. Der angreifende
Spieler kann dies durch geschickte Wahl der Reihenfolge der Konflikte steuern.
Sind alle Konflikte beendet, wird das Verbindungsplättchen wieder vom Spielplan
genommen.
Zwei
weitere Möglichkeiten an Siegpunkte zu kommen, sind die Monumente und die
Schätze. Monumente können dort errichtet werden, wo vier gleiche Plättchen ein
Quadrat bilden. Die vier Plättchen werden umgedreht und bilden damit das
Fundament für ein Monument, bei dem eine Farbe des Monuments der Farbe der
umgedrehten Plättchen entsprechen muss. Danach bringen Monumente laufend
Siegpunkte. Am Ende seines Zuges überprüft der Spieler, der gerade an der
Reihe, ob einer oder mehrere seiner Anführer mit Monumenten gleicher Farbe
verbunden sind. Für jede solche Verbindung erhält der Spieler einen Siegpunkt
in der entsprechenden Farbe.
Schätze,
die als Joker bei den Siegpunkten eingesetzt werden können, werden dann
vergeben, wenn sich nach erfolgtem Zusammenschluss von Gebieten bzw.
Königreichen mehr als ein Schatz in dem neuen Königreich befindet. Schätze
können nur von den Händlern (grüne Anführer) eingesammelt werden. Der Spieler
der in einem Königreich den grünen Anführer besitzt, darf alle Schätze bis auf
einen an sich nehmen. Gibt es in einem Königreich keinen Händler bleiben die
Schätze liegen, bis das Königreich einen Händler hat.
Das Spiel
endet sofort, wenn alle Plättchen aus dem Beutel aufgebraucht sind und ein
Spieler seinen Vorrat nicht mehr auf 6 ergänzen kann. Das kann bei der Aktion
Plättchen tauschen oder am Ende des Zuges eines Spielers eintreten. Das Spiel
endet auch, wenn sich am Ende des Zuges eines Spielers nur mehr ein oder zwei
Schätze auf dem Spielplan befinden.
Jetzt wird
der Sieger ermittelt. Die Spieler vergleichen zunächst nur die Zahl der
Siegpunkte in ihrem jeweils schwächsten Bereich. Schätze können zuvor noch
beliebig zugeordnet werden. Der Spieler, der dabei die meisten Siegpunkte
aufweist, hat gewonnen. Bei Gleichstand zählen die betroffenen Spieler ihren
jeweils zweitschwächsten Bereich, usw....
Die
Siegbedingungen mögen einem am Anfang etwas verwirrend vorkommen, aber man muss
nur beachten, dass die jeweils schwächsten Bereiche unabhängig ihrer Farbe
miteinander verglichen werden.
Das Spiel
ist schön ausgestattet und hat einen interessanten und gut funktionierenden
Mechanismus. Vor allem die Siegbedingungen haben es in sich. Einmal gelegte
Plättchen können nur mehr durch Konflikte (oder Katastrophen-Plättchen) vom
Spielplan entfernt werden, aber gerade dadurch entstehen immer wieder, zum Teil
überraschende, neue Verhältnisse auf dem Spielplan. Ungleichgewichte bei den
Siegpunkten sollte man möglichst früh versuchen auszugleichen, indem man ein
Monument der entsprechenden Farbe errichtet oder versucht möglichst viele
Schätze zu erobern. Als Nachteil kann sich das Ziehen der Plättchen aus dem
Beutel erweisen, vor allem wenn man über einen längeren Zeitraum keine Tempel
(rote Plättchen) erwischt. Diese werden dringend zum Angriff bzw. zur
Verteidigung eines direkten Angriffs auf ein Königreich benötigt. In diesem
Fall ist man den anderen Spielern hilflos ausgeliefert bzw. man ist nicht in
der Lage sich einen Platz in einem Königreich mit einem bestimmten Monument zu
erobern. In so einem Fall sollte man versuchen, den Konflikt durch
Zusammenschluss zweier Königreiche zu provozieren, aber auch dazu braucht man
Plättchen der entsprechenden Farbe.
Trotz der
kleinen Schwächen ist Euphrat & Tigris ein gelungenes Spiel, das sich lohnt
ausprobiert zu werden. Der Glücksfaktor könnte ganz ausgeschaltet werden, indem
die Plättchen nicht aus dem Beutel gezogen, sondern offen aufgelegt werden (ein
Vorschlag von Franz Grundner).
WIN-Wertung:
* AAA II W
TT UU 3 (2-4) 2h