HUGO KASTNER EMPFIEHLT

KREML – КРЕМПЬ

 

Im Geist des Apparatschiks

 

KREML erst spät in meinem Leben kennen gelernt, nach dem Fall des Ostblocks, nach dem Un­tergang des außergewöhnlichen Michael Gorbatschow. Ich bin also kein Mann der er­sten Stunde. Immerhin brachte Urs Hostettler diesen satirischen Politthriller bereits 1987 auf den Markt, in spartanischer Ausführung, wohl russisches Elend imitierend, doch reich an unglaublich frechen Spielideen. Dennoch habe ich die Faszination dieses Fata Morgana Spiels von der ersten Sekunde weg genossen – für einmal war es außer Kraft gesetzt, das geflügelte Wort Gorbatschows: „Und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Falls Sie KREML noch nicht kennen, dürfen auch Sie die­sen Aphorismus ignorieren. Einfach hereinspa­ziert ins Österreichische Spielemuseum in Leopoldsdorf – und zu KREML gegriffen. (Infos unter www.spielen.at).

 

Heute also fällt mein Lichtkegel im Museum auf einen eher ungewohnten Schauplatz. KREML spielt im Jahr 1951, in der stalini­stischen Zeit der Apparatschiks, in einer Welt, wo Säuberungen, Ränkespiel und Politintri­gantentum in der Blüte standen. Spannend, fast satirisch und mit unglaublichem Gefühl für die Verzahnung von Realität und Spiel­witz schafft es der Schweizer Urs Hostettler, eine Art neues Genre zu kreieren. Genial mit wie wenig Material Stunden der Lust und der Häme in aufgeklärte Spielrunden hineinfließen. Dabei spiegelt KREML gera­de mit diesem Minimum an Spielutensilien den im Sowjetreich ewig verschleierten Spargedanken am eigenen Volk wider. So sehe zumindest ich dies. Nun, selbst Alt-Kommunisten werden mir verzeihen und sollten vielleicht außerhalb der Kremlmauer ein wenig Verständnis für subversives, west­liches Gedankengut zeigen. Verstanden, Genossen! Historische Kenntnisse sind bei KREML nicht gefragt, nur der innige Wunsch, das Tun und Handeln der Apparatschiks zu steuern. Der alte Nestor ist ja ohnehin vor dem Einsargen, aber da lauert die junge, hungrige Meute der Towarischtschs: Leo­nid Bungaloff, Oleg Satin, Ulan Putschnik, Boris Karrienko, Alexej Aljesvurkadse, Divan Palavrian, Mikail Strychnin, Anatol Fuckoff (sorry!), Tigran Zenjarplan, Ludmilla Patina, Andrej Pissin, Igor Dobermann, Sergej Vetz­ak und wie sie alle heißen. Niemandem ist zu trauen, schon gar nicht Ihren Mitspielern. Jeder möchte den Parteichefsessel oder zu­mindest seinen Platz im KGB. Auch die di­versen Ministerien lassen Einfluss zu, ganz zu schweigen vom Chefideologen. Alles dreht sich um die Kuraufenthalte, Sibirien, die Oktoberparade und den Vorsitz bei der Begräbniskommission. Ja, diese muss immer wieder zusammentreten, denn die Apparat­schiks altern dramatisch schnell. Kleine War­nung am Rande: Einer der Kreml-Aktivisten sollte eine ruhige Hand haben, um die win­zigen Papierplättchen, Altersanzeiger etc. „russisch“ korrekt zu stecken. Wir wollen ja am Ende einen erfolgreichen Parteichef küren! Abschließend erlaube ich mir noch, den brillanten Autor Urs Hostettler selbst zu Wort kommen zu lassen: „Stalinisten können KREML direkt als Lernspiel verwenden. Auch Reagan-Liberale, wenn sie ‚Sibirien’ durch ‚Privatwirtschaft’ ersetzen. Normale Leute können [einfach] genüsslich spielen.“

 

Hugo.Kastner@spielen.at

 

EMPFEHLUNG # 6

 

Spieler: 3-6

Alter: 12+

Dauer: 120+

 

Autor: Urs Hostettler

Preis: ca. 30 Euro

Jahr:

Verlag: Fata Morgana

www.fatamorgana.ch

    

Taktik: 2 von 10

Info±: 5 von 10

Glück: 3 von 10

 

Radio Eriwan meldet: Im Prinzip läuft KREML nach logischen Prinzipien ab, ja doch, aber … das höchste Ziel der Lebenslogik ist die Beisetzung an der Kremlmauer. Oder se­hen Sie das anders? In Wahrheit gewinnt bei KREML das beste Pokerface unter den Apparatschiks (sorry, das sind ausnahms­weise mal Sie!) – und es stehen gleich zehn Politiker auf jeder der absolut geheimen Be­stechungslisten. Außerdem droht ständig eine dritte erfolgreiche Oktoberparade eines Parteichefs. Die will aber erstmal glückselig lächelnd und ohne Herzinfarkt abgenom­men werden. Wenn Sie nun diesem einen Bonzen früh Ihre Gunst geschenkt haben …!

 

Hugos EXPERTENTIPP

In Ihrer geheimen Beeinflussungsliste sollten Sie nicht unbedingt nur auf die zu Spielbeginn im Politbüro aufscheinenden Genossen setzen. Sie wissen schon, das Alter ist unerbittlich, der Kuraufenthalt ein sowjetisches Lebensprin­zip und schließlich Sibirien eine permanente Gefahr. Zudem werden die Ersten gerade bei KREML meist die Letzten sein. Die besonderen Fähigkeiten wie die Ereigniskarten sind beim Einstiegsspiel auch nicht zu empfehlen. Sie haben schon so genug zu tun, Sibirien und Einbalsamierung an der Kremlmauer zu ver­meiden. Letzter Rat: Nehmen Sie bei KREML ausnahmsweise mal nichts zu persönlich.

 

Hugos BLITZLICHT

KREML kommt satirisch, locker, spannend und extrem kommunikativ rüber – egal ob nun Ex­perten oder Gelegenheitsspieler im Politbüro und auf den Kandidatenbänken Platz nehmen. Vieles ist taktisch geprägt, doch eine gelegent­liche, unerwartete Säuberung stellt schon mal alles auf den Kopf – und das vielleicht knapp vor der entscheidenden Oktoberparade. Sibi­rien lässt grüßen!

 

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