Fury of Dracula

Schauderliche Deduktion

 

Hier soll nicht die Historie der Vampire erzählt werden, auch müsste diese erst erforscht und ernsthaft geschrieben werden. Nur soviel sei erwähnt, vor dem 18. Jahrhundert sucht man die untoten Blutsauger der Nacht, die auch nur entfernt mit Vampiren heutiger Folklore Ähnlichkeit haben, wohl vergebens. Eigentlich eine kurze Zeitspanne für ein angeblich uraltes Geschlecht des Bösen. Das macht aber nichts, denn unsere Geschichte spielt 1898. Ein Jahr zuvor war der erfolgreiche Horrorroman „Dracula“ des irischen Schriftstellers Bram Stoker erschienen. Der hatte kurzerhand den walachischen Fürsten Vlad, wegen seines wenig liebevollen Umganges mit osmanischen und anderen Kriegsgefangenen „der Pfähler“ genannt, aus dem Spätmittelalter ins um 1900 zu (Österreich-)Ungarn gehörende Siebenbürgen (Transsylvanien) versetzt, zu einem Untoten mit blutsaugerischen und nach der Weltherrschaft strebenden Gelüsten gemacht, und damit die Richtung für folgende Vampire vorgegeben. Der Vampirglaube, der noch zu Kaisers Zeiten in den Karpaten kaum verwurzelt war, wurde fortan von Westeuropa ausgehend mit ebendieser Region untrennbar verknüpft.

Mit „Fury of Dracula“ begeben wir uns auf eine Zeitreise ins ausgehende XIX. Jahrhundert. Im Roman Stokers wird der lebendige Leichnam des Grafen im letzten Abschnitt unwiederbringlich vernichtet. Wenn sich schon Filmdrehbücher keinen Deut um diese Anweisung geschert haben, warum sollten es dann Spieleautoren anders halten? Dracula also ist zurück, und hat seinen Feinden blutige Rache geschworen. Nebenbei will er auch den Plan, ein Imperium der Untoten zu begründen, nicht aufgeben. Ihm gegenüber müssen sich vier Vampirjäger der schwierigen Aufgabe stellen, die ruchlosen Ränke zu hintertreiben und dem Grafen endgültig den Garaus zu machen – zumindest bis zur nächsten Spielerunde.

„Fury of Dracula“ ist ein Brettspiel für zwei bis fünf Spieler und die Neuauflage eines 1987 unter der Lizenz von Games Workshop erstmals herausgekommenen Horrorabenteuers. Zu Testzwecken lag uns die englischsprachige Originalausgabe vor, wegen gewisser Unstimmigkeiten mit Produktsicherheitsbestimmungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist die deutsche Version (Auslieferung Heidelberger Spieleverlag) erst ab Februar oder gar März erhältlich. Fantasy Flight Games hat die Rechte von Games Workshop übernommen, und eine – für diesen Verlag nicht unerwartet – fast schon luxuriös ausgestattete Ausgabe auf den Markt geworfen.

Das Spiel besteht aus einem Spielbrett, 220 Karten (Ereignisse / Events, Orte / Locations, Gegenstände / Items, Taktik- und Spielübersichtskarten), 81 Markierungsplättchen (Begegnungen / Encounters, Verwundungsmarken / Blood und Health Tokens, Rundenzähler und ähnliches), 5 Kunststoffminiaturen, entsprechende Charakterbögen, vier Würfeln (Kampfwürfel in weiß und schwarz, ein roter Eisenbahnbewegungswürfel), dem 32seitigen (zwei Seiten davon Werbung) Regelheft und einer Übersichtslandkarte für den Draculaspieler.

Der Spielplan zeigt eine Europakarte mit rund siebzig Städten, Straßen, Eisenbahnrouten sowie Häfen und Meeressegmenten. Landesgrenzen spielen keine Rolle, allerdings können Russland und Skandinavien sowie der asiatische Teil des osmanischen Reiches nicht betreten werden – dorthin führen keine Wege. Aber welcher Vampir will auch nach Nowgorod oder Hammerfest? Eben! Zusätzlich sind noch Schloss Dracula (gleich links hinter dem Borgopass) und das Hospital zu den Heiligen Joseph und Maria (zwischen Belgrad, Zagreb und Sarajewo) eingetragen. Egal wie viele Mitspieler (im Rahmen zwischen 2 und 5) sich einfinden, stets tritt ein Draculaspieler gegen vier Vampirjäger an. Letztere sind die aus Buch und Filmen wohlvertrauten Lord Godalming, Dr. Seward, Professor van Helsing und (Wilhel-)Mina Harker, die auch in exakt dieser Reihenfolge um das Spielbrett herum Aufstellung nehmen müssen.

Karten und Rundenzähler werden bereitgelegt, Begegnungsmarken in einen Beutel oder ein undurchsichtiges Gefäß gesteckt, die Jägerspielfiguren beliebig auf Städte des Spielplans gesetzt. Dracula und die Jäger nehmen ihre jeweils spezifischen Karten (Charakterbögen mit den entsprechenden Stärkemarken und Kampfkarten; Dracula erhält zusätzlich das Ortskartendeck, fünf spezielle Vampirkräfte-Karten / Dracula Power Cards, Kampfkarten seiner Verbündeten und fünf zufällig gezogene Begegnungsmarken) an sich, der Graf wählt geheim seinen Startplatz (auch er darf nicht im eigenen Schloss starten, das Hospital gar niemals betreten) und schon kann die Jagd beginnen. Die (Jäger-)Spieler dürfen übrigens untereinander beratschlagen, aber stets so, dass der Vampirspieler mithören kann. Sie gewinnen auch als Gruppe, Dracula bleibt ein Einzelkämpfer.

Der Ablauf ist simpel: mit Ausnahme der ersten Runde beginnt der Fürst der Untoten damit, den Rundenzähler ein Feld weiterzubewegen, und so die Tageszeit zu bestimmen. Drei Runden herrscht Tageslicht, die nächsten drei spielen sich bei Nacht ab. Das ist freilich nicht wörtlich zu nehmen (um 1900 konnte man kaum innerhalb von 24 Stunden von Madrid nach Athen gelangen), des Nächtens aber darf Dracula zusätzliche Finten anwenden. Sobald ein neuer Morgen anbricht (der Rundenzähler kommt auf das Feld Morgendämmerung / Dawn) haben Jäger und Gejagter einen weiteren Tag überstanden, spätestens nach sechs solchen Tagen ist das Spiel zu Ende. Als nächstes wählt der Draculaspieler seinen Zielort: eine durch eine Straße verbundene Nachbarstadt seines aktuellen Aufenthaltsortes, oder ein benachbartes Meersegment, falls der Vampir zur See fahren will (was ihn aber im wahrsten Sinne des Wortes langsam ausblutet), oder auch eine seiner fünf geheimen Kräftekarten. Die passende Karte legt er verdeckt vor sich ab, platziert darauf ebenfalls verdeckt eine Begegnungsmarke und zieht eine Begegnungsmarke aus dem Beutel oder Gefäß nach (reguläres Maximum: fünf Marken auf der Hand). Spätestens nach der sechsten Runde darf er die jeweils älteste Ortskarte (oder die dort ausliegende Kraftkarte) wieder an sich nehmen und entweder zurück in den Stapel stecken, um später an diesen Ort zurückkehren zu können, oder an höchstens drei verschiedenen Plätzen (eben die auf der Karte genannte Ansiedlung; Kräftekarten und Meeressegmentkarten können nicht derart eingesetzt werden) zusätzliche Verstecke, so genannte Katakomben, anzulegen. An diesen Orten warten auf die Jäger besonders garstige Überraschungen. Einige wenige der ausgelegten Begegnungen können darüber hinaus, wenn kein Jäger auf sie getroffen sein sollte, nach dem Wiedereinsammeln (also nach ihrer sechsten Spielrunde) zu unangenehmen Ereignissen ausgebrütet (matured) werden (zum Beispiel verlieren die Vampirjäger einen ganzen Tag). Sollte Dracula nicht in eine Stadt gezogen sein, in der sich ein Jäger befindet, wissen die Mitspieler nach wie vor nicht, wo sich der Vampir aufhält.

Danach sind die Jäger an der Reihe. Die Spielfigur wird bewegt. Auch die Jäger können jeweils auf ein benachbartes Städtefeld (oder Meeressegment) reisen, haben aber zusätzlich die Option, mit der Eisenbahn schneller voranzukommen. Da das Bahnziel ausgewürfelt werden muss, kann es dabei auch zu Zwischenfällen kommen. Landet der rote Eisenbahnbewegungswürfel mit „X“ oder „0“ oben, so fährt kein Zug ab (bei „X“ verfällt auch die Aktionsphase des Jägers), ansonsten darf der glückliche Passagier bis zu drei Felder weit ziehen (in Österreich-Ungarn, Italien und auf dem Balkan jedoch immer höchstens zwei Felder – das Bahnnetz war da angeblich weniger gut ausgebaut). Sollte Dracula während der letzten sechs Runden noch nicht an diesem Zielort gewesen sein und auch kein Gruftversteck angelegt haben, passiert nichts weiter. Der Spieler darf entweder rasten (um Lebenspunkte zurück zu gewinnen, sollte er bereits welche eingebüßt haben), oder Karten ziehen (in Kleinstädten 1 Ereigniskarte, in Großstädten 1 Ereigniskarte und zusätzlich einen Gegenstand / Item; Mina Harker darf als Sondereigenschaft stets eine Karte mehr ziehen, da sie andererseits über die schwächste Konstitution aller Jäger verfügt). Die Karten verschaffen den Jägern allerlei nützliche Hinweise oder bringen direkt Hilfe (durch manche Ereigniskarten erhalten die Jäger Waffen oder auch mal eine Knolle Knoblauch, wenn nicht gar himmlischen Beistand), durchschnittlich jede dritte Karte aber nützt ihrem Widersacher. Das Verhältnis von 2:1 scheint aber hinlänglich gerechtfertigt, und so ist die Gruppe der mutigen Abenteurer gut beraten, stets die Möglichkeiten zur Gänze auszuschöpfen.

Sollte jedoch der Ort kürzlich von Dracula heimgesucht worden sein, so muss der Graf dies sofort verkünden. Sehr wahrscheinlich trifft der Jäger dann auf eine unliebsame Überraschung. Diese kann ein lästiger Zwischenfall sein, wie ein lokales Unwetter oder ein Straßenräuber, aber auch eine ernstere Begegnung, etwa mit einem gerade geschlüpften Vampir oder einer ansteckenden Seuche. Im schlimmsten Falle hat der Jäger einen Verbündeten oder gar den blutrünstigen Grafen selbst aufgestöbert, und das um Mitternacht, wenn dessen Macht am stärksten wirkt. Nun kommt es zum Kampf. Auch dieser wird spieltechnisch relativ unkompliziert abgewickelt. Jede Seite darf Karten ausspielen, um den Ablauf zu beeinflussen, dann werden Kampfkarten eingesetzt (zum Beispiel Waffen), und schließlich würfeln die Kontrahenten. Das höhere, gegebenenfalls modifizierte Ergebnis wird auf der Tabelle (praktischerweise auf jeder Kampfkarte aufgedruckt) abgelesen und entsprechend verfahren. Oft enden diese Kämpfe mit der Flucht eines Teilnehmers, manchmal werden sie aber zum bitteren Ende weitergeführt. Siegt Dracula oder seine Verbündeten, muss der verwundete Jäger ins Hospital und meist eine Runde aussetzen. Siegt der Verfolger werden Vampirverbündete sofort ausgeschaltet, der üble Graf kann (zweimal) fliehen, erst nach einer dritten Niederlage ist er endgültig zur Hölle gefahren, oder wohin Untote eben so nach dem Ende ihres Unlebens gehen.

Nehmen wir an, nach einer Begegnung geht das Spiel weiter. Nun wissen die Jäger, wo Dracula zu einem bestimmten Zeitpunkt Station gemacht hat, und können so weitere Schlüsse ziehen. Sie kennen seine Bewegungsmöglichkeiten (keine Eisenbahnfahrten für den blutigen Adeligen, Seereisen sind an der blauen Rückseite der Meersegementkarten zu erkennen und zusätzlich muss er dafür Blutstropfen abgeben), und seine speziellen Kräftekarten (zum Beispiel darf er bei Nacht in Wolfsgestalt zwei Felder zurücklegen, will er Kräfte sammeln indem er ein Opfer beißt, muss er eine Runde an Ort und Stelle bleiben) müssen offen gespielt werden (nur wenn sich Dracula versteckt, sieht das ausschließlich er selbst). Mit ein bisschen Detektivarbeit (und vorausgesetzt, der Vampir schummelt nicht absichtlich oder unabsichtlich) können und sollen sie das Netz um den Fürsten der Untoten immer enger ziehen, und ihn zum Endkampf fordern. Denn sie haben höchstens noch fünf Tage Zeit.

Die Idee hinter „Fury of Dracula“ gibt es auch in der weniger horrorträchtigen Variante „Scotland Yard“ (Ravensburger) – nur in der Fantasy Flight Games Version heißt Mister X Graf Dracula und kann zurückschlagen, genauer gesagt beißen. Ähnlichkeit besteht im verdeckten Umherziehen des Verfolgten, der Hauptunterschied in den Aktionsphasen. Das Regelwerk von „Fury of Dracula“ wurde relativ übersichtlich und klar gestaltet, und obwohl auch diesmal ein Register fehlt, geht der Verlag offenbar tatsächlich auf Kundenwünsche ein. Auf der Internet Homepage von Fantasy Flight Games für das Vampirspiel steht ein (allerdings kurzer) Index zum Ausdruck bereit, und die Regeln (amerikanische Version – die deutsche Ausgabe war bei Abfassung dieses Berichtes noch nicht erschienen, der Heidelberger Spieleverlag hat daher noch keine eigene „Fury of Dracula“-Seite im Netz geschaltet) sind als pdf-Datei vorhanden. Mit der dazugehörigen Suchfunktion findet man Antworten auf die meisten Fragen rasch und problemlos, zusätzlich gibt es im Support-Bereich eine weitere Datei mit Antworten auf ausgefallene Fragen sowie ausführlicheren Erläuterungen zu möglicherweise missverständlichen Formulierungen im Regelheft oder auf einzelnen Karten. Besonders bei Draculas Sonderkräften erweist sich diese Ergänzung in der Anfangsphase als sehr nützlich.

Im Gegensatz zur alten Ausgabe des Spiels sind die Komponenten aufwändig und äußerst professionell gearbeitet, die Anzahl der Begegnungsmarken wurde deutlich reduziert, dafür jene der Karten leicht erhöht. Waren früher für Gegenstände / Items ebenfalls Kartonplättchen vorhanden, liegen nun entsprechende Spielkarten mitsamt Erklärungstext vor. Die Auswahl an Ereigniskarten schien zunächst eher beschränkt, eine genaue Kontrolle machte aber klar, dass zwar einige Ereignisse doppelt (eine Karte gar fünfmal) vorkommen, jedoch insgesamt eine breite Vielfalt geboten wird. Von versäumten Zügen über obstinate Zollbeamte bis zu aufmerksamen Presseleuten erschweren oder erleichtern allerlei Zufälle das Leben von Vampir und Verfolgern.

Für den Draculaspieler ergibt sich zusätzlich das Problem einer gesteigerten Gedächtnisarbeit. Konnte er in der älteren Version seine Schachzüge hinter einem Sichtschirm planen und seine Fallen stets nur für ihn selbst sichtbar kontrollieren, muss er heute alles im Kopf behalten oder notfalls verdeckt Notizen anlegen. Die niedliche Übersichtslandkarte hat bei den Probespielen ihren gedachten Zweck jedenfalls nicht erfüllen können. Will man sich den Mehraufwand antun, empfiehlt sich eine Vergrößerung, um diese eventuell dann noch einzuschweißen und mittels wasserlöslichem Stift die eigene Route quer durch Europa festzuhalten. Ein Behelfssichtschirm kann auch nicht schaden.

Damit allerdings sind die größeren Schwierigkeiten abgehakt. Eine Sitzung dauert zwar eher länger als die vom Verlag veranschlagten zwei bis drei Stunden, mit dreieinhalb Stunden Spieldauer sollte daher auf jeden Fall gerechnet werden, aber langweilig wird es in dieser Zeit nie wirklich. Die Jäger sind gefordert als Gruppe zusammenzuarbeiten, denn allein hätten sie auch gegen einen Anfängerblutsauger keine Chance. Tatsächlich erwies sich die Höchstanzahl von fünf Mitspielern auch als ideale Voraussetzung für ein unterhaltsames Szenario. Bisweilen spannend wie ein gutes Detektivspiel, beschwört „Fury of Dracula“ in manchen Momenten gar den romantischen und morbiden Charme des Fin de siècle herauf, eben die Stimmung der Entstehungszeit von Stokers großem Gruselroman.

Martina & Martin Lhotzky

 

Genre: Horrordetektivspiel

Zielgruppe: Freunde, Vampire und Bissopfer

 

 

 

Spieler         : 2-5

Alter            : ab 10 (12) Jahren

Dauer          : ca. 3 Stunden

 

Autor           : Steven Hand, Kevin Wilson

Grafik          : Andrew Navarro, Scott Nicely

Vertrieb        : Heidelberger Spieleverlag

Preis            : ca. € 50,00

Verlag          : Fantasy Flight Games 2007

  http://www.hds-fantasy.de

 

Genre                    : Fantasy mit Horror

Zielgruppe             : Freunde

Mechanismen         : Erschließen verdeckter Karten

 

Strategie                : *****

Taktik                    : *****

Glück                    : ****

Interaktion             : *******

Kommunikation      : *******

Atmosphäre           : ******

 

Kommentar            :

Deduktionsmechanismus

Auch viel Zufall und Würfelglück

Horrorthema

Nur für Freunde des Genres

 

Vergleichbar:

Arkham Horror, Fantasy Flight Games

 

Martin und Martina:

Die verdeckte Bewegung des gejagten Vampirs erinnert an den Ravensburger Klassiker „Scotland Yard“. Fury of Dracula ist aber wegen der expliziten Horrorelemente eher für gefestigte Charaktere geeignet – die können dann aber ziemlich viel Spaß dabei haben.