I’m the Boss
Sid Sacksons Vermächtnis
Auch für einen Spielrezensenten gibt es bisweilen überraschende Momente
des Glücks, wie etwa den, einen echten Sid Sackson
Klassiker bearbeiten zu dürfen. Posthum noch dazu, ist doch der Altmeister des
Brettspiels bedauerlicherweise vor einigen Jahren von uns gegangen. I’m the Boss ist eine Neuauflage
des Schmidt Spiels Kohle, Kies & Knete (Auswahlliste Spiel des Jahres
1994), zugegeben, doch soll dies den Sinn einer intensiven Auseinandersetzung
mit diesem eher untypischen Sackson keinesfalls
schmälern. Wer einzelne Werke aus dem Œvre des
Meisters kennt, mit Kohle, Kies & Knete aber nicht vertraut ist, wird sich
in jedem Fall mit Spannung und hoher Erwartungshaltung auf diesen
Verhandlungspoker freuen dürfen.
Die Geschichte von I’m the
Boss reicht sogar noch weiter in die Schaffensperiode Sid Sacksons
zurück. Eine eher wenig ansehnliche Kartenspielausgabe für den amerikanischen
Markt erschien bereits in den Achtzigerjahren unter dem Titel It’s a Deal. Für den deutschen Geschmack kaum brauchbar,
wurde das Regelwerk gänzlich neu überarbeitet. Mit
Was ist das Ziel des Spiels? Um es gleich ganz offen zu sagen, es gilt
Dollars zu scheffeln, Deals Gewinn bringend abzuwickeln, das Motto des Titels
zu verkörpern („I’m the
Boss“), vor allem aber am Ende mit dem größten Geldberg dazustehen. Typisch
amerikanisch, werden Sie sagen. Nun, zumindest wird die Welt der
Finanztransaktionen in interessanter Form widergespiegelt. Sie müssen Ihre
Geschäfte mit Hilfe der Mitspielerinnen abwickeln, und das geht nicht, ohne
entsprechendes Verhandlungsgeschick zu entwickeln. Kleinere und größere
Gewinnbeteiligungen vorausgesetzt, werden Sie schon den einen oder anderen Deal
selbst machen.
Die Vorbereitungen bei I’m the Boss sind sehr schnell erledigt. Der Spielplan mit den
sechzehn quadratischen Feldern wird in der Tischmitte ausgebreitet und die
„Dollarfigur“ auf ein beliebiges Feld gesetzt. Jede Spielerin bekommt eine
(bzw. bei drei Spielerinnen zwei) Investorkarten zugeteilt. Damit schlüpft auch
bereits jede Teilnehmerin in eine entscheidende Rolle. Da auch Lust und
Spielwitz um den Tisch versammelt sind, tragen die Investorkarten klingende
Namen: Carolyn Cashman, Debra Dougherty (am. dough = Geld), George Goldman, Lance
Liebgeld, Stephanie Sacks (am. sack = Beutelinhalt) und Will Wadsworth (am. wad =
Banknotenbündel.) Vom restlichen, gut gemischten Kartenstapel bekommt jede
Spielerin fünf Karten zugeteilt. Die fünfzehn durchnummerierten „Big Deal“
Karten, deren Gewinnanteil mit Fortdauer der Partie zunimmt (von 2 bis 6 Mio.
$), werden in aufsteigender Folge in die Spielplanmitte gelegt. Irgendeine
seriöse Spielerin übernimmt die Bank, ansonst beginnen alle mit leeren Taschen.
Wer den alphabetisch niedrigsten Investor gezogen hat, macht den Anfang. Diese Einstiegsphase
kostet kaum eine Minute Zeit. Allerdings sind Sie bei Ihrer ersten Partie noch
nicht wirklich startklar. Ohne die einzelnen Kartentypen zu kennen, würden Sie
schnell die wichtigsten Spielziele, die Deals, versäumen. Daher sollten Sie
kurz innehalten und einen Blick auf die neben den Investoren zusätzlichen
Kartentypen werfen. Es gibt (1) 24 Clankarten, die die gleichen Namen wie die
Investoren zeigen, und diese in ihrer Funktion ersetzen können, (2) 21
Ferienkarten, mit denen Sie Investoren und Clanmitglieder jederzeit auf Urlaub
schicken können, (3) 33 Abwerbungskarten, um fremde Investoren in Ihr Lager zu
ziehen, (4) 10 Boss-Karten, die eine Übernahme einer Geschäftsverhandlung
erlauben und zuletzt (5) 10 Abgelehnt!-Karten. Diese
können, wenn gewünscht, unmittelbar gegen Ferien-, Boss- und Abwerbungskarten
der Gegnerinnen eingesetzt werden. Keine Angst, es liest sich schwerer als es
sich spielt. Nach ein, zwei Deals werden Sie sich fast blind ins Getümmel
werfen. Einem schnellen Spielchen steht nun nichts mehr im Wege.
Der Spielablauf ist, theoretisch betrachtet, sehr einfach. Sie haben
die Wahl zwischen einem sofortigen Deal (eine Geschäftstransaktion im Wert von
6 bis 30 Mio. $) und einem Würfelwurf, um auf einem anderen Feld einen besseren
Deal zu landen oder wenigsten durch Nachziehen von drei Karten Ihr Handblatt zu
verbessern. Damit erhöhen sich Ihre Manipulationsmöglichkeiten im weiteren
Spielverlauf. Wer immer sich für einen Deal entscheidet, muss die auf dem
gerade aktuellen Feld (markiert durch die Dollarfigur) geforderten Geldgeber
mit Hilfe eigener Investor- oder Clankarten oder solche der Mitspielerinnen „an
einen Tisch bringen“. Die Namen der Geldgeber sind ebenfalls angeführt, wobei
zwischen Pflicht-Investoren und optional aus einer Gruppe wählbaren
unterschieden wird. Jede Spielerin kann nach Gutdünken jederzeit, ohne
Vorankündigung, eine oder mehrere ihrer Handkarten ausspielen und dabei
Geldgeber unterstützen oder auch welche „in die Ferien“ schicken, sprich aus
dem Spiel nehmen. Verhandlungsangebote, das sind Gewinnanteile für die
einzelnen Geldgeber, die „dem Boss“ von fremden Spielerinnen zur Verfügung
gestellt werden, müssen bei Abschluss des Deals auch ausgezahlt werden.
Vorauszahlungen sind dagegen illegal. Die oben angeführten Clan-, Abwerbungs-,
Boss- und Abgelehnt!-Karten
sorgen für unübersehbare Wechsel auf Angebots- und Nachfrageseite. Scheitert
Ihr Versuch, die geforderten Geldgeber zu vereinen, haben Sie Pech gehabt. Die
nächste Spielerin wird trachten, es besser zu machen. Das Spiel endet auf jeden
Fall nach dem fünfzehnten Deal, bei entsprechender Zufallsentscheidung aber
auch bereits nach dem zehnten, elften usw. Wer dann am meisten Cash auf den
Tisch knallt, darf sich als Boss der Bosse fühlen. Bis zur Revanche, wohlgemerkt!
Denn diese wird oft direkt angesagt.
Was ist kritisch anzumerken? Wenn Sie in der Neuausgabe eine
wesentliche Verbesserung zum bereits erprobten Kohle, Kies und Knete erhoffen,
werden Sie vergeblich suchen. Wer also die Schmidt-Ausgabe sein Eigen nennt,
kann auf I’m the Boss
wahrlich verzichten. Auch der deutsche Übersetzer ist der gleiche, und die
Spielregeln sind wortidentisch. Gut, es werden einige kleine Hausvarianten
angeführt, von denen mir persönlich vielleicht die am besten gefällt, der zufolge
auch beim Ausspielen einer Bosskarte die Spielreihenfolge unverändert bleibt.
Die drei Ausnahmeregelungen für zwei Spielerinnen sind regeltechnisch
akzeptabel, wenn auch gerade I’m the
Boss vom Feilschen um jeden Dollar lebt, vom ständigen, oft überraschenden
Einwerfen von Kärtchen, die das Spielglück wie einen Ping-Pong
Ball mal hierhin, mal dorthin treiben lassen. Man leidet einfach mehr, wenn
mehr Spielfreunde um den Tisch sitzen und lustvoll mit ungeheuchelter
Schadenfreude die entgangenen Megadeals der anderen kommentieren, wenn
lautstark diskutiert und notfalls mit einem „schlagenden“ Argument in Form
einer Überraschungskarte nachgeholfen wird.
Damit sind wir bereits beim entscheidenden Punkt. I’m the Boss ist kein Spiel
für zurückhaltende, grüblerische Menschen. Sie haben auch kaum Zeit, lange über
den Einsatz der einen oder anderen Karte nachzudenken, denn alle, wirklich
alle, handeln ständig gleichzeitig. Der Boss mag einen Deal eröffnen und ihn
formal auch für beendet erklären, das stimmt schon. Aber das Leben dazwischen
gestalten alle Investorinnen. Sie erinnern sich, sie müssen gleich bei der
Kartenzuteilung Ihre Rollen übernehmen. Je temperamentvoller Sie bei den
kleinen und großen Geschäften manipulieren, je durchsetzungsfreudiger Sie sind,
desto eher werden Sie Ihre Mitspielerinnen zu unbedachten Aktionen verleiten.
Absolute Interaktivität ist das Markenzeichen dieses meisterhaft konzipierten
Sid Sackson Spiels. Noch eine kleine positive
Anmerkung zur Neuausgabe: die Geldscheine, die bis zum finalen Showdown geheim
gehalten werden, sind dankenswerter Weise auf Pappkärtchen gedruckt, daher auch
von der Rückseite nicht zu erkennen. Well done!
Es mag in einer Rezension unüblich sein, allzu viele Worte über den
Spielautor zu verlieren. Aber in diesem Fall erlaube ich mir eine Ausnahme.
Immerhin wurde Sid Sackson von keinem Geringeren als
Wolfgang Kramer, dem fünfmaligen Gewinner der höchsten deutschen
Spielauszeichnung, als „the greatest
game designer in the world“ bezeichnet. Eigentlich
erstaunlich, war Sid Sacksons bürgerlicher Beruf doch
der eines Bauingenieurs. Noch im Zweiten Weltkrieg arbeitete der 1920 geborene Sackson an der Konstruktion von Flugzeugträgern. Bereits
kurz nach dem Krieg entschied er sich dann, den damals in Amerika fast unmöglichen
Weg eines Spielautors zu gehen. Mit unglaublichem Erfolg. Mehr als 150 seiner
über 700 Spiele wurden bis zu seinem Tod im Jahr 2002 kommerziell vertrieben,
viele seiner Ideen konnte er in seinen Büchern, allen voran „A Gamut of Games“ (dt. „Spiele
anders als andere“) und „Beyond Solitaire“
einem faszinierten Publikum vorstellen. Sein größter Triumph war jedoch ohne
Zweifel Acquire, das seit seiner Ersterscheinung
bei den legendären 3M Bookshelf Games unzählige
Neuauflagen und Neuausgaben gesehen hat. Eine Aufnahme in die Games Magazine’s „Board Game Hall of Fame“ bildet die
Krone der Auszeichnungen. Mit Focus konnte der unvergessene Sid Sackson 1981 auch „seinen“ Sieg bei der Wertung zum „Spiel
des Jahres“ erringen, was bislang keinem weiteren reinen Logikspiel vergönnt
war. Und ganz zuletzt möchte ich noch meinen persönlichen Sid Sackson Favoriten anpreisen: den Evergreen Can’t Stop. Für mich handelt es
sich hier um eine der besten Ideen aller Zeiten, ein Würfelspiel mit
unglaublicher Turbulenz und Spielfreude pur.
Nach diesem Exkurs nun zurück zu I’m the Boss. Es ist Zeit für eine abschließende Betrachtung.
Mein persönliches Fazit: Sie werden sich dem hektischen Treiben in diesem
ewigen Streben nach den besten Deals nicht entziehen können, so viel sei
verraten. Egal wie sie Ihren Plan auch anlegen, um erfolgreich zu sein,
brauchen Sie die Investoren und Clanmitglieder der Mitspielerinnen. Und diese
machen nichts umsonst! So sieht sie aus, die Geschäftswelt, wenn es um den
schnöden Mammon geht. Geben Sie zuviel von einem lukrativen Deal ab, bringen
Sie sich womöglich am Ende um den ersehnten Gewinn, bieten Sie dagegen zu
wenig, werden die anderen Sie einfach verhungern lassen, indem sie Ihnen
wertvolle Unterstützungskarten vorenthalten. Ein Seiltanz bleibt dieses
Geschäftemachen allemal. Und da auch die Deals immer opulenter werden, je
weiter der Abend fortschreitet, das Ende aber meist sehr unverhofft kommt –
hier hat Sid Sackson ganz schön aus der Trickkiste
gezaubert – bringt auch das von anderen Spielen bekannte „Aussitzen“ wenig. Sie
müssen im richtigen Augenblick dabei sein, am besten in der Führungsrolle.
Davon träumen jedoch alle um den Tisch versammelten Geschäftemacherinnen. Es
geht eben bei den entscheidenden Deals nichts über ein in letzter Sekunde
hingeworfenes, lautstarkes, amerikanisch akzentuiertes „I’m
the Boss“.
I’M THE BOSS
Spieler : 3-6 (Variante für 2)
Alter : ab 12 Jahren
Dauer : 60 Minuten
Verlag : Face 2 Face Games
2003
www.face2facegames.com
Autor : Sid Sackson
Graphik : William O’Conner
Preis : ca. € 30
WIN WERTUNG
Genre : Verhandlungsspiel
Zielgruppe : Familien & Experten
Mechanismus : Optimale Deals zusammenstellen
Strategie : *
Taktik : ***
Glück : ****
Interaktion : *******
Kommunikation : *******
Atmosphäre : *****
Kommentar:
Neuauflage von
Kohle, Kies und Knete (1994)
Kurzweiliges
Spielvergnügen
Sehr hohe
Interaktivität
Optimale Abstimmung
der Handkarten
Prickelndes Spielgefühl
Hugo Kastner: Wer
das pulsierende, lebendige Streben nach dem Megadeal einmal miterlebt hat, wird
I’m the Boss jeder nicht
allzu grüblerisch geprägten Spielrunde empfehlen. Die trockene Genrebezeichnung
„Verhandlungsspiel“ lässt die innewohnende Dynamik dieses Sid Sackson Meisterwerks nicht im Geringsten erahnen. Stellen Sie
sich daher auf einen turbulenten Spielabend ein, besonders dann, wenn laute,
pfiffige Verhandlungen Ihrem Naturell entsprechen. I’m the Boss ist eine Bank
für Spielfreunde mit argumentativer Überzeugungskraft.
Wer gerne
Verhandlungsspiele mag und seine Gegner in Grund und Boden redet, wird an I’m the Boss Freude haben.
Hugo Kastner