UNSERE REZENSION

 

Wehe, wenn der Wächter kommt!

YEDO

Strategischer Machtkampf mit allen Mitteln

 

„Ich mache mir dann mal einen Kaffee“, sagt Carmen, als ich das umfangreiche Material von YEDO auf dem Tisch ausbreite. Viel Platz dafür bleibt nicht mehr, als erst einmal der riesige, aber wunderbar stimmungsvoll gestaltete Spielplan auf dem Tisch liegt. Dennoch wollen fast 170 Karten in verschiedenen Größen und mit unterschiedlichsten Funktionen ebenso darauf und daneben untergebracht werden, wie 40 Waffenplättchen, sieben Geishas, fünf Segnungsmarker, für jeden Spieler ein eigenes Ablagetableau, Ausbauten, Pappmünzen sowie 38 Spielfiguren und Marker aus Holz.

„Da dauert das Aufbauen ja länger als das Spiel selbst!“ Von den Kommentaren der Spielfreunde, die in wenigen Minuten die Rolle von fünf Clanoberhäuptern im Japan des 17. Jahrhunderts übernehmen werden, lasse ich mich nicht beeindrucken – zumal sie Unrecht haben. Denn YEDO dauert gut und gerne zwei bis drei Stunden… und so lange dauert der Aufbau wirklich nicht. Nachdem Carmen mit einer dampfenden Kaffeetasse an den Spieltisch zurückgekehrt ist, auf dem inzwischen alles an Ort und Stelle liegt und einen wunderbaren Blick auf sieben Bezirke Yedos (vom Schlossbezirk bis zum Rotlichtviertel) freigibt, geht es auch schon los.

 

Für jeden etwas

Sie mögen Versteigerungen? Dann sind Sie bei YEDO richtig. Sie lieben das freie Handeln wie bei „Siedler“? Dann haben Sie ebenfalls Glück. Sie stehen auf klassisches Worker-Placement oder doch eher auf Ereigniskarten, die wie bei „Die Säulen der Erde“ den Spielablauf grundlegend beeinflussen? Glückwunsch! Denn alles das ist YEDO. Und damit haben wir die einzelnen Spielphasen, die insgesamt elf Mal durchlaufen werden, bereits vorgestellt.

Konkret streben wir wie so oft nach Prestigepunkten, die es vor allem für die Erfüllung geheimer Missionskarten gibt. Was genau wir zu tun haben, erfahren wir erst, wenn wir die Karte umdrehen, wissen zuvor aber, dass es potenziell schwieriger ist, eine gelbe oder rote Mission zu erfüllen, als eine grüne. Am schwersten zu knacken sind die schwarzen Missionen – hier muss dann auch mal der eine oder andere gemeuchelt werden. All dies läuft im Spiel völlig unblutig ab, denn eine Mission erfüllen bedeutet, dass die auf der Karte aufgedruckten Voraussetzungen gegeben sein müssen. So sollen z.B. eigene Spielfiguren in bestimmten Bezirken stehen, während man gleichzeitig bestimmte Waffen oder Ausbauten besitzen oder geforderte Plättchen oder Geld abgeben muss. Dafür gibt es als Belohnung wiederum den aufgedruckten Lohn in Form von Geld, weiteren Karten und – endlich – auch Prestigepunkte.

Zu Beginn jeder Runde wird fröhlich für Aktionskarten, Bonuskarten, Waffen, Diener (Spielfiguren), Missionskarten und alles, was sonst so auf dem Spielplan herumliegt. geboten. Dabei darf jeder nur genau ein Gebot abgeben. Wer die Auktion begonnen hat, darf noch einmal nachlegen und schon steht der Sieger fest. Wer nicht mitbieten will, passt, und erhält drei Münzen von der Bank.

In der Ereignisphase wird der Markt mit neuen Waffen bestückt und ein Ereignis aufgedeckt, das für alle gilt, gegen das man sich aber in der Regel gegen Abgabe von Geld oder z.B. einem Segnungsmarker schützen kann.

Anschließend werden die Spielfiguren (bei YEDO heißen sie „Diener“) reihum auf den Plan – oder die Ausbauten auf dem eigenen Tableau gesetzt, bevor der Wächter im wahrsten Sinne des Wortes auf den Plan tritt.

 

Gehen Sie ins Gefängnis

Die sieben Bezirke sind kreisförmig um den Turm des Wächters herum gruppiert und dieser dreht regelmäßig seine Runde durch YEDO. Wen er bei seinem einzigen erlaubten Schritt in einen Nachbarbezirk dort entdeckt, wird gefangengenommen und kommt in den Vorrat zurück.

Gut nur, dass man die Bewegung des Wächters mit Aktionskarten beeinflussen bzw. sich damit vor der Gefangennahme schützen kann. Wer noch übrig bleibt und seine Diener entweder im Markt- oder Tavernenbezirk stehen hat, darf nun nach Lust und Laune mit anderen dort Anwesenden Handeln und Tauschen, egal ob es sich dabei um Geld, Waffen, Geishas, Aktions- oder Bonuskarten handelt. Erst dann werden die eigentlichen Aktionen der Spieler durchgeführt, also die eingesetzten Diener „aktiviert“.

 

Multiple Feldfunktionen

Jedes Einsetzfeld in einem Bezirk hat ganz spezielle Eigenschaften, die den Spielern dann z.B. einen zusätzlichen Diener, eine Geisha oder weiteres Geld einbringen. Im Tavernenbezirk lässt sich zudem ein Ausbau für das eigene Clanhaus (Spielertableau) erstehen, im Marktbezirk kann man die begehrten Waffen käuflich erwerben. Sämtliche Möglichkeiten hier aufzuführen, ist nicht notwendig, die Fülle an Optionen – die man leider wie üblich nicht alle auf einmal haben kann – dürfte auch so deutlich geworden sein. Alternativ, und das ist das Gemeine, lässt sich die Anwesenheit in einem Bezirk auch nutzen, um eine Mission zu erfüllen, welche unter anderem das Platzieren einer Figur in eben diesem Bezirk erfordert. Dann allerdings geht die direkte Funktion des Bezirks flöten.

Diese Missionen sind das Herzstück von YEDO und bringen als Belohnung all das, was man ansonsten nur einzeln und mit viel Mühe (und meist gegen Bezahlung) in den einzelnen Bezirken abgreifen kann – allerdings in höherer Anzahl. Vier unterschiedlich schwer zu erfüllende Missions-Sorten sind im Spiel – je schwieriger diese zu erfüllen sind, desto höher fällt auch letztlich die Belohnung aus.

Obwohl diese Karten vom Format her verhältnismäßig groß gehalten wurden, sind die winzigen Symbole darauf, die angeben, was man zum Erfüllen vorweisen und häufig auch abgeben muss, bei schlechtem Licht kaum zu erkennen – dafür ist der Text, der jede Karte einleitet, sehr stimmungsvoll und sagt uns, was genau wir mit dem Erfüllen der abgebildeten Voraussetzungen eigentlich tun. Betrachtet man die Kategorien, in die die Missionskarten aufgeteilt sind (Spionage, Diebstahl, Entführung, Attentat und Kriegführung), wir schnell klar, dass wir als Clanführer überaus dubiose Machenschaften im Schilde führen. Aber was tut man nicht alles für ein wenig Prestige…

 

Und dann ist Schluss

Elf spannende Runden lang (Carmen hat vor lauter Eifer vergessen, ihren Kaffee zu trinken, der inzwischen nur noch lauwarm ist) sammeln wir so Karten, Marker, Geld und Plättchen und erfüllen unsere geheimen Missionen, bis schließlich das Clan-Oberhaupt mit den meisten eingesammelten Prestigepunkten, zu denen noch die zusätzlichen Punkte eventuell im Laufe des Spiels erworbener Bonuskarten addiert werden, gewinnt.

Die Erklärung dessen, was die Spieler in der zurück liegenden Zeit erlebt haben, nimmt in der Spielregel satte 16 Seiten ein – das schreckt zunächst ab. Ebenso wie das umfangreiche Material, das nicht nur korrekt verteilt, sondern dessen Funktionen erst einmal verstanden und ihre Abhängigkeit verinnerlicht werden müssen. Im Spiel selbst zeigt sich aber schnell, dass dies gar nicht so kompliziert ist, wie es sich auf dem Papier liest. Der Ablauf über sieben Phasen ist in sich logisch und die Handlungen unterstützen tatsächlich die Geschichte – und umgekehrt.

Natürlich muss ich, wenn ich beispielsweise den Sohn des Tuchhändlers Hyoshi mit einem Giftcocktail ermorden soll, eine Spielfigur im Marktbezirk stehen haben und als Waffe das Gift vorweisen können. Trotz aller Komplexität findet man sich also erstaunlich schnell zurecht. So scheint letztlich die Altersangabe „ab 14“ auf der Schachtel doch einen Tick zu hoch angesetzt.

Obwohl YEDO nicht viel wirklich Neues bietet, ist die Kombination aller Elemente überaus harmonisch gelungen, Spielmechanik und Geschichte unterstützen einander und das Gesamtbild ist lässt sich wirklich gut spielen.

Für Einsteiger hält die Spielregel übrigens eine einfachere Geisha-Version bereit. Erst, wer wirklich bereit für den ruchlosen Kampf um Ruhm und Ehre mit allen Mitteln ist, sollte die Samurai-Version spielen. Letztlich unterscheiden sich beide aber nicht im Spielablauf oder der Regelmenge, sonder lediglich dadurch, dass das Schicksal (also die Ereigniskarten) den Clanführern in der Samurai-Variante noch übler mitspielen als in der Geisha-Version.

Die Welt ist nun einmal ungerecht und YEDO fängt dies wunderbar ein. Zum Glück ist es nur ein Spiel…


Strategische Taktik?

Laut eggertspiele ist YEDO ein Taktikspiel. Ja, vielleicht. Aber nur beim Einsetzen der Figuren, wobei natürlich jeder darauf achtet, was die anderen tun und wo vor dem Hintergrund der aktuellen Situation auf dem Brett am meisten zu holen ist. Letztlich legt sich aber doch jeder Clanführer seine eigene Strategie zurecht, um die vor ihm liegenden Aufträge zu erfüllen. Wie und wo komme ich am schnellsten an die Geishas, Waffen, Segnungen oder Ausbauten, die ich benötige? Das ist die vorherrschende Frage. Und dazu ist längerfristige Planung erforderlich. So kann es dann auch passieren, dass einige Spieler fleißig Mission um Mission abarbeiten und es scheint, als machten sie den Sieg unter sich aus, bis schließlich kurz vor Schluss jemand in einem Zug gleich zwei oder drei rote oder schwarze Missionen erfüllt, das Feld von hinten aufrollt und Prestigepunkte sammelt ohne Ende. Nur mit Taktik, die auf das Hier und Jetzt ausgerichtet ist, ist so eine Aufholjagd nicht zu schaffen.

 

Fazit

Endlich wieder ein Strategiespiel, das mich richtig in seinen Bann gezogen hat, weil sich die Mechanismen perfekt in die Thematik einfügen und nicht aufgesetzt wirken. Der Spannungsbogen stimmt, da bis kurz vor Schluss, trotz offen angezeigter Prestigepunkte, niemand weiß, wer den Sieg davon tragen wird. Ein klassisches Personeneinsatzspiel mit vielen neuen Ideen, die das Ganze letztlich doch zu mehr als der Summe seiner Einzelteile machen – selbst zu zweit funktioniert YEDO bestens. Der einzige wirkliche Kritikpunkt: Die japanisch angehauchte Schrift auf dem Cover ist derart stilisiert, dass man die Namen der Autoren nur mit äußerster Mühe entziffern kann. Sonst gibt es aus Spielersicht wirklich nicht viel zu meckern. Nur Carmens Kaffee ist inzwischen kalt geworden.

 

Stefan Olschewski

 

Spieler: 2 bis 5

Alter: 14 +

Dauer: 180+

Autor: Wolf Plancke und Thomas Vande Ginste

Grafik: Franz und Imelda Vohwinkel

Preis: ca. 50 Euro

Verlag: eggertspiele / Pegasus 2012

Web: www.pegasus.de

Genre: Strategiespiel

Zielgruppe: Für Experten

Version: de

Regeln: de en

Text im Spiel: Ja

 

Kommentar:

Stimmungsvolle Gestaltung

Hervorragendes Material

Regelfülle schreckt trotz einfachem Ablauf zunächst ab

Ausgewogene Mechanismen

Spannend bis zum Schluss

 

 

Vergleichbar:

andere Worker Placement Spiele

 

Andere Ausgaben:

Version in englischer Sprache

 

Meine Einschätzung: 6

 

Stefan Olschewski:

Obwohl die Materialfülle und der Regelumfang zunächst erschlagen, zeigt schon die erste Partie, wie logisch und stringent der Spielablauf wirklich ist. Ein stimmungsvoller Leckerbissen für Vielspieler, der aufgrund der schönen Gestaltung auch Familien anlocken könnte. Die Altersempfehlung ist letztlich mit 14 Jahren doch etwas zu hoch angesetzt.

 

Zufall (rosa): 0

Taktik (türkis): 2

Strategie (blau): 3

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 1

Interaktion (braun): 1

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0