UNSERE REZENSION
Alles easy, Man!
Santiago de Cuba
GroSes Spiel in kleiner Schachtel
Schon auf der Essener SPIEL konnte „Santiago de Cuba“ jede Menge Vorschusslorbeeren einheimsen. Scoutnoten lagen allesamt im oberen Bereich und wer am Messestand vorbeischaute, den zog die optisch überwältigende Aufmachung ganz im Stile des großen Bruders „Cuba“, grafisch wie immer perfekt in Szene gesetzt von Michael Menzel, unweigerlich in ihren Bann. Die Frage war nur, ob der Spielspaß dem hohen Aufforderungscharakter gerecht werden würde. Wir haben es ausprobiert…
Oft liebevoll (oder abwertend?) als „Cuba light“ bezeichnet, nimmt uns „Santiago de Cuba“ mit in die Karibik, die sich auf dem recht kleinen, länglichen Spielplan in Form eines Stadtbezirks samt Hafenbecken darstellt. Auf der Straße, die wir in unserem (Holz)auto in der folgenden knappen Stunde wieder und wieder auf einem Rundkurs gemächlich entlangfahren, herrscht reges Treiben. Da bieten Händler wie Pedro oder José lauthals ihre Waren Tabak und Zuckerrohr feil, da lächelt uns Conchita an, sodass wir nicht widerstehen können und ihr zwei Kisten Zitronen abnehmen. Und das Beste: All diese Waren erhalten wir vollkommen kostenlos, wenn unser Auto bei der entsprechenden Person einen kurzen Zwischenstopp einlegt!
Gib Gas!
„Easy“ geht es zu in Santiago de Cuba, selbst das Auto passt sich dem Feeling an und bewegt sich von sich aus nur immer genau ein Feld weiter zur nächsten Person. Möchte ich weiter fahren, um beispielweise gezielt zu Pablo, dem Hehler gelangen, der mir eine beliebige Ware beschert, ist unser Fahrer einer kleinen finanziellen Aufmerksamkeit nicht abgeneigt. Für jeweils einen Peso überspringen wir die nächste Station und fahren direkt den folgenden Stand an.
Derjenige der bis zu vier Insassen, der von den angesteuerten Personen entsprechend ausgestattet wurde, darf nun noch seine Spielfigur auf eines von drei möglichen Gebäuden setzen und die dortigen Sonderaktionen nutzen (das kommt uns aus „Cuba“ nicht ganz unbekannt vor). Da diese in jeder Partie – ebenso wie die Positionen der Personen am Straßenrand – zufällig neu ausgelegt werden, ist für Abwechslung gesorgt und nicht immer dieselben Aktionen an derselben Stelle auf der Autoroute mit derselben Person verknüpft.
Und dann ist da ja auch noch Alonso, der Anwalt, der es mir erlaubt, ein beliebiges, nicht besetztes Gebäude permanent in Besitz zu nehmen (bis zu drei Mal im Spiel ist dies möglich), was mir fortan nicht nur immer dann einen Siegpunkt beschert, wenn ein Mitspieler mein Gebäude betritt. Wenn ich Alonso später erneut einen Besuch abstatte, kann ich neben dem normalen Nutzen eines Gebäudes auch ein beliebiges der mir gehörenden zusätzlich aktivieren, ohne meine Spielfigur dort stehen zu haben. So ermöglicht der Anwalt quasi einen Doppelzug – diesen Kontakt sollte man sich warm halten.
Alle Funktionen der zwölf verfügbaren Gebäude hier aufzuführen, würde den Platz sprengen, daher sollen nur einige genannt werden. Die meisten bringen Geld oder Siegpunkte, verwandeln Geld in Siegpunkte (und umgekehrt) oder dienen dazu, eigene Waren in andere Waren umzuwandeln, um die Nachfrage im Hafen zu bedienen (auf die wir noch zu sprechen kommen werden). So lässt sich Tabak in der Zigarrenfabrik zu Zigarren verarbeiten oder in der Schnapsbrennerei Zuckerrohr zu Rum. Beides lässt sich wiederum prima ans Café verkaufen, das uns dafür bis zu vier Siegpunkte beschert. Andere Gebäude beeinflussen die Nachfrage an Waren auf dem Schiff im Hafen (jaja, gleich erläutere ich Näheres dazu) oder erlauben wie das Kontor praktisch außer der Reihe, eine Ware ans Schiff zu liefern, und dafür Siegpunkte zu erhalten, obwohl das Auto nicht im Hafen steht.
Der Zeitungsverlag nutzt die Macht der Medien – vermutlich üble Nachrede – was zur Folge hat, dass einer der Kubaner seinen Stand sofort dicht macht, bis das Auto ihn das nächste Mal passiert hat. Mit ihm verbundene Gebäude dürfen ebenfalls in diesem Zeitraum nicht betreten werden.
Jetzt aber ab zum Hafen
Der Hafen (na endlich!) ist eine weitere der möglichen Stationen für unser kleines Auto. Dort liegt in jeder Runde ein Schiff und wartet auf Waren, deren gewünschte Anzahl zu Beginn ausgewürfelt wird. Die Farben der Würfel zeigen an, welche Waren wir dort abliefern müssen. Pro Schiff gibt es immer genau vier Warensorten, für deren Lieferung wir pro Warenstein zwei bis vier Siegpunkte erhalten, je nachdem, wo sich der blaue „Warenwertmarker“ gerade befindet.
Dieser wandert immer dann nach unten oder oben, wenn ein Spieler das Hafenamt nutzt, oder wenn das Auto nicht im Hafen hält. Dann nämlich steigt der Erlös pro Ware um einen Siegpunkt. Mehr als vier Siegpunkte sind aber nicht zu holen, sollte der Marker über diese Grenze hinaus bewegt werden, ist dem Kapitän offenbar der Preis zu hoch und das Schiff legt unverrichteter Dinge und eventuell auch ohne Ladung kurzerhand ab.
Wer das Auto in den Hafen steuert, während das Schiff noch ankert, liefert als Erster eine Warensorte ab, bevor die Lieferrunde reihum fortgesetzt wird – die Augenzahl des entsprechenden Würfels wird pro Warenstein um die jeweilige Zahl reduziert, bis er schließlich auf der Null steht. Holz fungiert dabei quasi als Joker für eine beliebige Warensorte, die man gerade nicht verfügbar hat, dafür bringt dieser Rohstoff aber auch nur jeweils einen Siegpunkt ein – egal wo der Warenwertmarker gerade steht. Zeigen alle vier Würfel die Null, endet die Lieferrunde, das Schiff tuckert vollbeladen los und ein neues geht im Hafen vor Anker, was eine neue Runde einläutet, die wieder mit dem Auswürfeln der nachgefragten Waren beginnt. Hat das siebte Schiff abgelegt, ist Schluss und es gewinnt der Spieler mit den meisten Siegpunkten.
Fazit
Es steckt viel „Cuba“ in „Santiago“. Vielleicht zu viel. Auch wenn Michael Rieneck hier auf seinen kongenialen Partner Stefan Stadler verzichtet hat und praktisch in Light-Besetzung unterwegs war, ist eine gelungene Komposition bekannter Mechanismen entstanden, die hervorragend funktioniert. Leider wurde im Vergleich zu „Cuba“ bei aller Schönheit des Materials auch bei der Ausstattung abgespeckt. Die Sichtschirme sind stabil, aber zu klein, um bei fortgeschrittenem Spiel alle Waren und das eigene Geld geheim zu halten. Bis auf den Holzklotz unterscheiden sich die Warensteine zudem lediglich in der Farbe. Warum ein weißer Stein in der Schnapsbrennerei rot wird, erschließt sich gerade Familien, die mit diesem Spiel an das wesentlich anspruchsvollere „Cuba“ herangeführt werden sollen, nicht sofort, dies war mit den aussagekräftigen Formen der Waren in „Cuba“ oder dem ebenfalls bei eggertspiele erschienenen „Im Schutze der Burg“ ungleich besser gelöst.
In all unseren Testrunden war bis kurz vor Schluss nicht abzusehen, wer den Sieg davontragen würde – welcher dann auch zumeist recht knapp ausfiel. Das zeugt einerseits von guter Justierung, die keine eindeutige Gewinnstrategie zulässt, andererseits fühlt man sich schon ein wenig gespielt. Trotz der vielfältigen Aktionsmöglichkeiten ist der gewünschte Kubaner meist viel zu weit weg, als dass man das Geld hätte, direkt dorthin zu fahren. Nützliche Gebäude sind immer mit dem am weitesten entfernten Kubaner verbunden und wenn ich da Wahl aus dreien habe, sind die lukrativsten Gebäude immer schon besetzt, sodass ich auf ein vermeintlich schwächeres Haus ausweichen muss. Auf Dauer ist das nicht wirklich befriedigend.
Aber „Santiago de Cuba“ sieht sich auch in keinster Weise als Strategiespiel. „Ein taktischer Leckerbissen für die ganze Familie“ heißt es im Pressetext und auch wenn die angesprochene Familie von den komplexen Abhängigkeiten zwischen Kubanern, Gebäuden und Ereignissen im Hafen zunächst erschlagen werden dürfte, geht es doch letztlich genau darum: aus den (manchmal wenigen) sich bietenden Möglichkeiten das Beste zu machen. Und wenn es nicht klappt? Dann vielleicht beim nächsten Mal. Easy, Man!
Spieler: 2-4
Alter: 10+
Dauer: 60+
Autor: Michael Rieneck
Grafik: Michael Menzel
Preis: ca. 25 Euro
Verlag: eggertspiele
Web: www.eggertspiele.de
Genre: Personaleinsatzspiel
Zielgruppe: Mit Freunden
Version: de
Regeln: de en fr gr
Text im Spiel: nein
Kommentar:
Sehr schöne Ausstattung
Teil der Cuba Spielefamilie
Auch für Familien mit etwas Spielerfahrung geeignet
Vergleichbar:
Cuba
Andere Ausgaben:
Bei Filosofia Editions, Gryphon Games, Kaissa Chess, Ludonova
Meine Einschätzung: 4
Stefan Olschewski:
Schön komponiertes Ganzes, aber dennoch ein wenig beliebig und nicht strategisch. Vielleicht wäre hier noch weniger mehr gewesen.
Zufall (rosa): 1
Taktik (türkis): 2
Strategie (blau): 1
Kreativität (dunkelblau): 0
Wissen (gelb): 0
Gedächtnis (orange): 0
Kommunikation (rot): 1
Interaktion (braun): 1
Geschicklichkeit (grün): 0
Action (dunkelgrün): 0