Deja Vu hinter steinernen
Mauern
Im
Schutze der Burg
Taktischer
Gebäudebau im Mittelalter
„So, ihr Lieben, lasst uns doch heute mal ein Taktikspiel ausprobieren. Es geht darum, Rollenkarten einzusetzen und diese geschickt zu nutzen um Gebäude zu bauen, die Siegpunkte bringen.“
„Ach nööö“, beschwert sich Christian. „Puerto Rico ist zwar klasse, aber das haben wir doch schon hundertmal gespielt!“
Ich versuche zu beschwichtigen: „Lass mich doch ausreden! Die Grafik ist viel stimmungsvoller…“ „Aber Ohne Furcht und Adel ist doch gar kein Brettspiel, ich will was Größeres spielen“, unterbricht mich Nina. Ich werde langsam nervös und versuche weiter, meine Mitspieler zu überzeugen: „Das meine ich auch gar nicht! Es gibt auf dem Spielbrett einen Markt und man muss Rohstoffe erhalten. Stein, Holz und so weiter. Und die Grafik ist von Michel Menzel!“
„Cuba! Klasse, bin sofort da“, ruft Sven aus dem Hintergrund, der gerade einen Topf mit Met auf den Herd stellt, denn draußen ist es bitterkalt. Ich resigniere und lege einfach die Schachtel von Im Schutze der Burg auf den Tisch, die gleich von allen begeistert in Augenschein genommen wird. Ich öffne die Schachtel, baue das Material auf und fange an zu erklären.
Hölzerne Sandhaufen
Bewundernde Blicke ernte ich schon, als ich die Rohstoffe auf die vier Fuhrwerke im unteren Spielplanbereich verteile. Gelbe, gewellte Holzstückchen als Sandhaufen, rote Holzquader als Lehmplatten, braune Holzstäbchen als Holzbalken und graue Holzwürfel als Steinblöcke purzeln auf den Tisch – alles schön stimmig bislang. Ebenso wie die silbernen Holzbarren, die auf die Satteltaschen des Reiters rechts neben den Fuhrwerken verteilt werden, und die wirklich wie kleine Silberbarren aussehen. Jeder Spieler erhält noch jeweils drei Taler (Pappmünzen), 6 Holzfiguren als Gehilfen (zu Zweit 7 Figuren), die im Laufe des Spiels Punkte bringend an verschiedenen Orten eingesetzt werden, einen Sandhaufen und einen Holzbalken und die Siegpunktmarker werden auf das Feld 0 auf der obligatorischen Kramerleiste gesetzt. Zuletzt erhält jeder noch einen Satz aus jeweils 8 Personenkarten, die – einmal ausgespielt – ihre Fähigkeiten einsetzen. Und dann kann es schon fast losgehen.
„Wofür sind denn diese Plättchen da?“ will Carmen wissen. Und dabei wollte ich doch gerade dazu kommen. Die Antwort ist ganz einfach: Am Anfang ist die Burg im Zentrum des Spielplans noch gar nicht gebaut, die schön illustrierten Gebäude werden also zunächst mit so genannten „Bauwerksvorlagen“ überdeckt. Diese zeigen das Gebäude in einer Art Entwurfsskizze und man kann zudem erkennen, was es kostet und wie viele Siegpunkte derjenige erhält, der es errichtet. Wird ein Gebäude gebaut, entfernt der Spieler einfach die Vorlage vom Spielplan und das Gebäude darunter erstrahlt in seiner ganzen Menzel-Pracht. So, jetzt aber los!
Die Qual der Wahl
Zunächst sucht sich jeder heimlich eine seiner Personenkarten aus und legt sie verdeckt auf den Tisch. Danach werden die Karten gleichzeitig aufgedeckt und in einer bestimmten Reihenfolge abgehandelt. „Na, das ist ja mal ein ganz neuer Mechanismus“, murmelt Christian zähneknirschend. Ich tue so, als hätte ich ihn nicht gehört und fahre mit der Erklärung fort.
Zuerst nimmt sich der Startspieler die entsprechende Figur und außerdem eine Münze von der Rundenskala am unteren Rand des Spielplans. An der noch vorhandenen Anzahl der Münzen lässt sich so jederzeit erkennen, wie viele Runden noch vor den Spielern liegen. Der Startspieler ist im Grunde nur dazu da, Gleichstände aufzulösen. Falls mehrere Spieler dieselbe Personenkarte gewählt haben, beginnt immer erst der Startspieler oder derjenige, der ihm am nächsten sitzt. Was man mit welcher Figur anstellen kann, steht nicht nur auf den Karten, sondern auch auf einer kleinen Übersicht, die jeder Spieler vor sich liegen hat. Die Funktionen sind also klar, was sie einem aber taktisch im Spiel bringen, erschließt sich dennoch nicht so ohne weiteres. Da der Leser dieser Rezension sich noch weniger darunter vorstellen kann, soll ein kleiner Überblick in der Reihenfolge, in der die Karten abgehandelt werden, an dieser Stelle genügen:
Der Bote sorgt einfach für Geldnachschub und bringt 8 Taler von der Bank. Mit dem Händler lässt sich ein Gehilfe auf den Fuhrwerken einsetzen und sofort erhalten alle Spieler, die bislang dort Gehilfen platziert haben, die dort angezeigten Rohstoffe. Wer den Händler spielt, schustert also unter Umständen auch dem Gegner Lehm, Holz, Sand, Stein oder Silber zu. Außerdem muss jeder, der von den Fuhrwerken Rohstoffe erhält, ein Teil von jeder erhaltenen Sorte in den Wehrturm legen, der wie eine Art Sammellager fungiert. Mit dem Maurer, der als nächste Person angehandelt wird, darf man sich alle dort zwischengelagerten Waren einer Sorte nehmen. Außerdem kann der Maurer bis zu zwei Gebäude bauen, sofern der Spieler diese regelkonform mit mindestens drei verschiedenen Sorten Rohstoffen bezahlen kann. Für jeden verbauten Rohstoff gibt es je einen Taler als Belohnung und außerdem das Recht, bis zu zwei Gehilfen gegen Zahlung eines bestimmten Betrags auf bereits errichtete Gebäude in der Burg zu setzen. Dort bleiben sie bis zum Ende und bringen dann in einer beinahe knizianischen Endabrechnung zusätzliche Siegpunkte – doch dazu später mehr.
Der Steinmetz hat eine ähnliche Funktion, auch er kann Gebäude bauen und Gehilfen einsetzen, hier bringen die Gebäude statt Geld aber direkt die aufgedruckte Zahl an Siegpunkten. Außerdem darf er von jedem ausgespielten Arbeiter (die direkt im Anschluss an die Reihe kommen) gegen Zahlung von einem Taler ein Rohstoffteil nehmen und dem eigenen Vorrat einverleiben. Von den Arbeitern schließlich hat jeder Spieler drei verschiedene auf der Hand, die nun die aufgedruckten Rohstoffe einbringen, sofern sie nicht zuvor vom Steinmetz abgekauft wurden. Da es aber natürlich auch eine Möglichkeit geben muss, seine eingesetzten Karten später erneut einzusetzen, bringt der Baumeister zuletzt alle bis zu diesem Zeitpunkt gespielten Karten wieder für die volle Auswahl auf die Hand zurück – und außerdem jeweils 5 Siegpunkte für jedes Gebäude, das die anderen Spieler in der laufenden Runde gebaut haben. (Es sollen übrigens schon die ambitioniertesten Bauprojekte Hals über Kopf gestoppt worden sein, nur um einem Baumeister nicht unnötig viele Punkte in den Schoß zu legen.)
Abgerechnet wird zum Schluss
Das Spiel endet, wenn am Ende einer Runde keine Münze mehr auf den Rundenfeldern liegt, bei 2 und 4 Spielern nach 12 Runden, 3 Personen spielen sogar 15 Runden. Alternativ ist Schluss, wenn alle Gebäude gebaut sind. Dann folgt die große Abrechnung, in der jeder eingesetzte Gehilfe seinem Besitzer noch weitere Siegpunkte beschert, abhängig davon, an welchem Ort er eingesetzt wurde. So bringt ein Gehilfe im Bergfried beispielsweise 3 Punkte für jeden nicht besetzten Gehilfenplatz, das große Tor bringt je 2 Punkte für jeden gebauten Turm, das kleine Tor immerhin noch je einen Punkt, im Stall lassen sich Punkte für jedes gebaute Haus holen, in der Schmiede gibt es Punkte für im Laufe des Spiels dort zum Tausch in „normale“ Rohstoffe abgelegte Silberbarren und so weiter und so fort.
Die klug gewählten Piktogramme an den jeweiligen Orten helfen beim Erkennen, was es wo zu holen gibt; welche Positionen am lukrativsten sind, kann man jedoch meist erst in den letzten drei oder vier Runden abschätzen. Obwohl also hin und hergerechnet wird, ist der Einsatz eines Gehilfen zu Beginn eher Spekulation.
Leider ziemlich beliebig
Der Spielablauf an sich ist unkompliziert und eingängig, die Abhängigkeiten sind jedoch vielschichtig und ihre Verinnerlichung dauert durchaus ein paar Runden. Dann aber mühen sich die Spieler redlich, die Funktionen der Personenkarten taktisch zum eigenen Vorteil einzusetzen. Jedoch leider oft vergebens – und das ist auch der größte Kritikpunkt an Im Schutze der Burg: die Beliebigkeit. Gerade im Spiel zu dritt oder zu viert lässt sich kaum etwas planen. Ich weiß zwar immer, wer noch welche Karten auf der Hand hat, dieses Wissen nutzt aber nichts, wenn ich drei Runden warten muss, um wieder Startspieler zu sein, weil ich sonst beinahe sicher sein kann, dass mir ein Mitspieler mein Bauvorhaben vor der Nase wegschnappt, die lukrativsten Rohstoffe kostenlos aus dem Wehrturm erhält oder mit dem Boten die letzten Münzen aus dem Vorrat entfernt und ich finanziell in die Röhre gucke. Natürlich trägt das zum Ärgerfaktor bei und ist durchaus interaktiv und bisweilen höchst kommunikativ, aber dennoch häufig wenig befriedigend. Eigentlich ließe sich eine Menge durchdenken, lange planen und rechnen, um den lukrativsten Spielzug herauszufinden. Wenn dieser trotz aller Planung aber zum vierten Mal durchkreuzt wird, beginnt man, einfach aus dem Bauch heraus zu spielen. Das ist viel angenehmer, lockerer und sorgt im Übrigen dafür, dass die angegebene Spielzeit von 45 bis 60 Minuten dann doch problemlos eingehalten werden kann.
Zu Zweit sieht die Sache schon anders aus. Da hier außerdem jeder Spieler pro Runde gleich zwei Karten spielt, lässt sich in einem Spielzug schon wesentlich mehr erreichen als bei größerer Besetzung, zumal es auch nicht so lange dauert, bis man wieder das nicht zu verachtende Privileg des Startspielers erhält.
Schöne Sache!
Qualitativ ist an dem Spiel, wie von Eggert nicht anders gewohnt, absolut nichts auszusetzen – im Gegenteil. Michael Menzel hat auf der Rückseite des Spielplans den Grundriss der Burg gleich noch einmal in kühlen Winterfarben gemalt, sogar mit anderen Details als auf der Sommerseite. So lässt sich je nach Jahreszeit das Spiel stimmig erleben. Und wem das noch immer nicht genügt, kann auf dem Winterplan sogar noch so genannte Winterkarten nutzen, die als Ereigniskarten fungieren und in bestimmten Runden zufällig ins Spiel kommen. Ob „Pest“, „Mauerbruch“, „Kornspeicher“ oder „Burgfräulein“ – diese Karten haben allesamt großen Einfluss auf den Spielverlauf, bringen zusätzliche Siegpunkte oder Taler- bzw. Kartenverlust. Wer hier der „Pest“ zum Opfer fällt und gerade keine Taler besitzt, muss eine seiner Personenkarten abgeben und das ist wirklich bitter – ebenso bitter wie der Winter auf dem Spielplan.
Fazit:
Damit kein Zweifel aufkommt: Im Schutze der Burg ist ein wirklich schönes Spiel. Es funktioniert und wird Jugendlichen und Erwachsenen sicher viel Spaß bereiten, für die spielende Familie halte ich den Spielablauf allerdings etwas zu komplex, Vielspielern fehlt hingegen die Planbarkeit und der strategische Anspruch. Die Krux liegt vielmehr darin begründet, dass der Name Eggertspiele seit Titeln wie Cuba und Hamburgum für hochkarätige Expertenspiele steht. Das Werk der beiden Brands lässt Ähnliches erhoffen, hält aber dann doch nicht ganz, was es verspricht.
Während sich Carmen feixend freut, dass sie (natürlich) mal wieder gewonnen hat und die anderen auch recht angetan vom Spiel und dem doch recht knappen Ausgang sind, ertappe ich lediglich Christian dabei, wie er heimlich gähnt: „Äh.. ich glaube, ich will jetzt doch noch mal Puerto Rico spielen…“
Stefan Olschewski
Kid
Family
Adult ein
Expert
Alter
Spezial
Spieler : 2-4
Alter : ab 10 Jahren
Dauer : ca. 60 min
Autor : Inka und Markus Brand
Grafik : Michael Menzel
Vertrieb : Hutter Trade / Piatnik
Preis : ca. 35,00 Euro
Verlag : Eggertspiele
www.eggertspiele.de
Genre :
Taktisches
(Auf-)bauspiel
Zielgruppe :
Für Jugendliche/Erwachsene
Mechanismen :
Rohstoffe
erwerben und Gebäude bauen
Zufall : 5
Wissen/Gedächtnis : 1
Planung : 3
Kreativität :
Kommunikation : 3
Geschicklichkeit :
Action :
Kommentar:
Stimmige
Atmosphäre vom Material bis zur Grafik
Vorbildliche Spielregel
Mit 3-4 Spielern wenig planbar
Handwerklich solide und fein austariert, aber wenig neue Ideen
Vergleichbar:
Säulen der Erde, Cuba, Ohne Furcht und Adel, Puerto Rico
Atmosphäre :
7
Stefan Olschewski
Funktionaler Mix bekannter Mechanismen mit tollem Material und schöner Grafik. Leider wenig planbar und ohne wirklich neue Ideen. Ein Schaf im Wolfspelz.