Bootleggers

January 1921, Time of Prohibition

 

Illegale Schnapsbrenner treiben ihr Unwesen

 

Äußerst ungewöhnlich ist es, zumindest für Europäer, dieses neue Eagle Games Produkt, das in der Zeit der amerikanischen Prohibition angesiedelt ist. Die Spieler schlüpfen in die Rolle von gnadenlosen und verschlagenen Gangsterbossen, oder „Mobsters“, wie es im amerikanischen Slang heißt, die illegal Alkohol, vorzugsweise Whisky, brennen, um diesen in so genannten „Speakeasies“, verbotenen Kneipen, an den Mann zu bringen. Wer nach zwölf Runden die meisten „Grands“ (dt. 1000 $ Scheine) in bar auf den Zockertisch bringt, ist der größte Profiteur der „Bootleggers“. Mit diesem Ausdruck wurden die Alkoholschmuggler und Schieber der Prohibitionszeit gebrandmarkt. Ok, bisweilen enden die Geschäfte schon wesentlich früher, nämlich sobald es einem Boss gelingt, 100000 Dollar zu „verdienen“. Es waren schon wundervolle Zeiten, diese goldenen Zwanzigerjahre.

Zu Spielbeginn erhält jeder Mobster eine Schwarzbrennerei (am. Family still), einen stilvollen Truck, der vier Kisten illegalen Alkohol laden kann, einen Ertragswürfel, 10 Grands, sowie zwölf Karten in vier Farben, so genannte „Muscles“, die später über die Aktionsreihenfolge entscheiden werden. Dazu gesellt sich noch im Hinterzimmer, im „Back room“, der eigenen Brennerei ein mit einer Gun ausgestattetes Bandenmitglied. Die Autoren haben im Regelheft für diese absolut unverzichtbaren „Figuren“ die eher nichts sagende Bezeichnung Influence marker (dt. Einflussmarker) gewählt. Die Tischmitte ziert das graphisch überzeugende Board, wo neben den sechs Kneipen Platz für die Lieferlastwagen, den Rundenanzeiger, sowie exakt acht Felder für die Aktions- und Truckkarten ausgespart ist. Weiteres Spielmaterial stapelt sich neben dem Board. Das war’s. Nun gilt es für die nächsten zwei, drei Stunden die Nachfrage nach dem gesuchten „Moonshine“ zu befriedigen, was am besten mit geschmuggelter oder schwarz gebrannter Alkohol zu übersetzen ist. Sie sehen schon an der Wortwahl dieser Rezension, dass bei Bootleggers eine gewisse Vertrautheit mit dem amerikanischen Gangsterjargon geschätzt wird.

Der Spielablauf an sich ist nicht schwer zu verstehen, allein die diversen Aktionskarten stellen einige sprachliche Anforderungen an die Schwarzbrenner. Insgesamt werden in jeder Runde sechs Phasen abgespult.

Phase 1 – „Muscle“ (ich verwende für die Phasen die in der Regel vorgegebenen Bezeichnungen, Anm. d. Verf.): Durch geheimes Ablegen einer der zwölf „Musclecards“, bei gleichzeitigem Aufdecken, wird die Spielerreihenfolge für diese weitere Runde festgelegt. Der Spieler mit der höchsten, dafür am teuersten einzusetzenden Karte, beginnt. Da die ausgeklügelte Zuteilung der Werte eine annähernd gleichmäßige Ausgangslage schafft, bleibt auch die Chancenverteilung im Spiel ziemlich in der Balance. Bezahlt werden zudem jede Runde die eigenen Trucks, egal ob sie Waren liefern oder nicht. Zuletzt darf jeder Spieler eine der ausliegenden Aktionskarten (am. Men of Action cards) wählen oder einen bereit stehenden Truck kaufen. Diese Aktionskarten werden im Laufe der Partie zu ganz entscheidenden Waffen im Kampf um die höchsten Gewinne. Bei diesen Karten gibt es drei Arten (Wirkung siehe unten, Anm. d. Verf.): „Influence cards“ (dt. Einflusskarten), „Improvement cards“ (dt. Verbesserungskarten) und „Thug cards“ (dt. Verbrecherkarten.)

Phase 2 – „Send in the Boys“: In „Muscle“-Folge dürfen Einflussmarker, d.h. Bandenmitglieder, in die Kneipen beordert werden, allerdings nur solche, die im eigenen Hinterzimmer auf diesen Auftrag warten. Dadurch wird die Bedeutung des Bosses in der jeweiligen Kneipe gesteigert, bis zum später mächtigen „Controlling Influence“. Dieser setzt voraus, dass ein Spieler mindestens so viele „Figuren“ in eine Kneipe stellt, wie alle anderen Gangsterbosse zusammen genommen. Hat einer der Bosse dagegen nur mehr Einfluss als jeder Einzelne der anderen Mobster, darf er „Majority Influence“ reklamieren, eine leicht schwächere Position als die völlige Kontrolle. Voraussetzung für die dritte Stärkestufe in einer Kneipe, den „Minority Influence“, ist zumindest ein einziges Bandenmitglied in diesem düsteren Etablissement. Steht keine der eigenen „Figuren“ in einer Kneipe, bleibt dem betreffenden Mobster nur ein trübes Schicksal: „No influence“. Der Spieler ist auf den Goodwill der anderen angewiesen, falls er diese Kneipe anfährt. Well, genau das steckt ja im Wörtchen „no“.

Phase 3 – „Fire up the Still“: Jetzt muss erst mal der illegale Whisky gebrannt werden, was in den so genannten Schwarzbrennereien geschieht. Die Anzahl der lieferbaren „Moonshine“ Kisten (am. Crates), symbolisiert durch braune Holzwürfel, wird durch Würfelaugen ermittelt. Durch die oben erwähnten „Improvement cards“, und damit drei bis vier Würfel, können bisweilen sehr hohe Erträge rausschauen. Allerdings muss die ehrenwerte Familie, die die größte Produktion schafft, einen „Copper“ (dt. Polizisten) ins Haus lassen. Dadurch riskiert sie in der Folgerunde eine Nullproduktion. Das Auge des Gesetzes ist eben wachsam. Glücklicherweise gibt es auch noch entfernte Brennereien (am. Remote stills), die auch in diesem Fall unbeirrt weiter panschen dürfen.

Phase 4 – „Run the Whisky“: Diese Phase ist das Herzstück des Spiels. Hier lebt der Tisch, hier wird zunächst um Whisky und Trucks gefeilscht, hier wird durch Drohungen von den Gegnern Geld erpresst, und hier wird zuletzt Truck um Truck mit voller Ladung zu den Kneipen gefahren. Allerdings gibt es jeweils drei Ladeflächen, die die Trucks entsprechend ihrem Einfluss bedienen. Controller und Majority Bosse werden bevorzugt behandelt, sie fahren in die Drei-Sterne-Lane, dann kommen die Minority-Trucks (Zwei-Sterne-Lane) und zuletzt hoffen die No-Names auf die Gnade des Controlling Mobsters. Sie müssen in der bescheidenen Ein-Sterne-Lane parken.

Phase 5 – „What’s the Password“: Wieder entscheiden Würfel über den Alkoholbedarf der einzelnen Kneipen, von der kleinsten bis zur größten. Dabei kommt es immer wieder vor, dass nur die Topbosse ihre Trucks abladen dürfen, der Rest geht bedauerlicherweise völlig leer aus. Denn verkauft wird streng nach Einfluss der Mobster. Und das so ersehnte Cash bekommen die Bosse ausschließlich für diese Lieferungen. Hier fällt also die Entscheidung beim „Bootlegging“.

Phase 6 – „The Heat“: Zweimal im Spiel, nach der vierten und achten Runde, gibt es je einen zusätzlichen Einflussmarker für alle. Die Hinterzimmer wollen schließlich gefüllt sein. Gleichzeitig müssen alle Bosse ihre bis dahin erwirtschafteten Bargelder vorweisen. Der schwächste Mobster wird mit einem zusätzlichen Bandenmitglied gestärkt.

Das Spielende wurde schon im ersten Absatz besprochen. Daher möchte ich sofort die kritischen Anmerkungen folgen lassen. Bootleggers ist in verschiedenster Hinsicht ein ungewöhnliches Spiel. Zunächst lässt das Thema aufhorchen: „Illegaler Alkoholschmuggel“. Das scheint für europäische Ohren nicht gerade der Blickfang für den Spielwarenladen. Hier darf ich als geeichter Tester aber gleich mal beruhigen. Alter ab 12, wie vom Verlag vorgeschlagen, ist absolut passend. Kein Kind wird beim „Bootlegging“ jugendfeindlichen Situationen ausgesetzt, egal ob man andere Brettspiele oder gar Computerknallereien als Vergleich nimmt. Exzellent gelungen ist die graphische Umsetzung des Themas. Die sechs „Speakeasies“ vermitteln im schummrigen Dämmerschein der nächtlichen Beleuchtung ein Gefühl des Verbotenen, die vorfahrenden Trucks bringen Geschäftigkeit auf den Plan und die zahlreichen „Figuren“, in knalligen Farben gehalten, deuten die Macht der Bosse mehr als an. Auch die Namen der Kneipen tragen zur atmosphärischen Dichte bei: O’Malley’s, Texas Lil’s, Mother’s, Barleycorn’s, The Real McCoy Antiques und Volstead Imports. Kein Wunder, der für das Artwork verantwortliche Paul Niemeyer wurde, wie er in seiner Botschaft an den Käufer kund tut, durch die Geschichten seines Großvaters seit Kindesalter an mit Spannung an diese verbotenen Zeiten erinnert. Überhaupt ist das Material üppig und geschmackvoll zugleich, jedenfalls haben es meine Spielfreunde so empfunden. Dennoch sind zumindest zwei Schwierigkeiten beim Spielfluss zu bemängeln. Zum einen die Aktionskarten, die zwar alle graphischen Ansprüche erfüllen, jedoch durch die detaillierten, dafür aber winzigen Aufschriften nur schwer zu lesen sind. Einige dieser Karten, die so genannten „Thugs“ (dt. Verbrecher, Schläger), können unter Umständen mehrere Runden im Besitz eines Spielers sein. Daher muss immer wieder die Bedeutung der einzelnen Karten nachgefragt werden. Dazu kommt, dass die englischen Aufschriften nicht immer hundert Prozent eindeutig sind. Eine eigens konzipierte Seite mit FAQs im Regelheft hilft während einer heißen Partie zwar technisch weiter, das Spieltempo leidet jedoch unter dem wiederholten Nachtüfteln.

Abgesehen von der sprachlichen Barriere ist das voluminöse Regelheft (deutlich mehr als ein Dutzend Seiten) in fast allen Punkten explizit. Dennoch möchte ich Ihnen einige Ideen mit auf Ihre ersten Whiskylieferungen geben. Stellen Sie unbedingt Einflussmarker zu den in den einzelnen Lanes aufgereihten Trucks. Auch wenn auf Grund des Controlling, Majority oder Minority-Einflusses theoretisch klar ist, welcher Mobster seine Ware wo anbietet, kommt dies im Spiel visuell nicht auf den ersten Blick rüber. Außerdem sollten Sie bei vier Spielern nur fünf der Kneipen besetzen. Ein Verkauf ist nämlich erst dann möglich, wenn eine bestimmte Zahl von Bandenmitgliedern eine Kneipe bevölkert und diese damit öffnen darf. Für alle sechs Kneipen braucht es schon fünf oder sechs Spieler. Diese Regel gilt für alle „Speakeasies“ mit Ausnahme von O’Malley’s. Letztere Spelunke hat allzeit geöffnet. Gravierender wirkt sich die Regelpassage, die den Einsatz der „Thugs“ betrifft, auf das Spiel aus. Diese Karten dürfen gemäß einer speziellen Erläuterung jederzeit ins Spiel kommen, sobald die Aktionskarten vor den Spielern aufgeschlagen sind. Wie viele der „Thugs“ jedoch gleichzeitig aktiv werden, bleibt in der Regel offen. Falls Sie sich für beliebig viele entscheiden, wie wir in unserer ersten Partie, kann ein Spieler in der letzten Runde alles auf den Kopf stellen. Dazu kommt, dass diese Karten auch eine permanente Drohung darstellen. Das Ausspielen oder Zurückbehalten wird in Phase 4 zur Erpressung der Mitspieler eingesetzt. Daher unser Vorschlag: Vereinbaren Sie für jeden „Thug“, der in Phase 2 vor einem Spieler ausliegt, ein Kopfgeld von 1 Grand, genauso wie für die Trucks. Dadurch wird man es sich überlegen, diese Karten über zehn oder mehr Runden zu behalten. Schließlich würde dadurch fast der gesamte Gewinn aufgefressen. Letzter Kritikpunkt: Bootleggers kennt das so genannte Königsmachersyndrom. Das heißt, ein Spieler kann unter Umständen einem anderen zum Sieger küren, indem er einen Megaverkauf von Whiskykisten zulässt. Nun, dem Spielcharakter nach ist dies durchaus verzeihlich. Es geht bei diesem Thema eben um List und Tücke, Übervorteilen und Erpressen.           

Mein persönliches Fazit: Bootleggers ist kein Strategiespiel im herkömmlichen Sinn, dazu sind einzelne Spielzüge doch zu sehr vom Würfeleinfluss sowie von Interaktionen geprägt, die ihrerseits stark vom Persönlichkeitsmuster der Spieler abhängen. Dennoch stehen die Teilnehmer während allen Phasen vor strategischen Entscheidungen mit weit reichenden Konsequenzen. Dies ist auch das erklärte Ziel von Eagle Games. Dem Autorenteam ist mit Bootleggers eine überzeugende Mischung aus amerikanischen und europäischen Spielelementen gelungen: hier strategisch-taktische Momente, dort die Interaktion und der Zufallswurf. Es ist von unschätzbarem Vorteil, Grundkenntnisse der englischen Sprache zu haben, schon deshalb, da sonst der Zeitaufwand für wiederholtes Lesen der Aktionskarten ziemlich nervend wird. Wer jedoch die Hürden des detaillierten Regelheftes einmal genommen hat, dem bietet sich ein stimmiges, den Zeitgeist der frühen Zwanzigerjahre wieder spiegelndes Erlebnis, eine authentische Umsetzung der Nebenwirkungen des unglücklichen 18. Zusatzartikels zur Amerikanischen Verfassung, der die Time of Prohibition einläutete. Ok, let’s get going and … give me back my bottle, will you, buddy?

 

BOOTLEGGERS 

Spieler         : 3-6 

Alter            : ab 12 Jahren

Dauer          : 90 Minuten

Verlag          : Eagle Games 2004

                     www.eaglegames.net

Autoren       : Donald Beyer, Raymond Eifler, Steven Gross

Graphik        : Paul Niemeyer, Jacoby O’Connor, Pennie Barbel

Preis            :ca. 40 EUR

 

WIN WERTUNG

Genre                   : Verhandlungsspiel

Zielgruppe             : Experten

Mechanismus         : Illegalen Alkohol schmuggeln

 

Strategie                : ***

Taktik                    : ***

Glück                    : ****

Interaktion             : *******

Kommunikation      : ******

Atmosphäre           : ******

Kommentar:

Ungewöhnliches Thema

Amerikanisch-europäische Mischung von Spielelementen

Große Interaktivität und Kommunikation

Graphisch gute Umsetzung

Hugo Kastner: Wenn Sie sich nicht an dem ausschließlich englischen Regelwerk oder der doch spezifisch amerikanischen Thematik stoßen, werden Sie auf Grund der hohen Interaktivität und lebendigen Kommunikation für eineinhalb bis zwei Stunden ausgezeichnet unterhalten. Dies gilt auch dann, wenn am Ende einer der anderen Illegalen durch Glück und Wagemut den Löwenanteil aus dem verbotenen Whiskyverkauf auf den Tisch wirft. Spiele wie Kohle, Kies und Knete (pardon, jetzt I’m the Boss) sprechen auf Grund ihrer innewohnenden Dynamik ähnliche Spieltypen an, wie das vorliegende Bootleggers.     

 

Wenn Sie gerne Wirtschaftsspiele mit halbwegs realistischem Ablauf wie z.B. McMulti mögen, wird Ihnen auch Bootleggers gefallen.

 

Hugo Kastner

hugo.kastner@chello.at