Unsere Rezension
Zieh dein Pack aus dem Sack!
Orléans
Ein nahezu perfektes Beutelbauspiel
Zitat des Verlagstexts:
"Spielbar für 2-4 Spieler ab 12 Jahren geht es inhaltlich darum, im mittelalterlichen Frankreich die Vorherrschaft durch Handel, Bautätigkeit und Wissenschaft zu erlangen. Im Mittelpunkt steht die Stadt Orléans und die Gegend an der Loire, wo man Handelsreisen in andere Städte unternehmen kann, um an begehrte Waren zu kommen und Kontore zu bauen."
Langweilig!
All jene die jetzt kurz davor sind einzuschlafen oder umzublättern bitte ich nochmal aufzuwachen und weiterzulesen, denn abgesehen vom Thema - mit der tausendsten Lokaladaption des Brettspielstandardthemas schlechthin kann man nicht aus der Masse herausstechen und höchstens ein paar Franzosen oder frankophile Loiretalfans gewinnen - habe ich nicht das geringste am Spiel auszusetzen. Ganz im Gegenteil, ich halte es sogar für eines der interessantesten Spiele des Jahrgangs 2014, um das Fazit vorwegzunehmen.
Das Herz eines guten Spiels ist der Spielmechanismus und der ist es auch, der Orléans interessant macht. Das Spiel läuft über 18 Runden. Reihum, mit wechselndem Startspieler, führen die Spieler Aktionen aus um das eigene ... (ja, was ist es eigentlich, ein Handelsimperium???) auszubauen. Um Aktionen ausführen zu können müssen diese aber erst aktiviert werden. Dazu muss eine von Aktion zu Aktion unterschiedliche Anzahl und verschiedene Typen von Gefolgsleuten auf dem entsprechenden Aktionsfeld des eigenen Spieltableaus platziert werden. Diese Gefolgsleuten gehen unterschiedlichen Berufen nach. Es gibt Bauern, Handwerker, Händler, Schiffer, Ritter, Gelehrte und Mönche. Sie werden durch unterschiedliche Kartonplättchen repräsentiert.
Zu Beginn der Runde sind die meisten Plättchen in spielerindividuellen Stoffbeuteln. Eine gewisse Anzahl davon wird blind aus diesem Beutel gezogen und darf dann auf die Aktionsfelder verteilt werden. Sobald die Aktion ausgeführt wurde werden die darauf befindlichen Aktionsleute wieder in den Beutel geworfen. Welche Gefolgsleute nun gezogen werden ist natürlich zum größten Teil Zufall, aber nicht nur. Denn welche Gefolgsleute überhaupt in den Beutel kommen, können die Spieler zu einem großen Teil selbst bestimmen. Die Gefolgsleute erhält man nämlich über bestimmte Aktionen und es gibt auch Möglichkeiten diese wieder loszuwerden. Auch bleiben Gefolgsleute, die auf Aktionsfeldern platziert wurden dort liegen bis man die Aktion ausgeführt hat. Es kann also manchmal sinnvoll sein eine ausführbare Aktion in einer Runde nicht auszuführen wenn man sich dadurch Vorteile beim Ziehen in der nächsten Runde erhofft. Um wichtige Aktionen aktivieren zu können und damit eine Strategie zu verfolgen ist es also von entscheidender Bedeutung den Inhalt seines Beutels zu kontrollieren. Dieser Mechanismus ist zwar nicht unbedingt neu, erwähnt seien an dieser Stelle beispielsweise das aus dem gleichem Haus (dlp-Verlag) stammende Siberia, welches 2011 veröffentlicht wurde, oder das ebenfalls 2014 von Asmodee veröffentlichte Hyperborea, aber in Orléans nahezu perfekt umgesetzt und im Gegensatz zum mittlerweile allgegenwärtigen aber ähnlichen Deckbauen noch recht unverbraucht. Mittlerweile sind mir auch einige aus dem Englischen stammende Bezeichnungen für den Mechanismus untergekommen, etwa bag building (dt: Beutelbauen) oder pool building.
Die verschiedenen Aktionen, die aktiviert werden können erlauben es großteils neue Gefolgsleute zu erwerben und/oder auf die eine oder andere Weise Siegpunkte für die Endwertung zu lukrieren. Die Elemente sind im wesentlichem auch aus anderen Spielen bekannt, weshalb ich in dieser Rezension nicht näher darauf eingehen werde. Erwähnt seien nur das Steigern der Ritterleiste, deren Fortschritt nicht nur den Erwerb von Gefolgsleuten vom Typ Ritter nach sich zieht, sondern auch darüber bestimmt wie viele Gefolgsleute jede Runde gezogen werden dürfen und die Handwerker, die mit dem Erwerb von Technikplättchen verbunden sind. Diese Technikplättchen werden nach dem Erwerb auf einem Gefolgsleutefeld eines Aktionsfelds gelegt und ersetzten fortan für den Rest des Spiels diesen Gefolgsmann. Sie bleiben auch dort liegen wenn die Aktion ausgeführt wurde und können nicht mehr versetzt werden. Sollte sich ein Spieler in diesen beiden Kategorien einen Vorsprung erspielen hat dies für ihn eine höhere Anzahl an ausführbaren Aktionen zur Folge. Ein entscheidender Vorteil der von den Mitspielern verhindert werden muss. Jedenfalls hätte ich noch keine Strategie entdeckt die diesen Nachteil kompensieren könnte. Da bei Orléans auch alle Plättchen begrenzt sind, das inkludiert die Gefolgsleute, die Technikplättchen, aber auch Geld und Waren, kann ein größerer Vorsprung auch nicht mehr aufgeholt werden.
Interessant sind auch die Ortskarten. Diese werden zusammen mit Händlern erworben und ermöglichen dem Besitzer eine Spezialaktion, die im Regelfall etwas stärker oder billiger als die Standardaktionen sind und den Spielern das Verfolgen von unterschiedlichen Strategien ermöglichen.
Am Ende jeder Runde wird noch ein Event abgehandelt, bei dem die Spieler zumeist etwas abgeben müssen. Dies bringt noch einen kleinen Zufallsfaktor ins Spiel, ist aber meist eher von geringer Bedeutung.
Die Ausstattung des Spiels ist sehr ordentlich. Auffällig ist die große Anzahl an verschiedenen Kartonplättchen. Die Grafiken von Klemens Franz erinnern an mittelalterliche Zeichnungen, sind aber modern, bunt und übersichtlich gestaltet was, sehr zum guten Gesamteindruck beiträgt.
Mit fast 50 Euro ist Orléans sicher am oberen Ende der Preisskala, wenn man Parameter wie Ausstattung und Spielumfang zum Vergleich heranzieht, es ist aber auch ein rundum gelungenes Spiel das bei mir sicher noch öfter auf dem Spieltisch landen wird.
Schlussanmerkung: Auf der Verlagshomepage finden sich im FAQ einige Erweiterungen zu Regeln, die in der Erstauflage nicht klar formuliert waren und einige Vorschläge wie das (zumindest auf den ersten Blick) sehr mächtige Badehaus entschärft werden kann. Dort findet man auch eine neue Spielanleitung, in der diese neuen Regeln enthalten sind.
Markus Wawra
Spieler: 2-4
Alter: 12+
Dauer: 90+
Autor: Reiner Stockhausen
Grafik: Klemens Franz
Preis: ca. 50 Euro
Verlag: dlp games 2014
Web: www.dlp-games.de
Genre: Beutelbauspiel
Zielgruppe: Für Experten
Version: multi
Regeln: de en
Text im Spiel: nein
Kommentar:
Interessanter Mechanismus
Ordentliche Spielausstattung
Langweiliges Thema
Vergleichbar:
Siberia, Hyperborea
Andere Ausgaben:
Tasty Minstrel Games
Meine Einschätzung: 6
Markus Wawra:
Ein (noch) recht unverbrauchter Mechanismus, eingepackt in einem nahezu perfekt umgesetzten Brettspiel moderner Machart. Das Thema wirkt zwar etwas aufgesetzt und könnte kaum langweiliger sein, für mich ist Orléans aber trotzdem eine der interessantesten Neuheiten 2014.
Zufall (rosa): 2
Taktik (türkis): 3
Strategie (blau): 2
Kreativität (dunkelblau): 0
Wissen (gelb): 0
Gedächtnis (orange): 0
Kommunikation (rot): 0
Interaktion (braun): 1
Geschicklichkeit (grün): 0
Action (dunkelgrün): 0