Bang - High Noon - Dodge City

 

Der Spaghetti Western kehrt zurück

 

Dodge City: eine laute, chaotische, pulsierende und … gefährliche Stadt! Die Saloons sind Legende, wie auch die fast archetypischen Charaktere, die hier vorbei kommen. Durch den plötzlichen Reichtum der Stadt angezogen, lungern Gangster und Renegaten in den Straßen und Saloons herum. Revolverduelle sind an der Tagesordnung in Dodge City. Nur der tapferste der Sheriffs sieht sich vielleicht in der Lage, für Recht und Ordnung zu sorgen. Fühlen Sie sich dieser Herausforderung gewachsen – oder werden Sie auf dem berühmten Friedhof der Gescheiterten landen?

 

Frei übersetzt aus dem Englischen wird mit diesen Worten die jüngste Erweiterung zum italienischen Exporterfolg aus dem Jahre 2002 vorgestellt. Dodge City bringt neue Charaktere, mehr Action und eine Adaption auf drei bis acht Spieler. (Ich werde Genre bedingt ausnahmsweise die männliche Form aus der Spielregel übernehmen, Anm. d. Verf.) Um der Leserin und dem Leser eine Vorstellung vom Spielrhythmus dieser Trilogie zu geben, greife ich in der Besprechung zunächst auf die Grundform Bang! zurück. Da und dort möchte ich aber auf die Verbesserungen durch die beiden Erweiterungen hinweisen.

 

Bang! lebt von seiner verdeckten Rollenverteilung. Nur der Sheriff outet sich als Gesetzesmann, alle anderen Rollen bleiben bis zum bitteren Ende geheim. Je nachdem, ob Sie den Sheriff, einen Stellvertreter, den Abtrünnigen oder einen Outlaw mimen, haben Sie unterschiedliche Ziele. Outlaws versuchen den Sheriff auszuschalten, wobei ihnen aber jegliche Skrupel fehlen, auch ihresgleichen zu beseitigen. Die Stellvertreter schützen den Sheriff, unter Einsatz des eigenen Lebens. Der Sheriff kennt nur ein Ziel, die Stadt von den Outlaws und dem Abtrünnigen sauber zu halten. Zuletzt möchte der Abtrünnige (auch als Renegat bezeichnet) um jeden Preis Sheriff werden. Er gewinnt nur, wenn er als einziger überlebt, dieser „lone wolf“. So war er eben, der wilde Westen. Abhängig von der Spielerzahl werden die Rollenkarten verteilt, die Zahl der Outlaws und Stellvertreter variiert dabei. Noch lebendiger, im wahrsten Sinne des Wortes, wird dieses Spiel durch 16 Figurenkarten, die mit Dodge City nun um weitere 15 erweitert wurden. Diese geben den Spielern spezielle Fähigkeiten, legen die jeweils maximale Handkartenzahl fest und garantieren eine zwischen drei und vier schwankende Zahl von Lebenspunkten. Stilgerecht werden diese durch Patronenhülsen dargestellt. Außerdem tragen die Figuren verwegen klingende Namen, die starke Assoziationen mit dem Westernmilieu hervorrufen: Bart Cassidy, Black Jack, Jesse Jones, Sid Ketchum, Suzy Lafayette, Vulture Sam, Belle Star, Doc Holiday, Tequila Joe, Vera Custer und viele mehr.

 

Die Triebfeder bei Bang! sind 80 Karten, die einen Stapel bilden, der allen Spielern zugänglich ist. Dieser wird durch die Hereinnahme von Dodge City um weitere 40 Blatt erweitert. Zur leichteren Sortierung sind diese Karten durch einen stilisierten Büffel im rechten Obereck markiert. Das eigentliche Spiel wird im Uhrzeigersinn abgespult, beginnend mit dem Sheriff. Es besteht aus drei kurzen Phasen: (1) Zwei Karten ziehen, (2) eine beliebige Zahl von Karten ausspielen und (3) überschüssige Karten abwerfen. Beim Ausspielen gibt es nur zwei kleine Einschränkungen: es darf pro Runde nur eine Bang!-Karte fallen, und niemand darf zwei identische Karten vor sich liegen haben. Diese Bang!-Karten stellen ja optimale Waffen dar, kosten sie doch einem Mitspieler, so er keine „Fehlschuss“-Karte produzieren kann, ein wertvolles Leben. Die Tischkarten sind auf Dauer des Spiels wirksam und haben positive oder negative Effekte, je nachdem wer sie wo einsetzt. Wann muss man Handkarten abwerfen? Ganz einfach dann, wenn man am Ende seines Spielzugs mehr hat als entsprechende Lebenspunkte. Mit einem winzigen Leben ist es daher sehr schwer, sich in diesem gefährlichen Treiben von Dodge City zu behaupten. Schaltet ein Sheriff einen seiner Stellvertreter aus – auch das kommt vor – wird er mit dem Verlust seiner Handkarten bestraft. Gelingt es dagegen, einen Outlaw zu beseitigen, erfolgt sofort eine Belohnung in Form von drei Karten vom Nachziehstapel. Damit sind die Regeln ausreichend erklärt und Sie könnten sofort mit dem Herumballern beginnen, wenn da nicht die vielseitigen Wirkungen der einzelnen Karten wären. Daher sollten Sie noch ein paar Zeilen weiter lesen, … well, just to be on the safe side.

 

Zunächst ein kleiner Hinweis: Alle Karten tragen ein oder mehrere Symbole. Ein durchschossener Hut zeigt einen Fehlschuss an, ein Feuerschein einen Schuss. Durch einen Bierkrug werden Lebenspunkte gewonnen. Karten können auch aus der Hand eines Gegners oder von der Tischauslage genommen werden, je nach Symbol. Die Wirkung kann für einzelne Spieler gelten, aber auch für alle. Die Reichweite einer Waffe kann verringert oder vergrößert werden. Für Überraschungen sorgen die Symbole allemal. Bang! bietet vielseitige Waffen mit hoher Zielsicherheit und flexibler Reichweite. Wer keine Gatling oder Winchester bei sich hat, braucht nicht zu verzweifeln. Der Colt ist immer dabei. Sie sind daher jederzeit kampfbereit. Ein Mustang und ein Ross tragen Sie manchmal aus der Sichtweite Ihrer Gegner oder erlauben Ihnen, schnell einem Outlaw eine Kugel nachzujagen. Das Herzstück sind die Bang!- und Fehlschuss-Karten, die über den Kampfausgang entscheiden. Durch Konsum von Bier gewinnen Sie vitale Lebensenergie zurück. Auch das populäre Pokern darf im Klischee des Westens nicht fehlen. Jede Karte ist in der linken unteren Ecke durch ein Kartensymbol gekennzeichnet. Dieses hat bei der speziellen Spielfunktion des „Herausziehens“ (so steht’s nun mal in der Regel) seine Bedeutung. Dabei wird die oberste Karte vom Stapel aufgedeckt. Zeigt sie den Farbwert (Herz, Pik, Karo, Treff) der betreffenden ausliegenden Karte, kommt deren Wirkung zum Tragen. So entscheidet letztlich das Glück darüber, ob Ihr Blatt gut ist oder Sie Ihr Leben lassen. Ganz besondere Wirkung haben sechs Sonderkarten: Dynamit, Zweikampf, Warenhaus, Indianer!, Gefängnis und Volcanic. Auf Details möchte ich mich hier nicht einlassen. So viel sei aber gesagt: diese Karten machen das Treiben noch bunter, die Überraschung und Enttäuschung in den Gesichtern der Gegner noch größer. Sie bringen wahrlich Farbe in den wilden Westen. Dies gilt auch für die vierzig ähnlich konzipierten Karten der Erweiterung Dodge City. Zu den blau geränderten Tischkarten, die wie gesagt Dauerwirkung haben, kommen noch grün geränderte dazu. Diese landen jedoch sofort nach erst- und einmaliger Wirkung auf dem Abwurfstapel. Außerdem sind Regeln und Kärtchen für acht Spieler inkludiert, ebenso wie solche für drei. Zugegeben, letztere Variante ist eher eine Notlösung, lebt doch diese Trilogie von einem vollen Tisch, d.h. mindestens fünf zu allem entschlossenen Westerners. Ganz anders funktionieren die dreizehn High Noon Kärtchen. Jede Runde wird eines aufgedeckt und gilt dann für alle Spieler, genau eine Runde lang. Die Karte „High Noon“ (dt. Zwölf Uhr mittags) bringt die Zeit der Entscheidung, daher wird sie auch als 13. und letzte aufgedeckt. Farbenprächtig ist auch diese Welt des Westens: Predigt, Zug, Segnung, Goldrausch, Verdammung, Daltons, Suff, Schießerei, Reverend, Durst, Arzt und Geisterstadt lassen das Spielerlebnis noch intensiver und spürbarer werden.

 

Nun zur überwiegend positiven Kritik, so viel mal vorweg. Mit Bang! – High Noon – Dodge City haben Sie ein Spielsystem in Händen, das gleich mit mehreren ehernen Gesetzen der gewohnten Spielkultur bricht. Zum einen scheiden die Mitspieler nacheinander aus, einer um den anderen, und müssen daher einiges an Zeit „in den ewigen Jagdgründen“ verbringen. Aber dies muss mit der Thematik des Spiels entschuldigt werden. Ein schwerwiegender Mangel? Keineswegs, denn die gesamte Spieldauer ist kurz genug, um diese Wartezeit locker zu überbrücken. Zum zweiten hat diese Westerntrilogie kämpferische Elemente, ein Shootout (siehe Regel) ist eben nichts anderes als ein Revolverkampf. Und dabei geht es um das nackte Leben. Dennoch müssen auch diese Spielelemente als thematisch stimmig gesehen werden, so Sie als Käuferin in den Genuss dieser skurrilen Spielidee kommen wollen. Vielleicht aber sollte aus pädagogischen wie spieltechnischen Gründen die untere Altersgrenze bei 12 Jahren liegen. Und zum dritten sind die einzelnen Ausgaben jeweils zweisprachig, und zwar bunt gemischt. Ich etwa habe italienisch-deutsche sowie englisch-holländische Regeln vorliegend. Auch die Einzelkarten sind mit diesen fremdsprachigen Bezeichnungen bedruckt, sodass der Abtrünnige mal ein Renegade, mal ein Rinnegato sein kann. Never mind! Es spielt sich trotzdem ziemlich locker.

 

Ein echtes Problem, speziell für die ersten Partien, möchte ich dennoch nicht verschweigen. Das Regelwerk des DaVinci Verlags ist wahrlich nicht allzu übersichtlich gestaltet. Selbst wenn Sie den Regelempfehlungen folgen und zunächst ohne Sonderkarten spielen, müssen Sie immer wieder mal nachlesen, was mit dieser oder jener Aktion gemeint ist. Und dieses Nachlesen gestaltet sich bei dem zehnseitigen Faltblatt im Miniformat als ziemlich nervig. Dies trotzdem das Spielprinzip im Grunde genommen ganz einfach ist, fehlt doch jedes schwer durchschaubare taktische und strategische Element. Dafür hauchen der Unsicherheitsfaktor durch die verdeckten Rollenkarten sowie die Schadenfreude bei einem Treffer diesem Fun-Spiel das nötige Leben ein. Falls Sie keinen erfahrenen Spieler in Ihrer Runde haben und selbst darangehen, die Spielabläufe zu erläutern, bringen Sie diesen Fun-Faktor aber nicht wirklich leicht rüber und so kann das emotionale „Bang!“ der Mitspieler schnell erfolgen. Schade dann um dieses attraktive Westernremake. Selbst die kurzen Regelerweiterungen zu High Noon und Dodge City verlangen nach zweimaligem Hineinlesen. Aber nun zum positiven Ausklang. Die Graphik der von Alex Pierangelini gestalteten Karten zeichnet sich durch einen lockeren Strich der Zeichnungen, funktionale Farbrahmen und zarte Aquarelle aus, keine Selbstverständlichkeit bei so manchem Kleinverlag. Zudem helfen die zahlreichen Symbole den Spielern, ihre Waffen ganz im Sinne ihrer Rolle und ihres Charakters einzusetzen. Das raue Western-Ambiente lädt jederzeit zur ehrenvollen Revanche ein!

  

Mein persönliches Fazit: Bang! – High Noon – Dodge City wird Sie in jeder Kombination und jeder Sprache ziemlich unmittelbar und abrupt in die Welt des Spaghetti-Western versetzen. Fühlen Sie sich in diesem Genre wohl, darf ich meine Empfehlung ohne große Einschränkung aussprechen. Dies gilt besonders dann, wenn stilvolle Hintergrundklänge vom Meister der Filmmusik, von Ennio Morricone, an die legendären Sechzigerjahre erinnern. Haben Sie die Melodie noch in den Ohren von Klassikern wie „The Good the Bad and the Ugly“ oder „Once Upon A Time in the West“ (dt. „Spiel mir das Lied vom Tod“)? Ein grüner Spielfilz, adäquate Saloongetränke und eine verwegene Runde von Spielfreunden, die dem Herumballern der bunten Cowboyzeit was abgewinnen können, und schon leben sie auf, die typischen Genregestalten. Es spielt sich locker im Italowesternmilieu, es wird schnell gezogen und noch schneller geschossen, und es bleibt bald nur einer übrig. Sheriff oder Gesetzloser, das ist die große Frage. Nicht intellektuelle oder taktische Ansprüche bringen Leben in dieses pulsierende Treiben, sondern einzig das verzweifelte Kribbeln beim jäh herannahenden Ende.  Das Motto lautet: Ohne Leben kein Spiel, ohne Spiel kein Leben. Bang! – High Noon – Dodge City stellen eine würdige Hommage an den Altmeister des Italowestern dar, an den unvergessenen Sergio Leone.

 

BANG! – HIGH NOON – DODGE CITY 

Spieler         : 4-7 (Bang! & High Noon) / 3-8 (Dodge City)

Alter            : ab 10 Jahren

Dauer          : 20-40 Minuten

Verlag          : daVinci Editrice 2002

                    davinci-spiele@altavista.net

Autor           : Emiliano Sciarra

Grafik          : Alex Pierangelini

Design         : Stefano De Fazi

Preis            : ca. € 14 / € 2 / € 10

 

WIN WERTUNG

Genre                    : Fungame mit verdeckten Rollen

Zielgruppe             : Familie

Mechanismus         : Gegner durch Bang-Karten ausschalten

Strategie                : *

Taktik                    : **

Glück                    : *****

Interaktion             : *******

Kommunikation      : *****

Atmosphäre           : *****

 

Kommentar:

Erstausgabe Bang! (2002), High Noon (2003), Dodge City (2004) 

Hoher Fun-Faktor

Große Interaktivität

Geringe Spieldauer

Gelungene thematische Umsetzung

 

Hugo Kastner: Bang! mit seinen zwei Erweiterungen High Noon und Dodge City bietet leicht skurrile Szenarien, die dem Spaghetti-Westernmilieu der italienischen Filmwelt nachempfunden sind. Trotz spielerisch leichter Kost, ist dieser Italoimport vom Tempo, Rhythmus und Thema gut abgestimmt. Daher kann ein schnelles Shootout unter guten Freunden durchaus Spaß machen. Wenn Ihnen die Welt des Sergio Leone nicht ganz fremd ist und Sie gerne in wechselvolle Charakterrollen schlüpfen, wird Ihnen dieses Kartenspiel sehr amüsante Stunden bereiten.

 

Wenn Ihnen satirische Kartenspiele wie Family Business Spaß machen, wird Ihnen auch diese Trilogie Bang – High Noon – Dodge City gefallen.

     

Hugo Kastner

hugo.kastner@chello.at