FLASCHENTEUFEL – THE BOTTLE IMP

 

Der Flaschenkobold holt sich die letzte Seele des Besitzers

 

„Eines kann der Kobold nicht: er kann niemand das Leben verlängern. Stirbt einer, bevor er sie [die Flasche] verkauft hat, fährt er zur Hölle.“ (Karte 15; Zitat aus Robert Louis Stevensons „Der Flaschenkobold“)

 

In diesem kurzen Satz eröffnet sich eines der beiden Spielziele des Flaschenteufels. Zwar hilft der Kobold, Stiche zu gewinnen, allerdings nur unter einer gegen Spielende immer „schaurigeren“ Bedingung. Er muss weiter gegeben werden, bevor die letzte Karte gespielt wird, sonst war alle Mühe umsonst und der Besitzer muss den Teufelsstich schlucken. Nur diejenigen nämlich haben Zählbares auf ihrem Konto, die sich rechtzeitig vom Kobold befreien. So will es die Novelle „The Bottle Imp“ (dt. „Der Flaschenkobold“) des genialen Robert Louis Stevenson, und so hat es Günter Cornett in seinem in der Erstversion bereits 1995 erschienen Spiel mit Gefühl und Stil nachempfunden.

 

Der kleine Bambus Spieleverlag ging mit dieser Edition sowie Wolfgang Werners Dr. Jekyll & Mr. Hyde eine neuartige Verbindung zwischen Literatur und Spiel ein. Gewagt und gewonnen, wenn Sie mich fragen. Nicht nur die umfangreichen Begleithefte, mit den in Englisch und Deutsch abgedruckten Geschichten, überzeugen einen Freund dieser beiden Kunstgattungen. (Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, auch Spiele als Kunstwerke zu bezeichnen.) Beide Editionen sind zudem nahe an den Geschichten dran, atmosphärisch wie inhaltlich, und sie bieten noch dazu einige neuartige, in der Tat kunstvoll verwobene Spielelemente. In dieser Besprechung möchte ich mich aber ausschließlich auf den Flaschenteufel, das zweite Werk des Projekts Literatur & Spiel, konzentrieren.

 

Unwahrscheinlich, was Günter Cornett aus nur 37 durchnummerierten Karten, einer hölzernen Flasche sowie drei Übersichtskärtchen auf den Tisch zaubert. Es gibt keine Vorbereitungszeit bei diesem Spiel. Die Flasche kommt auf die offen ausliegende „19“ und die restlichen 36 Karten werden gleichmäßig an die Spielerinnen verteilt. Im Weiteren werde ich übrigens die Regeln für drei und vier Spielerinnen als Besprechungsgrundlage nehmen. Jede Spielerin darf nun eine Handkarte verdeckt unter die „19“ schieben. Damit wird der so genannte „Teufelsstich“ gebildet, der am Ende des Spiels der Besitzerin der Flasche als Minusstich angerechnet wird. Zuletzt wird je eine Karte verdeckt zum linken wie rechten Nachbarn geschoben und in die Hand aufgenommen. Dann muss, vor allem bei den ersten Spielen, wohl kurz die Übersichtskarte studiert werden. Und schon geht es los.

 

Der Mechanismus scheint auf den ersten Blick simpel, hat es aber in sich, so viel sei verraten. Die Startspielerin spielt eine beliebige Karte aus. Es besteht, wie bei fast allen klassischen Stichspielen, Farbzwang, das heißt, wird mit einer roten Karte angezogen, muss auch rot zugegeben werden. Da es je 12 Karten in drei Farben (rot, gelb, blau) gibt, scheint alles sehr berechenbar. Ich betone das Wörtchen „scheint“, denn die Verteilung der Karten auf der Zahlenleiste ist bewusst schief, wie ein kurzer Blick auf die Übersichtskarte enthüllt. Unterhalb der „19“ dominiert gelb, oberhalb rot. Blau dagegen liegt gleichmäßig im Bild. Kann eine Farbe nicht bedient werden, darf eine beliebige Karte in den Stich fallen. Trickreich nun ist die Stichgewinnermittlung. Liegen alle Karten über dem aktuellen Wert des Flaschenteufels (wie gesagt, zu Beginn „19“), macht die höchste Karte den Stich, egal ob bedient wurde oder nicht. Das heißt, die rote „37“ trumpft letztlich alles. Doch halt, es kann ja auch eine Karte fallen, deren Wert unter dem des „Flaschenteufels“ liegt. In diesem Fall nimmt diese den Stich, egal wie niedrig sie auch sein mag. Unterbieten mehrere Karten den Preis der „Flasche“, bekommt diejenige den Stich, die dem aktuellen Wert am nächsten liegt. Und zudem wird die Ausspielerin stolze Besitzerin der Flasche. Der neue, niedrigere Preis des Flaschenteufels ist gleichzeitig damit festgelegt. Verwirrend? Nun, ich nehme das Beispiel aus dem Regelheft her, um einen Fall zu veranschaulichen: Preis der Flasche = 19. Adam spielt 24, Betty 15, Christian 17 und Doris 32. Damit bleiben Betty und Christian unter dem bisherigen Preis. Christian hat eine geringere Differenz zur 19, bekommt daher den Stich und die Flasche. Eine Spielrunde endet jedenfalls, sobald alle Karten gespielt sind. Nun folgt noch die Wertung. Auch hier ist wieder die goldene Hand Günter Cornetts spürbar. Die letzte Besitzerin der Flasche darf nämlich ihre gewonnenen Stiche nicht schreiben. Dafür kostet der Teufelsstich Minuspunkte. Die übrigen Stevenson/Cornett Freunde dagegen dürfen den Punktwert der Karten ihrem Konto hinzufügen. Dieser Punktwert wird durch 1 bis 6 Münzen je Karte symbolisiert. Wobei ich schon an dieser Stelle darauf hinweisen möchte, dass die höchsten Karten auch das meiste Geld einbringen. Sie sollten daher in den Stichen gesammelt werden. Gespielt wird auf eine vorher vereinbarte Punktezahl, vorgeschlagen werden vom Autor 500 „Münzen“. 

 

Für zwei Personen werden im Regelwerk zwei leicht adaptierte Varianten vorgeschlagen: „Lopaka“ und „Glitzerhaus“. Zur Namenserklärung sie bemerkt, dass Lopaka ein Freund des Helden Keawes ist, und dass die Novelle mit dem Satz „…groß blieb ihr Glück und der Friede all ihrer Tage im Glitzerhaus“ endet. Ich werfe, gleichsam in Zeitraffer, einen kurzen Blick auf diese Varianten. Bei „Lopaka“ spielt ein Dummy mit, der ebenso wie die beiden „menschlichen“ Spielerinnen 11 Karten zugeteilt bekommt. Die restlichen drei Karten bilden den Teufelsstich. Nach Weiterschieben je einer Karte zur Spielpartnerin wird die Hand Lopakas (das ist der Strohmann) aufgedeckt. In der Folge wirft Lopaka nach einem bestimmten Schema Karte um Karte in den Stich. Dabei werden nicht Informationen aus bereits früher ausgespielten Karten verarbeitet, sondern ausschließlich die Tischkarten des jeweiligen Stichs berücksichtigt. Die übrigen Regeln folgen dem Standardspiel für drei und vier Spielerinnen. Interessanter ist der Rhythmus bei „Glitzerhaus“. Hier werden je 2 x 9 Karten an die Spielerinnen verteilt. Einzeln und hintereinander werden die beiden Kartenhände pro Spielerin aufgenommen und jeweils eine Karte für den Teufelsstich gewählt, danach eine der Gegenspielerin zugeschoben. Anschließend wird pro Spielerin eine Hand offen gelegt, die andere dagegen bleibt verdeckt. Im eigentlichen Spiel muss immer zunächst eine Karte der offenen Hand, dann eine der verdeckten in den Stich gelegt werden. Es werden insgesamt exakt acht Stiche eingefahren, da ja vier Karten im Teufelsstich ruhen. Einer der beiden Spielerinnen bleibt zuletzt der unwillkommene Flaschenteufel und schon ist es vorbei mit dem klingenden Geldsegen.    

 

Wo nun liegt der besondere Kniff beim Flaschenteufel? Zum einen zweifellos in der sehr ungewohnten Art, die jeweiligen Stichkarten zu ermitteln. Selbst wenn Sie viele hohe rote Karten in Ihrer Hand halten, garantiert dies keine Punkte, denn die billigste Karte unterhalb des Flaschenpreises überbietet Ihr Gebot allemal. Zum zweiten macht die Verteilung der Farbwerte jeder simplen Strategie einen Strich durch die Rechnung. Spielt sich jemand in einer Farbe frei, zum Beispiel in Rot oder Blau, so kann es leicht passieren, dass eine rote „14“ oder eine blaue „10“ die Flasche zugesprochen bekommen, die gelbe „1“ dagegen munter abgeschmiert wird. Plötzlich gibt es niemanden mehr, der Ihnen die hart umkämpfte Flasche abnimmt. Das Risiko, auf dem Teufelchen sitzen zu bleiben, wird von Stich zu Stich größer, und intensiviert die Spannung in manchen Spielrunden ins Unerträgliche. Zum dritten fällt es auf Grund der Möglichkeit, mit einer „fremden“ Farbe einzustechen, schwer, sich die gefallenen Karten zu merken, es sei denn, Sie haben ein begnadetes Kurzzeitgedächtnis. Dies gilt sogar für die Zweiervarianten, von denen ich persönlich „Glitzerhaus“ als wesentlich taktischer empfehlen möchte. Es benötigt in jedem Fall ein, zwei Austeilungen, dem anhaltenden Reiz des Flaschenteufels zu verfallen, auch wenn Sie einige Erfahrung mit Kartenspielen mitbringen.

 

Eine kleine Korrektur erlaube ich mir zur vorgeschlagenen Spieldauer. 500 „Münzen“ sind entschieden zu hoch. Riskieren Sie doch lieber eine Revanche und spielen Sie nur auf 250 Punkte. Um die Feinheiten des Flaschenteufels zu genießen, reicht diese Messlatte allemal. Zudem sind selbst theoretisch nur 126 Münzpunkte im Spiel, die sich noch dazu um den Teufelsstich reduzieren und auf die drei oder vier Spielerinnen aufteilen. Sie müssen also auch bei reduziertem Spielziel in jedem Fall einige Runden der Flaschendramatik durchstehen.

 

Mein persönliches Fazit: Dieses durch vorzügliche Illustrationen gekennzeichnete Spiel wird trotz unbestreitbarer Qualitäten dennoch nicht jedem gefallen, das ist mir bewusst. Denn es setzt, wie schon betont, einige Erfahrung beim Kartenspielen voraus. Wer Stichspiele mag, ist in der Regel von den verzwickten Denkanforderungen mehr als angetan, die eingefleischten Brettspielerinnen dagegen reagieren meist fast erstaunt und zurückhaltend. Die Feinheiten dringen eben nicht erst in der ersten oder zweiten Spielrunde durch. Dennoch schätze ich persönlich den Glücksfaktor gerade dann hoch ein, wenn drei oder vier Spielerinnen um den Tisch sitzen. Die Kartenverteilung bleibt bis zuletzt unklar, das Risiko, auf dem Flaschenteufel sitzen zu bleiben, nimmt von Minute zu Minute zu. Dies tut dem Spannungsbogen jedoch keinen Abbruch. Oft wandert die Flasche erst im letzten Augenblick, gleichsam mit dem Ausrufen der Sperrstunde. Bei der Zweipersonenvariante dagegen kommt es bisweilen zu längeren Berechnungsketten, da wesentlich mehr über die Kartenverteilung bekannt ist. Ich finde dies spannend, aber auch hier scheiden sich im Urteil die Geister. Ich habe bei der Bewertung des Flaschenteufels durch verschiedene Spielerinnen eine erstaunlich große Bandbreite von „2“ bis „5“ auf der Skala der Würfelwertung wahrgenommen.

Sie haben nun genug gelesen, denke ich, um mit Besonnenheit und Tatendrang ans Spiel heran zu gehen. Wie fragt etwa Karte 7: Aber was ist Euch? Warum nehmt Ihr die Flasche nicht? Zögert Ihr?

 

 

Hugo Kastner

 hugo.kastner@chello.at

 

FLASCHENTEUFEL – THE BOTTLE IMP

Spieler:                 2-4

Alter:                    ab 10 Jahren

Dauer:                  30-45 Minuten

Verlag:                  Bambus Spieleverlag 2003

                            www.bambusspiele.de

Autor:                   Günter Cornett

Grafik:                   Carsten Fuhrmann

Originalausgabe:    Bambus Spieleverlag 1995  

Preis:                    ca. € 12

 

WIN WERTUNG

Genre:                  Stichkartenspiel

Zielgruppe:            Kartenfreunde & Zweipersonenspielerinnen

Mechanismus:        Zählstiche machen und den Flaschenteufel abgeben

Strategie:               ***

Taktik:                  ******

Glück:                   ***

Interaktion:            ***

Kommunikation:     **

Atmosphäre:          ******

Kommentar:

Strategisch-taktisch anspruchsvoll

Origineller Stichmechanismus

Brücke zwischen Literatur & Spiel

Exzellente, stimmungsvolle Grafik

 

Hugo Kastner: Die Neugestaltung von Flaschenteufel ist ein wahrer Augenschmaus. Ungemein dicht ist die atmosphärische Wiedergabe der Stevenson-Geschichte „Der Flaschenkobold“, sowohl was die Bilder als auch was die Textauswahl betrifft. Dazu kommt ein ungewöhnlicher Stichspielmechanismus, der bis zur letzten Sekunde Spannung verspricht.

 

Wenn Ihnen grundsätzlich Stichkartenspiele wie Sticheln oder Canyon gefallen, sollten Sie nicht zögern, zum Flaschenteufel zu greifen.