WE THE PEOPLE

 

Besprechung: Bernd Laimer, Redtenbachergasse 25/2/18, 1160 Wien, Tel. 0222/462309

WE THE PEOPLE ....

 

So begann jenes Memorandum, welches die Welt veränderte und den Feudalismus in seinen Grundfesten erschütterte, die Unabhängigkeitserklärung der Amerikanischen Kolonien -

die Geburt einer Nation, welche die persönliche Freiheit als höchstes Ziel erklärte.

Natürlich hat dieses reizvolle Thema, und vor allem der folgende Unabhängigkeitskrieg,

schon viele Spieleautoren inspiriert.

Nun hat sich wieder einmal der renommierte und bei allen Fans strategischer Spiele bestens bekannte Avalon Hill- Verlag dieser Thematik angenommen und sie, doch gänzlich neu und für Avalon Hill eher ungewöhnlich, aufbereitet.

Schon das Äußere der Verpackung macht neugierig. Wenn man sich dann die Unterseite der

Schachtel betrachtet, wo das Spiel in voller Herrlichkeit abgebildet ist, steigt der Erwartungsdruck.

Nach dem Öffnen der Verpackung besticht vorerst die bei Avalon Hill gewohnt gute Ausstattung

sowie die saubere Verarbeitung des Spielmaterials.

Bei einem näheren Blick fallen die vielen Karten auf, welche sich neben schön bedruckten vielfarbigen Counters, ebensolchen aufzustellenden Kartonfiguren von Generälen, dem Spielplan,

einem Kartenablageblatt mit aufgedrucktem Battle-Summary und zwei Anleitungsheften

in der Verpackung befinden. Dies alles weist auf ein für Avalon Hill etwas außergewöhnliches

Spielprinzip hin. Verstärkt wird dies, wenn man sich den Spielplan näher betrachtet.

Die Karte zeigt das Gebiet zwischen Kanada und Georgia, also einen großen Teil der amerikanischen Ostküste, das Gebiet der ursprünglichen dreizehn Kolonien nämlich. So weit so gut.

Auffallend ist das Fehlen von Hexagons. Dafür sind sämtliche Städte durch markante weiße Linien verbunden. Die Städte der einzelnen Kolonien präsentieren sich jeweils in einer gleichfarbigen Umrahmung. Da sich diese Farbe durch aufgedruckte Schneekristalle, welche Winterquartiere darstellen sollen, bei einigen Städten verändert, führt dies anfangs zu Verwirrung und Unklarheiten.

Man bekommt aber bald den Durchblick, zumal auch, wenngleich auf Grund der Farbenvielfalt und Dichte teilweise schwer erkennbare, Gebietsabgrenzungen beim Erkennen der Kolonien

behilflich sind.

Nach dem Regelstudium wird rasch klar, daß "We the People" den Umständen und Eigenheiten des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges sehr gut gerecht wird und die Atmosphäre dieses Ereignisses gut vermitteln kann. Da dieser Krieg mehr eine Auseinandersetzung der Ideen

und politischen Einflüsse denn ein militärischer Kampf war, geht es auch bei diesem Spiel vor allem um die politische Kontrolle in der Mehrheit der Kolonien. Aspekte wie die vorerst bessere

Ausbildung der britischen regulären Truppen, die überlegene Geländekenntnis und der bessere

Rückhalt der amerikanischen Soldaten in der Bevölkerung, die Marineunterstützung der Engländer, die gentlemanlike Kriegführung, das eventuelle Eingreifen Frankreichs auf amerikanischer Seite und vieles mehr werden gut simuliert.

Der Spielzeitraum ist von 1775 bis 1783, wobei das Spiel, durch Ereigniskarten oder einen

überlegenen Sieg, auch früher enden kann. Einen automatischen Sieg gibt es, wenn die Engländer George Washington gefangen nehmen können, oder die Amerikaner alle britischen Einheiten

vernichten bzw. aus dem Land drängen können. Ansonsten gewinnt jener Spieler, welcher in einer bestimmten Anzahl von Kolonien (neun für die Amerikaner, sechs für die Engländer) die politische Majorität, sprich mehr Political-Counters als der Gegner besitzt.

"We the People" wird in Runden gespielt, welche jeweils einem Jahr entsprechen. Die Spieler bewegen ihre Kampfeinheiten und/oder Generäle, plazieren Politische Control-Marker in den

einzelnen Städten und schlagen Gefechte, allerdings nur durch Ausspielen von Karten,

welche grundsätzlich in zwei Varianten vorhanden sind. Als Strategiekarten und als Gefechtskarten.

Die Strategiekarten teilen sich nochmals in Operations und Ereigniskarten auf. Dies klingt anfänglich kompliziert ist es aber keinesfalls.

Nach der Grundaufstellung erhält jeder Spieler eine bestimmte Anzahl von Strategiekarten, welche er in der nun folgenden Runde ausspielen und verwenden kann oder ablegen muß. Einige

sogenannte Special-Events Karten, welche einschneidende Ereignisse, wie z.B. das Eingreifen der

Franzosen durch Benjamin Franklins Vertrag simulieren, müssen ausgespielt werden, auch wenn sie einem zum Nachteil gereichen. Allerdings bleibt der Zeitpunkt des Ausspielens jeder Karte dem jeweiligen Spieler überlassen. Die Zugreihenfolge kann auch durch Ereigniskarten beeinflußt werden und ist nicht unerheblich. Ereigniskarten rufen zum Zeitpunkt ihres Ausspielens ein

Ereignis hervor, welches direkte Veränderungen auf das Spiel hat. (z.B. Entfernen oder Verändern

von Politischen Controlmarkers etc.)

Mit den Operationskarten, welche sämtlich einen Zahlenwert aufgedruckt haben, kann man, wahlweise und natürlich unter bestimmten Voraussetzungen, entweder Truppen und/oder Generäle

bewegen, Verstärkungen ins Spiel bringen oder sogenannte POC (Political Control-Marker) in

Städten auflegen. Am liebsten würde man zumeist alles machen, was natürlich nicht geht

. Generäle besitzen grundsätzlich zwei aufgedruckte Werte, einen Strategie und einen Kampfwert.

Sie können z.B. nur bewegt werden, wenn ihr Strategiewert gleich oder höher als der auf der

ausgespielten Operationskarte.

 

Wenn zwei Kampfeinheiten auf einem Feld aufeinandertreffen kommt es zu einem Gefecht, wobei es bei dem Zug in ein Feld z.B. auch schon zu einem Überraschungsangriff kommen kann.

Gefechte werden durch Battle-Cards ausgetragen. Jeder Spieler bekommt eine bestimmte Anzahl,

abhängig durch Truppenstärke, Kampfwert des Generals und eventuelle Gelände oder politische

Vorteile.

Jeder Spieler versucht nunmehr eine Karte auszuspielen, welche der Gegner nicht mit der entsprechenden Gegenstrategie beantworten kann. Auch hierbei ist die Zugreihenfolge, welche sich

von Kampfrunde zu Kampfrunde, durch versuchte Gegenangriffe, ändern kann von einiger

Bedeutung. Es ist auch entscheidend, mit welcher Kampfkarte, die allesamt gewisse damals verwendte Kampfstrategien, wie Flankenattacke, Frontalangriff, Einkreisung oder Bombardement,

um einige Beispiele zu nennen, darstellen, man das Gefecht gewinnt, da manche Karten höhere oder geringere Verluste bei Verlierer oder auch Sieger des Gefechtes verursachen. So können die

Engländer z.B. bei hohen Verlusten ihren Kampfstärkebonus für die Regulären Linienregimenter

verlieren, da die Amerikaner dann den Respekt vor diesen vermeintlich perfekten Soldaten verlieren.

Von großer Bedeutung ist auch, wo ein Gefecht ausgetragen wird. So haben die Engländer z.B.

in Häfen grundsätzlich einen zusätzlichen Kampfbonus, da sie dort durch ihre Kriegsschiffe

Artillerieunterstützung erhalten, ausgenommen der Hafen wird durch die französische Marine blockiert. Falls jemand die politische Mehrheit in der Kolonie besitzt, schlägt sich dies ebenfalls in

einem Kampfbonus nieder.

Gerade hier sieht man die Liebe zum Detail und die historische Genauigkeit, um welche die Autoren bemüht waren. Sogar Washingtons berühmte und kritische

Winteroffensive kann unter bestimmten Bedingungen nachgespielt werden und bringt ihm kampfmäßige Vorteile. Es ist auch sonst wichtig darauf zu achten, wo die eigenen Truppen stehen.

Beziehen sie z.B. keine Winterquartiere, erfrieren einige der Soldaten. Dinge wie amerikanische

Geländevorteile werden z.B. durch eine Abkürzung zwischen Kanada und Massachusetts simuliert,

welche nur General Benedict Arnold mit seinen Truppen kennt und benützen kann.

Auch die gravierenden Unterschiede zwischen Briten und Amerikanern wurden gut herausgearbeitet. Britische Generäle können POCs z. B. nur verändern, wenn sich von Truppen begleitet werden, während die amerikanischen Offiziere dies auch alleine schaffen. Die Briten

hingegen können ihre Marine zum raschen Transport von Einheiten zwischen den einzelnen Häfen benützen. Dies sind nur einige der Beispiele, welche sich in großer Vielzahl darstellen.

Auch beim Einbringen von Verstärkungen gibt es gewaltige Unterschiede. Der Amerikaner kann sie nahezu überall ins Spiel bringen, was seine Unterstützung in der Bevölkerung simulieren soll und

auch öfters als der Engländer, dafür in geringerer Anzahl. Der Brite kann seine Verstärkungen nur einmal pro Runde in vorgegebener Anzahl und nur in einem eigenen Hafenfeld, dafür aber in manchen Runden in beträchtlicher Stärke und mittels Ausspielen auch der geringstwertigen Operationskarte, ins Spiel bringen. Der Amerikaner hat zweimal pro Runde, in zumeist geringerer

Menge, die freie Wahl, durch Ausspielen einer entsprechenden Operationskarte Ersatz heranzuschaffen.

Das gentlemanlike Ambiente des Unabhängigkeitskrieges wird dadurch dargestellt, daß gefangene Offiziere grundsätzlich zurückgegeben werden und schon im nächsten Jahr wieder als Ersatz zur

Verfügung stehen. Auch die relativ geringe Anzahl von Kampftruppen und die Weite des Landes

werden gut simuliert.

Es ist kaum möglich, alle strategisch wichtigen Punkte auch nur annähernd

abzudecken, und man bedarf schon ausgewifter Strategien, um zum Erfolg zu kommen. Immer wieder

wird man vom Gegner überrascht, auch wenn man vermeintlich alles bedacht hat.

Sehr gut gefallen haben mir bei "We the People" die Ereigniskarten, welche sehr fundiert viele der

tatsächlichen Ereignisse widerspiegeln und stets für überraschende Wendungen im Spiel

sorgen. Alle bekannten Ereignisse und Figuren wie z.B. der Verrat von General Arnold,

der Einsatz von Rangertruppen und Indianern, Vorkommnisse in Europa, der Vertrag Amerikas mit

Frankreich und vieles mehr finden dadurch im Spiel ihren Niederschlag.

Sicherlich hat Avalon Hill neben unzähligen bekannten Hexa-Games auch schon hervorragende

strategische Kartenspiele wie z.B. Up-Front, Naval War oder Enemy in Sight herausgebracht,

um nur einige zu nennen. "We the People" aber stellt sicherlich eine höchst gelungene Mischung

zwischen Karten und Brettspiel dar, wie ich sie noch nicht oft gesehen habe. Von der interessanten Thematik über die schöne Ausstattung, das gute Spielmaterial bis hin zu Spielwitz, guter Spielbarkeit bei relativ leichter Erlernbarkeit und der trotzdem gegebenen hohen Komplexität bei guter historischer Genauigkeit paßt einfach alles. Hinzu kommt noch, daß das Spiel in einem zumutbaren Zeitraum von ca. zwei bis vier Stunden locker durchgespielt werden kann.

Der Glücksfaktor hält sich in relativen Grenzen. Bei guter Planung wird man auch bei widrigen

Glücksverhältnissen zumeist gewinnen. Beide Seiten sind relativ ausgewogen und haben Gewinnchancen, wenngleich die amerikanische Seite meiner Meinung nach etwas leichter zu

führen ist und auch die etwas besseren Siegchancen hat.

Mir jedenfalls hat "We the People

" sehr gut gefallen und ich werde es mir bei Gelegenheit sicherlich zulegen. Auch meinen

Spielpartnern, denen ich hier nochmals für das Testspielen danken möchte, waren von "We the

People" durchaus angetan, wenngleich ich auch kompetente und gute Spieler kenne, welche eine

andere Meinung vertreten. Diese sind aber Hex-Game Fans a la Advanced Squad Leader.

Ihnen gibt es bei "We the People" sicherlich zu wenige Counters. Ich meine, daß das Spiel sowohl für Einsteiger in die Materie wie auch für Strategiefans aller Kaliber empfehlenswert ist, da sich ein relativ rascher Einstieg mit einem logischen, gut durchdachten und leicht nachvollziehbaren Spielverlauf trifft, zugleich aber ein sehr breites Spektrum an strategischen und taktischen Varianten vorhanden ist.

Spielfreude und Animo bleiben daher auch nach mehreren Partien erhalten, insbesondere wenn man

sich für diesen Themenkreis ohnehin interessiert.

Win-Wertung

** We The People

WW SSS KK UUU AAA 2 h