RETTE SICH WER KANN

Seenot im Rettungsboot

Ein basisdemokratisches Katastrophenspiel    

 

Der Kampf gegen die Elemente ist in diesem Abstimmungsdrama auf See von Ronald Wettering vorwiegend ein Kampf gegen die mitspielenden Matrosen und Steuermänner. Wie prangt es vom Cover der blauen, gefährliche Wasser suggerierenden Spielschachtel des Argentum Verlags: Ein basisdemokratisches Katastrophenspiel. Ja, in der Tat wird jede Entscheidung unerwartet objektiv und mit viel Trara abgestimmt, in der Tat werden alle Seeleute ständig daran erinnert, dass es noch ein Morgen gibt – und niemand so ganz widerstandslos in den Fluten versinken muss. Allein es entscheiden die Mehrheiten – und diese erreicht man nur mit Überzeugungskraft und Freundlichkeit (bisweilen im ironischen Sinn). Und dann gibt es noch die Kapitäne. Wer solcherart Führungsstärke im rechten Augenblick demonstriert, wirft schon mal das Votum der anderen Bootsinsassen über den Haufen. So war es eben schon immer auf hoher See: Das letzte Wort hat der Kapitän. Leider wollen nur allzu oft alle gleichzeitig den Chef mimen. Das funktioniert nicht im realen Leben – und schon gar nicht in basisdemokratischen Gemeinschaften. Daher Vorsicht mit allzu großen Ambitionen.             

Vorbereitung & Spielziel: Alle wollen ihre eigenen Seeleute zu den rettenden Inseln bringen, so simpel darf das Spielziel definiert werden. Der Weg dahin jedoch ist mühsam, da die bösen Mitspieler nichts unversucht lassen werden, gerade Ihre Steuermänner und Matrosen auf Grund laufen zu lassen. „Schicksal“ – könnte man sagen, doch immerhin haben Sie genug Material, um dieses Schicksal zu beeinflussen. Konkret: ein Rettungsboot, zwei Steuermänner, vier Matrosen und zehn Abstimmungskarten (je eine in allen Bootsfarben, dazu drei Kapitänskarten). Blaue Setzsteine, die Löcher in den Booten simulieren, werden ebenso neben dem Meeres-Spielfeld bereitgehalten wie ein schwarzes Boot. Der Startspieler wird gelost und schon kann es losgehen.

Spielablauf & Spieltipps: Eher undramatisch und ohne große Konsequenz auf das eigentliche Spielgeschehen werden zunächst alle verfügbaren Boote (abhängig von der Spielerzahl) zu Wasser gelassen. Dann folgt das schon wesentliche, weil nachhaltige Setzen der eigenen Matrosen und Steuermänner in die Boote, reihum ein Seemann pro Runde. Das eigentliche Spiel wird in drei Phasen abgewickelt: (1) Ein Boot bekommt ein Leck. (2) Ein Boot fährt. (3) Die Seeleute steigen um. Egal welche Phase gerade durchgezogen wird, die Entscheidungen fallen durch geheimes Ablegen und gleichzeitiges Aufdecken der betreffenden Abstimmungskarten. Mehrheiten sind dabei entscheidend, wenn nicht eine Kapitänskarte gewählt wurde. Mit dieser kann man alles beeinflussen, allein es stehen jedem Spieler nur drei dieser Kapitäns-Joker zur Verfügung. Also ist gutes Timing angesagt. Die 1. Phase mit dem Leck kann harmlos sein, solange noch unbesetzte Plätze im betreffenden Boot vorhanden sind, oder aber kritisch, wenn der Platz knapp wird, und eine weitere Abstimmung über den Bootsinsassen erzwungen wird, der über die Planke springen muss. Bei allen Abstimmungen sollte gefeilscht und gebettelt werden, sollten Allianzen entstehen und Bündnisse geschlossen werden, die gerade Ihre Leute schützen. Klar ist aber: Dieses Ziel hat jeder der Mitspieler. Jedenfalls sind diese Abstimmungen das Herzstück beim Seenot-Poker, und wer dabei öfters gut aussteigt, der wird letztlich mehr Leute seiner Mannschaft auf die hochwertigen Inseln bringen (auch diese sind unterschiedlich gewichtet). In der 2. Phase wird ein einziges Boot näher zur rettenden Insel bewegt (was insgesamt drei Fahrten pro Boot verlangt), und in diesem sollten klarerweise Ihre eigenen Leute sitzen. Wer schifft schon gern den Kahn der Anderen? Die 3. Phase bildet den Abschluss jeder Spielrunde. Dabei muss reihum je ein Seemann sein Boot verlassen und in ein anderes umsteigen. Wo liegt das Problem, mag man sich zunächst fragen? Die simple Antwort: Boote, die mehr Löcher als Seeleute haben, sind zum Untergang verurteilt, sinken also unmittelbar. Verlässt jemand ein schwach besetztes Boot, kann dies schon entscheidend sein. Und außerdem darf pro Boot nur ein neuer Seemann aufgenommen werden. Sie sehen vielleicht schon: Aussteigen und einsteigen sind nicht immer ein Nullsummenspiel. Nicht vergessen sollten Sie auch, dass sich mit einer Kapitänskarte Abstimmungssiege bisweilen erzwingen lassen. Doch dieses probate Mittel steht den Spielern maximal dreimal zur Verfügung. Haben alle Boote eine Insel erreicht oder das Sinken nicht vermeiden können, kommt es zur Wertung. Pro Mannschaftsteil auf jeder Insel gibt es Punkte – zwischen vier und sechs Punkte für einen Matrosen, zwischen sechs und acht für einen Steuermann. Bei Gleichstand entscheidet, wer als erster sein ursprünglich zu Wasser gelassenes Boot in den Hafen gebracht hat. Tipp: Seien Sie nicht zu aggressiv beim Diskutieren, aber auch nicht zu verhalten. Lösen Sie manchmal Ihre Versprechen ein, doch keinesfalls immer. Und betrachten Sie alle noch so herzzerreißenden SOS-Rufe Ihrer Mitspieler auch unter dem Gedanken, dass es ein „falscher Alarm“ sein könnte. Jeder möchte letztlich seine eigenen Leute an die rettenden Gestade bringen. 

Kritik & Anmerkungen: Das Material lässt sofort das Kritikerherz höher schlagen, das als erste positive Anmerkung. Immerhin ist alles aus Holz, was ja in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Auch ein erster Blick ins Regelheft zur Passage „Definition des Spielziels“ kann Erwartungen wecken, vor allem die Worte „demokratisch abgestimmt“. Nun allerdings kommt es unter Umständen zu einer raschen Trübung der solcherart aufgeputschten Stimmung. Dies vor allem dann, wenn nur drei Bootsfreunde am demokratischen, durch Beratung gesteuerten Renngeschehen teilnehmen. Zu durchsichtig werden die Abstimmungen, zu sehr entstehen Zwei-zu-eins Situationen, und nach wenigen Runden sterben die Beratungen vollends ab. Die Boote rutschen ohne Dynamik dahin und die Seeleute tummeln sich lust- und teilnahmslos in den Gewässern. Vielleicht wäre ein Warnhinweis in der Regel fairer gewesen. Mein Urteil: „Mit drei Spielern nur zum Regelstudium zu empfehlen“. Ganz anders sieht die Sache bei fünf oder gar sechs Leuten in Vollbesetzung aus. Hier kann sich die ganze Tiefe des altbekannten Stein-Schere-Papier Prinzips entfalten und mit der hier typischen dynamischen, lauten, werbenden und leidenschaftlichen Diskussionsphase abwechseln. Alles ist erlaubt: Feilschen, Täuschen, Tricksen, Versprechen, Drohen, Handeln, Intrigieren … nichts, aber auch gar nichts muss eingehalten werden. In Vollbesetzung entwickelt sich wahrlich das Gefühl der „Seenot im Rettungsboot“, oder – um es mit dem alten Titel auszudrücken – des „Rette sich wer kann“. Ja sogar eine sofortige Revanche ist aufgrund der überschaubaren Spieldauer möglich. Vor dem Kauf also ausnahmsweise überlegen, ob genug Freunde der See um einen Tisch versammelt werden können. Dann aber auf in die Boote – und rechtzeitig ein SOS gesendet!                

Mein persönliches Fazit: Mit drei Spielern plätschert das Bootsrennen recht undramatisch vor sich hin, mit vier Teams nehmen die Allianzen zu, mit fünf Steuermännern kann es turbulent und stimmungsvoll werden, und mit sechs Bootsfreunden, die noch dazu die Charakterstärke haben, um ihr Leben zu kämpfen – in verbaler Form, versteht sich – ist SEENOT IM RETTUNGSBOOT sogar ein Knüller! Sie haben es selbst in der Hand, aus dieser Reise ein Abenteuer werden zu lassen.      

        

Hugo Kastner

Wieder einmal hat ein ausgezeichnetes Kommunikationsspiel wie RETTE SICH WER KANN (Walter Müllers Spielewerkstatt 1993) eine noch gelungenere Neuauflage erfahren – mit Booten, Figuren und „Steinen“ aus Holz. Alles lebt – vorausgesetzt die Mitspieler bringen die entsprechende Stimmung auf. Und selbst das Untergehen kann zeitweise Spaß machen, trifft es ja meist auch die Gegenspieler.       

 

Spieler:                3-6 

Alter:                            12+

Dauer:                 30

 

Autor:                  Ronald Wettering

Grafik:                 Matthias Catrein

Vertrieb:              Fachhandel

Preis:                            35,00 Euro

Verlag:                Argentum Verlag 2006

                            www.argentum-verlag.de

 

BEWERTUNG

Genre:                 Kommunikationsspiel 

Zielgruppe:                   Familien

Mechanismus:     Stein-Schere-Papier + Diskussion  

Strategie:           

Taktik:                ●●●●●

Glück:                  ●●●●

Interaktion:        ●●●●●●

Kommunikation: ●●●●●●●

Atmosphäre:       ●●●●

KGB-Wertung (Kompetenz-Glück-Bluff) – insgesamt 9 Punkte: 225     

 

Kommentar:

Lebhafte Diskussionen

Schönes Spielmaterial

Überschaubares Regelwerk

Seenot im rettungsboot kann mit fünf oder sechs Spielern begeistern, falls die „Bootsleute“ Verständnis dafür aufbringen, dass Feilschen, Kuhhandel, Drohen und dergleichen bei diesem Kampf ums Überleben einfach dazugehören. Wer möchte schon seine Matrosen oder Steuermännern in den Fluten des Ozeans versinken sehen? Ein wenig erinnern das Brechen von Versprechungen und das Keilen um Zustimmung an den Klassiker INTRIGE. Sollten Sie mit damit Spaß gehabt haben, dürfen Sie nun mit Vorfreude in den Rettungsbooten Platz nehmen.

    

hugo.kastner@chello.at

www.hugo-kastner.at

 

Kid                       

Family                           

Adult           ein    

Expert                  

 

Alter                    

Spezial                 

 

Red                      

Orange                 

Yellow                   ein    

Green                   

Turquoise             

Blue                     

Purple          ein